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Klassenkampf: Kommunismus oder Volksgemeinschaft?


Kann man mit dem Wissen um die deutsche Volksgemeinschaft und deren konformierende Revolte im NS, mit dem Wissen um die neuerliche Konjunktur dieses Exportschlagers der pathologischen Krisenbewältigung im globalen Maßstab auf den (vermeintlichen) Klassenantagonismus setzen? Dafür gab und gibt es nach Lage der Dinge keinen Grund!
Von Mario Möller


    „Der Ausschluß aus der Menschheit ist die originäre Leistung und die logische Konsequenz der Gesellschaft der Menschenrechte. Derart ist das bürgerliche Subjekt verfaßt, daß es Identität nicht aus sich selbst heraus erzeugen, nicht an sich selbst gewinnen kann, sondern nur im Prozeß einer ständigen Abgrenzung und eines ständigen Zweifrontenkrieges gegen das ‘unwerte’ und gegen das ‘überwertige’ Leben.“
    (Joachim Bruhn)


Das Kommunistische Manifest als Ausdruck der bürgerlichen Epoche des Kapitalismus

Das Verdienst der bürgerlichen Revolutionen war (und ist es nach wie vor), dem Menschen das Gefühl zu geben, eigenmächtig die alten Fesseln traditioneller Abhängigkeiten, die „Blutsurenge“ (Marx), hinter sich zu lassen und selbstbewußt die eigene Geschichte in die Hand nehmen zu können. Der klassische Fall von Aufklärung also, der nebenbei auch noch als „Abfallprodukt“ jenen Gedanken ans Tageslicht förderte, daß die offenkundig gewordene Nichteinlösbarkeit des bürgerlichen Glücksversprechens nicht hingenommen werden müsse: der Gedanke des Kommunismus oder der wahren Gesellschaft kann also nur als Übersichhinaustreiben der bürgerlichen Verhältnisse und deren angebliche Segnungen begriffen werden, als Nutzbarmachung des gewaltigen Potentials der Naturbeherrschung zum Wohle der Menschen und nicht als Rückfall hinter das Heraustreten „des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant, 1974, S. 9).
Der Anspruch der bürgerlichen Gesellschaft war und ist es, „Glück auch dort zu versprechen, wo keine Macht ist. (Aber:) Weil die betrogenen Massen ahnen, daß dies Versprechen als Allgemeines, Lüge bleibt, solange es Klassen gibt, erregt es ihre Wut; sie fühlen sich verhöhnt“ (Horkheimer/Adorno, 2001, S. 181).
In einer politökonomischen Konstellation, die Auschwitz nicht antizipieren konnte, war es demnach fast folgerichtig, den Proletariern, jener Klasse von Menschen, die „die unterste Schicht der jetzigen Gesellschaft ist“ (Marx/Engels, 1972, S. 428), die Fähigkeit und Einsicht zuzugestehen, die Verhältnisse, die trotz des ökonomischen Potentials Armut und Ausbeutung produzier(t)en, umzuwerfen. Die Rede ist von der historischen Mission der Arbeiterklasse, vom Klassenkampf, der Klasse an und für sich etc. Im Original hört sich das so an: „Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (ebd., S. 438)
Eine solch optimistische Aussicht konnte sich allein deshalb durchsetzen, weil Marx und Engels „nachbürgerliche“ Verhältnisse des Kapitalismus wohl kaum im Sinn hatten. Für sie war klar, was Engels exemplarisch ausführte:
„Der Antisemitismus ist also nichts anderes als eine Reaktion mittelalterlicher, untergehender Gesellschaftsschichten gegen die moderne Gesellschaft, die wesentlich aus Kapitalisten und Lohnarbeitern besteht, und dient daher nur reaktionären Zwecken unter scheinbar sozialistischem Deckmantel; er ist eine Abart des feudalen Sozialismus, und damit können wir nichts zu schaffen haben. Ist er in einem Lande möglich so ist das ein Beweis, daß dort noch nicht genug Kapital existiert. Kapital und Lohnarbeit sind heute untrennbar. Je stärker das Kapital, desto stärker auch die Lohnarbeiterklasse, desto näher also das Ende der Kapitalistenherrschaft.“ (Engels, 1973, S. 338) Oder aber folgende Passage:
„... die Proletarier sind der großen Masse nach schon von Natur ohne Nationalvorurteile, und ihre ganze Bildung und Bewegung ist wesentlich humanistisch, antinational.“ (ders., zit. nach Möller 1993)

