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Jargon der Verblödung


Über das postmoderne Geschwätz am Beispiel einer Diskussion über Israel, Auschwitz und die Linke in der Wochenzeitung Jungle World. Von Sören Pünjer


    „Das richtige Leben ist alles das, was das falsche Leben nicht ist.“
    (Leo Löwenthal)

    „Wahrheit ist objektiv und nicht plausibel.“
    (Theodor W. Adorno)

Die folgenden Zeilen widmen sich mit Abscheu einem zu Papier gebrachten reaktionären Dreck der Autoren Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso unter dem Titel „Schuld und Erinnerung – Die Shoah, der Nahostkonflikt und die Linke“, den veröffentlicht zu haben sich die Redaktion der Wochenzeitung Jungle World in der Ausgabe Nr.47 vom 13.November 2002 schuldig gemacht hat. Dafür hat die Redaktion des Blattes die ganze Härte antideutscher Kritik mehr als verdient. Wenn im folgenden auf den o. e. Text eingegangen wird, dann nicht deshalb, weil man ihn von antideutscher Seite zu widerlegen oder zu kritisieren hätte, sondern weil anhand dessen verdeutlicht werden muß, welch antiemanzipatorisches Verbrechen die Redaktion der Jungle World begangen hat, das nicht zuletzt ein notwendiges Ergebnis postmoderner Verblödung ist.

Prolog

Daß man sich als antideutscher Kommunist mit ausgemachtem linksideologischen Dreck befassen muß, stellt einen immer wieder von neuem vor die Frage, vor der kommunistische Kritik seit der Marxschen Kritik der ersten linken Marxisten steht: ob nämlich jene Kritik und linke Gesinnung im Grundsatz überhaupt miteinander zu vereinbaren sind. Das heißt, ob die linke Ideologie nicht schon immer eher Teil des kapitalistischen Problems denn Teil der emanzipatorischen Lösung eines Programmes der Abschaffungen ist.
Die Leidenschaft des Kopfes korrespondiert bei jenen aufs Vortrefflichste mit dem Handwerk des Geschwätzes und der Laberei, die die „Kritik im Handgemenge“ (Marx) scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Als Schönwetter-Kopfarbeiter wählen diese im Zweifel die Kritik des geringsten Widerstandes. So vermeidet man bewußt, sich an der nicht gerade schöngeistigen beschissenen Wirklichkeit die Fingerchen schmutzig zu machen – natürlich nicht als Selbstzweck, sondern nur der reinen Kritik wegen. Es sind die linken Differenzierer dieser Welt, die vor angeblich undurchdringlicher Kompliziertheit des Ganzen die richtige Kritik vor lauter Kritikwürdigem nicht mehr erkennen wollen: sie könnten das merken, doch sie wollen es gar nicht. Der Wille zum Differenzieren überlagert jeden kritischen Gedanken bis zu seiner pervertierten Unkenntlichkeit. So kann diese Spezies von Pseudo-Kritikern nicht ein Wort über Adorno oder Marx verlieren, ohne im selben Atemzug zugleich den wirklich kritischen Gehalt als Kopf der Leidenschaftlichkeit mit dem ausdifferenzierten Geplapper über dies und das auszuspeien. Was übrig bleibt, ist ausgezehrte und zahnlose Theorie. So redet man über kritische Theoretiker nicht wegen deren impliziter subjektiver Leidenschaftlichkeit, sondern trotz derselben. Und wenn man dann zu allem Überdruß noch zu den Oberschlausten sich zählen will, dann wirft man der Marxschen Kritik und der Kritischen Theorie vor, daß die kritischen Theoretiker ihre Leidenschaftlichkeit ja gar nicht begründen könnten und damit illegitimerweise behaupten würden, überhaupt kritisch zu sein.
Man liegt auf der Lauer, um die beanspruchte Reinheit der Kritik noch reiner machen zu können. Dazu verhunzt man sie zum Geschwätz als Geschmacksausdruck – zum milieutheoretischen distinktiven Bescheidwissertum.
Es handelt sich zumeist um Leute, von denen man noch nie etwas über den Charakter der ekelerregenden zweiten Intifada der Palästinenser oder über den des Irak hat hören oder lesen können. Denn in aller Regel bricht deren Laber-Rhabarber an diesen Stellen nicht nur ab, sondern vor allem ein.
Bevor man in die Verlegenheit kommt, Wahrheit für sich zu beanspruchen, verzichtet man lieber aus freien Stücken zugunsten der unsäglichen differance (Derrida) auf sie. Einmal abgesehen von der Tatsache, daß der Wille zum Wahrheitsverzicht objektiv die Wahrheit über den Verzichtenden ist, verrät sich daran das Geheimnis sämtlicher Diskurs-, System- oder Milieutheorie. Daß Wahrheit kein ausgeschlossenes Drittes sein kann, sondern nur eine auf den Begriff gebrachte Sache; es also weder eine über den Dingen schwebende oder an sich selbst existierende Wahrheit gibt, noch eine, die nicht immer schon Abstraktion von etwas darstellt, begreifen nur die nicht, die vor lauter Plotstrukturen und Sprecherpositionen ganz bewußt die Übersicht verlieren wollen. Denn umso lauter läßt sich tönen, wie kompliziert doch diese eine Welt sei. Eine kritische Subjekttheorie, die das natürliche Individuum Mensch – das vernunftbegabte Tier – zum Dreh- und Angelpunkt, zum Maß aller Dinge macht, löst sich in der Welt der Diskurse nicht nur auf, sie wird gar als lästig und störend empfunden. Und so faselt man über konkretes menschliches Leiden nicht etwa der Leidensmilderung, sondern nur der Ausdifferenzierung des eigenen Gequatsches wegen.
Umso schwarz-weißer die Wirklichkeit ist, umso bunter muß man sie ideologisch übertünchen. Das ist das ganze Programm der postmodernen Verblödung – egal ob man es nun je nach Geschmacksrichtung „Vielheiten“ (Deleuze/Guattari), „Archäologie“ (Foucault), „Patchwork“ (Lyotard), „Grammatologie“ bzw. „Dekonstruktion“ (Derrida), „Multitude“ (Negri/Hardt) nennt oder gar meint, das Unbewußte wäre nichts als Sprache (Lacan). So wird alles zum Ergebnis von subjektiver Erzählung und persönlicher Verfehlung gemacht.
Laberhälse diskutieren nicht, sondern halten Schwätzchen über dies und das. Und rumlabern um des Laberns willen ist auch das konzeptionelle Rezept der Wochenzeitung Jungle World. So gedenkt man, sich über die Zeit retten zu können. Aus der Daseinsform als Laberblatt von und für vorwiegend Analphabeten und Hilfsschüler kommt man immer wieder selbstbestätigend zu dem Ergebnis, noch mehr Rumlaberer und Bauernschlaue aufbieten zu müssen. So zog man auch aus der Katastrophe des mehr als stinklangweiligen Jungle World-Kongresses anfang September 2002 anläßlich des Jahrestages der islamistischen Massaker am 11. September den unglaublichen Schluß, erstens nach dem Motto ‘Schwamm drüber' kein öffentliches Wort über den unsäglichen Kongreß zu verlieren und zweitens noch oller und doller den Weg des Palaverns um des Palaverns willen zu beschreiten. Wohin das führt, kann man in der Ausgabe Nr. 47 vom 13. November 2002 als gleichzeitige Krönung des Ganzen und Qualitätssprung im negativen Sinn anhand des Textes „Schuld und Erinnerung – Die Shoah, der Nahostkonflikt und die Linke“ von Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso (HMT) bewundern.

I.

