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Kein Schein ohne Scheinendes


Eine Erwiderung auf Romans „Kritische Anmerkungen zu Problemen der Wertrezeption“ („Die phantasmagorische Form“, CEE IEH #95). Vom Mausebär.


    Aber sie [Warengrößen im Vergleich – MB] werden erst als bloße Zahlengrößen, Anzahl beliebiger gleichnamiger Einheit, vergleichbar miteinander und drücken erst Proportionen gegeneinander aus, sobald jede einzelne Ware gemessen ist mit der, die als Einheit, als Maß dient. Ich kann sie aber nur aneinander messen, nur kommensurabel machen, soweit sie eine Einheit haben – diese ist die in beiden enthaltene Arbeitszeit.“ (GR, 678)

    „Wenn zwei Waaren Equivalente sind ... so ist aber auch klar, daß sie der Substanz nach – so weit sie Tauschwerthe sind – gleich sind. Ihre Substanz ist Arbeit. Darum sind sie „Werth“. Ihre Größe ist verschieden, je nach dem sie mehr oder weniger von dieser Substanz enthalten. Die Gestalt nun – die besondre Bestimmung der Arbeit, als Tauschwerth schaffend oder in Tauschwerthen sich darstellt [sic! – MB] den Charakter dieser Arbeit untersucht Ric. [Ricardo – MB] nicht.“ (Theorien II, 815 f.)

    „Die Waren werden ausgetauscht in der Zirkulation, aber sie entstehn nicht in ihr. (...) Die Zirkulation schafft nicht den Tauschwert, sowenig wie seine Größe.“ (UR, 926)

Schriftzeichen Krise, 13.3k

chinesisches Schriftzeichen für Krise
Romans Kritik kann der wertkritischen Debatte nur nützen. In Zeiten, in denen die Antideutsch-Kommunistische Gruppe (AKG) offensichtlich nicht vor hat, ihren Wert-/Kapitalbegriff ausführlicher zu explizieren und ihre meist mündlich geäußerte Kritik an der „Krisis“ ökonomisch zu fundieren, also über Nörgeleien und „Marxverbesserungen“ hinauszukommen, ist es um so notwendiger, an Hand einer Gegenposition die eigenen Argumente zu schärfen. Glücklicherweise verzichtet Roman auf wesentliche Essentials der Freiburger Initiative Sozialistisches Forum (ISF) – Wert? Darüber lässt sich nichts aussagen!, Kommunismus? Bilderverbot! – die jede Diskussion schon beenden, ehe sie anfängt. An Hand einer Kritik der Vereinfachung des Wertbegriffs bei der Gruppe „Krisis“ formuliert sein Text „Die phantasmagorische Form“ (CEE IEH #95) Einwände gegen deren „kritischen Marxismus“ (35, Fußnote 9). Diese Formulierung scheint eher eine Nettigkeit zu sein – gemeint ist wohl, dass der „Krisis“ Kerngeschäft lediglich Marxismus mit durch Kritische Theorie aufgepepptem Vokabular sei(1). Beides ist falsch, aber streiten wir nicht um labels. Wesentliche Punkte der Argumentation selbst verlangen jedoch eine Replik.

Vorbemerkung: Ideologiekritik

„Ideologiekritik heißt in diesem Sinne, die Kritik der politischen Ökonomie zum ersten Gegenstand zu machen...“ (32). Wir sind uns einig: Einzig die Kritik der politischen Ökonomie ist in der Lage, die falsche Gesellschaft des Kapitals zu durchschauen. Zwar wird sowohl von Roman, als auch von der ISF beansprucht, Ideologiekritik in diesem umfassenden Sinne zu betreiben, doch in seinem Artikel bleibt es beim Aufzeigen der Probleme der Denkbarkeit von Wert und der Folgen, die diese Probleme im realen Denken der Menschen verursachen – bei Ideologiekritik im engen Sinne. Wenig tröstlich, dass Roman – im Ggs. zur ISF – eine Schwachstelle der eigenen Position (Wertvernichtung in Krisen) anspricht, denn daraus folgt nichts anderes als der ISF-like-Rückzug in die Nichtverstehbarkeit der Probleme – immer mit dem sicheren Wissen, die „Krisis“ würde es sich gar zu einfach machen. Wenn man sich aber davon verabschiedet, eine Realmystifikation durchschauen zu wollen, was bleibt dann noch außer elaborierter Esoterik?
Basis und Überbau seien „ineinander umschlagende Kategorien“ (30), lesen wir bei Roman. So wird ein richtiger Gedanke durch Übertreibung leider komplett falsch. Der richtige Ausgangspunkt: Keine historisch bestimmten Produktionsverhältnisse ohne ihnen angemessene Denkform (wie immer schmerzhaft sich dies Verhältnis auch äußern mag). Dennoch schlägt da rein gar nichts ineinander um. Wertförmiges Denken mag Voraussetzung dieser gesamten Gesellschaft sein – verkaufen lässt es sich solange nicht, bis es sich nicht in einer bestimmten (erst zu produzierenden) Ware realisiert hat. Denken wird nicht Ware, Ware nicht Denken(2). Ein blinder Prozess beherrscht das Denken (per Gewohnheit), er sorgt dafür, dass die Chancen für Emanzipation immer geringer werden, aber er kann im Gegenzug auch die Rebellion herauskitzeln. Denken als Denken aber produziert nicht gesellschaftlich gültig. Wenn Dialektik heisst: Gegensätze treiben ihr jeweiliges Gegenüber aus ihren eigenen Widersprüchen hervor, heisst das auch, dass sie das nur als Verhältnis können, als durch Einheit Getrennte, getrennt Vereinte. Sie in eins stürzen zu lassen, heisst, Dialektik stillzustellen.
Ideologiekritik darf den Bezug zur Realanalyse nicht verlieren, sonst spinnt sie sich ein in einen Kokon aus Nichtverstehbarkeit und der permanenten Rede von der logischen Unmöglichkeit des Kapitals (über die sich Michael Heinrich auf dem Freiburger ISF-Kongress „Antideutsche Wertarbeit“ zu Recht lustig gemacht hat). Den Wert als Entität einer – nun ja – problematischen Realität zu begreifen und die Argumentation immer gegen das verdinglichte Bewusstsein produktivistischer Arbeiterbewegungsmarxisten zu richten, ist berechtigt, ja angebracht. Das darf aber nicht dazu verführen, nur noch Schwierigkeiten, Rätsel, Paradoxa zu sehen, die sich jeglichem Verständnis von vornherein entziehen und damit den Bezug zur Krisenrealität verlorengehen zu lassen.