Der Spätkapitalismus mit neuen Herausforderungen

Das alles hört sich sehr vielversprechend an und war wie gesagt in einer bestimmten historischen Konstellation das Naheliegende; nicht zuletzt in Erwartung radikaler Umwälzungen im Zuge damaliger tagespolitischer Ereignisse (Streiks, Aufstände, ...).
Die bürgerliche Gesellschaft der Selbstverwertung des Wertes verharrte jedoch nicht in dem Stadium scheinbarer Eindeutigkeit der Verhältnisse, sondern bewirkte aufgrund der Fetischisierung der Verhältnisse auch so einiges in den Subjekten selbst. Der Gedanke an freie Assoziation etc. ist keineswegs zwangsläufig aus der Stellung im Produktionsprozeß ableitbar, wie sich zeigen sollte. Ja es scheint sogar das Gegenteil der Fall: „Noch als Möglichkeit müssen sie (die Massen; M.M.) den Gedanken an jenes Glück (ohne Macht; M.M.) immer aufs neue verdrängen, sie verleugnen ihn um so wilder, je mehr er an der Zeit ist.“ (Horkheimer/Adorno, 2001, S. 181) Dies alles geschieht in einem Prozeß der Entbürgerlichung der Verhältnisse, der zunehmenden Liquidierung des Subjektes durch die Dominanz des instrumentellen Sektors; durch die Naturbeherrschung, die immer mehr zur Naturverfallenheit wird. Die Eindeutigkeit der Verhältnisse, wie sie zu Marxens Zeiten noch herrschte, scheint sich zu verflüchtigen, ja noch schlimmer: „Die Irrationalität der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer Spätphase (Herv. M.M.) ist widerspenstig dagegen, sich begreifen zu lassen; das waren noch gute Zeiten, als eine Kritik der politischen Ökonomie dieser Gesellschaft geschrieben werden konnte, die sie bei ihrer eigenen ratio nahm.“ (Adorno, 1990, S. 284).
In einer solchen Konstellation stellen Horkheimer/Adorno fest, daß der Gedanke an das Glück, „wo immer er inmitten der prinzipiellen Versagung als verwirklicht erscheint“ durch die Massen zurückgewiesen wird, da „sie die Unterdrückung wiederholen (müssen), die der eigenen Sehnsucht galt. ... Der Gedanke an das Glück ohne Macht ist unerträglich, weil es überhaupt erst Glück wäre. Das Hirngespinst von der Verschwörung lüsterner jüdischer Bankiers, die den Bolschewismus finanzieren, steht als Zeichen eingeborener Ohnmacht, das gute Leben als Zeichen von Glück. Dazu gesellt sich das Bild des Intellektuellen; er scheint zu denken, was die anderen sich nicht gönnen, und vergießt nicht den Schweiß von Mühsal und Körperkraft. Der Bankier wie der Intellektuelle, Geld und Geist, die Exponenten der Zirkulation, sind das verleugnete Wunschbild der durch Herrschaft Verstümmelten“ (Horkheimer/Adorno, 2001, S. 181).
Die Fahndung der Massen nach allem und allen, die scheinbar dafür verantwortlich sind, daß es mit dem eigenen Glück innerhalb des Kapitalverhältnisses nichts wird, die Sehnsucht nach der krisenfreien kapitalistischen Gesellschaft, für deren logische Unmöglichkeit es eine Adresse geben muß, ist der Funke für das Pulverfaß der antisemitischen Raserei, die sich als Folge des Nichtverstehenkönnens der „verrückten Formen“ (Marx) als „notwendig falsches Bewußtsein“ (Lukacs) Bahn bricht. In diesem Sinne kommt dann wieder das Proletariat ins Spiel, wenn man mit Goldhagen konstatiert, daß der NS sich in höchstem Maße über den Antisemitismus integrierte, ja dieser das eigentliche Strukturmerkmal des NS war und das „der Vernichtungseifer, den die ganz gewöhnlichen Deutschen in den Mordinstitutionen an den Tag gelegt hatten, ... auch von den anderen gewöhnlichen Deutschen, sofern sie die Möglichkeit zum töten erhielten, zu erwarten“ (Küntzel, 1997, S. 17) gewesen wäre.
Mit der Erkenntnis Goldhagens: der Mordlust der ganz gewöhnlichen Deutschen, zusammengeschweißt im Volksstaat (Enderwitz) und mit der Illusion behaftet, den Wert zu vernichten (Postone), stellt sich folgende Frage:
Ist der Klassenkonflikt, der sich aus dem antagonistischen Verhältnis von Kapital und Arbeit ergibt, der Stoff für die positive Aufhebung des Kapitalverhältnisses – mit anderen Worten für den Kommunismus? Oder verhält es sich eher so: „die deutsche Form der Kapitalisierung zeichnet sich dadurch aus, daß der Staat von Anfang an als Treuhänder von Kapital und Arbeit zugleich auftritt. Es ist dieser Staat, der sich, im Verein mit einer etatistischen Arbeiterbewegung, die den Klassenkampf von 1848 an nur im höheren Interesse des sozialen Friedens und der recht verstandenen Staatsidee führte, über den Sozialstaat zum Staat der Volksgemeinschaft entwickelt. Darin sind Kapital und Arbeit unter der Ägide des Staates zum Block verschmolzen, und darin wird die Lohnarbeit sich ihres Status als ‘variables Kapital’ bewußt, als Fleisch vom Fleische. Die Massenvernichtung ratifiziert diese Verschmelzung; sie ist das kollektive und klassenübergreifende Geschichtsverbrechen, das den ‘Grundwiderspruch von Kapital und Arbeit’ definitiv zum systemimmanenten Motor der Akkumulation transformiert“, wie Joachim Bruhn treffend feststellt (Bruhn, 1994, S. 153). Läßt sich aus dieser Erfahrung heraus die allgemeine Tendenz verifizieren, daß in Krisenzeiten eher Ansprüche an den Staat – als konformierende Revolte – gestellt werden und dieser Staat im Verbund mit den Massen – im Sinne von Treiben und getrieben werden – zum Motor der pathologischen Krisenbewältigung wird und sich keine revolutionäre (im Sinne von kommunistische) Bewegung etabliert, somit der „deutsche Weg“ als Exempel fungiert und damit der Klassenantagonismus maximal zur Fußnote der Geschichte taugt?