Wenn von Leuten wie HMT immer wieder der Vorwurf einer Instrumentalisierung zu eigenen Zwecken an die Adresse insbesondere der antideutschen Israel-Solidarität erhoben wird, dann drückt dieser Vorwurf nichts anderes als den Jargon der Eigentlichkeit deutscher Ideologie aus. Denn daß man eine Sache für sich benutzt, in dem man sie nicht an sich, sondern nur in Relation von Sache und Begriff erfaßt, ist eine Binsenweisheit; daß man also als Subjekt sich zum Objekt (der Sache) objektiv nur dergestalt verhalten kann, in dem man sich erstens auf den Gegenstand einläßt und zweitens ihn begrifflich faßt, bedeutet nichts anderes, als daß Instrumentalisierung keine subjektive, sondern eine objektive Angelegenheit ist, die weder die Selbstverleugnung noch die Verdrängung der eigenen Identität möglich macht. Weil aber all jene vom Schlage HMT, die von einer kritischen Subjekt- und Erkenntnistheorie nichts wissen wollen, diesen Umstand nicht begreifen können, wedeln diese mit dem Vorwurf der Instrumentalisierung einer Sache herum wie kleine Hündchen vor Aufregung mit dem Schwanz.
Die Wahrheit über das Wochenblatt Jungle World ist eine bittere: Weil sich die Redaktion der nur allzugern gewollten Entgegnung auf antideutsche Positionen wie denen von der Redaktion Bahamas und der Initiative Sozialistisches Forum nicht gewachsen sieht, macht man auf Billigdistinktion, auf Second Hand-Kritik, die auf das Mittel des Kolportageessays setzt. Auf dieser Ebene betrachtet ermöglichte sich gar ein psychologisierender Zugang zu den konstitutiven redaktionellen Gründen, die zur Veröffentlichung des ekelhaften Textes von HMT führten.
Besagter Text nun offenbart schon in seiner formalen Diktion die Wut der Autoren darüber, gegenüber der antideutschen Israel-Solidarität nicht die richtigen Argumente auf ihrer Seite zu haben. Er stellt so nichts anderes als einen kläglichen Versuch des Gegenhaltens dar, der mangels Argumente schlicht und ergreifend reaktionär ist und diesen Gehalt durch aufgesetzte Sachlichkeit und Begriffsschaum stümperhaft zu übertünchen versucht. So stochert das Autorentrio HMT offenherzig im Nebel des islamistischen Grauens herum, wo man doch verdammt noch mal wissen muß, daß dieser Nebel nichts anderes als der Vorbote der Barbarei ist.
Schon in den ersten Zeilen des Textes(1) machen die Autoren deutlich, daß sie ein konsequentes Denken nach Auschwitz für eine Bürde halten, die verhindere, daß man die Eigentlichkeit eines Konfliktes überhaupt fassen könne. Sie schreiben: „In der bundesrepublikanischen Linken ist der Nahostkonflikt nur vordergründig von Interesse. Der Hintergrund, der diesem Thema seine Brisanz verleiht, ist die nationalsozialistische Judenvernichtung. Die Erinnerung an die Shoah und nicht die Analyse des Nahostkonfliktes prägt die Positionen.“ Geschenkt, könnte man auf den ersten Blick meinen, stimmt. Doch entpuppt sich das Gerede über die „Brisanz“ des Themas bei genauerer Betrachtung als die Frechheit, die „Erinnerung an die Shoah“ und „die Analyse des Nahostkonfliktes“ überhaupt voneinander zu trennen und einander gegenüberzustellen. Dieser strukturalistische Mist beansprucht gar nicht erst, das unmöglich zu trennende Verhältnis von „Shoah“ und „Nahostkonflikt“ klären zu wollen, sondern intendiert von vornherein die Notwendigkeit, beides getrennt betrachten zu müssen. Das ist nicht nur ein grober Fehler, sondern ein offenes Ressentiment gegen ein Denken nach Auschwitz. Denn genau dieses Denken, so impliziert man, sei als ein linkes Laster zu begreifen, das die analytische Fähigkeit nicht etwa schärfen würde, sondern unscharf mache. Darüberhinaus ist das Aufgeben des Anspruches, nach Auschwitz zu denken, nichts anderes als die Forderung der palästinensischen Propaganda, der man damit offen zuarbeitet.
Nur konsequent ist es seitens der Autoren HMT, daß man diejeingen, die sich dem Kategorischen Imperativ nach Auschwitz verpflichtet fühlen, als „philozionistische VerteidigerInnen“ beschimpft. Kann man doch darauf bauen, daß jeder Leser die Nähe zum Philosemitismus assoziiert und damit diejenigen diskrediert sind, die den Zionismus als die einzig historisch legitime Antwort auf den modernen Antisemitismus verteidigen, ohne es explizit aussprechen zu müssen. Denn jeder linke Depp in Nah und Fern weiß ja inzwischen, daß alles, was mit 'Philo' anfängt, nur die Umstülpung von dem ist, was mit 'Anti' beginnt.
„Es ist falsch, den Kampf gegen den Antisemitismus mit einer blinden Solidarität mit Israel zu verwechseln.“ Schreibt unser Trio als Rächer der Gerechten und wähnt sich mittels einer solchen Phrase auf der Sonnenseite. Doch sie fordern nicht etwa statt einer „blinden“ eine sehende Solidarität – was immer das dann auch sein soll – , sondern lieber gar keine. Natürlich nicht einfach so, sondern deshalb, weil sie ja den Antisemitismus bekämpfen wollen. Und was man nicht schreibt, sich jeder von Möllemann bis zum Karnevalsverein Antifaschistische Aktion Berlin aber denken darf, läßt sich so auf den Punkt bringen: Zuviel Israel-Solidarität befördert den Antisemitismus – den man ja nun aber bekämpfen wolle. Denn „tatsächlich preßt sie (die Israel-Solidarität) komplizierte Zusammenhänge in ein primitives Denkmodell.“ Und primitiv, damit will unser Trio ohne Fäuste nichts zu tun haben. Deshalb lautet sein Lebens-Motto: Warum einfach, wenns auch kompliziert geht – was dann zu so dämlichen Sätzen wie diesem führt: „Die Schwierigkeit besteht darin, daß der Nahostkonflikt weder unabhängig von der Shoah noch allein aufgrund der Shoah beurteilt werden kann.“
Da capo, da capo, was für ein analytischer Hammer aber auch! Wenn der Stammtisch sagt, daß man an der Nase des Mannes seinen Johannes erkennt, dann gilt im übertragenen Sinne selbiges für unser Autorentrio: An der Schreibe der Autoren erkennt man, was ist unausgegoren.
Selbstverständlich weiß man die Schaumkronen seiner Begriffshülsenschöpfung zu legitimieren. Und das geht so: „(...) Komplexität kann man nur mit einer differenzierten Position gerecht werden. In der Linken sind aber einfache Denkmodelle populär.“ Der Oberlehrer ist der Akademiker. Was man zwar schon immer wußte, überrascht dann, wenn man drüber stolpert, immer wieder aufs Neue: Gerade diejenigen, die ansonsten alles nicht in schwirbelige Höhen noch und nöcher schrauben wollen, wenn es um das abstrakte Gequatsche im akademischen Vakuum geht, erdreisten sich, anderen ihren Leidenschaftlichkeit als „einfache Denkmodelle“ vorwerfen zu müssen. Die Rede von einer fehlenden „differenzierten Position“ ist nichts anderes als die Chiffre für eine verinnerlichte Aversion gegen jegliche radikale Kritik der Verhältnisse.