Wert, Wertgröße, Arbeitszeit

Irgendwo in den „Grundrissen“ bringt Marx die Illustration, dass das Knochengerüst des Menschen als dessen fixes Kapital angesehen werden könne. Das ist hübsch, aber fast komplett falsch. Fixes Kapital schlägt wertmäßig langsamer um, als zirkulierendes – OK, meinetwegen: Knochen halten länger als jedes Haar und jedes Blutkörperchen, die „zirkulieren“ also sehr viel schneller. Nur: Bei allen beiden wächst – Substanz im engen Sinne. Blut, Haar, Knochen. Was wächst, wenn Kapital sich vermehrt? Wie also muss man sich eine Menge vorstellen, in der Wert als Zeit aufgehäuft wird? Es ist absolut berechtigt, sich, wie Roman das tut, erstmal ausgiebig zu wundern und sich zu fragen, ob so eine merkwürdige Menge überhaupt von dieser Welt ist.
Vor einiger Zeit wurde in Leipzigs Politlandschaft von einer maßgeblichen Fraktion festgestellt, dass sie nach wie vor nicht wisse, wo der Wert wohnt. Ganz so ratlos ist Roman nicht: „Wenn also Produktion und Zirkulation in einem wechselseitigen, dialektischen Verhältnis stehen, dann heißt das dementsprechend für die einzelnen Elemente in diesem Verhältnis, dass sie ebenfalls dialektisch zu fassen sind, d.h. sie sind von zwei Seiten zu betrachten.“ (28) Wert entsteht also nicht in der Produktion, sondern im dialektischen Verhältnis von Produktion und Zirkulation? Ja und nein. Nicht erst seit Adorno (ND, 44) ist klar: „Denken ist dem eigenen Sinn nach Denken von etwas.“ Dem Denkakt muß „etwas“ vorausgehen, damit dieses „etwas“ gedacht werden kann – Vorrang des Objekts, nicht: des dialektischen Verhältnisses! Zirkulation ist Zirkulation von „etwas“ – Vorrang des produzierten Werts vor seiner Zirkulation. Marx: „Der Prozeß, wodurch die Werte innerhalb des Geldsystems durch die Arbeitszeit bestimmt werden, gehört nicht in die Betrachtung des Geldes selbst und fällt außerhalb der Zirkulation; steht hinter ihr als wirkender Grund und Voraussetzung.“ (GR, 680)
Roman scheint anzunehmen, die Unterscheidung Einzelware/Wert berechtige, die Wertentstehung aus der Produktion herauszuverlagern (vgl. 28). Doch auch hier ändert sich nichts an der Binnenlogik: ... Produktion > Zirkulation > Produktion ... – gesamtgesellschaftlicher Wert kann nicht vor seiner Produktion zirkulieren(3). Marx: „Der Tauschwert der Ware erhält im Preis nur einen von ihrem Gebrauchswert getrennten Ausdruck; ebenso entsteht das Wertzeichen nur aus dem Äquivalent, der Ware als Tauschmittel.“ (UR, 927). Also: Erst die produzierte Ware, dann das Geld; erst das Äquivalentsetzen, dann das Äquivalentausdrücken. Im Verbund der Wertproduktion Produziertes wird nicht immer Geld (Krisen! s.u.); sich dem Äquivalenzverhältnis als Ware Aussetzendes bekommt zunächst einen Preis, der keine Garantie für Darstellung im Geld ist(4). Eine von Romans Standpunkt aus vermutlich undialektische Betrachtungsweise, doch auch eine Dialektik muss erst in Gang kommen, auch die Seiten einer Dialektik müssen erst ins Leben treten(5). Wenn zwei Seiten (Produktion und Zirkulation) die Pole eines Prozesses bilden, müssen die beiden nicht „ineinander Umschlagen“ (27). „Umschlagen“ meint bei Roman, beide Seiten würden „ineinander aufgehen, nicht als verschwimmende Unbestimmbarkeit der Kategorien, sondern als sich gegenseitig bedingendes Verhältnis“ (27). Gut möglich, dass mir das „gewisse(s) dialektische(s) Verständnis“ (29) abgeht: Wenn x in y und y in x aufgeht, wird beides eins. Produktion aber wird nicht von Zirkulation, Zirkulation nicht von Produktion ununterscheidbar(6).
Die besten Absichten von Roman, der ISF und auch Michael Heinrich, sich „den Schein einer realen Dinglichkeit des Werts“ (Kurz, 94) vom Leib zu halten, kann sie aber auch – ganz dialektisch – zur leichten Beute für den Warenfetischismus machen. Werner Hofmann schreibt in seiner Interpretation des Fetischkapitels: „Die Erscheinungswelt der Märkte wirkt also auf das Bewußtsein der Beteiligten in doppelter Weise ein: 1. Der wirkliche Ort der Wertbildung wird verdunkelt. Für die Warenbesitzer erlangen die Dinge nicht Wert in der Produktion [! – MB], sondern vielmehr im Verkauf, wo sie ihren Wert nach Marx erst ‘realisieren’; sie sind ihren Verkäufern bis dahin nicht Träger von Wert, sondern von Kosten, die ihnen vorweg entstanden sind, und die sie (mit Gewinn) wieder hereinbringen wollen.“ (Hofmann, 89)
Marx formuliert: „Der Entstehungsprozeß der Waren [wir haben im Hinterkopf: Einheit von Gebrauchs- und Tauschwert – MB], also auch ihr ursprünglicher Aneignungsprozeß, liegt daher jenseits der Zirkulation.“ (UR, 902) Wäre die Frage nach dem genauen Ort der Wertentstehung falsch gestellt(7), wie auch Roman nahezulegen sucht (s.o.), ließe sich nicht schlüssig erklären, weshalb die einfache Zirkulation (W-G-W) nur die Oberfläche der Kapitalzirkulation (G-W-G’) ist, wie es also kommen kann, dass gigantische Reichtümer auf dem einen und gigantische Armut auf dem anderen Pol der Gesellschaft aufgehäuft werden können. Auf der Oberfläche geht ja wirklich alles mit rechten Dingen zu, es wird ja wirklich niemand betrogen, wenn „jeder nur (gibt), indem er nimmt, und ... nur (nimmt), indem er gibt“ (UR, 903); das Problem der Kapitalzirkulation aber (nämlich, wie man das Zeug überhaupt in die Hand bekommt, das man sich in der einfachen Zirkulation gerecht hin- und herschiebt) ist nur zu fassen, indem man sich klarmacht, dass die Entstehung jeder Ware nur dadurch passiert, dass jemand Arbeitskraft und Produktionsmittel ankauft (= als Kapital), sich erstere an letzteren eine Zeitlang abmüht und am Ende etwas rauskommt. Blöderweise muss sich das, was „hinten rauskommt“ in etwas völlig anderem als es selbst realisieren, es muss sich als fertiges erst noch bewähren und das ist eine merkwürdige Sache (hier d’accord mit Roman). Diese Merkwürdigkeit macht klar, dass eine Werttheorie eine Geldtheorie braucht, aber hallo! Wer könnte denn sonst auch nur einigermaßen konsistent das Krisengeschehen analysieren, wenn es kein Übersetzungsproblem gäbe, wenn es nicht so verdammt unsicher wäre, ob Wert sich im Geld darstellen kann und es nicht so verdammt sicher wäre, dass Wert sich im Geld darstellen muß?! Die richtige Erkenntnis, dass der Wert der Waren sich im Geld darstellen muss, darf aber nicht dazu verführen, der Darstellung selbst wertschaffende Qualität zuzubilligen oder mindestens nicht abzusprechen(8).