Der Schein der Verhältnisse

Das antagonistische Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit, welches beständig neu reproduziert wird und somit sowohl Ausgangspunkt wie auch Resultat jenes ganz und gar Falschen ist; eben „jene ‘reale Basis’, worauf sich der ‘Überbau erhebt’, jenes ‘Sein’ der Menschen, das ihr ‘Bewußtsein bestimmt’ ist (also) keine fixe, vorgegebene Entität, sondern ihr eigenes ‘Produkt’, also nicht nur ‘Voraussetzung’, sondern zugleich ‘Resultat’“ (Backhaus, 2002, S.6). Da nach Adorno der Schein über die Wirklichkeit herrscht und dennoch das Allerwirklichste ist, bleibt die Frage, ob sich daraus bereits ein positiv zu bestimmendes revolutionäres Subjekt ergibt, oder ob dieser Schein nicht letztlich dazu führt, daß das bürgerliche Subjekt, also auch der Proletarier, beständig nach der regressiven Auflösung des Scheines gesellschaftlicher Verhältnisse, deren Wesen unbegriffen bleiben muß, fahndet?
Sicherlich ist es nicht falsch zu sagen, daß die Verdoppelung der Ware in Ware und Geld und das Leisten gesellschaftlicher Arbeit durch private Produzenten ein antagonistisches ist, ein antagonistisches von Menschen wohlgemerkt – der „Existenzkampf atomisierter Individuen“ (ders., 2000, S. 26) – und das die abstrakte Wertgegenständlichkeit gesellschaftlich objektiven Charakter annimmt. Jedoch ist diese Wirklichkeit subjektiv und objektiv zugleich – als objektive Gedankenform und Ausdruck von sozialen Daseinsformen und Existenzbedingungen, als subjektiv Gedachtes und objektiv Geltendes – und „unterscheidet sie von jenen sozialen Beziehungen, die allein durch bewußtes Handeln konstituiert werden“ (ders., 1997, S. 57; vgl. ders. S. 20).
Aber genau jenes Festmachen von Widersprüchen an den Handlungen Einzelner, die über das Schicksal der Welt und der Massen scheinbar willkürlich verfügen, ergibt sich aus eben jener unverstandenen gesellschaftlichen Totalität, die da Selbstverwertung des Wertes heißt und die die Denkform von Rassismus und Antisemitismus als fast schon notwendige Entgleisung hervorbringt, die sich eben nicht an Klasse und sonstigem orientiert (also in etwa entgegen der Behauptung u.a. in den Zitaten von Engels, dies sei in der Arbeiterklasse/-bewegung nicht anzutreffen oder sei Ausdruck vormoderner Vergesellschaftung).
Um den „tatsächlich existierenden, durch keine personifizierende Vermittlung zu rationalisierenden Irrsinn (das Funktionieren des Ganzen durch sein offensichtliches Nicht-Funktionierenkönnen, M.M.) dennoch verstehen zu können, verdinglicht das Bewußtsein dieses Verhältnis subjektloser Subjektivität: Es projiziert in empirisch existierende Menschen eine Handlungs- und Motivationsdimension hinein, die im instrumentellen, verdinglichenden Bewußtsein wieder voll aufzugehen verspricht. In letzter Konsequenz: es wird antisemitisch.“ (ISF, 2000, S. 95)
Auschwitz ist letztlich die Konsequenz der bürgerlichen Gesellschaft und der in ihr dahindümpelnden Subjekte, die das aufklärerische, fortschrittliche Denken verraten hat, denn „(s)olange die bürgerliche Klasse, zumindest den politischen Formen nach, unterdrückt war, opponierte sie mit der Parole Fortschritt dem herrschenden stationären Zustand. ... Das neunzehnte (Jahrhundert, M.M.) stieß auf die Grenze der bürgerlichen Gesellschaft; sie konnte ihre eigene Vernunft, ihre eigenen Ideale von Freiheit, Gerechtigkeit und humaner Unmittelbarkeit nicht verwirklichen, ohne daß ihre Ordnung aufgehoben worden wäre.“ (Adorno, 1969, S. 41)
Mit Auschwitz zeigte sich, daß sich über die antagonistischen Verhältnisse kapitalistischer Gesellschaft hinweg eine Symbiose zur Volksgemeinschaft ergeben hat, die eben die Frage zumindest offen läßt, ob man mit diesem Wissen noch ein positives Potential in irgendeine Klasse zu setzen hat.
Materialistische Kritik wird auf einen kollektiven Kritiker setzen müssen, denn entgegen der Meinung landläufiger Krisentheoretiker wird das Kapital nur durch die bewußte Aktion von Menschen, nicht aber an sich selbst, zerbrechen. Die Krisenhaftigkeit des Kapitalverhältnisses hat dann nicht den Zusammenbruch zur Folge, sondern die negative Aufhebung, wenn eine bewußt kommunistische Intervention ausbleibt.
Allein die spannende Frage wird sein und vermutlich ewig bleiben: Wer soll das bewerkstelligen? Und vorallem: Ist eine „antikapitalistische Bewegung“ apriori revolutionär im Sinne von fortschrittlich, kommunistisch?
Mit Auschwitz wurde diese Frage eindeutig beantwortet und aktuell deutet einiges auf eine akute Wiederholungsgefahr hin – wenn auch unter anderen Vorzeichen: die derzeit angesagte „anti-kapitalistische“ Bewegung ist die globale Allianz der Antisemiten und Antiamerikaner: Die ideologische Konstanz zum historischen Vorbild wurde hier u.a. von mir bereits einschlägig verhandelt.