Daß man beim Labern über Gott und die Welt am Ende gar nicht mehr durchsehen kann, versteht sich fast schon von selbst. Daß man aber bei aller Quatscherei nicht mal begreifen will, was es mit einer Kategorie wie der der Projektion im Verhältnis von Subjekt und Objekt als eine objektive Gedankenform entzauberten neuzeitlichen Denkens auf sich hat, ist schon tragikomisch. Deshalb hier kurz und knapp: 1. Denken ist immer abstrahieren von einer Sache. Das heißt, jeder Begriff ist nicht konkret, sondern ein Abzug von etwas. 2. Jedes Denken heißt identifizieren. Ein Denken ohne es gibt es nicht. 3. Jede Begriffsbildung unterliegt der Subsumptionslogik des eigenen Denkens. Deshalb ist jedes Denken zugleich Projektion des Gedachten auf das zu Denkende. 4. Solange Denken in der Relation von Subjekt und Objekt vorsichgeht, heben sich Punkt 1 bis 3 weder auf noch lassen sie sich abschaffen. 5. Nachzulesen sind diese Grundfiguren kritischen Denkens in komprimierter Form variationsreich in der „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer/Adorno und in der „Negativen Dialektik“.
Liest man unter derlei kritischen Vorzeichen einen Satz wie den folgenden, dann offenbart dieser, wie wenig man doch von Kritischer Theorie bisher überhaupt verstanden hat: „Gemeinsam ist allen (linksdeutschen) ProtagonistInnen (bezüglich des „Nahostkonfliktes“), daß der reale politische Konflikt dabei nur eine Projektionsfläche bleibt. (...) Unsere Kritik richtet sich vor allem gegen die linken Positionen, die eine bedingungslose Solidarität mit Israel und generell der Judenheit einfordern. Denn auch sie benutzen den Nahostkonflikt nur als Projektionsfläche.“ Wenn man nicht weiß, daß ohne Projektion menschliche Erkenntnis unmöglich ist, daß also dort, wo projiziert werden muß, auch eine „Projektionsfläche“ zu existieren hat, dann sollte man solange die Schnauze zum Thema halten, bis man es besser weiß. Daß unser Schlaubergertrio HMT das Maul aber aufreißt, verweist zugleich darauf, wie wenig man wohl vom normalen reflexiven Erkenntnisprozeß des notwendigen Projizierens und der reflexionslosen pathischen Projektion als einem Hauptelement des Antisemitismus verstanden hat. Und das wirft zugleich ein erhellendes Licht darauf, welchen irrsinnigen Begriff man sich von den Konstitutionsbedingungen für das palästinensische Kollektiv macht. Für die scheinbar dringend gebotene Nachhilfe in Sachen Kritischer Theorie sollte man ihnen die zwangsweise Verinnerlichung der folgenden Zeilen aus der „Dialektik der Aufklärung“ verordnen: „In gewissem Sinne ist alles Wahrnehmen Projizieren. Die Projektion der Sinne ist ein Vermächtnis der tierischen Vorzeit, ein Mechanismus für die Zwecke von Schutz und Fraß, verlängertes Organ der Kampfbereitschaft, mit der die höheren Tierarten, lustvoll und unlustvoll, auf Bewegung reagierten, unabhängig von der Absicht des Objekts. Projektion ist im Menschen automatisiert wie andere Angriffs- und Schutzleistungen, die Reflexe wurden.“
„Ein (...) 'Denken nach Auschwitz'“, so wissen unsere drei Schlaumeier Holz, Müller, Traverso, „ist vielleicht eine gut gemeinte, aber fatale Instrumentalisierung nach Auschwitz.“ Halten wir fest. Unser Trio meint allen Ernstes, nur ein Ignorieren der Shoah – also eine Art Nicht-Denken von Auschwitz – verhindere die „Instrumentalisierung“. Nun, das haben Leute, die man als Revisionisten bezeichnet, schon weniger blumig und konsequent auf den Punkt gebracht. Natürlich geht es unseren drei Freunden nicht um die Leugnung des Holocausts – ganz und gar nicht. Sie wollen nur mal auf etwas hingewiesen haben, was der eigentliche Zweck eines konsequenten Denkens nach Auschwitz ist: „Es befriedigt das Bedürfnis nach umfassender Orientierung, nach Einfachheit und Identität.“ Daß es vielleicht ja umgekehrt sein könnte, daß nämlich, wer davon redet, etwas sei viel komplizierter, es sich zu einfach macht, kommt unserem Trio nicht in den Sinn. Denn wer eine Sache von vornherein für kompliziert hält, braucht auch keinen Gedanken an sein eigenes Tun und Handeln zu verschwenden. Weil an der Verkomplizierung einer Sache nichts hängt außer deren Verkomplizierung, spricht man sich im Zweifelsfall immer vom konkreten Gegenstand frei und legitimiert so die eigene Drückebergerei. „Auschwitz taugt nicht als simplifizierende Welterklärungsformel“, teilen uns die Autoren mit erhobenem Zeigefinger mit und meinen so, daß es nur zur Verkomplizierung der Welterklärung „taugt“, aus der man dann frisch und frei den einfachen Schluß ziehen kann, daß sowieso alles nichts nützt, um die Welt grundlegend zu ändern. Eine Kritik der verschränkten Arme, die uns hier von HMT feil geboten wird, ist keine. Sie ist, gelinde ausgedrückt, Klugscheißerei. So auch meinen sie es, wenn sie davon schreiben, daß die Shoah „ein Stachel (sei), der ein kritisches und aufklärerisches Denken nicht zur Ruhe kommen läßt.“ Denn genau das nervt sie. Sie wollen „zur Ruhe kommen“, um der unbefleckten reinen Kritik der Verkomplizierung frönen zu können. Es ist an dieser Stelle bitter aber war: schwarz auf weiß steht hier nichts anderes als die verklausulierte Variante der Walserschen Rede von der „Dauerpräsentation unserer Schande“. Auschwitz nervt. Es verhindert den klaren Gedanken. Eine Erinnerung an es wird als eine Art Moralkeule empfunden, die immer wieder das reine kritische Denken beeinträchtigen würde.
Die narzisstische Kränkung des deutschen Schriftstellers entpuppt sich hier als dieselbe des reinen Kritikers. Weil man eben wegen Auschwitz eine Sache nicht um ihrer selbst willen machen kann, wie es die deutsche Ideologie seit Richard Wagner gebietet, fühlt man sich belästigt. Idiosynkratisch nennt sich das und ist zugleich das Herzstück des sekundären Antisemitismus nach Auschwitz: „Vor allem wird alles, was in irgendeiner Weise mit Juden zu tun hat, positiv bewertet, während umgekehrt alles, was sich in irgendeiner Weise gegen Juden richtet, allein nach der Shoah beurteilt wird.“ Der deutsche Stammtisch formuliert so etwas nicht besser. 'Man wird ja wohl noch was gegen Juden sagen dürfen', ist genau jene Form der Überempfindlichkeit einer halluzinierten Kränkung, die sich hier Ausdruck verleiht.
Das eigene aufgerichtete Ich-Ideal verkörpert den gekränkten Narziß. Hier wird der wohl ungewollte Schulterschluß nicht nur mit Walser, sondern mit Möllemann überdeutlich. Darüberhinaus aber offenbaren HMT zugleich, daß sie absolut unfähig sind, sich auch nur im entferntesten vorstellen zu können, daß einem von Antisemitismus betroffenen Juden objektiv die Möglichkeit eines falschen Handelns schon deshalb verbaut sein könnte, weil jede Form seiner Selbsterhaltung zwar nicht automatisch die Gestalt des Richtigen annehmen muß, so doch aber das Falsche mehr als unwahrscheinlich macht. Werden nun Leute wie HMT mit einer solchen Denkfigur konfrontiert, dann folgt daraus mit Sicherheit reflexartig der Vorwurf des sogenannten Philosemitismus. Nur ist genau das der Punkt, wo sie sich ersparen können, sich der Wirklichkeit und der damit verbundenen notwendigen objektiven Gedankenformen stellen zu müssen.