Roman trägt Eulen nach Athen, wenn er feststellt, dass es „Schein“ sei, „Wert separat an den einzelnen Waren (nicht im Verhältnis zu anderen) wahrzunehmen“ (28). Doch richtig bleibt es: Etwas wird nicht dann Ware (also Wert), weil irgend ein Einzelner daran eine bestimmte Zeit herumgewerkelt hat, sondern deswegen, weil zu seiner Herstellung/Reproduktion (als Exemplar) auf der Höhe des gesellschaftlich determinierten Produktivitätsstandards so und so viel Arbeitszeit nötig ist; dass sich also, ohne die Warentotalität in den Blick zu bekommen nichts über einen einzelnen Warenwert aussagen lässt(9). Doch all das ist auch schon im Marxschen Wertbegriff angelegt, der als Wertsubstanz nicht Schufterei oder sonstwas, sondern „menschliche Arbeit schlechthin“ (K I, 49) zugrundelegt; „Die Arbeit jedoch, welche die Substanz der Werte bildet, ist gleiche menschliche Arbeit, Verausgabung derselben menschlichen Arbeitskraft.“ (K I, 43); „Es ist also nur das Quantum gesellschaftlich notwendiger Arbeit oder die zur Herstellung eines Gebrauchswerts gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, welche seine Wertgröße bestimmt.“ (K I, 44) Die wertbildende Arbeit ist als Arbeit „qualitätslos“, d’accord mit Roman(10). Doch sie erhält ihr Menge-Sein eben nicht durch irgendwas (eine Aufblähung durch eine unbekannte Quelle), sondern durch die Messgröße Zeit – nicht durch Masse, Temperatur, Druck, Länge – sondern durch Zeit. (Dass sie für die Einzelwaren empirisch nicht gemessen werden kann, ist an dieser Stelle überhaupt kein Problem.) Waren haben also nicht als von der Gesamtgesellschaft abgekoppelte Einzelstücke Wert; daraus aber zu schließen, Wert sei nur das Gemeinsame über den Waren, ist wieder mal übertrieben. Im Verbund des Gesamtkapitals haben sie als Einzelne Wert – insofern und soweit sie auf der Höhe des gesellschaftlich gesetzten Produktivitätsstandards von einem Einzelkapital produziert wurden.
Die „Krisis“ gehört nicht zu denen, die sich ohne mit der Wimper zu zucken auf die Seite der „unmittelbare(n) Substanz“ (s. d. Eingangszitat von Hegel in Romans Artikel) schlagen. Schon deswegen, weil die Substanz nichts Unmittelbares hat, sondern vermittelt ist – abstrakte Arbeit bestimmter Größe. Das kann man bei Marx nachlesen, das weiß Roman (34, Fußnote 4), das wissen „Krisis“ und die ISF. So what?! Macht man sie als Substanz des Werts aus, hat man sich längst schon abgegrenzt gegenüber denen, die nicht einsehen wollen, dass es ein Problem ist, „warum dieser Inhalt jene Form annimmt“ (Marx)(11). Dass es, wie Roman sagt, „nicht so unproblematisch“ (34, Fußnote 4) ist, etwas Abstraktes als Substanz anzunehmen, entbindet uns nicht davon, uns damit herumzuschlagen. Wir haben per Preis, Konkurrenz, Profitrate... keinen direkten Zugriff auf die in ihnen erscheinenden verausgabten abstrakten Arbeitsmengen – doch das weiss auch schon Marx, ohne dass er sich deswegen erlaubt, irgendwo anders auf die Suche nach der Wertsubstanz zu gehen: „... Arbeitszeit als die einzige Substanz des Werts... Beim Kapital verdeckt durch das Geld.“ (GR, 658) So muss man sich (hier hat Roman völlig recht) in Diskussionen immer wieder zur Ordnung rufen, wenn man ansetzt, von empirischen Preisen auf Werte zu schließen, ohne dass beide Ebenen in der Analyse sauber voneinander getrennt werden bzw. man sich wenigstens der Anstrengung aussetzt, die Vermittlungen zwischen diesen Ebenen ausfindig zu machen. Wo aber begründet die „Krisis“ mit „empirische(n) Geldbeträge(n)“ (34, Fußnote 4) ihre Zusammenbruchstheorie? Wäre eine bruchlose Übersetzung von Wert(quantität) in Geld gegeben in einer Zeit, in der die Einzelware nur noch homöopathische Dosen gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit enthält, könnte man ja gar keine Preise mehr bilden! Der „Empirismus“ der „Krisis“ will nicht mehr und nicht weniger, als an Hand konkreter Erscheinungen zeigen, dass diese Gesellschaftsform auf dem absteigenden Ast ist. Dazu kann es nötig sein, mit Geld zu rechnen, dann bspw. wenn man eine Antwort darauf sucht, warum sich die Spekulationsblase seit den 80er Jahren unaufhörlich aufbläht.
Aus der Nähe zur ökonomischen Realanalyse nun aber zu schließen, die „Krisis“ würde die Formseite zugunsten „der Substanz als einzig wertbildender und folglich auch preisbildender Instanz“ vernachlässigen (34, Fußnote 4), ist wohl übertrieben. Abstrakte Arbeit ist natürlich nicht preisbildende Instanz, sie ist und bleibt – in bestimmter Zeit verausgabt – die wertbildende Substanz, die sich seit dem 2. Weltkrieg Schritt für Schritt, doch auf Nimmerwiedersehn verpisst(12). Roman postuliert zwar die Notwendigkeit der Vermittlung von Form und Substanz, kann sie aber verständlicherweise auch nicht leisten. (Dieser nicht unwesentliche Teil des Lebenswerkes von Hans-Georg Backhaus ist sicher nicht en passant zu erledigen. Backhaus’ Gedanke hinsichtlich dieser Vermittlung ist folgender: Die Substanz des Werts identifiziert Wert und Form und die Form des Werts Wert und Substanz [Backhaus, 326]. Ich verdeutliche mir das so: Nach Umrissmarkierung kann man sich mit dem innerhalb der Umrisse Befindlichen befassen; innerhalb einer Substanz ist man gehalten, sie zu begrenzen, um zu wissen, was die Substanz „ist“(13). Das Problem, das wohl auch Roman Kopfzerbrechen bereitet, liegt darin, dass bei der Umrissmarkierung schon klar ist, was durch sie markiert wird und dass innerhalb einer Substanz immer schon klar ist, wo ihre Formgrenze ist – nämlich dort, wo das Andere anfängt.) Er macht sich zwar noch nicht die vulgärökonomischen(14) Anschauungen der ISF (z. B.: jede Produktion im Kapitalismus ist Wertproduktion, Hauptsache, sie steht im Geldkontext, vgl. ISF, 64 f.) zu eigen, weist sie aber auch nicht ab. Was es bedeutet, es mit einer auf dem Kapital basierenden Produktionsweise fast gänzlich ohne ihr adäquate Substanz zu tun zu haben – mit diesem Problem sollten wir uns herumschlagen. Und um zu erklären, wie es denn sein kann, dass, je leerer das Gravitationszentrum dieser Gesellschaft wird (abstrakte Arbeit) es eine um so heftigere Anziehungskraft entwickelt(15), ist Ideologiekritik (auch im engeren Sinn als Auseinandernehmen verkehrten Denkens) unbedingt notwendig.
Eine brauchbare Verkürzung der hier genannten Tatbestände könnte lauten: Wenn wir vom Wert reden, reden wir vom Arbeit-Sein der Waren, wenn wir von Wertgröße reden, stellen wir darauf ab, ob die Waren viel oder wenig Arbeit in sich verkörpern, wenn wir vom Tauschwert reden, fragen wir: Wieviel oder wie wenig Arbeit enthält eine bestimmte Ware im Vergleich zu einer anderen? (vgl. Kurz 64 f.)
Quantitätsmaß der Arbeit ist die Zeit. Arbeit wird verstanden als einfache abstrakte. Wert ist durch Uhren nicht zu messen.

