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Wir dokumentieren im Folgenden einen Text aus der Süddeutschen Zeitung zum Slogan "Kein Blut für Öl", der als "linker Klassiker" bei den Friedensdemos zu neuen "Ehren" kam. |
Halt rein unsern Saft. |
Der aktuelle Slogan "Blut für Öl" hat eine dunkle Geschichte Öl, so lesen wir in einem Bestseller aus alten Leihbibliotheken, sei "geballteste Kraft", und "die Geschichte des Öls" sei "eng verbunden mit der jüngsten Geschichte der ,Demokratien'" – wohlgemerkt: der sogenannten, der "westlichen" Demokratien. Öl, das "flüssige Gold", so lesen wir weiter, sei als Leitwährung jener "Plutokratien" eine "der wesentlichen Kräfte in der Weltpolitik der letzten Jahrzehnte" gewesen: Englands Ölinteressen hätten den Zweiten Weltkrieg ausgelöst, und schon beim Ersten Weltkrieg sei es nicht viel anders gewesen: In dessen fünftem Jahr habe der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau an den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson die telegraphischen Worte gekabelt: "Ein Tropfen Öl ist uns einen Tropfen Blut wert." "Blut für Öl": Die simple und stereotype Stammtischerklärung für vergangene und kommende Kriege, der sich neben dem Spiegel auch unser Staatsdichter Günter Grass angeschlossen hat, hat eine präzise Quelle, die aus trüben Sümpfen fließt: Sie stammt nicht von Hans Kronberger, der erst 1998 das Buch "Blut für Öl. Der Kampf um die Ressourcen" (Michaels Verlag) veröffentlichte, sondern geht zurück auf Anton Zischka, einen der erfolgreichsten deutschen Industrie- und Sachbuchautoren des vorigen Jahrhunderts. Eine annähernde Vorstellung von Zischkas einstiger Popularität kann man sich machen, wenn man einmal in alten Familienbeständen kramt oder die Krabbelkisten der Antiquariate gezielt nach seinen Werken durchstöbert. Selbst Walter Benjamin war einmal so frei, seinem Sohn Stephan zum 20. Geburtstag keinen Goethe, sondern ein Buch von Zischka zu schenken. Noch bis in die achtziger Jahre war dieser mit unzähligen Büchern über Öl und Anilin, Dollars und Gold hervorgetreten, und er hat auch die Formel "Blut für Öl" geprägt: Zuletzt im Jahr 1944, in der zweiten Auflage seines 1939 erschienenen Buchs "Ölkrieg", das bereits auf einen Vorläufer zurückging, der unter dem Titel "Der Kampf ums Öl" erschienen war. Raffen und Schaffen Auf Zischkas Buch vom "Ölkrieg", das einen epochalen Abschnitt des "großen Kampfes zwischen uns Schaffenden und den Räubern, zwischen Aufbauenden und den vom Zufall Lebenden" schildert – also wieder die Dichotomie vom "schaffenden" gegen "raffendes", sprich "jüdisches" Kapital – hat schon vor Jahren der Historiker Dan Diner in einem Essaybändchen über den "Krieg der Erinnerungen" aufmerksam gemacht: Als Quelle für die Parole "Kein Blut für Öl!", die anlässlich des zweiten Golfkriegs mit rot tröpfelnden und zur Fraktur skelettierten schwarzen Lettern auf wehende Bettlaken geschrieben wurde. Zischkas Ölreißer liest sich noch heute wie ein geopolitischer Kriminalroman, der dem "schwarzen Gold" von den Ursprüngen als einem "Verwesungsprodukt urweltlicher Tiere, das wir aus den Tiefen der Erde holen", über das "Spekulationsobjekt" einer goldgelben Internationale gieriger Ölherren bis hin zu den symbolischen Qualitäten des Rohstoffs folgt: "Es war wie ein Symbol: Öl beschmutzte hier alles. Die Hände der Regierenden wie das Wasser des Volks." Wieder ein Fall von Brunnenvergiftung - durch amerikanisches, durch jüdisches Kapital. Und da soll es erneut heißen: "Blut für Öl!"