Man solle doch im übrigen nicht immer mit dem Antisemitismusvorwurf herumwedeln, schlagen HMT vor. Denn dann würde man auch mal klar den eigentlichen Charakter des „Nahostkonfliktes“ erfassen können: So müsse man doch mal sehen, daß „zum Beispiel die zweite Intifada nicht mit den Verhältnissen im Nahen Osten erklärt (würde), sondern mit dem 'Antisemitismus' der PalästinenserInnen im Besonderen und der arabischen Welt im Allgemeinen“. Es sei an dieser Stelle der Hinweis gestattet, daß HMT das alles ernst meinen. Das sei nur erwähnt, falls der geneigte Leser dieser Zeilen einen Satiretext á la Titanic dahinter vermutet. Nein, es ist alles, Wort für Wort, ihr purer Ernst. Wenn man also mal alles abzüglich des Antisemitismus mit gebotener Nüchternheit betrachten würde, schlägt uns das Trio des Wahnsinns vor, dann müsse man auch nicht alles so heiß essen, wie es mit dem Vorwurf des Antisemitismus immer hochgekocht würde. Es sei nichts weiter als eine „Sucht nach einfachen Erklärungen“, die man hier konstatieren müsse. Halten wir also fest: „einfache Erklärungen“ lassen sich nur vermeiden, wenn man die Dinge ohne generelle Berücksichtigung des Antisemitismus betrachtet. Noch Fragen? Nein? Dann weiter im Text: „Um das einfache, binäre 'gut/böse'-Schema nicht durcheinander zu bringen, wird Israel nur als Folge der Shoah begriffen, womit die Politik der gegenwärtigen israelischen Regierung der Kritik entzogen wird.“ Was man an der israelischen Staatspolitik kritisieren will, ohne auf den Antisemitismus auch nur einen Moment zu rekurrieren, wird das Geheimnis des Autorentrios bleiben müssen. Zumindest aber verdeutlichen HMT so, daß ihre Kritik am Staat Israel nichts anderes sein kann als ressentimengeladenes infantiles Geschwätz, das nicht über ideologische und naive traditionell linke Kategorien wie Gerechtigkeit oder Unterdrückung hinauskommen will und damit also genau das erfüllt, was ihnen ja angeblich so auf den Zeiger geht: „das einfache, binäre 'gut/böse'-Schema“. Es bleibt festzuhalten, daß es HMT gar nicht darum geht, was die israelische Politik wirklich tut, sondern darum, was sie nach allgemeiner ideologischer Dichotomie von Unterdrückern und Unterdrückten zu sein hat.
Es klingt im übrigen immer gut, wenn man davon schwafelt, etwas würde oder wäre „konstruiert“. Deshalb sei hier unserem Trio stellvertretend kundgetan, daß das Gegenstück zur Konstruktion, also zur Künstlichkeit, das Natürliche ist. Wenn man also wie folgt mit dem Vorwurf des Konstruierens an die Adresse der Israel-Solidarität herumfuchtelt, dann ist das nichts weiter als ein doppelter Blödsinn: „Auf der anderen Seite konstruiert man sich die Palästinenser, die Araber und die Muslime, erklärt sie samt und sonders zu Antisemiten und ignoriert damit alle anderen Gründe des Nahostkonfliktes.“ Zum ersten ist mit aller Klarheit festzuhalten, daß bisher nicht bekannt wurde, daß der Blut- und Boden Mythos der Palästinenser ein Produkt – Entschuldigung: Konstrukt der Israel-Solidarität ist. Ebensowenig wie das wohl im Falle des arabischen Umma-Gedankens und des Islam zutrifft. Das heißt also, die Behauptung, man würde sich „die Palästinenser, die Araber und die Muslime“ konstruieren, ist ausgemachter Schwachsinn. Zum zweiten dürfte mittlerweile deutlich sein, daß unser Trio nicht nur nicht über die konstitutive Bedeutung des Antisemitismus reden will, sondern schlichtweg dafür plädiert, ihn zu ignorieren. Und zum Dritten ist die Behauptung, man würde „alle anderen Gründe des Nahostkonfliktes“ ignorieren, eine glatte und dreiste Lüge – das heißt also, eine Unterstellung wider besseren Wissens. Gerade nämlich weil man sich mit „allen anderen Gründen des Nahostkonfliktes“ befaßt, ist beispielsweise die Redaktion Bahamas zum dem Schluß gekommen, daß der Antisemitismus hinsichtlich der kollektiven Formierung zentral und damit konstitutiv ist.
Entsprechend ihres typisch linken Denkens formuliert unser Autorentrio durchaus folgerichtig: „Die Solidarität mit PalästinenserInnen gegen die Militärdiktatur in den von Israel besetzten Gebieten und mit dem Protest der Israelis palästinensischer Herkunft gegen ihre Diskriminierung sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit des linken Internationalismus darstellen.“
Und damit haben sie tatsächlich recht. Nur ist das gerade kein Grund, sich darauf zu beziehen, sondern den „linken Internationalismus“ gänzlich zu kritisieren und abzulehnen. Dieser nämlich ist nie über das additive Affirmieren des Nationalismus als einem ideologischen Gerechtigkeitsempfinden hinausgekommen. Insofern ist der Internationalismus nichts anderes als das unverblümte Ressentiment gegen den Kosmopolitismus und Universalismus. Denn seine Grundlage ist und bleibt das nationalistische Ticket einer sogenannten Selbstbestimmung der Völker und das damit verbundene Abfeiern von Nationalkulturen, die als Gegenkulturen zum amerikanischen Kulturimperialismus beschworen werden. Daß unser Trio allen Ernstes mit der Kategorie des Internationalismus hausieren geht, ist mehr als entlarvend. Es drückt eine Besinnungslosigkeit aus, die tatsächlich „eine Selbstverständlichkeit des linken Internationalismus“ darstellt. Denn mit der Kategorie des Internationalismus bringt man sich zum Beispiel von Vornherein um die Möglichkeit, das wirkliche Verhältnis von Ursache und Wirkung hinsichtlich der 2. Intifada zu erfassen. In den Blick gerät so niemals, daß der palästinensische Hass auf Israel paradoxerweise immer dann systematisch zunahm, wenn es den Palätinensern materiell verhältnismäßig gut ging. Das gilt insbesondere für die Lebensbedingungen vor der Einräumung des Autonomiestatus 1994 und den Verhältnissen unmittelbar vor dem Beginn der 2. Intifada. In seinem Essay „Ich klage an“ beschrieb diese dem common sense gemeinhin zuwiderlaufende paradoxe Situation der holländische Autor Leon de Winter: „Bevor die heutige Intifada ausbrach, waren die sozioökonomischen Bedingungen eines Durchschnittspalästinensers in den besetzten Gebieten besser als die eines Durchschnittsbürgers in Ägypten oder Jordanien. 