Vergegenständlichung

Roman meint, die Vergegenständlichung eines Durchschnitts (von Arbeitszeit) sei ein Problem, ja es sei überhaupt „irreführend, (dass sich in den Waren etwas vergegenständlicht)“ (26). Eine Illustration: Fixes Kapital, bspw. als Gebäude einer Fabrik, ist in den dort produzierten Waren – vergegenständlicht (= es hat sinnlich Erfahrbares – Dinge, Dienstleistungen –, in denen es aufgespeichert ist; Marx spricht sogar von „materialisierter Arbeitszeit“, GR, 57), ohne sinnlich als solches anfassbar zu sein (es sind keine Mini-Fabrikstücke in den Waren enthalten). Der Begriff „vergegenständlicht“ ist von Haus aus schon so problematisch, wie Roman ihn erst enttarnen zu müssen glaubt. Das ist doch das Verrückte am Wert: Er ist empirisch nicht zu fassen und doch da – wäre er nicht da oder träte er nur mit jedem einzelnen empirischen Austausch, quasi nur für einen Zeitpunkt ins Leben, gäbe es kein Realisierungsproblem (s.u.).
In die Wertgegenständlichkeit geht „kein Atom Naturstoff“ ein, meint Marx, die „einzelne [! – MB] Ware ... bleibt unfaßbar als [! – MB] Wertding“ (K I, 52). Da hat er recht. Sie bleibt nicht unfaßbar als sinnlich erfahrbarer Ausdruck eines unsinnlichen gesellschaftlichen Verhältnisses(16). Produziert durch die Gnade des Werts sind Waschmittel bspw. in quietschbunten Packungen. Sie wären nicht so verpackt, gäbe es nicht das Diktat des Werts. Nichts sinnlicher als das allgegenwärtige „Kauf mich!“. Das Erscheinungsbild von Produkten zeigt allen: „Ich bin kein Produkt, kein Gebrauchsgegenstand, Gut oder sonstwas, sondern – Wertding, Ware.“ Verrückt genug, doch „unfaßbar“ nur, wenn die Einzelware unzulässig von der übrigen Warenwelt isoliert wird (ähnlich der Unfassbarkeit eines Meteoritenbrockens auf der Erde, der aber gut zu erfassen ist im Zusammenhang seiner Herkunft).
Das, was vergegenständlicht in Warenform erscheint, fände „nur im Prozess des gesamtgesellschaftlichen Zwangs zur ständigen Verwertung des Werts seine Existenz“ (27), meint Roman. Das ist richtig, wenn damit gemeint ist, dass jede einfache Zirkulation lediglich Realisationsform der Kapitalzirkulation (G-W-G’) ist (GR, 560) und wird falsch, wenn es nahelegen soll, dass nur „Waren in Bewegung“ Wert haben. Denn ihr großes Problem in Krisen (zyklischen, empirisch beobachtbaren!) ist ja, dass sie als daliegende, herausgefallene, Wert haben (quasi: Waren in Erstarrung), der sich nicht gesamtgesellschaftlich gültig darstellen kann und keine selbständige Form – Geldform – erhält.
Die Ware ist immer schon als austauschbar produziert (sie erhält Tauschwertgestalt im Produktionsprozess), so dass sich das Wertrealisierungsproblem bei jeder Warenproduktion stellt. Marx referiert zustimmend Ricardo: „Mit dem Austausch beginnt daher die Verwertbarkeit der Ware.“ (GR, 810); beginnt nicht der Wert, sondern die Verwertbarkeit! Das heisst nichts anderes, als dass es Wert nur geben kann, wenn es einen gesellschaftlichen Tauschzusammenhang gibt, aber nicht, dass jener irgendwie auch in diesem entsteht, oder die Frage nach der Wertentstehung eine falsche sei. Nicht zutreffend auf alle Fälle „zu behaupten, der Wert einer Ware sei gegeben durch die in ihr fixierte Arbeitszeit, und sie sei Wert, ohne austauschbar zu sein.“ (GR, 810; alle Hervorhebungen von Marx) Nicht nur Roman, auch Michael Heinrich muss das überlesen haben. Austauschbar! (vgl. auch das Zitat in Fußnote 9.) Nicht: ausgetauscht oder im Austausch begriffen! Waren haben Wert als Arbeitszeit in sich verkörpernd und dem Zwang des Austausches sich aussetzendbeides ist nötig, damit eine Ware Ware wird. Die von Heinrich (Heinrich, 215) zitierten Marx-Stellen, die beweisen sollen, dass Waren außerhalb des Tausches kein „gemeinsames Drittes“ haben, beweisen lediglich, dass auch schon Marx wusste, dass es Waren und Wert immer nur innerhalb eines gesellschaftlichen Tauschzusammenhangs gibt, sie also prekäre Existenzen (s. letzter Abschnitt „Krise“) sind, aber nie, dass sie erst im realen Tausch Wertdasein erhielten.
Wenn die „Vergegenständlichung von Wert ... Schein“ (27) ist, liegt die Verantwortlichkeit für Krisen plötzlich nicht mehr in einem blinden Prozess (dem Kapital), sondern im Bewusstsein von Menschen – und das kann sich von einer Sekunde auf die nächste ändern. Willkommen in Freiburg.
Dass sich die „Vergegenständlichung“ nicht so einfach wegeskamotieren lässt, beweisen auch Romans Bemerkungen über die „abstrakte Menge“ (27 f.). „Menge oder abstrakt?“ möchte man zurückfragen. „Der Materielle Träger wechselt sinnlich fassbar, die abstrakte Menge nur im Bewusstsein den Trägern anhaftend.“ (28). Derart relativistisch formuliert, lässt uns Roman im unklaren, ob da – wenn auch im Bewusstsein – wenigstens die gleiche abstrakte Menge, oder gar zwei verschiedene „wechseln“, letzte Lesart wäre die der subjektiven Wertlehre – die Leute denken sich die Sachen eben unterschiedlich wertvoll (auch da übrigens brauchen sie keinen Begriff von Abstraktheit zu haben). Wenn die gleiche abstrakte Menge „hin- und herspringt“ (28), ist sie quantifiziert, wenn auch nicht dargestellt durch eine Sammlung konkreter mathematischer Ausdrücke mit Zeiteinheit. Wieder also geht es zu schnell. Die ohne Zweifel „problematische“ Menge, deren Elemente Realabstrakta sind, gerät Roman zur „abstrakten“, womit alles wieder in den berühmten Freiburger Nebel des Nicht-Verstehens gestellt wird.
Es ist sehr wohl feststellbar, dass eine Maschine zur Herstellung von Radiergummis mehr wert ist, als ein auf ihr hergestellter Einzelradiergummi. Ganz ohne Zahlen, empirische Geldbeträge und unzulässige Rückrechnerei von Preis auf Wert, lässt sich die Ungleichung begründen: Wert der Maschine > Wert des Radiergummis, denn gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Herstellung der Maschine > gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Herstellung des Radiergummis. Eine unzulässige Quantifizierung wäre, zu behaupten, dass 20 deg.C doppelt so warm sind wie 10 deg.C; doch nach wie vor gilt derjenige als nicht wirklich ernstzunehmen, der behauptet, es ließe sich bei Temperatur (übrigens als Teilchenbewegung verdammt abstrakt und „als solche“ ganz und gar nicht wahrzunehmen) nichts über Quantitäten aussagen. Das wäre einer, der die Winterkälte wegdiskutieren will.
Im übrigen: Wie stellt sich Roman den kapitalistischen Produktionsprozeß denn vor, wenn nicht als Zwang der Reduktion von Arbeitszeiten bis schließlich – konkurrenzvermittelt – die für eine Ware gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit überhaupt sinkt? Welche neue, die Verwertung ausmachende Größe, die die minderbemittelten marxistischen Krisis-Empiristen nicht sähen, lässt sich denn benennen? – Um herauszubekommen, was Wertproduktion ist, fragt man statt Hans-Georg Backhaus wohl doch besser die Manager, Sanierer und Geschäftsprozessoptimierer dieses Landes(17).