Die soziale Frage ist Katalysator des Volkssturmes

Wenn man sich überlegt, daß die Vernichtung der Juden im NS eine groß angelegte Massenveranstaltung war und damit die Halluzination einher ging, die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus zu vernichten, so bleibt die Frage, weshalb sich die Macke, eben damit ein ganzes unverstandenes (und auch nicht zu verstehendes) gesellschaftliches Verhältnis zu vernichten – das abstrakte und unverstandene der eigenen Existenz innerhalb des antagonistischen Produktionsverhältnisses –, welches sich ständig als Resultat und Voraussetzung zugleich setzt, sich so wirkungsmächtig auch in der (organisierten) Arbeiterklasse durchsetzen konnte?
Der Klassengegensatz konnte offenbar nicht die Nationalisierung des Proletariats verhindern. Ganz im Gegenteil, der deutsche Arbeitsbegriff war faktisch das Einfallstor und das integrierende Moment.
„Daß die Deutschen aller Klassen und Schichten so bereitwillig auf den nazistischen Mobilisierungsaufruf eingegangen sind, mag mit der bekannten Tatsache zusammenhängen, daß in Deutschland das bürgerliche Subjekt von vornherein als ein von Selbstzweifeln geplagtes und krisengeschütteltes zur Welt kam. Als Protagonist einer Revolution, die ihm die politische Aufsicht über die Akkumulation des Kapitals sicherte, konnte sich der Bürger in England oder Frankreich für kurze Zeit tatsächlich als Subjekt der Geschichte fühlen und die von ihm durchgesetzte Vergesellschaftung mit einer weitgespannten, optimistischen Zukunftsprojektion verbinden, die noch auf die aufkommende Arbeiterbewegung ausstrahlte. Spätestens gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird es für den Bürger dann unabweisbar, daß er die Vergesellschaftung, von der er zweifellos profitiert, keineswegs beherrscht – weder als einzelner noch als Klasse – sondern daß er von einem abstrakt-anonymen Prozeß als ein Anhängsel mitgeschleift wird. Das bürgerliche Subjekt sieht sich einer erstarrten Welt gegenüber, in der es keine Angriffspunkte mehr findet. Es möchte die Abstraktion abschütteln, von der es erschlagen zu werden droht und kontert ihr im Namen einer neuen konkreten Dynamik, heiße diese nun ‘Leben’, ‘Volk’, ‘Natur’ oder wie auch immer. Was anderswo Resultat war, damit hat man in Deutschland begonnen.“ (Nachtmann, 1998)
Die Deformierung der Subjekte zu lediglichen Vollstreckern eines hinter ihrem Rücken sich vollziehenden und dennoch beständig durch sie reproduzierten Ganzen ist ebenso bei der Arbeiterschaft anzutreffen, womit diese bei der materialistischen Gesellschaftskritik ebenso bei Null anfangen, wie jedeR andere auch.