1998, als noch Hoffnung auf Frieden bestand, betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 1.560 Dollar. In Ägypten waren es 1.290, in Jordanien 1.150 Dollar. Der Durchschnittspalästinenser war relativ frei – beschränkt durch israelische Militärzensur –, seine politische Meinung zu äußern und Parteien und Zusammenkünfte zu organisieren, Freiheiten, die in den arabischen Nachbarstaaten kaum oder nicht zu finden sind. Sozioökonomisch ging es dem Palästinenser unter israelischer Besatzung also besser als einem syrischen Bürger unter der Diktatur. (...) Vor den Osloer Verträgen 1993 betrug das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Westjordanland 3.500 und in Gaza 2.800 Dollar, ein Vielfaches des Bruttoinlandprodukts in den umliegenden ölarmen Ländern. Nach der Rückkehr von Arafat 1994 und der Übergabe der Verwaltung an die palästinensischen Behörden ging das Bruttoinlandsprodukt stark zurück, durch Chaos und Korruption und die israelische Absperrung der Gebiete nach terroristischen Anschlägen. Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand: Die Besetzung führte zu einer, nach arabischen Begriffen, ökonomischen Blüte, die, hätte sie in Ägypten stattgefunden, große weltweite Befriedigung hervorgerufen (...).“ (in: Die Zeit v. 23.05.2002)
„Selbstredend“, so meint unser Internationalistentrio HMT, sei hinsichtlich einer Solidarität mit den Palästinensern „eine deutliche Kritik aller antisemitischen, völkisch-nationalistischen bzw. islamistischen Töne diverser palästinensischer Strömungen“ angesagt. Stellt man sich nun so blöd wie es HMT hier tun, dann wirft das die Frage auf, was denn von einer Solidarität mit den Palästinensern noch übrig bleiben soll, wenn man die „diversen palästinensischen Strömungen“ abzieht. Unterm Strich läßt sich dagegen klipp und klar feststellen: „Eine deutliche Kritik aller antisemitischen, völkischen-nationalistischen bzw. islamistischen Töne diverser palästinesischer Strömungen“ läßt eine Solidarität mit der palästinensischen Sache grundsätzlich nicht zu. Denn das palästinensische Projekt ist sozusagen schon von Haus aus „völkisch-nationalistisch“. Nicht zufällig also können HMT in ihrem Text keine palästinensische Gruppierung oder ähnliches benennen, auf die sich ihre Solidarität konkret beziehen würde. Stattdessen stammelt man wie folgt: „Vernünftigen Linken sollte es leicht fallen, zwischen Internationalismus und kritikloser Unterstützung des palästinensischen Befreiungsnationalismus zu unterscheiden und den Antisemitismus im Antizionismus kenntlich zu machen.“ Dazu ist festzustellen: Erstens kann der Internationalismus nie etwas anderes sein als „kritiklose Unterstützung“ jedweden Befreiungsnationalismus. Zweitens hätte sich eine „vernünftige Linke“, sollte es sie denn tatsächlich geben, insbesondere daran zu bewähren, daß ihre Befähigung zum vernünftigen Denken ihr einzig und allein gebietet, eine Solidarität mit den Palästinensern tunlichst zu unterlassen. Und drittens gibt es außerhalb Israels keinen Antizionismus ohne antisemitische Implikationen bzw. antisemitischer Virulenz. Demzufolge also ist die Rede von einem nicht-antisemitischen Antizionismus Quark mit Soße.
Eine antideutsche Israel-Solidarität, so weiß unser Trio, „kennt (hinsichtlich Israel) keine Unterschiede mehr, nicht einmal zwischen der Regierung und den Regierten, zwischen Klassen, zwischen Frauen und Männern, zwischen EinwanderInnen aus den GUS-Staaten und sephardischen Juden.“ Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, daß es vielleicht ja nicht die antideutsche Israel-Solidarität ist, die „keine Unterschiede mehr“ kennt, sondern der antisemitische Wahn, meinen HMT den Spieß einfach umdrehen zu können: nicht also der Antisemit halluziniert sich demnach Indifferenz, sondern die Kritik am Antisemitismus als einer indifferenten pathischen Wahnvorstellung stilisieren die Autoren zum Hauptproblem. Darüberhinaus kommt Leuten vom Schlage HMT scheinbar gar nicht in den Sinn, daß insbesondere die Kritik an der israelischen Linken seitens der Antideutschen den Vorwurf der Unterschiedslosigkeit schlicht und ergreifend hinfällig macht.
Gerade die israelischen Linken der Friedensbewegung sind es, die sich im Falle Israel bedenkenlos gegen den jüdischen Staat aussprechen. Ausgerechnet für diese israelische Linke, die den Staat Israel nur allzugern ihres jüdischen Charakters beraubt sehen will und damit die alles entscheidende Schutzfunktion für die Juden dieser Welt preiszugeben bereit ist, macht sich unser Trio stark. Und so bedauert man zutiefst, daß jene „VertreterInnen von Positionen, die sich gegen ethnisch und/oder religiös homogene Staaten richten (...) wenig Gehör in der linken Debatte“ fänden.
Weil man zum einen von der Notwendigkeit des jüdischen Charakters des Staates Israels nichts begriffen hat und zum anderen nicht nach Inhalten zu schauen bereit ist, sondern nur nach Etiketten, legen HMT nicht etwa das Primat darauf, was einer sagt und tut, sondern darauf, was man vorgibt zu sein. Weil die antideutsche Israel-Solidarität sich im Gegensatz dazu nicht in erster Linie für die formale Zugehörigkeit interessiert, sondern dafür, was man sagt, denkt und wie man gedenkt zu handeln, raunzt man die Antideutschen an: „Hauptsache, man weiß, welche Flagge hochzuhalten ist.“ Daß es genau umgedreht ist, HMT nämlich bereit sind, noch den größten Bockmist hinzunehmen, solange er unter linker Beflaggung daherkommt, übersteigt nicht zufällig das Denkvermögen der drei Autoren. Weil man sich darüberhinaus weniger für das Sachliche und Inhaltliche interessiert, sieht man vor lauter Flaggen nur noch bunt. Wer aber nur noch bunt sieht, sieht erstens nicht mehr durch und zweitens in allem anderen Denken nur Schwarz-Weiß-Malerei.
Skandalisierend stellen unsere drei Aushilfshelden fest, daß „die Zeitschrift konkret (...) früher entschieden die PLO“ unterstützt hätte und heute nun „in den Reihen der überzeugtesten Verteidiger der israelischen Position zu finden“ sei. Als wäre dies ein Einwand für oder gegen irgendwas, verdeutlicht doch die Empörung darüber, daß sich die drei Autoren nicht einmal auf dem Niveau von Stammtischdialektikern zu bewegen vermögen. Diese nämlich wissen im Gegensatz zu HMT eines ganz genau: Daß nämlich – c’est al vie – die größten Kritiker der Elche in den meisten Fällen früher selber welche waren.