Formale und dialektische Logik

Was „ist“ der Wert, wenn er als „erscheinender“ Geld und als „prozessierender“ Kapital ist, immer aber erscheinen und prozessieren muss, um er selbst zu sein und doch Geld nicht Kapital ist: – offensichtlich eine völlig neue Kategorie, die nicht einer statischen, sondern einer dialektischen Logik gehorcht. Soweit kann auch der an „zweiwertiger Logik“ Geschulte folgen. Er kann einsehen, dass Wert, Ware, Geld, Kapital etwas anderes sind, als die Normalobjekte (Tisch usw.), mit denen wir uns sonst so im Alltag herumschlagen. Dass das Kapital ein dialektisches Verhältnis ist, soll nicht bestritten werden. Doch Roman gibt sich mit diesem Statement nicht zufrieden: „Es soll ... zu Tage treten, dass die Wirklichkeit (hiermit soll jede sinnlich erfahrbare Sache einbeschlossen sein [! – MB]) nicht logisch schlüssig vorliegt [!!-MB] und nur noch klassifiziert werden müsse, sondern dass sie sich in einem Prozess innerhalb von Raum und Zeit vollzieht und somit als ‘Werden’ zu erkennen ist ... dialektisch“ (29). Ein Satz, der insofern selbstreferenziell ist, als er sich sein Problem – ganz dialektisch – dadurch zu leicht macht, dass er es zu schwer nimmt. Zu schwer insofern, als er impliziert, dass sinnlich erfahrbare Sachen nicht logisch schlüssig vorlägen. (Wer die zweiwertige Dumpfbackenlogik im Alltag nicht befolgt, wird’s garantiert sehr schwer haben. Denn er rennt u. U. gegen Häuserwände – die sind ja auch ständig im „Werden“, kommen ja auch „in Reinheit“ nicht vor, sind ja auch nur „Grenzbegriffe des Denkens“, durch Reflexion auf sie kann ja ebenfalls ihr „widersprüchliche(r) Charakter zum Vorschein“ (29) gebracht werden. – Dennoch bleibt mindestens eine Beule, wenn man gegen die Wand bzw. nicht nicht gegen sie gelaufen ist.) Zu leicht insofern, als dass die Versuchung sehr nahe liegt, alle ungelösten Probleme auf das Konto „dialektisches Verhältnis“ zu buchen und die Lösung von Wert- und Geldrätsel damit auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben(18). Wenige Sätze davor behauptet Roman noch das Gegenteil: Das eingangs von ihm gebrachte Marx-Zitat bzgl. des Werts („Seine Schmetterlingsentfaltung muß in der Zirkulationssphäre und muß nicht in der Zirkulationssphäre vorgehn. Dies sind die Bedingungen des Problems.“) müsse von „Anhänger(n) klassischer Logik ... eigentlich als Widerspruch in sich verteufelt werden, weil etwas an zwei verschiedenen Orten zugleich ... nicht sein kann. Dies mag zwar auf Materie zutreffen [!! – MB]...“ (28), jedoch nicht unbedingt beim Wert. Entweder gilt die zweiwertige Logik für Materie, oder „jede sinnlich erfahrbare Sache (liegt) nicht logisch schlüssig“ vor (28). Ein Widerspruch, der charakteristisch ist für das starke Bedürfnis, Dialektik für „ideologiekritischen Reduktionismus“ (R. Kurz) in Anspruch zu nehmen – überall ist Wert. Statt Dialektik als die angemessene fiese Logik für fiese Gegenstände zu begreifen, wird sie Welterklärungsmethode. Das muss schiefgehen, denn: „Es zeigt sich an diesem Punkt bestimmt, wie die dialektische Form der Darstellung nur richtig ist, wenn sie ihre Grenzen kennt.“ (UR, 945) Weder ist alles sinnlich erfahrbare nur dialektisch schlüssig zu erfassen, noch ist das „Kapital ... Inkarnation einer ewigen Idee“ (ebd.), die Dialektik – richtig angewandt – immer und überall ans Licht zu bringen vermöchte.

Die Krise

Die „Krisis“ würde sich „Verhältnisse als Dinge“ vorstellen, oder „diese zumindest gedanklich den empirischen Dingen anhaften ... lassen“ (32), weshalb sie nicht sähe, dass in Krisen keineswegs Wertvernichtung durch Warenvernichtung geschehe. Dem Ideologiekritiker hilft hier das Hegelsche „aufgehoben“ (ebd.) weiter, indem er behauptet, dass die Ware ihre Wertseite im Gesamtprozeß „aufhebt“(19). Natürlich haftet das Warenverhältnis den empirischen Dingen an, zwar nicht im Sinne von „ursprünglich“, wohl aber von „angepappt“ bzw. „infiziert“. Wenn gilt, dass das Produktionsverhältnis darauf zielt, Wert zu schaffen, gilt das eben auch für jede einzelne Erscheinung innerhalb dieses Verhältnisses, für jede Einzelware. So ist, um überhaupt eine Spannung zwischen Gesamt- und Einzelkapital konstatieren zu können (Krise!), natürlich nötig, das empirische Vorhandensein von Einzelkapital nicht wegzueskamotieren, nicht alles in Gesamtkapital-Pampe aufgehen zu lassen; so ist, um Kapital zutreffend beschreiben zu können, auch nötig, die „Einzelheit seiner Momente separat“ (32) zu denken (schon deswegen, um sie wieder zusammendenken zu können(20)). Sonst erscheint die Erkenntnis, dass das Kapitalprinzip permanenter spiralförmiger Durchgang durch Ware und Geld ist, wie vom Himmel gefallene Offenbarung. Wieder wird eine richtige Problemstellung so weit aufgebläht, bis sie keine befriedigende Lösung mehr finden kann. Es erscheint logisch, dass bei Vernichtung von einem Millionstel des gesellschaftlichen „Warenbreis“ (Marx) nicht unbedingt ein Millionstel ruhender Wert vernichtet wird. Roman aber überspitzt, daß man bei der Warenvernichtung davon sprechen könnte, „daß hier die Ware ihre Wertseite im Gesamtverhältnis der kapitalistischen Produktionsweise aufhebt“. (32) Bei aller Notwendigkeit komplizierter Dialektik: Wie soll eine bestimmte Ware (es ist ja nicht die Realisation aller Waren in Geld gefährdet) ihre Wertseite aufheben, wenn Wert lediglich „als Vermittler und damit Einheitstiftende(s) zwischen Inhalt und Form des gesellschaftlichen Gesamtverhältnisses“ (32) betrachtet wird (und nicht als das, was er auch ist: Ziel und Produkt jedes Einzelkapitals), kurz: wenn es bei Roman nur einen einzigen Wert gibt (quasi: Wert schlechthin), nämlich das Gesamtkapital? Gerade aus der Spannung der Einzelkapitaldispositionen, die keinen sinnlichen Maßstäben folgen, ergibt sich doch die krisenhafte Dynamik der Gesellschaft, die auf dem Kapital beruht! Jedenfalls hilft es kaum weiter, sich mit dem Hegelschen „aufheben“ systematisch um das von der Realität ganz hässlich positiv gestellte Problem der Vernichtung von Waren als Wertträgern herumzumogeln. In der Warenvernichtung wird also unbedingt Wert > 0 vernichtet (sonst fände sie nicht statt); davon unberührt bleibt, dass wir darüber hinaus nichts quantifizieren können(21). Eine solche „unempirische Größe“ verursacht Bauchschmerzen und ich will Roman gegenüber nicht den Schmerzfreien spielen. Marx geht’s übrigens genauso: „Der Wert ist bestimmt durch die objektivierte Arbeitszeit, in welcher Form auch immer. Es hängt nun aber von dem Gebrauchswert ab, worin er realisiert ist, ob dieser Wert realisierbar ist.“ (GR, 431) Was denn nun? Ist er nun realisiert oder ist noch gar nicht klar, ob er überhaupt realisierbar ist?(22) Er ist realisiert, als klare, distinkte Größe. Doch fürs Alltagsverständnis ist irgend etwas erst dann realisiert, wenn es seine Realisierbarkeit demonstriert hat (hier: Verkauf). Er ist bestimmt, aber für uns unbestimmbar; nicht fixierbar (= festzuhalten als länger gültig), aber fixiert (= festgehalten in jedem Zeitpunkt gesellschaftlicher Reproduktion). (Am Rande: Meist sind nicht die Gruselfilme mit bluttriefenden Monstern besonders schrecklich, sondern die, in denen Schatten und Nebel die Darsteller in Atem halten.)
Noch mal: Roman behauptet, die Wertgröße könne nicht durch eine bestimmte Zahl ausgedrückt werden (34, Fußnote 6). Natürlich kann sie das: Sie ist x, nicht y, a, b oder z. Sie kann nur nicht berechnet werden. Wäre diese Bestimmung als distinkte Größe nicht möglich, wäre selbst die Behauptung des Größe-Seins falsch. Damit aber gäbe es nicht eine einzige Größe der Politischen Ökonomie mehr (die Marx nicht verwirft, sondern immanent kritisiert). Vielleicht bliebe uns noch das Fetischkapitel, aber wer von Mehrwert, Profit, Mehrwertrate, Profitrate, Austausch zwischen den beiden Abteilungen I und II, Rente usw. spricht, spricht immer von Quantitäten. Höchst fahrlässig wäre das, glaubte man Roman(23).
Roman ignoriert das Krisenproblem nicht (er wird vom „Krisis-Umfeld“ darauf gestoßen) lässt es aber nach kurzer Erwähnung wie eine heiße Kartoffel fallen. „To drop the problem is their general method of solving it.“ (GR, 640). Dass Krise ist, leugnet auch die von ihm zustimmend zitierte ISF nicht. Wenn wir jene verstehen wollen, müssen wir einen Begriff von ihr haben. „Alles wird immer schlimmer“ ist zur Beschreibung wohl genauso ungeeignet, wie „Das Al Qaida-Netzwerk ist größer als bisher angenommen“ oder „Der DAX ist auf Jahrestief.“ Weder bürgerlicher „Krisenpositivismus“ (R. Kurz), noch ein Einmummeln in die Gruseligkeit durchknallender Subjekte, helfen hier weiter. Wenn „Krise“ Störung der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion heisst (worauf man sich einigen können sollte) und wir davon überzeugt sind, dass die Wertproduktion Gravitationszentrum dieser Gesellschaft ist, muss offensichtlich eine direkte Verbindung von der einen zur anderen führen. Romans Argumentation aber hält das ganz und gar nicht für ausgemacht: „Das Problem der Wertentstehung, welches logisch kategorial weit vor einem eventuellen Profitratenfall anzusiedeln ist, wird [von der „Krisis“ – MB] praktisch mit seinem vermeintlichen und von der Krisentheoretikerfraktion herbeigezauberten Ergebnis, d.h. Krise begründet und einseitig aufgelöst – zur Produktion natürlich“ (33). Er lässt hier im Grunde nur den Schluss zu, dass auf dem – ohne Zweifel weiten – Vermittlungsweg von Wert zu Profit und Profitrate so Grundlegendes passieren muss, dass nimmermehr ein Problem bei der Entstehung des Werts die Krise begründet. Das allerdings heisst Abschiednehmen von der Kritik der Politischen Ökonomie.
Marx stellt klar – und das ist auch unmittelbar einsichtig –, dass in der Ware selbst der Keim für Krisen gelegt ist. Wer auf eine Weise produziert (unterhalb des etablierten Produktivitätsniveaus), in der sich sein Produkt als Ware nicht oder nur abgewertet realisieren kann, produziert krisenhaft. Die notwendige Verselbständigung von Produktion und Zirkulation gegeneinander produziert die Möglichkeit der Krise (K I, 118 f.) (das heisst aber auch die Sicherheit, dass diese ganze Produktionsweise prekär ist). Die Krise lauert also im Zentrum der Ware und muss von niemandem „herbeigezaubert“ werden.
Dem Relativismus von Michael Heinrich, den Roman teilt, ist entgegenzuhalten, dass das sog. „Aufheben“ der Wertseite im gesamtgesellschaftlichen Wertverhältnis bis zur totalen Verwüstung der Erde fortgesetzt werden kann. Das ist keine moralische Empörung, sondern die Einsicht, dass sich mit dieser Fassung von „Krise“ der Crash eines gesamtgesellschaftlichen Reproduktionssystems eben nicht beschreiben lässt. Schließlich kann Chemiker nur der sein, der vor der Explosion seines Labors zur Einsicht in die Unhaltbarkeit einer bestimmten Versuchsanordnung gelangt.

