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Eine Powerfrau, die Mist erzählt.


Nach welchen Maßstäben sollen Männer und Frauen emanzipatorisch denken und handeln?(1) Ich dränge auf eine Debatte, um der geistigen Verkümmerung zu begegnen und einer Vorstellung von Emanzipation des Menschen vom kapitalistischen Dreck den Weg zu bereiten.

Frauen werden seit jeher direkt und indirekt gepeinigt. In der heutigen Form, im warenproduzierenden Patriarchat der Moderne, hängen die Lebensbedingungen aller Menschen von Arbeit ab, was vorher nicht der Fall war. Qualitativ hat sich demnach auch die Unterdrückung der Frau verändert: sie muss arbeiten gehen. Sie wird zum Großteil noch direkt unterjocht, oder/ und sie muss sich selbst und ihre eigene Natur unterdrücken und zur "Powerfrau" werden.(2) Jede Frau, die arbeiten geht, muss diesen "Status" anstreben und sich der Konkurrenz anderer arbeitender Menschen anpassen. Frauen bewältigen diese Aufgabe unter schwierigeren Bedingungen als Männer. Diese Pest darf man Frauen jedoch nicht an den Hals wünschen und es begrüßen, Frauen in höheren Positionen zu sehen.(3) Unterdrückung und Selbstunterdrückung sind jeweils alles andere als emanzipatorisch. Es geht mir um die Befreiung aller Menschen von diesem kapitalistischen System. Ich plädiere für Ruhe und Muse, welche Powerfrauen nicht vergönnt werden. Für Diskussion und Selbstreflektion bleibt auch diesen keine Zeit. Natürlich liegen einem nicht strebsamen, nicht hektischen Leben immer Steine im Weg, solange dieses System besteht, jedoch kann man in einer Debatte um emanzipatorische Ideen das Bild der "Powerfrau" nicht als ideales bestehen lassen. Der Anlass, gerade damit eine Debatte beginnen zu wollen, ist der bereits angeführte Artikel im letzten CEE IEH, der auf Selbstreflektion der Menschen pocht, jedoch Powerfrauen zu idealisieren scheint und es als Mangel sieht, dass Frauen in Führungspositionen fehlen.

Dass der Begriff "Powerfrau" kritisch verwendet werden sollte, will ich zudem am Beispiel Arundhati Roy im Interview mit dem "Spiegel" zeigen, eine indische Schriftstellerin und "Ikone der Globalisierungskritiker".(4) Diese Frau erzählt Mist und deshalb muss sie kritisiert werden, so wie viele andere Menschen in Führungspositionen auch, die praktisch keine Zeit haben, sich zu reflektieren und den Normalzustand in Frage zu stellen. Ich möchte jedoch nur kurz auf ein paar ihrer Äußerungen eingehen, da schon oft Kritik an Leuten mit solchen Positionen geäußert wurde.

"Ich glaube nicht, dass ein Weltpolizist mit vielen Bomben die Welt kontrollieren kann."(5) – würde ich umformulieren in "ich möchte nicht, dass die Welt überhaupt kontrolliert wird, schon gar nicht mit Bomben oder anderem Zerstörerischen und Leidschaffenden". Jedoch wird diese Unterscheidung zwischen denken/einschätzen und wünschen nicht getan, weil Arundhati aus zwar sehr verständlichen Gründen die kapitalistischen Verhältnisse (die "Globalisierung", die schon lange keine mehr ist) kritisiert, jedoch völlig falsch einschätzt. Den Angriffskrieg der USA und Großbritannien sieht sie als kolonialen, obwohl sich der Kolonialismus, gegen den Ghandi kämpfte, vor einem Jahrhundert historisch verabschiedet hat. Heute geht es um die Erhaltung und Sicherung Amerikas und seiner Weltmachtposition. Dagegen hat Roy jedoch nichts einzuwenden, wenn Amerika nur von den richtigen Leuten regiert würde. Nicht aber von "einem gewissen Mister Bush, … (der) das Streben der USA nach Weltherrschaft derart direkt (forciert) …dass es alle Welt sofort versteht.", bzw. von der "imperial denkenden politischen Elite", ohne der es "der Welt besser ginge". Arundhati möchte einen Kapitalismus ohne Waffen, ähnlich einem Buch ohne Seiten. Der Wunsch, in einer Welt ohne Leiden, Schmerzen, Hunger und Elend zu leben, entspringt den leidvollen kapitalistischen Verhältnissen – jedoch sind Kriege notwendige Rahmenbedingung zur Sicherung der Warenproduktion und dem Weitertreiben der menschlichen Zurichtung. Gäbe es keine Waffen, hätten sich Menschen nie an die Bedingungen zu arbeiten gewöhnt.(6) Doch von dieser Wahrheit handelt jedoch der "Horror der Propaganda (…) von CNN, BBC und der anderen wichtigen Fernsehsender" nicht und die Menschen lassen sich eben doch jeden Tag aufs neue täuschen.