Wenn die Linke traditionell jahrzehntelang eine Stärke besaß, dann war es die generelle Fähigkeit zur scharfen Kritik. Doch gerade diese bewahrenswerte Fähigkeit will das Autorentrio der Linken abspenstig machen: „Das über Jahrzehnte geplegte binäre Denken in der Linken hat nicht unwesentlich zu ihrer theoretischen und praktischen Schwächung beigetragen und setzt sich bruchlos im Nahostkonflikt fort, nur daß man die Seiten gewechselt hat.“ Anders als HMT behaupten, war das „binäre Denken“ nicht die Schwäche, sondern gerade die Stärke der Linken. Denn es stand für die Fähigkeit zur scharfen Kritik. Daß ausgerechnet diese Stärke der Linken den Autoren ein Graus ist, verweist erneut drauf, wie wenig sie verstehen. Denn nicht die radikale Kritik, sondern das unsäglich postmoderne Differenzgeschwätz hat zur Regression linken kritischen Bewußtseins entscheidend beigetragen. „Solche undifferenzierten binären Positionierungen werfen all das über Bord, was aufgeklärtes Denken ausmacht“, stellt man im besten Pomo-Sprech fest. Und beweist damit nur, daß man auch von Aufklärung keine Ahnung hat. Denn gerade nicht das differenzierte Rumgeseiere, sondern die Fähigkeit zur klaren Abstraktion, zur Rationalität ist das Beste, „was aufgeklärtes Denken ausmacht“. Wer allerdings hier wie „binär“ denkt, verdeutlicht sich nur wenige Zeilen später im Text: „Es entbehrt nicht einer gewissen Absurdität und einer latenten Allmachtsphantasie, daß gerade deutsche radikale Linke sich als SprecherInnen der Regierung Sharon in Deutschland sehen und sich damit völlig über die Kritiken und Einschätzungen israelischer Linker und Gruppen wie Bat Shalom und Gush Shalom hinwegsetzen.“ Tatsächlich folgt hier ein Eigentor nach dem anderen. War man sich nur ganze zwei Zeilen vorher sicher, wie sehr man doch gegen „binäres“ Denken sein will, kann man sich fast im selben Atemzug nicht fest genug im Rechts-Links-Schema verkeilen. Man soll sich also nicht „über die Kritiken und Einschätzungen israelischer Linker“ hinwegsetzen, weil die nun mal Linke seien. Ein wirklich äußerst überzeugendes Argument. Doch darüberhinaus offenbart man im selben Satz auch gleich noch die seltene Gabe, anderen „Allmachtsphantasien“ vorzuwerfen und sich nur ganze acht Worte weiter selber in eine Phantasiewelt zu begeben: wenn man also nicht mit den Linken ist, so weiß man, ist man automatisch „Sprecher der Regierung Sharon in Deutschland“.
Nein nein, mit binärem Denken hat das alles nichts zu tun. Auch nicht der folgende Satz: „Die israelische Gesellschaft hat nach dem Scheitern der Verhandlungen von Camp David und Tabla einen beeindruckenden Rechtsruck vollzogen, der mit jedem Selbstmordattentat noch verstärkt wird.“ Daß man keine andere Kategorie als die des „Rechtsruck“ bemüht, zeigt erstens, daß man sich den Vorwurf des binären Denkens an den eigenen Hut stecken kann und zweitens, daß man schon traditionell davon ausgehen kann, daß Leute, die vom „Rechtsruck“ schwafeln, in Wirklichkeit nichts zu sagen haben. Was bitteschön soll denn im Falle Israels der Rechtsruck gewesen sein? Daß Sharon an die Macht kam? Oder daß die IDF richtigerweise in die Autonomiegebiete eingerückt ist? HMT meinen weiter: „Die Militarisierung der israelischen Gesellschaft und die Zerschlagung der palästinensischen Zivilgesellschaft sind langfristige Ziele des Premierministers Ariel Sharon.“ Es gibt weder eine „Militarisierung“ in Israel noch wird die Zerschlagung der „palästinensischen Zivilgesellschaft“ durch die Regierung Sharon betrieben oder vorbereitet. Daß es im größeren Stile Einberufungen zur IDF gab, hat seinen schlechten Grund im palästinensischen Terror und nicht in dem Versuch der „Militarisierung der israelischen Gesellschaft“. Wenn man denn tatsächlich von einer „palästinensischen Ziviligesellschaft“ unter Arafats Führung reden muß, so hat sich diese einzig und allein selbst zerschlagen. Offensichtlich wird hier, wie sehr die propalästinensische Propaganda bei unserem Autorentrio verfängt. Denn all diese Behauptungen sind nicht nur dreiste Unterstellungen, sondern böse Lügen.
Mit Händen und Füßen sträuben sich HMT vor der Wahrheit, daß nicht das Zeigen von Schwäche, sondern nur das Setzen auf militärische Stärke dem palästinensischen Terror Einhalt gebietet. Nicht also das harte Vorgehen führt zu noch mehr Terror, wie der linke Sozialkitsch, deutsche Ideologen und EU gleichermaßen betonen, sondern das Nachgeben und Gewährenlassen. Der ehemalige israelische Premier Ehud Barak, der sich im übrigen klar an die Seite der Sharonschen Politik stellt – „Ich hätte genauso versucht, gegen den Terror vorzugehen“ (taz v. 17.04.02) – brachte diese typisch europäische Position bezüglich der Palästinenser so auf den Punkt: „Nachzugeben ist, als ob man Krokodile füttert, es regt ihren Appetit an. Aber Europa tut gut genau das und sagt: Na ja, wenn die Krokodile noch nicht satt sind, müssen sie noch ein bißchen mehr bekommen.“ (ebenda)
Weil aber nicht wahr sein darf, was nicht wahr sein soll, meint unser Trio der Gerechten diese Wahrheit wie folgt denunzieren zu müssen: Sie wäre aus Sicht der Antideutschen nichts anderes als „politisch irrelevante Anbiederung an einen starken Staat.“ Allerdings verpufft dieser Denunzierungsversuch auf der Stelle. Denn wer mit dem antiquierten Begriff des „starken Staates“ hantiert, gibt damit preis, welch geistes Kind man ist: wer vom „starken Staat“ faselt, ist in der Antiimp-Schleife einer staatsfetischistischen Staatskritik hängengeblieben, die sich auf dem Niveau der Marxschen Kritik des Gothaer Programms, dem Engelsschen Anti-Dührung und Lenins Staat und Revolution bewegt. Also da, wo die Logik der Errichtung einer Diktatur des Proletariats das Gebot des absterbenden Staates nach sich zog. Es tut unter derlei Vorzeichen wahrlich kein Wunder, daß HMT offen mit der infantilen Kategorie der Unterdrückung operieren: „Linke Solidarität sollte sich vor allem an die in der Gegenwart Unterdrückten richten, also an PalästinenserInnen. Die israelische Besatzung ist der Ausdruck eines Staatsterrorismus, die palästinensische Gewalt ist eine Reaktion darauf.“ Bevor das kommentiert wird, kann es nicht schaden, sich nochmals ins Gedächtnis zu rufen, was weiter oben von HMT beklagt wurde: „(...) Komplexität kann man nur mit einer differenzierten Position gerecht werden. In der Linken sind aber einfache Denkmodelle populär.“ Nicht nur, daß sich dieser Satz als Bumerang erweist, verweist er zugleich darauf, was man von dem Blödsinn, den HMT verzapft haben, wirklich zu halten hat. Daß bei Hardcore-Linken, die an ihrer linken Identität hängen wie andere im Sommer-Urlaub in der Hängematte, keine Grenze wirklich für immer ist, ist ein offenes Geheimnis. Nicht nur, daß die Grenze zur antisemitischen Tageszeitung Junge Welt samt und sonders hinfällig ist, verweist das Gerede von „Unterdrückung“ letztlich nur auf eines: Darauf nämlich, daß die Kategorie der Unterdrückung nichts anderes ist als die Chiffre der Ideologie, die der Sache und dem Gegenstand Gewalt antut. Wer sich darüberhinaus an den Begriff des „Staatsterorismus“ hält, will gar nicht über den Gegenstand reden, sondern ausschließlich eine Selbtvergewisserung vornehmen. Daß der Vorwurf des „Staatsterrorismus“ gegen Israel jahrein jahraus zum Standardrepertoire der Antisemiten von links bis rechts gehört, nährt nicht nur den Verdacht, daß sich HMT bewußt in die Nähe der Antisemiten begeben, sondern macht diesen zur traurigen Gewißheit. Und wer einen Satz zu Papier bringt, der nichts anderes zum Inhalt hat, als daß der palästinesische Terror einzig und allein eine „Reaktion“ auf das Vorgehen der Israelis sei, der sollte nie wieder von der „Komplexität“ einer Sache reden dürfen.