Gegen Theorie?

Kapital kann sich nur erhalten durch Vermehrung. Es vermehrt sich über die Einsaugung seines Gegenübers, lebendiger Arbeit; es eignet sich gegenwärtige Arbeit an und hat damit Anweisung auf zukünftige (vgl. GR, 955), ist also durch die Aneignung schon auf die Zukunft fixiert, verpflichtet. Im Gegensatz dazu trägt „Die Zirkulation... nicht in sich selbst das Prinzip der Selbsterneuerung“, sie vermittelt Extreme (Ware und Geld) eines hinter ihrem Rücken vorgehenden Prozesses (vgl. UR, 920), nämlich desjenigen, der das erst macht, was sie vermittelt. Zirkulation geht von ihr Vorausgesetztem aus, sie setzt nichts – im Gegensatz zum Kapital als automatisches Subjekt. Doch im Prozess seiner Entwicklung, sägt es sich den Ast ab, auf dem es sitzt: die Vernutzungsmöglichkeit menschlicher Arbeitskraft.
Dieser Prozess ist merkwürdig, aber keineswegs undurchschaubar, wie die Rede von der auf die Wirklichkeit bezogenen Theorie, die immer Widersprüche begradigen müsse, suggeriert (33). Auch Roman tanzt seine Kritik nicht, sondern bringt sie in die Form von Aussagen, die sich an Kohärenz messen lassen wollen. Auch „antitheoretische“ Kritik schließt sich zum System der Systemlosigkeit, bspw. zur um Logik bemühten Herleitung der Notwendigkeit permanenter bestimmter Negation. – Wenn damals nicht olle Marx mit dem festen Willen zur wasserdichten Theorie angetreten wäre, mit dem Anspruch, eine „theoretische Darbietung“ abzuliefern, „die jeder rational nachvollziehen kann“ (ISF, 91), wüssten unsere esoterischen hyperkritischen Linkskommunisten ja nicht einmal, wie das heisst, von dem sie heute so genau wissen, dass man es nicht verstehen kann. Und weil ich gerade bei Selbstreferenz bin: Roman teilt – ob ihm das behagt, oder nicht – mit der ISF die Attitüde, die Nichtverstehbarkeit von Kapital immer und immer wieder bestätigt zu sehen und die Zwanghaftigkeit, noch jede begriffliche Unschärfe bei Marx als angeblich reale Irrationalität in das feste Theoriegebäude einer als negativ präsentierten Dialektik eingliedern zu müssen. Die durch keine empirische Beobachtung zu verunsichernde, absolut abgedichtete Theorie der „unabgeschlossenen“ Theorielosigkeit, die den Namen „Negative Dialektik“ missbraucht und mit der Philosophieprofessoren das emanzipatorische Potenzial von Greenpeace und ATTAC einerseits, Antideutsche die unbedingte Notwendigkeit eines Bombenhagels auf Bagdad andererseits herleiten können, macht immer mehr Leute verrückt. Wer Adornos Projekt einer materialistischen Gesellschaftskritik auf der Höhe der Krisenreife des kapitalistischen Systems fortführen will, muss heute über ihn hinaus(wollen, wenigstens). Dabei wäre nicht an dessen Geschichtspessimismus (der aus „transhistorische(r) ... Sichtweise“, aus der Verkennung der „Spezifik der neuzeitlichen Vernunft“ [Trenkle, 49] resultiert), noch gar an die Ressentiments der sog. Kulturkritik anzuknüpfen, wie es heute große Mode der Linken ist, sondern an die Absicht kritischer Theorie, eine radikale Aufklärungskritik zu leisten, an den festen Willen, gegenüber einem selbstdestruktiven, katastrophischen Zusammenhang niemals positiv werden zu wollen. Wer allerdings immer schon weiß, dass jeder Theoretiker „seine Theorie, koste es, was es wolle, bestätigt ... sehen“ (33) will (der Kritiker lässt sich vermutlich permanent seine Kritik widerlegen), kann im Angesicht des Krisenkapitalismus’ nur noch moralisch appellieren und/oder Kunst machen; der subjektiv ehrliche Wahrheitsanspruch hat kein Fundament mehr in der Realanalyse. Die letzten Empiriescherben räumt die Dialektik weg.
Gegen die falsche Gesellschaft ist nicht unlogisches Formulieren(24) zu empfehlen, sondern Krisenbewusstsein zu mobilisieren. Das kann sich durchaus auf Adorno berufen: „Das Allgemeine, von welchem das Besondere wie von einem Folterinstrument zusammengepreßt wird, bis es zersplittert, arbeitet gegen sich selbst, weil es seine Substanz hat am Leben des Besonderen; ohne es sinkt es zur abstrakten, getrennten und tilgbaren Form herab.“ (ND, 339)