? Nicht mit uns! "Halt rein unsern Saft, / Daß rot seine Kraft.. .", dann wird sich alles, alles wenden. Der so dichtete, war der NS-Barde Gerhard Schumann. Öl ist zähflüssig, düster, unrein, schwarz, ohne Seele und Gefühl, materialistisch, ganz "jüdisches Gift" und die "Sünde wider das Blut", die "Blutschuld" schlechthin. Blut dagegen ist leichtflüssig, leuchtend, rein, unschuldig, natürlich und rot, und mit ihm, das der Erlöser vergossen hat und das uns Erlösung verheißt, soll auch er wieder leuchten, unser aller Gral, der heilende, der Heilige Gral, voll mit Lebenssaft, dem "roten Saft", dem - wie Friedrich Georg Jünger schrieb - "mythischen Urgrund des Seins" und unserer "blutsmäßigen Gemeinschaft". Vermintes Sprach- und Symbolgelände betritt, wer sich die einfache Formel zu eigen macht, und er sollte wissen, in welch manichäische Mystik er sich verstrickt, die durch die stinkigen Moraste einer völkisch-nationalsozialistisch tradierten Phantasmagorik tradiert wurde und offenbar noch immer durch die Köpfe wabert: Beschworen wird hier der apokalyptische Kampf zwischen den blut- und geldgierigen Mächten der Finsternis und den heroischen Mächten des Lichts, die ihr Blut nur für anständige Dinge zu vergießen bereit sind. Dass solches Denken den urdeutschen Dualismus von "Kultur" und "Zivilisation" gleich mit erneuert, ist dabei nur ein Begleitprodukt einer fortdauernden, aus der alten Bundesrepublik überkommenen Bunkermentalität, die sich auf ihre blutige Unschuld auch noch gehörig etwas einbildet und die Bettwäsche auch dann noch für weiß hält, wenn sie nach Wochen und Monaten immer noch aus dem Fenster hängt. Wir werden sie hängen sehen – und unterdessen werden wir die Stammtischdiskussion über deutsche Städte als Ziele alliierter Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg weitertreiben, in Bild & Spiegel & FAZ. Anton Zischka, dem wir die Erklärung des geopolitischen und weltökonomischen Nexus von Blut und Öl verdanken, war im Übrigen kein Blut-und-Boden-Mystiker vom Schlage eines Alfred Rosenberg oder Heinrich Himmler. Wie zuvor mit der Weimarer Republik hatte er – von ein paar kämpferischen Auftritten gegen die Stilllegung von Zechen im Ruhrpott abgesehen – auch mit der westdeutschen Nachkriegsdemokratie seinen Frieden geschlossen und seine Schäfchen ins Trockene gebracht, bevor er hochbetagt auf der lichten deutschen Freizeitinsel Mallorca starb. Seine letzte Buchveröffentlichung "Der Dollar. Glanz und Elend einer Weltwährung" – 1985 im Wirtschaftsverlag Langen-Müller erschienen – ist noch immer lieferbar. Er war ein Modernist von deutschem Format: Sein Buch über den "Ölkrieg" propagierte ein großindustrielles Projekt zur synthetischen Ölgewinnung, die Deutschland von der imperialistischen Tyrannei des verjudeten, des amerikanischen Öls unabhängig machen sollten. Zischka erfreute sich bester Beziehungen zur deutschen Großindustrie und zum IG-Farben-Konzern, und während er schrieb und für das Mammutprojekt Ölsynthese warb, war eine erste industrielle Anlage zur synthetischen Ölgewinnung bereits entstanden. Sie stand in Auschwitz, das für saubere Arbeit bürgte – und für die Reinhaltung des Blutes. Volker Breidecker Süddeutsche Zeitung 24.01.2003 |
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