Nicht mal mehr zur Reflexion der eigenen Gedanken zeigt sich das Autorentrio noch fähig. So schreibt man: „Während in der ersten Intifada zum Beispiel Frauen eine bedeutende Rolle einnahmen, werden sie nun von patriarchalen Kräften aus dem politischen Leben verbannt.“ Kein Wort folgt darauf, woran das wohl liegen könnte, obwohl allein diese Tatsache schon Anlaß genug dafür sein müßte, daß diese palästinensische Gesellschaft in keiner Weise mit der Kategorie der Unterdrückung zu fassen ist. Es läßt sich daraus kein anderer Schluß als der ziehen, daß HMT wohl diesen Umstand ebenso wie alles andere der Politik des Staates Israel anlaßten. Die Rede von der Unterdrückung als Universalkategorie impliziert letztlich immer nichts anderes, als daß diese als Unterdrückte gar nicht anders handeln könnten, als sie es tun. Wer also von Unterdrückung redet, gibt insbesondere im Falle der Palästinenser deren reflexionslosen irrationalen Wahnsinn nur neue Nahrung. Damit nützt man nicht etwa den Palästinensern, sondern schadet ihnen vielmehr. Die einzigste wirksame Hilfe mit Perspektive, die man den Palästinensern derzeit zuteil werden lassen kann, ist ihnen den kollektiven Zwang zum autoritären Charakter wirkungsvoll auszutreiben und den Weg dorthin zurück effektiv zu verbauen. Alles andere ist nicht nur Geschwätz, sondern tatkräftige Förderung dieser faschistischen Charakterstruktur. Um dies wirklich begreifen zu können, muß man sich allerdings endlich darüber im klaren sein, wie man einem autoritären Charakter entgegentritt und sich der linken Illusionen darüber entledigen, daß es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen materieller Armut und irrationaler Vernichtungswut gibt.
Daß ein Antisemit nicht danach fragt, ob ein Jude, der außerhalb Israels lebt, nun für oder gegen Israel ist, spielt auch im Denken unseres Autorentrios nur eine Nebenrolle. Stattdessen dreht man auch hier wieder den Spieß um und wettert gegen die Adresse der Antideutschen: „Die Verbortheit (...) geht soweit, daß die in diversen Nationalstaaten lebenden Jüdinnen und Juden gerade so, wie es Antisemiten üblicherweise tun, einfach Israel zugeordnet werden (...). Ebenso geht es vielen Juden in Frankreich, die sich keineswegs dem 'weltweiten jüdischen Projekt' von Leuten wie Sharon zugehörig fühlen.“ Niemand außer der Antisemit bestreitet, daß ein Jude erstens nur dann ein Jude ist, wenn er sich als solcher versteht und zweitens nur dann Israeli, wenn er sich eben als ein solcher begreift. Daß dies aber den Antisemiten wenig schert, ist der Grund für jenes „weltweite jüdische Programm von Leuten wie Sharon“, auf das HMT hier so grantig zu sprechen sind. Denn es paßt unseren Autoren überhaupt nicht ins Konzept, daß „Leute wie Sharon“ mehr vom Antisemitismus begriffen haben als die israelischen Linken, auf die sich unsere drei linken Helden mit Inbrunst positiv beziehen. Daß Dummheit grenzenlos zu sein scheint, auch dafür liefern HMT nicht gerade wenige Belege. Einer davon liest sich so: „Teile der deutschen Linken (...) kennen nur noch 'die Juden' als eine homogene Gruppe, auf die man die eigenen Sehnsüchte nach Identität und Orientierung projiziert.“ Wohl nicht zufällig wird das durch unsere drei Dummies mit keinem Zitat oder Wiedergabe einer Begebenheit belegt. Woran das liegt, ist ganz einfach: Es läßt sich wohl kaum auch nur ein Zitat oder eine Begebenheit ins Feld führen, die auch nur ansatzweise belegen würden, daß eine antideutsche Israel-Solidarität von „den“ Juden als „homogene Gruppe“ spricht. Daß die Antisemiten nicht nur von „den Juden“ sprechen, sondern sie eben weltweit als solche attackieren, ist dagegen wohlweislich Gegenstand schärfster antideutscher Kritik. Im übrigen ist es ein inzwischen leicht zu durchschauendes Ritual, wenn Linke der antideutschen Position unterstellen, sie wäre nichts anderes als Projektion der „eigenen Sehnsüchte nach Identität und Orientierung“. Denn gerade diejenigen, die einen solchen Vorwurf erheben, benötigen diesen einzig und allein zu dem Zweck der Selbstvergewisserung durch Abgrenzung.
HMT haben vom Verhältnis von Reflexion und Identifikation zueinander leider nichts begriffen. Und so poltern sie Richtung antideutsch draufloß und behaupten dreist, daß „die PalästinenserInnen zum Sündenbock einer linksdeutschen Trauerarbeit (gemacht werden), die nicht auf Reflexion, sondern auf Identifikation abzielt.“ Man könnte ja meinen, dieser Satz wäre inhaltlich wie sprachlich einigermaßen gelungen. Dem ist aber mitnichten so. Wie so vieles im HMT-Text ist er einfach nur dumm. Denn weil man von Identifikation in der Relation von Subjekt und Objekt nichts verstanden hat, stellt man Reflexion und Identifikation idiotischerweise gegeneinander. Reflexion aber setzt nun mal Identifikation voraus. Vermutlich aber übersteigt eine solche erkenntnistheoretische Binsenweisheit den Differenziererhorizont unserer HMTler um Längen. Doch auch hier kann ihnen die nachdrückliche Forderung nicht erspart bleiben, daß sie gefälligst solange das Maul halten sollten, bis sie wenigstens ein paar Grundlagen kritischen Denkens nachgearbeitet haben, die einen materialistisch geerdeten Wahrheitsbegriff ausmachen: 1. Wahrheit an sich existiert nicht. Das heißt, die Behauptung einer mit sich identischen Wahrheit ist pure Ideologie. 2. Wahrheit steht somit in Relation zu etwas und ist damit Ausdruck von etwas. 3. Diese Relation zueinander ist das Maß aller Erkenntnis. 4. Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte. 5. Es gibt keinen anderen Begriff von Wahrheit. 6. Wer behauptet, es gäbe viele oder mehrere Wahrheiten, ist ein Spinner. 7. Die Tatsache, daß eine Wahrheit wie die Wurst zwei Seiten hat, macht aus der Wahrheit wie aus einer Wurst logisch nicht zwei Wahrheiten oder Würste. 8. Erkennen von etwas ist immer zugleich Verkennen von etwas. Kein Erkennen, ohne Verkennen zu müssen, weil das aufgerichtete Ich als Selbst vom Selbst-Bewußtsein dazu genötigt wird. Der Erkenntnisprozeß wird vom Selbst-Bewußtsein angetrieben. Doch nur unter Reibungsverlust entsteht Erkenntnis für das Selbst-Bewußtsein. 9. Ohne einen Begriff des Verhältnisses vom natürlichen menschlich-individuellen Trieb und der immer schon gesellschaftlichen Formung desselben – also der Struktur des Triebes – ist keine Kritik möglich, die nicht notwendig Ideologie wird. 10. Die ganze Anstrengung des Begriffs bedeutet zugleich, sich objektiv anstrengen zu können und subjektiv zu wollen.
Diese Binsenweisheiten eines dialektischen Materialismus haben HMT mit Sicherheit nicht mal im Ansatz begriffen. Und so schreiben sie gegen die antideutsche Israel-Solidarität: „Daß beides wahr ist, ohne daß das eine das andere erklärt oder gar legitimiert, daß es gegenwärtig Opfer des Antisemitismus und von Juden zu verantwortendes Leid gibt, passt nicht ins Bild.“ Irgendwie hat das eine dann doch miteinander zu tun, aber in der Hauptsache eben nicht. Diese gequirlte Scheiße verweist darauf, daß man mit der Vermutung, daß diese zwei Herren und die eine Dame nicht ganz richtig im Kopf sind, so falsch gar nicht liegen kann. Ein solches diskurs- und systemtheoretisches Rumgeeiere ist im übrigen das Glanzstück eines Moshe Zuckermann, den, so darf man wohl vermuten, unser Autorentrio im Zweifelsfall als den jüdischen Kronzeugen bemühen – denn der müsse es ja wissen – und der der Kritischen Theorie mit seinem ständigen Mißbrauch derselben seit Jahren schweren Schaden zufügt.