Literatur:
• Backhaus: Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform: Untersuchungen zur Marxschen Ökonomiekritik, ca ira, Freiburg, 1997 (darin auch: Zur Marxschen „Revolutionierung“ und „Kritik“ der Ökonomie: die Bestimmung ihres Gegenstandes als Ganzes „verrückter Formen“, S. 299-333)
• GR: Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie – Rohentwurf (1857-1858), Europäische Verlagsanstalt Frankfurt/Europa Verlag Wien
• Heinrich: Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert: Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, Münster, 1999
• Hofmann: Werner Hofmann (Hrsg.), Wert- und Preislehre (= „Sozialökonomische Studientexte“ Bd. 1), Duncker & Humblot, Berlin, 1979
• ISF: Initiative Sozialistisches Forum, Der Theoretiker ist der Wert – Eine ideologiekritische Skizze..., ca ira, Freiburg, 2000
• K I: Karl Marx, Das Kapital Bd. I, Dietz, Berlin, 1953
• K III: Karl Marx, Das Kapital Bd. III, Dietz, Berlin, 1953
• Lohoff: Ernst Lohoff, Die Ware im Zeitalter ihrer arbeitslosen Reproduzierbarkeit, Streifzüge 3/2002
• Kurz: Robert Kurz, Abstrakte Arbeit und Sozialismus: Zur Marx’schen Werttheorie und ihrer Geschichte, http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_abstrakte-arbeit-und-sozialismus_mk4-988.html
• ND: Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1975
• Schandl: Franz Schandl, Desinteresse und Deklassierung, Streifzüge 3/2002
• Scheit: Gerhard Scheit, Die Wut und der Wahn, konkret 1/2003
• Spencer-Brown: George Spencer-Brown, Gesetze der Form [Laws of Form], Bohmeier Verlag, Lübeck, 1997
• Theorien II: Karl Marx, Theorien über den Mehrwert 2. Teil = Zur Kritik der Politischen Ökonomie (Manuskript 1861-1863) Teil 3, MEGA 2. Abt. („‘Das Kapital’ und Vorarbeiten“), Bd. 3, Dietz, Berlin, 1978
• Trenkle: Norbert Trenkle, Gebrochene Negativität, S. 39-65 in: Krisis 25: beiträge zur kritik der warengesellschaft, Horlemann, 2002
• Türcke: Christoph Türcke, Erregte Gesellschaft: Philosophie der Sensation, Verlag C. H. Beck, München, 2002
• UR: Karl Marx, Fragment des Urtextes von „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ (1858), entspricht S. 869-947 in GR