Exkurs: Das Subjekt im Spätkapitalismus

Die bürgerliche Gesellschaft setzt das Subjekt als faktisch subjektloses Mittel zu Zwecken der Akkumulation. Die Gesellschaft nimmt den Status der zweiten Natur an, und durch die Fetischisierung dieser Verhältnisse ist die Barbarei in gewisser Weise vorprogrammiert, denn das Subjekt sieht sich dem Widerspruch ausgesetzt, einerseits idealiter Weise Herr seines Willens zu sein, aber faktisch nur Rädchen im Getriebe einer gesellschaftlich erzwungenen Willkür zu sein, wobei diese Willkür wie gesagt durch die Subjekte hergestellt wurde und auch durch diese hindurch beständig reproduziert wird.
Ein sich über diese Widersprüche einstellendes notwendig falsches Bewußtsein, also Ideologie (Enderwitz), wird damit zum Motor der Vernichtung vermeintlich Schuldiger. (vgl. Krug, 1998)
„Das gebrochene Versprechen von Aufklärung und Bürgerlichkeit, die Stiftung vernunftgeleiteter gesellschaftlicher Reproduktion durch die jeweilige Vernunft der Einzelnen, der verlorene Preis, den es zu gewinnen galt durch die Herauslösung und den Verzicht auf die viehische Unschuld roher gesellschaftlicher Verhältnisse – das bereitet den Boden für den bürgerlichen Normaltypus des nachbürgerlichen Zeitalters, der aufklärerische Tugenden, Gewitzigtheit und Pragmatismus mit gegenaufklärerischer Sehnsucht und Wahnwitzigkeit amalgiert. Diese gestalten sich tatsächlich im doppelten Sinne atavistisch: Die Ohnmacht gegenüber den über das Individuum hereinbrechenden Folgen seiner warenförmigen Selbsterhaltung ist ihm, dem Herren über sich selbst, nicht nur Panik auslösende Gefahr, sondern auch eine unerträgliche Kränkung. Auf dieses schockartige Einbrechen der Gesellschaft in den Bezirk des eigenen Willens reagiert das gekränkte Subjekt mit Regression: Die zu Gunsten der abstrakten Herrschaft von Gesellschaft über ihre Partizipanten eben erst verworfene Vergemeinschaftung durch unmittelbare Herrschaft, eben die „Blutsurenge“ (Marx), erscheint nun plötzlich in dasselbe milde Licht getaucht, in dem Erwachsenen die Schrecknisse der kindlichen Unmündigkeit als begehrenswerter Zustand erscheinen; völlig ungeachtet dessen, daß damit die eigene Existenz als bürgerliches Subjekt negiert wird, daß der herbeigesehnte unschuldige, unmündige und voraufgeklärte Zustand nichts als den Tod bereithält. Dieses Beanspruchung eines Garten Eden, der doch eigentlich die Hölle ist, verdankt sich der Abwehr dessen, daß das eigene Handeln ununterscheidbar mit der Kälte und Bedrohlichkeit des verallgemeinerten Tausches verknüpft ist.“ (ders., 2001, S.25)
Die Hinwendung des Subjektes des nachbürgerlichen Zeitalters – wenn man so will mit der Etablierung des starken Staates und der „Einsicht“, daß die „an die Macht gelangte bürgerliche Klasse nicht unbedingt die für die Wahrung der politischen Interessen ihrer eigenen ökonomischen Substanz, eben des Kapitals selbst, geeignetste Instanz darstellt“ (Enderwitz, 1998, S. 81) – zur antisemitischen Raserei hat keine Ähnlichkeit mit der Verfolgung individueller Interessen des Subjektes „bürgerlicher Prägung“, sondern ist bereits Ausdruck der Regression jenes Ich, das selbst schon mehr als „beschränkt“ ist.
Das Subjekt ist Knecht des Kapitalverhältnisses und es darf vermutet werden, daß kein subjektiver Faktor, außer der Strafe des Untergangs bei Unterlassung zu entgehen, das Handeln bestimmt: der „Gleichklang äußeren Zwanges und innerer Zwanghaftigkeit“ (Krug, 2002, S. 54) ist die Folge und die gleichzeitige Voraussetzung des falschen Ganzen, dessen Konsequenz die Krisenverwaltung des Volksstaates ist.
„Die gesellschaftliche Erfahrung eines vom unbestimmt-grausigen Außen bestimmten Schicksals, über das man als Individuum kaum etwas mehr vermag, verbindet sich mit der besinnungslosen Selbstpreisgabe an eine übergestellte Autorität, dem Staat“ (ebd., S. 54); aus ehemals sozialrevolutionären Anliegen wird eine „autoritär-antiemanzipatorische Massenbewegung“ (ebd., S. 54). Dies ist der „unheilvolle Gleichklang individueller Entdifferenzierung und gesellschaftlicher Regression“, die „totale Mobilmachung der Überflüssigen“ (ebd., S.54) mit dem ticket des Antisemitismus.
Damit einher gehen Prozesse, die mit dem Stichwort der pathischen Projektion – also „die Übertragung gesellschaftlich tabuierter Regungen des Subjekts auf das Objekt“ (Horkheimer/Adorno, 2001, S. 201) – verbunden sind.
Was sich die Subjekte insgeheim ersehnen, gerät unter den Verhältnissen zum Verhaßten und dieser „Haß führt zur Vereinigung mit dem Objekt, in der Zerstörung“ (ebd., S. 209).
Dies bedeutet letztlich den Sieg des archaischen über das sich selbst bewußte Individuum und das, was man gemeinhin als den Gebrauchswert des Kapitals umschreibt. Führer und Geführte bilden im Volksstaat (Enderwitz) eine emergente Einheit: allesamt „konformierende Asoziale“ (ebd., S. 208)
Eine sowohl staatlich gesetzte als auch den NS-Staat setzende gegenaufklärerische Bewegung bricht sich Bahn und dieses Szenario ist mit dem 8. Mai 1945 keinesfalls beendet, denn „als ein der Wertvergesellschaftung notwendig eingeschriebenes und deswegen aktualisierbares Potential kann die pathologische Krisenbewältigung, die erstmals in einem hochindustrialisierten Land Mitteleuropas unter den Bedingungen des Weltmarktzusammenbruchs in Gang gesetzt wurde, sich unter den Bedingungen einer an sich selbst gescheiterten nachholenden Entwicklung an der Peripherie des Weltmarktes wiederholen.“ (Nachtmann, 2002, S. 64)
Der Volksstaat (Enderwitz) als klassenübergreifender Fahndungszusammenhang ist letztlich die Konsequenz einer Gesellschaft, die bürgerliche Verhältnisse nur gegen das Bürgertum zu setzen vermochte und die dem „Liberalitätsjuden“ den treuen Volksgenossen gegenüberstellt und damit das archaisch-konkrete affirmiert.
Der NS-Staat ist nicht übermächtig, weil er ein Unterdrückungsmoment gegen Oppositionelle gehabt hätte, sondern weil er die von den Subjekten „verselbständigte und objektivierte eigene Macht ist“ (Enderwitz, 1998, S. III), die für den Interessenausgleich des bürgerlichen wie des proletarischen Klientels sorgt.
„Und wie die gesellschaftlichen Kräfte sich dieser in ihre Widersprüchlichkeit in eine objektive Einheit bannenden Identität eben deshalb, weil es ihre eigene ist, fügen müssen, wie sie dem faschistischen Staat eben deshalb, weil er die von ihnen bevollmächtigte Macht ist, ohnmächtig ausgeliefert sind, so sind sie nun auch den pathologischen Selbstfindungs- und Selbstbehauptungskämpfen ausgeliefert, in die seine widersprüchliche Konstitution, seine schizophrene Repräsentation konfligierender Interessen, divergierender Willen, disjunktiver Perspektiven ihn unaufhaltsam hineintreibt. Das heißt, sie müssen akzeptieren oder gar gutheißen, daß er jene ungeheuerliche antibürgerlich-revolutionäre Ersatzhandlung begeht, die Millionen von Menschen in Ghettos und Konzentrationslagern das Leben kostet“ (ebd., S. V), da diesen Menschen – nach deutschem Sinn wurden und werden immer wieder Jüdinnen und Juden allseits zersetzende Kräfte angedichtet – schuldhaft die Unmöglichkeit krisenfreier Akkumulation angeheftet wird. Der Volksstaat ist die Massenbewegung zur „Vernichtung des Wertes“ (Postone), verstanden in dem Sinne, als daß es sich um einen Raubmord handelte, um das Geheimnis der Selbstverwertung des Wertes sich anzueignen (Joachim Bruhn zu Ostern 2002 in Freiburg).

