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Leserbrief.


Betrifft: Kultur-Report "Das Ende der Rebellion"/"Bleiben sie dran!"

In den bisherigen Texten wird davon ausgegangen, dass in verschiedenen Bereichen der Jugend- und Musikkultur das Streben nach kultureller Differenz gleichzusetzen wäre mit einer unausgesprochenen Verinnerlichung des "Subversionsmodells Subkultur". Kritisiert wird dabei nicht nur das aktuelle Subkulturkonzept vor dem Hintergrund der Inszenierung scheinbar rebellischer Produkte der Musikindustrie und ihrer Konsumierung; kritisiert wird ebenso das Unvermögen einer bislang unbestimmten Menge von Kultur-Protagonisten, die im historischen Subkulturkonzept verankerten Möglichkeiten zur Entfaltung von gesellschaftskritischen Auseinandersetzungen quasi nicht zeitgemäß weiterentwickelt zu haben. Die Perspektivnahme der Kritik wechselt dabei sprunghaft im Parameterdreieck kritische Theorie, Kulturindustrie und Pop.

Sternenfrucht, 6.7k Während in Lailas & Hannes Artikel anfänglich noch die Kulturteiltexte im CEE IEH kritisiert werden und so was wie eine Hinterfragung der Kulturpolitik im Conne Island durchscheint, wird kurzerhand der konkrete sachliche Rahmen zugunsten des "Großen und Ganzen" zerdeppert und so enden die beiden AutorInnen in einer Lehrstunde über "das Wissen kritischer Theorie über Kultur". Ihr Ansatz schließlich, die "langweilige Jugend" mit "psychologischen Anpassungsvorgängen an eine immer erschlagender werdende rasende kapitalistische Gesellschaft" zu erklären, hat der "Junge mit der Gitarre" in "Dagegen" einfach übersichtlicher dargestellt. Marvin nahm den Faden vom Boden zwei Monate später in "Bleiben sie dran!" wieder auf und beschwört das Potential von "Pop" als Mittlerrolle für den Willen, die Gesellschaft zu verändern. In Richtung Hannes und Laila bemerkt er, dass es "zu verkürzt" sei, "warenförmigen Kunstwerken grundsätzlich abzusprechen, Bedeutung, Differenz und ein vermittelndes Moment in sich zu tragen". Für diese Parteinahme werden sich sicher alle Kunst- und Kulturschaffenden bei Dir bedanken, Marvin...

Unterm Strich blieb nach dem Lesen beider Beiträge der Eindruck, dass Schachspieler über Fallrückzieher im Fußball dozieren unter dem Aspekt, ob dies auch mit eckigen Bällen gelingen würde. Oder anders ausgedrückt: Die Kritiker haben die Kultur nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Wer die Kultur wie Marvin als Mitarbeiter des Islands oder Hannes als DJ bei Antifa-Dissen mitbestimmt, sollte allerdings die große Theoriekeule mal im Rucksack lassen und vor der eigenen realen Haustür kehren. Ich bin mir sicher, dass die in den Texten dargelegten Maßstäbe zur Kulturkritik beim Vergleich mit dem eigenem Handeln einige erhebliche Differenzen hervorbringen. Nix für ungut.
Aber mir geht es nicht um eine Abrechnung mit den Autoren, sondern um eine im Kern interessante Debatte: Wie lässt sich das Verhältnis von Politik und Kultur gestalten? Ist so ein Gestaltungswille immer politisch motiviert? Wie kann aus dem Streben nach kultureller Differenz ein kulturpolitisches Verständnis erwachsen, das sich gegen die Auflösung jeglichen ethischen Verhaltens wendet? Welche Rolle spielt eine strukturelle Kulturförderung, wie dies das Conne Island u.a. seit einem Jahrzehnt immer wieder hinbekommt, bei der Bewusstmachung eines kontextuellen Zusammenhangs lokaler politischer Verhältnisse und individuellem kulturellem Engagement? Gibt es eine Verantwortung von Kulturschaffenden hinsichtlich der Darbietungsform ihrer Veranstaltungen und der Konsumhaltung des Publikums? Etc.

Diese und ähnliche Fragen wurden bereits schon einmal in einer Initiativrunde Leipziger Veranstalter und "Kulturschaffender" diskutiert. Das Projekt "It's Yours!" hat zwar somit relativ praxisnah, aber keineswegs abschließend Problemfelder erörtert, die man ebenso unter der Infragestellung des "Subversionsmodells Subkultur" einordnen könnte. Ich bin sehr dafür, die Debatte anhand von realen/lokalen Zusammenhängen weiterzuführen und den Abstraktionsgrad dabei etwas runterzuschauben. Eine Menge Leute beoachten die Inszenierung der Rebellion und das Recycling jeglicher ehemals für uns relevanter Symbole durch die Industrie mit Besorgnis und dem Willen, vor Ende der Dreißig in der Richtung noch was zu reißen. Der Streit der Berufsjugendlichen und der echten Jugendlichen um die definitive Auseinandersetzungsform mit dem Thema ist eine interessante erste Station. Aber die sollte auch irgendwann mal abgehakt sein.

Booga

PS: Ich bin Mitinitiator des offenen und im Aufbau befindlichen Netzwerks "Leipzig Breaks Organization". Die damit verbundenen Künstler, Musiker, DJs, Grafiker, Veranstalter und MCs lieben breaks-orientierte Musik, also alles zwischen Drum and Bass und Nuskool Breaks. Seit rund zwei Jahren werden einerseits Beiträge zur und über die Musikszene im Internet (www.breaks.org) veröffentlicht. Auf der anderen Seite wurde mit den breaks.org Partys zum ersten Mal im Conne Island eine lokale Szene kontinuierlich und beinahe vollständig repräsentiert. Seit Beginn des letzten Jahres steht das Projekt "It's Yours!" (www.itsyours.info) in den Startlöchern.


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last modified: 28.3.2007