Jedoch meint Frau Roy, gemeinsam mit dem Rest der Welt (der Zivilgesellschaft) das Übel erkannt zu haben. Der Krieg im Irak sei einer gegen "arme, hoffnungslos unterlegene Menschen", die keine andere Wahl haben, als "mit schmutzigen Tricks (zu) kämpfen" – und nimmt damit den Irak nicht ernst. Sie traut den Menschen nicht zu, rational irrational zu sein und mit Drohungen ernst zu machen, trotz historischer Gegenbeispiele. Auf die Frage, ob die Iraker ohne Saddam besser dran wären, antwortet sie, jede Gesellschaft müsse ihren eigenen Weg finden, Unrecht und Unterdrückung zu bekämpfen. Wenn sie die Möglichkeiten dazu nicht hat, hieße das für Roy, dass sie den Willen nicht hat? Wie soll man sich auch gegen Unterdrückung auflehnen, wenn es keine Waffen mehr gäbe? Denn ginge es nach ihr, müsse man sich darüber "verständigen, ob die Produktion von Waffen eine derartig große wirtschaftliche Bedeutung haben soll." Sie kritisiert also die Unterstützung von (der Handel mit) "verrückten Despoten" durch die USA, und meint, wenn es diese nicht gegeben hätte (?), gäbe es heute keine solchen Verrückten. Das hieße, sie möchte den Welthandel einstellen, aber nein, das sagt sie nicht. Und würde sie auch nicht sagen, denn sie ist ja "keine Idealistin". Was sie möchte, ist gerechte Ungerechtigkeit. Statt Kriege als definitiv aussichtslose (und immer leidschaffende – das sagt sie auch) Unterfangen zu kritisieren, weil es keine Sicherheit auf dem Weltmarkt mehr geben kann, hat sie die elitären Schuldigen gefunden und vernachlässigt, aus welchen Gründen auch immer, das Mitwirken aller Drittweltländer. Ich unterstelle dieser Frau, in der bunten Welt einen Streichelzoo aufbauen zu wollen, in der die richtigen Herrscher die richtigen Untertanen regieren, alle Arbeit haben, der Reichtum verteilt ist auf alle, und diejenigen, die die Arbeit verwalten und Kapitalinteressen vertreten, rationalisieren und sich Konkurrenzverhältnissen anpassen, dürfen nicht mehr im großen Zoo mitspielen. An dieser Stelle sei das Beispiel des Buches ohne Seiten wieder angeführt.

Ich würde gern wissen, wo die Grenze für kritische Menschen sein sollte: Menschen wie Roy möchten ökologische und soziale Katastrophen (Bsp. Staudämme in Zentralindien) verhindern, tun damit also das erst mal das richtige, jedoch aus den falschen Motiven heraus. Es ist meist schwierig, mit Ansätzen der Globalisierungskritik umzugehen, denn einige müssen sich erst mal um ihr physisches Überleben kümmern. Was soll da Marx und die Krisis? Ist dem nicht der Fall, lassen die meisten auch nicht mit sich diskutieren (Bsp. Roy im Interview), man möchte nicht grundlegend alles in Frage stellen. Die Verhältnisse sind und bleiben verschleiert, so dass Vorstellungen von befriedigender Arbeit oder gerechtem Tausch von eigentlich kapitalismuskritischen Menschen doch erst mal nicht in Frage gestellt werden können. Es ist jedoch notwendig, alles in Frage stellen zu können, erst danach kann sich "sinnliche Vernunft" entwickeln. Eine emanzipatorische Debatte braucht Menschen, die Argumente hören wollen und darauf eingehen können und ihr eigenes Verhalten reflektieren wollen. Wer seine Gesellschaftskritik anbiedert, muss Abstriche daran machen. Bis dahin können wir nur versuchen, in Ruhe und Muse zu leben, zu lesen, stressfrei zu diskutieren und so wenig wie es die Existenzsicherung verlangt, arbeiten zu gehen. Wir können reflektiert das ändern, was man ändern kann(7) und reflektiert das hinnehmen, was nicht zu ändern ist (Stichwort Zwangsvorstellungen von Zweigeschlechtlichkeit oder der Wunsch, etwas besonderes zu sein, der sich in monogamen, heterosexuellen Beziehungen auslebt). Es wird nicht leicht und immer schwerer, das Spannungsfeld auszuhalten zwischen Existenzsicherung und dem Genuss des Lebens.

Lilian

Fußnoten
(1) Cee Ieh 98, S. 24-26 "you don’t have to wait until you die"
(2) Roswitha Scholz zur "Verwilderung des Patriarchats"
(3) Das kann ich natürlich nur aufgrund der Errungenschaften feministischer Bewegungen äußern. Es gibt also die Möglichkeit für Frauen zu arbeiten, und genau jetzt sollten sie sich ebenfalls daran machen, Arbeit scheiße zu finden.
(4) Spiegel Nr. 15/ 7.4.03, S. 166 - 170
(5) alle nachfolgenden Zitate von A. Roy im genannten "Spiegel"
(6) dazu ausführliche Artikel von Martin D. und Mausebär in den CEE IEHs der letzten 2 Jahre
(7) siehe erwähnten Artikel im CEE IEH 98


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last modified: 28.3.2007