Die Rolle der organisierten Arbeiterbewegung

Die Arbeiterbewegung war in diesem Szenario nie mehr als eine Konkurrentin um den richtigen Begriff des Nationalen und der Strategie für einen krisenfreien Fortbestand des Wertschöpfungsprozesses mit Namen Kapitalismus.
Sicher wäre es vermessen, der Arbeiterbewegung Nazimethoden anzudichten, aber: mindestens über die Ideologie der schaffenden Arbeit und das Rangeln um einen nationalen Sozialismus war sie keineswegs etwas, was man als ernstzunehmenden Widerstand gegen die Nationalisierung der Massen kennzeichnen könnte. Widerstand konnte die Arbeiterbewegung ja auch maximal gegen die angebliche Hitlerdiktatur entfachen; das eigentliche Glanzstück des NS: die Formierung „konformierender Asozialer“ (Horkheimer/Adorno) zum Volksstaat konnte gar nicht ins Blickfeld geraten, wenn man sich den Faschismusbegriff der KPD mal ansieht. Dieser sah lediglich eine diktatorische, autoritäre Regierungsform vor, die im Interesse des Finanzkapitals agiere oder besser noch von diesem in manipulativer Absicht eingesetzt sei. Diese völlige Fehleinschätzung der Lage und das Nichterkennen des tatsächlichen Zusammenhanges von Wertvergesellschaftung und Barbarei führte natürlich auch dazu, so etwas wie notwendig falsches Bewußtsein als Ideologie bei den zu umwerbenden Massen nicht wahrzunehmen, sondern Ideologie als Manipulationsinstrument der Herrschenden zu begreifen.
In gewisser Weise greift dann auch ein gefährlich-naiver Geschichtsoptimismus, wenn solche Leute dann davon ausgehen, daß der NS eben nicht auch Ausdruck einer Reaktion auf eine Krise war, sondern der Startschuß für die proletarische Revolution sei: „Hitler regiert, der Kommunismus marschiert“ ist wohl der beste Ausdruck, was die Klassenkämpfer zu leisten im Stande sind. Solche Dinge müssen ganz einfach dort herauskommen, wo Kritik am Kapital die Kritik am empirischen Kapitalisten im Sinn hat, wenn man den Staat als Mittel zum (kommunistischen) Zweck begreift; wenn man Klassenkampf als Verteilungskampf begreift, der über eine Affirmation der Arbeit nicht hinauskommt und wenn man letztlich an Hitler maximal den Umstand auszusetzen hat, daß dieser nicht mal sein eigenes Parteiprogramm umsetze und Verrat am deutschen Volk betreibe. (vgl. Nachtmann, 1997)
Man könnte faktisch die herrlichsten Zitate finden und sicher ein ganzes CEE IEH damit schmücken, um klarzumachen, daß die (organisierte) Arbeiterschaft keinesfalls das Gegenteil zur nationalsozialistischen Mobilmachung war, sondern zum Teil sehr ähnlich argumentierte und spätestens bei der Kapitalismus“kritik“ wird das wohl überdeutlich. Natürlich nicht zu vergessen der Arbeitsbegriff, der deutsche, der sich auch in der dazugehörigen Bewegung einiger Beliebtheit erfreute.
Nun, das ein oder andere markante Beispiel sei dennoch erwähnt:
„In Heft 10 der Zeitschrift „Der rote Aufbau“ (Hrsg. Willi Münzenberg) vom 15.5.1932 bringt ein gewisser Rudolf Feistmann über Hitlers Rede vor dem Industriellenclub Anfang desselben Jahres folgendes zu Papier (kursive Passagen i. Orig.): >>(...) jetzt liegt ein Dokument vor, das wie kein anderes geeignet ist, die freche Demagogie der Hitlerpartei zu entlarven. Jetzt kann auch der dokumentarische Nachweis geführt werden, daß die NSDAP eine Partei des Kapitals, eine Schutztruppe der herrschenden Klasse, jenes Häufleins von Finanz- und Industriemagnaten ist (...) Die „Brechung der Zinsknechtschaft“, nach Feder die „stählerne Achse, um die sich alles dreht“, die „Lösung der sozialen Frage“, der „richtige Tatsachenausdruck für die Gegenüberstellungen ‘Kapital gegen Arbeit‘, ‘Blut gegen Geld‘, ‘Schöpferkraft gegen Ausbeutung‘ (...)“, das „Herzstück“ des nationalsozialistischen Programms wird vom Führer der NSDAP in seiner vielbeachteten, programmatischen Rede überhaupt nicht erwähnt! (...) (es) wird Punkt 11. „Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens“ – nicht erwähnt! (...) Auch die Judenfrage (Punkt 4–6) hat Herr Hitler mit keinem Worte erwähnt, wohl wissend, wie eng die Schwerindustrie mit dem „jüdischen Bankkapital“ verbunden ist. (Das ist um so bezeichnender, als die NSDAP auch in der Wahlkampagne die Judenfrage wohl mit Rücksicht auf jüdische Unternehmer und Bankiers, für den Fall einer nationalsozialistischen Regierungsbeteiligung, völlig in den Hintergrund treten ließ.) Kurz: Herr Hitler hat von neuem bewiesen, daß die nationalsozialistischen Führer (...) nicht einmal selbst die zahmen, halben, reformistischen Forderungen ihres eigenen Parteiprogramms (...) vertreten, daß sie die Interessen des werktätigen Volkes an die Großkapitalisten, an die Ausbeuter, an die Beherrscher der Trusts und Konzerne verraten<<.“ (zit. nach Nachtmann, 1997)
Das ZK-Mitglied Ruth Fischer hielt 1923 (!) eine Rede vor einer kommunistischen Studentenversammlung, bei der auch (passenderweise) völkische Studenten eingeladen wurden. Dabei rief sie jenen zu: „Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, ..., ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie.“ (zit. nach Küntzel, 1997, S. 51)
Dieser faktische Aufruf zum Pogrom kann wohl kaum mit der Bedrohung durch die „Hitlerdiktatur“ gerechtfertigt werden, sondern gehört zu den ernstzunehmenden Auswüchsen des sogenannten Klassenkampfes, der jeglicher gesellschaftstheoretischen Analyse und damit Schärfe entbehrt.
Ein weiteres Mosaik besteht in der Verherrlichung der „produktiven, schaffenden“ Arbeit. Hierzu haben Holger Schatz und Andrea Woeldike mehr als genug geschrieben und den Bezug zum Antisemitismus hergestellt. Es sei hier nur noch einmal soviel gesagt: die Dichotomisierung von produktivem und raffendem Kapital und der damit aufgeladene Arbeitsbegriff und vorallem das Verständnis von (konkreter) Arbeit als Gegensatz zu abstraktem Kapital und der Zirkulation eignen sich nicht gerade dafür, gegen antisemitische Codes unempfänglich zu sein.
„In ihrem Kampf um Rechte und Anerkennung setzte das Gros der organisierten deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter stets auf die Respektabilität ihrer ‘Tätigkeiten’. Nicht die Kritik von Form und Inhalt der Arbeit, sondern ihre ‘gerechte’ Verteilung und Entlohnung im Verbund mit staatsbürgerlicher Anerkennung stand fortan auf dem Programm ... So gelesen ist die Geschichte der Arbeit auch die Geschichte des Kampfes um die jeweils ‘bessere’ Arbeit: Schmarotzertum war der Vorwurf zuerst des Bürgers gegen den Adel, dann des Arbeiters gegen den Bürger, aber auch gegen den ‘Pöbel’ und das Lumpenproletariat“ (Schatz/Woeldike, 2001, S. 65): des Deutschen gegen den Juden.
Wie gesagt ist die Rede von der organisierten deutschen Arbeiterbewegung, die sich als sozialdemokratisch und kommunistisch definierte und ihrem Wähnen nach antifaschistisch gewesen sei. Wie immer man das beurteilen will, dem Antisemitismus und damit dem NS konnte man so keine Paroli bieten und irgendwelche Revolutionen von Leuten mit derlei theoretischem Gepäck sollte man als Kommunist besser meiden.