Fußnoten:
(1) Unsere ressentimentgeladenen „Linkskommunisten“ aus Freiburg haben das Copyright auf diesen Gedanken: „Robert Kurz und die Gruppe um die Zeitschrift ‘Krisis’ haben den traditionellen Marxismus bis zur Grenze strapaziert, ohne ihn allerdings überwinden zu können.“, schreiben sie in ihrer von Ökonomiekritik gänzlich unbeleckten Polemik gegen die „Krisis“ (ISF, Buchrücken).
(2) InformationsarbeiterInnen mögen das anders sehen. Doch sie sollten sich fragen, ob sich in der Internet-Zeit wirklich zunehmend Denken verkauft? Sie meinen wahrscheinlich: Zur Herstellung von Waren in der Internet-Zeit ist mehr Denken als vor ihr nötig, steigt der Anteil der Wissenschaft. So wie im Kapitalismus niemand, aber auch niemand seine Arbeit (geschweige denn: sich selbst), sondern immer nur seine ArbeitsKRAFT verkaufen muss, genau so lassen sich nur Waren (anfassbar oder nicht) verkaufen – und nicht Denken, Graben, Laufen, Bedienen, Schrauben, Hobeln, Programmieren. Dem Zusammenstreichen von Gesellschaftsanalyse auf Ideologiekritik im engen Sinne hat Adorno schon in der „Negativen Dialektik“ gültigen Bescheid erteilt: „Nichtig ist Denken, welches das Gedachte mit Wirklichem verwechselt (...).“ (ND, 385)
(3) Das Problem ist nicht, dass dies so „empirisch wahrnehmbar“ (28) ist. Sowohl die Einzelware unterliegt dieser Logik, als auch der gesamtgesellschaftliche Wert. Wie der Gesamtproduktionsprozess des Kapitals als die Gesamtheit von Produktions- und Zirkulationsprozess i. e. S. verstanden wird (GR, 513 f.) (das erinnert an Spencer-Browns Wiedereintritt – re-entry – der Form in die Form, vgl. Spencer-Brown, 60 ff.), ebenso ist Wert sowohl das gesamtgesellschaftliche Gravitationszentrum, wie auch realisiert in jeder Einzelware (in welcher „Menge“ auch immer); verschwindet also in zyklischen Krisen keineswegs als Gesellschaftsprinzip. Er wird schwächer (Roman sieht hier evtl. schon wieder eine unzulässige Quantifizierung), soll noch gelten, kann es aber immer weniger. Hinterhältige Altersbosheit kennzeichnet ihn – brutale und gutmütige Offenheit wie zu Zeiten, in denen er in Saft und Kraft stand, kann er sich nicht mehr leisten. s. weiter unten im Text.
(4) Das Geld wird hier in seiner unentwickeltsten Bestimmung gebraucht, als Maß der Werte/Maßstab der Preise. (Vgl. auch Preis als „ideelle Bestimmung“ des Tauschwertes in UR, 934)
(5) Über das, was vor der Zwei-Seiten-Unterscheidung liegt, kann nur noch das Motto von Spencer-Browns Buch „Laws of Form“ etwas aussagen: „Namenlos des Himmels, der Erde Beginn“ (Spencer-Brown, 0).
(6) Marx liefert ein Gegenbeispiel für Romans „Umschlag“ als „sich gegenseitig bedingendes Verhältnis“ (27), den „Umschlag des Aneignungsrechts“. Hier schlägt das klare, einsehbare, unproblematische Recht auf Eigentum um in das höchstproblematische auf die Aneignung fremder Arbeit. Das meint: In Zukunft ist jede Eigentumsverteidigung die Verteidigung der Aneignung fremder Arbeit (s. GR, 361 f.).
(7) Dafür macht sich Michael Heinrich in seinem schwer gelehrten, aber gut lesbaren, empfehlenswerten Buch „Die Wissenschaft vom Wert“ stark (Heinrich, 214 ff., 241).
(8) Vielleicht zielt darauf Marx’ Bemerkung, dass in der Zirkulation das eigene Produkt als gesellschaftliches gesetzt wird (UR, 904 f.). Das wäre keine Erschütterung der Bestimmung des Wertes über gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Das Produkt ist als gesellschaftlich (gültig) in einem wohl bestimmten Maß (Tauschwert) gesetzt. Die Zirkulation wäre dann so etwas wie härtendes Feuer. – Jeder Billigverkauf zeigt so nicht eine Stillstellung des Kapitalismus in einem bestimmten Bereich an, sondern das Zusammenstreichen der gesellschaftlichen Gültigkeit von Produkten als Waren durch Vernichtung eines Wertteils.
(9) In aller Deutlichkeit: „Kein Produzent, der Industrielle sowenig wie der Ackerbauer, isoliert betrachtet, produziert Wert oder Ware. Sein Produkt wird nur Wert und Ware in bestimmtem gesellschaftlichen Zusammenhang. Erstens, soweit es als Darstellung gesellschaftlicher Arbeit erscheint, also seine eigne Arbeitszeit als Teil der gesellschaftlichen Arbeitszeit überhaupt; zweitens: dieser gesellschaftliche Charakter seiner Arbeit erscheint als ein seinem Produkt aufgeprägter gesellschaftlicher Charakter, in seinem Geldcharakter und in seiner durch den Preis bestimmten allgemeinen Austauschbarkeit.“ (K III, 689). S. dazu weiter den Punkt „Vergegenständlichung“.
(10) Sie ist nicht qualitätslos im Vergleich mit Stuhl, Sex, Tofu, Liebe oder Fitzlibutzli. Für die ist sie, die nur aus Quantität (als Zeit) besteht, die Qualität „qualitätslose Arbeit“. Dieser Sachverhalt auch bei Adorno: „Aller Quantifizierung bleibt als Substrat des zu Quantifizierenden jenes qualitative Moment erhalten... Keine quantifizierte Einsicht, die nicht ihren Sinn, ihren terminus ad quem erst in der Rückübersetzung in Qualitatives empfinge.“ (ND, 53 f.) Ob es allerdings besonders tröstlich ist, dass diese Qualität als Qualitätslosigkeit unzerstörbar ist, bezweifle ich.
(11) Bspw. von David Ricardo, der nämlich schlägt sich wirklich auf die Seite der „unmittelbaren Substanz“: „Sind Waren nützlich, so leiten sie ihren Tauschwert von zwei Quellen ab: von ihrer Seltenheit und von der Arbeitsmenge, die man zu ihrer Erlangung aufwenden muß.“ (zit. b. Hofmann, 58)
(12) Überhaupt halte ich es nicht für sinnvoll, von einer „preisbildende(n) Instanz“ zu sprechen. Denn der Preis durchläuft Bewegungen, die ihr Gesetz vom Wert erhalten (vgl. GR, 56). Das Problem wird einsichtig, wenn man sich klarmacht, dass die Riesenumsätze von Microsoft wohl kaum aus der Arbeit von ein paar Programmierern fließen. Microsoft bezieht eine Informationsrente (vgl. Lohoff, 31) als Preisbestandteil. Es gibt vielerlei preisbildende Einflüsse (die Marx im dritten Band des „Kapital“ auseinanderlegt).
(13) George Spencer-Brown hat dies in seinem vorlogischen Formenkalkül ausgearbeitet (vgl. Spencer-Brown).
(14) in der Interpretation von Hans-Georg Backhaus: diejenigen Ökonomen, die nur die gesellschaftliche Form des Werts betrachten, also u. a. die gesamte heutige akademische Ökonomik (vgl. Backhaus, 268 f.). Der Vorwurf des Akademismus der ISF an die Adresse der „Krisis“ fällt so pikanterweise auf jene selbst zurück.
(15) So gilt für die kapitalistische Gesellschaft insgesamt, was Franz Schandl für das marxistische Proletariat postuliert: „Je lichter die Reihen werden, desto dichter werden sie geschlossen.“ (Schandl, 13)
(16) Dass der Wert sinnlich nicht zu fassen und doch die Ware Wertding ist, macht Robert Kurz klar: „Zwar sagt Marx, daß die einzelne Ware ‘unfaßbar bleibt als Wertding’ (...). Dies gilt jedoch nur hinsichtlich des Werts als erscheinender sinnlicher Eigenschaft, die in der Tat sich erst in der Tauschrelation ‘darstellen’ kann. ‘Wertding’ jedoch, wenn auch nicht in unmittelbar sinnlich ‘faßbarer’ Weise, muß auch die einzelne Ware bereits sein, weil sonst die Tauschrelation gar nicht möglich wäre.“ (Kurz, 63)
(17) Backhaus überlegt, ob sich an der Bestimmung des Werts als Inbegriff aller Gebrauchswerte anknüpfen ließe. Er bezieht sich vermutlich auf folgende Stelle: „... der als solches verselbständigte Wert ... ist (seinem Begriff nach) der Inbegriff aller Gebrauchswerte ...“ (GR, 181). Ob das allerdings weiterhilft, ist nicht ausgemacht. Wie in jedem Fall, in dem Summendefinitionen gebildet werden (bspw. Suff als Gesamtheit des Alkoholkonsums eines Abends) erklärt auch diese hier eher wenig.
(18) Hans-Georg Backhaus bspw. sieht (in seinem Vortrag auf dem ISF-Kongress „Antideutsche Wertarbeit“) „eine ganze Reihe von offenen Fragen“. Als erste diese hier: „Wie ist Dialektik überhaupt zu begründen?“
(19) Wenn „aufheben“ hier aber (ganz unhegelsch) meinen sollte, der Wertteil dieser Ware würde aus dem gesamtgesellschaftlichen Wert herausgenommen – was hieße das anderes als Wertvernichtung?
(20) „...daß sich die Urteilskraft an der Einheit des Verschiedenen wie am Verschiedenen in der Einheit auszubilden und zu bewähren hätte; daß der Zwang zur Einheit und deren ganze Gewalt aus einem bestimmten Verhältnis des Verschiedenen resultieren, das nur begriffen werden kann, wenn das Verschiedene nicht identifiziert wird.“ (Scheit, 27)
(21) So sehen wir in der Deflation quasi nur das Wetterleuchten. Doch auch Wetterleuchten ist keine Halluzination, nichts rein Gedachtes, das lediglich Handlungen hervortreibt, sondern hat eine reale Ursache außerhalb von Denken und Fühlen.
(22) Diese merkwürdige Marxsche Stelle soll nur als Aufhänger für die Problemstellung dienen. Die widersprüchliche Formulierung verweist (Punkt für Roman!) auf ein Problem in der Sache. Dennoch: Wenn man „worin er realisiert ist“ durch „worin sie realisiert ist“ (die objektivierte Arbeitszeit) ersetzt, wird hier einfach ein krisentheoretischer Sachverhalt beschrieben. Doch will ich mich nicht um das Problem herumdrücken.
(23) Konsequent und auf seine Weise untadelig zieht Christoph Türcke diesen Schluss in seinem neuen Buch „Erregte Gesellschaft“. Da es bei ihm kein Wertgesetz gibt (Türcke, 228), kann es auch keinerlei Bestimmungsgrößen und -formeln einer kapitalistischen Produktion geben. (Wenn er wie Hofmann formuliert hätte, dass „ein ‘Wertgesetz’ als Preisbestimmungsgrund nicht nachgewiesen werden“ [Hofmann, 114] könne, hätte man sich damit anfreunden können, s. Fußnote 12.) Doch wenn Ideologiekritik hohldreht, ist kein Halten mehr. Vom Fetischcharakter der Ware bleibt – das „Unwesen“. Gesellschaftskritik wird so zur chillig-abgeklärten Plauderei an einem Herbstabend, in der alles durcheinandergeht: Walter Benjamin, die Beschreibung des Kapitalismus’ durchs fotografische Prinzip, zuviel Geräusche überall und das weltweit operierende Unternehmen „Greenpeace“, das nach der „Notbremse“ greift. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Roman dieses kulturpessimistische Gegreine für eine zureichende Gesellschaftskritik hält.
(24) „Das Kapital ist der Selbstwiderspruch eines Prozesses, der in Einem sowohl funktioniert als auch gar nicht funktionieren kann.“ (ISF, 48)

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last modified: 28.3.2007