Es lebe die Kritik! Oder: Gibt es ein revolutionäres Subjekt?

Aus all dem folgt, daß man der lohnabhängigen Bevölkerung aufgrund ihrer Lohnabhängigkeit nicht per se ein fortschrittliches und emanzipatorisches Potential unterstellen darf.
Kritisches Denken, mit dem Ziel die wahre Gesellschaft wirklich werden zu lassen, also eine Gesellschaft jenseits der Zumutungen der Wertvergesellschaftung, sollte sich hüten, Kritik mit konkreter Utopie zu verwechseln: sowohl was die Adressaten oder potentiellen Kämpfer betrifft, als auch was die konkrete Ausformulierung irgendwelcher nachkapitalistischer Zustände angeht.
Was man allenfalls sagen kann ist, daß es die Hoffnung am Leben zu halten gilt, daß die Subjekte irgendwann ihr verdinglichtes Bewußtsein reflektieren und es als notwendig falsch brandmarken und zwar in einem Prozeß „materialistischer Aufklärung“, der „die subversive Inszenierung von Reflexion im totalen Zusammenhang der Verblendung“ (ISF, 2000, S. 112) darstellt.
Dieser Prozeß wird sich an den Gedanken der bürgerlichen Aufklärung zu orientieren haben und dies genau in dem Sinne, als daß es kein Zurück hinter den historischen Gebrauchswert des Kapitals geben kann: die freie Assoziation ist nur mit dem Übersichhinaustreiben des bürgerlichen Glücksversprechens zu haben oder besser: sie verdiente nur dann ihren Namen.
Schonungslos gilt es zu provozieren und zu polemisieren, um das verhärtete Bewußtsein, daß die gesellschaftliche Totalität immer wieder neu produziert – also im Sinne der Subjekt-Objekt-Dialektik –, zu denunzieren.
Der kollektive Kritiker (ISF), der bewußt mit dem Kapitalverhältnis kategorial bricht und es nicht reformieren will, der nicht die „sozialistische Demokratie“, „das gute Volk“ etc. im Sinn hat, wird sich sicherlich auf das antagonistische Verhältnis von Kapital und Arbeit berufen müssen, aber er sollte einen Teufel tun und dieses Verhältnis personifizieren, denn damit zieht man das antisemitische ticket: der NS-Volksstaat läßt grüßen und die derzeitige unheimliche globale Allianz der Antisemiten und Antiamerikaner läßt Böses erahnen.
Die Kritik des Kapitals und der Politik kann sich nach der Erfahrung des NS in Deutschland nicht auf die Massen, das Volk, berufen; sie hat eine andere zu sein als der Verteilungsradikalismus der Arbeiterbewegung und sie wird sich nicht damit begnügen können, daß das Kapital sich selbst den Todesstoß versetzt: sie wird den Rest Individualität im Subjekt stimulieren müssen, um „die Einlösung der vergangenen Hoffnung“ (Horkheimer/Adorno, 2001, S. 5) gegen die Tendenz zur Barbarei zu stärken.
Das sind sicher mehr Fragen als Antworten, aber eines läßt sich bestimmt sagen: „Die Subjekte eines linksradikalen Projektes lassen sich nicht klassenmäßig sozial definieren, sondern nur politisch.“ (Möller, 1993)
Diese politische Bestimmung des revolutionären Subjektes ergibt sich schlicht und einfach aus folgender Reflexionsleistung: revolutionäre Subjekte sind diejenigen, welche die destruktive Wirkung von Kapital, Staat, Volk, Nation und anderen regressiven Vergemeinschaftungsmodi (Familie etc.) erkannt haben oder bereit sind, dies erkennen zu wollen, um nicht mehr ein Leben als Charaktermaske zu fristen und die darüber hinaus – und das ist ein Unterschied ums Ganze – nicht hinter das Postulat der Aufklärung zurück wollen. Eine romantisierende Verklärung der Tradition und die Personifizierung des Scheins als Wesen führt auf die faschistische Bahn. Ein kommunistischer Begriff von Freiheit wird sich auf das bürgerliche Glücksversprechen beziehen müssen. Dieses Versprechen in emanzipatorischer Absicht über sich hinauszutreiben wird die Aufgabe einer „Bewegung“ sein müssen, die ein Programm der Abschaffungen zu formulieren und zu praktizieren hätte, deren Ergebnis wahrhaft gesellschaftliche Verhältnisse wären in denen die Vernunft nicht als prozessierende Unvernunft ihr Unwesen treibt.
Ob sich eine derartige politische Bestimmung aus der Stellung der Subjekte im Produktionsprozeß ergibt oder aufgrund objektiver Benachteiligung im Verteilungskampf bezweifle ich ganz stark bzw. verweise auf den Volksstaat und die Tendenz zur negativen Aufhebung des Kapitals.

Literatur:
Adorno (1969): Fortschritt, in: ders: Stichworte. Kritische Modelle 2, Frankfurt/M., S. 29-50.
Adorno (1990): Versuch, das Endspiel zu verstehen, in: ders.:Gesammelte Schriften, Frankfurt/M., S. 281-321.
Backhaus, Hans-Georg (1997): Dialektik der Wertform, Freiburg.
Backhaus, Hans-Georg (2000): Über den Begriff der Kritik im Marxschen Kapital und in der Kritischen Theorie, in: Bruhn, Joachim u.a.(Hrsg.): Kritik der Politik. Johannes Agnoli zum 75. Geburtstag, Freiburg, S. 13-60.
Backhaus, Hans-Georg (2002): Über „ideologische Formen“ oder „gesellschaftliche Bewußtseinsformen“. Manuskript des Vortrages in Leipzig vom 5.11.2002.
Bruhn, Joachim (1994): Was deutsch ist. Zur kritischen Theorie der Nation, Freiburg.
Enderwitz, Ulrich (1998): Antisemitismus und Volksstaat, 2. Aufl., Freiburg.
Engels, Friedrich (1973): Über den Antisemitismus, in: Ausgewählte Werke, Bd. VI, S. 337-339.
Horkheimer/Adorno (2001): Dialektik der Aufklärung, 13. Aufl., Frankfurt/M.
ISF Freiburg (2000): Der Theoretiker ist der Wert, Freiburg.
Kant, Immanuel (1974): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Bahr, Erhard (Hrsg.): Was ist Aufklärung?, Stuttgart, S. 9-17.
Küntzel, Matthias (1997): Goldhagen und die deutsche Linke, Berlin.
Krug, Uli (1998): Ewiges Rätsel Auschwitz, in: Bahamas 25.
Krug, Uli (2001): Gegenaufklärung und Islam, in: Bahamas 36.
Krug, Uli (2002): Der Wert und das Es, in: Bahamas 39.
Marx/Engels (1972): Manifest der kommunistischen Partei, in: Ausgewählte Werke, Bd.1, Berlin (DDR), S. 383-451.
Möller, Heiner (1993): Die Linke und die „soziale Frage“, in: Bahamas 12.
Nachtmann, Clemens (1997): Formierung der Mitte der Gesellschaft, in: Bahamas 23.
Nachtmann, Clemens (1998): Gehorsam ohne Befehl – Bomben legen aus Erfahrung, in: Bahamas 27.
Nachtmann, Clemens (2002): Krisenbewältigung ohne Ende, in: Bahamas 38.
Schatz, Holger; Woeldike, Andrea (2001): Freiheit und Wahn deutscher Arbeit. Reihe antifaschistischer Texte, Münster.

Schlußbemerkung in eigener/technischer Sache:
Dieser Text ist nach meinem und dem institutionell gängigen Verständnis wissenschaftlichen Arbeitens formuliert: also in dem Sinne, was das Zitieren von Literatur betrifft. Daher an Tom, Promoter der BgR-Veranstaltung zu Küntzel (CEE IEH 95), folgende Worte was die Benutzung von Literatur angeht: „Die Hauptaufgabe (besteht darin) die Literatur auf die eigene Fragestellung hin auszuwerten, zusammenzufassen, zu analysieren und zu problematisieren. ... Direkte Zitate sind .... wünschenswert, wenn sie den Sachverhalt so prägnant darstellen, daß es von Ihnen nicht genauso gut oder besser möglich gewesen wäre...“. Diese Anleitung findet sich in den Hinweisen zur Technik wissenschaftlichen Arbeitens des politikwissenschaftlichen Instituts der Uni Jena. Darüber hinaus war es mir nicht möglich für diesen Text alle Autoren zu fragen, ob ihr Geschreibe kompatibel mit meiner Argumentation ist. Aber zumindest im wissenschaftlichen Diskurs scheint das nicht von Belang zu sein, für Teile des BgR zum Abfeiern der angeblichen Antifa-Recherche dann wohl schon. Nun für den Fall sei noch angefügt, daß zumindest H.-G. Backhaus mir telefonisch versicherte, daß Marx, die Arbeiterklasse völlig überschätzt hätte. Bei Bedarf ließe sich das zertifizieren, und es ist sicher auch kein Geheimnis, daß Backhaus kein „antideutscher Spinner“ ist.
Und: Wenn die Charakterisierung des Islam und der mit ihm geistig verbundenen globalen Allianz von links bis sonstwo als in der Endkonsequenz faschistisch/nationalsozialistisch/antisemitisch seitens der „antideutschen Spinner“ so krude ist, so bleibt die Frage, weshalb dann Küntzels Recherche in das Gebiet Antifa fallen soll?
Also wenn Küntzels, meiner Meinung nach zu kurz greifende Analyse – in dem Sinne, als daß er nicht die Verbindung zum Panarabismus und zum antiwestlichen Ressentiment des Westens selbst zieht –, die aber nach seinem Anspruch gar nicht weitreichender sein soll, Antifa ist, dann ist der Gegenstand der Analyse ganz schlicht und einfach „Fa“! Und das stand schon in Bahamas, als sich die Antifa noch mit den konkreten Widersprüchen der bürgerlichen Gesellschaft, an die es anzuknüpfen gelte, befaßte: also mit dem Nazi im Kiez, gesellschaftliche Relevanz erlangen und so (wenn ihr das nicht mehr zusammenbekommt siehe den Aufruf zum Antifa-Kongreß in Göttingen). Die Frage ist dann nicht mehr, ob Bahamas krude Theorien verfaßt, sondern ob eine „Politik-Fraktion“ wieder mal glaubt, den Anschluß zu verpassen und dabei den alten Fehler begeht, die gemachten Erkenntnisse nicht konsequent zu Ende zu denken. Dann käme man nämlich darauf, was Küntzel schreibt, aber öffentlich nicht sagt: der Islam und sein ganzer Rattenschwanz ist faschistisch, um mal zu untertreiben.

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last modified: 28.3.2007