Nicht überraschend, daß unser geschwätziges Trio das mit der Aufklärung auch nicht verstanden hat: Das Bild von Juden, daß Antideutsche zeichneten, sei „immer noch nicht das, was die Aufklärung postulierte, nämlich menschliche Wesen, die man ihren Handlungen gemäß beurteilen, anerkennen, kritisieren, lieben oder hassen kann.“ Man fragt sich, was unsere Schwätzer den lieben langen Tag so machen, wo man doch von Kant bis Weber klipp und klar nachlesen kann, wie es sich erstens mit der Menschlichkeit im Verhältnis von öffentlich und privat und zweitens hinsichtlich des Verhältnisses von Gesinnung und Verantwortung verhält. Bei einem solchen Unverständnis hinsichtlich bürgerlicher Aufklärung kann man auch nicht erwarten, daß man den modernen Antisemitismus und die Unterwerfung des bürgerlichen Subjekts in seiner Zweigeteiltheit als Citoyen und Bourgeois unter die allgemeine Vernunft wirklich begreift. Daß der Staat im Sinne der Aufklärung die Wirklichkeit der sittlichen Idee (Hegel) verkörpern soll, ist der Grund dafür, daß man die bürgerliche Gesellschaft zu der Seite des vernünftigen Citoyens hin hat auflösen wollen. Damit aber verband sich jenes Problem der Verunmöglichung einer bürgerlichen Emanzipation der Juden. Denn diese wurden der Seite der Unvernunft zugeschlagen – verkörperten so den zu bekämpfenden egoistischen ewig konkurrierenden Bourgeois. Was das Autorentrio also den Antideutschen vorwirft, ist nichts anderes als das antideutsche Festhalten an der Kritik dieses bürgerlichen Zustandes, der aus sich heraus den Antisemitismus notwendig erzeugt. Davon zu reden, daß es sich um eine Fehlleistung antideutscher Kritik handeln würde, wenn man die notwendige Virulenz des Antisemitismus und dessen Wahn zur Indifferenz betont, ist ungeheuerlich. Denn damit ist zugleich gesagt, daß die Antideutschen eine Verantwortung dafür trügen, daß der Antisemitismus sich immer wieder aufs neue reproduziert. Nichts anderes nämlich hat das Gequatsche davon zum Inhalt, daß man doch gefälligst Juden als „menschliche Wesen“ beurteilen sollte: „In diesem Zusammenhang beweist der Philozionismus eines Teils der deutschen radikalen Linken (also die antideutsche Kritik) nicht deren Befreiung von einem alten Vorurteil, sondern ihre Unfähigkeit, sich davon zu lösen.“ Einfach mal frei machen von dem „alten Vorurteil“ wird also empfohlen. Als wäre Antisemitismus eine Frage subjektiven Geschmacks und nicht objektiver Verhältnisse, labert man eine Scheiße zusammen, die zum Himmel stinkt – frei nach dem Motto: Wenn man schon nichts zu sagen hat, dann muß man mal kräftig auf den Pudding hauen. Locker vom Hocker redet man sich um Kopf und Kragen und merkt nicht einmal, daß da nichts stimmig zueinander paßt, was unsere drei Meisterdenker so ausbrüten: „Die unterschiedlichen Selbst- und Fremdbilder, insbesondere die unterschiedlichen kollektiven Erinnerungen an die Shoah, sind (...) für eine Beurteilung des Nahostkonfliktes wesentlich.“ Wir erinnern uns. War man sich weiter oben noch sicher, daß die Shoah das größte Hindernis darstellt, um die Eigentlichkeit des „Nahostkonfliktes“ erfassen zu können („Die Erinnerung an die Shoah und nicht die Analyse des Nahostkonfliktes prägt die Positionen.“), soll selbige nun plötzlich „wesentlich“ für eine „Beurteilung“ sein.
Weil unser Trio es nicht nur nicht über die Lippen bekommt, den palästinensischen Terror als das zu bezeichnen, was er ist – nämlich durch und durch antisemitischer Vernichtungswahn –, sondern den wirklichen Gehalt der maßlosen Vernichtungsanschläge glattweg leugnet, redet man davon, daß „die palästinensische Gewalt (als) Resultat des israelischen Staatsterrorismus (...) völlig willkürlich“ erfolge. Woher diese irrationale Willkür allerdings rührt, die unsere Autoren schlimmerweise auch noch als solche erkennen, darüber mögen HMT nicht reden, denn sie seien zwar irgendwie „barbarisch“ aber in erster Linie „Akte der Verzweiflung.“ Ist man „verzweifelt“, hat der Jude Pech. Wer ernstlich von barbarischen „Akten der Verzweiflung“ redet, will diese Barbarei nicht verurteilen, sondern einzig und allein Verständnis aufbringen, um sie rational zu legitimieren. Denn ganz im Sinne des internationalistischen Antiimp-Schemas gilt unseren drei Autoren aller Wahnsinn als zweckrationales Ergebnis von materiellem Elend, Leid und Unterdrückung. „Es ist falsch, alle PalästinenserInnen mit diesen Anschlägen zu identifizieren“, stellt man darüberhinaus fest. Doch genau andersherum verhält es sich: Solange wie sich über diesen barbarischen Märtyrerkult innerhalb der palästinensischen Gesellschaft kein wirklicher Widerspruch regt, solange muß dieser Wahnsinn als begrüßt und geduldet gelten. Und das wiederum kann nur der Maßstab dafür sein, welchen allgemeinen Charakter der Verfaßtheit die palästinensische Gesellschaft trägt.
Daß unser Trio den Zionismus allen Ernstes dergestalt zu denunzieren gedenkt, als daß dieser in ihren Augen „die Erinnerung an die Shoah (...) instrumentalisierte (...), um seine nationalistische Politik zu legitimieren“, ist nur ein weiteres I-Tüpfelchen der Unverfrorenheit. Unser Trio verdeutlicht so, daß es den Zionismus gerade dafür ablehnt, wodurch er sich nachdrücklich historisch legitimiert hat: nämlich die einzig richtige Antwort auf den modernen Antisemitismus zu sein. Daß diese richtige Antwort bisher immer jene gegeben haben, die man als die israelischen Rechten bezeichnet – nicht also die israelische Linke, die unsere drei Freunde so über den Klee loben –, läßt die Argumentation HMTs geschichtlich betrachtet wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Und weil man es scheinbar nicht oft genug wiederholen kann, sei es an dieser Stelle mit Nachdruck unterstrichen: Der Zweck des Zionismus bestand niemals darin, die arabische Bevölkerung zu vertreiben und zu kolonialisieren, sondern in der Antwort auf den modernen Antisemitismus.
Mit welch Dünnbrettbohrern man es im Falle HMTs zu tun hat, drückt sich nur allzudeutlich darin aus, daß man die folgenden Zeilen allen Ernstes als „objektive Analyse der Tatsachen“ anpreist: „In Sabra und Shatila kam es zu Massakern, unabhängig von den Beweggründen und dem Selbstverständnis derer, die sie ausgeführt oder befohlen haben.“
Wer sich dergestalt der Macht des Faktischen unterwirft, hat seinen kritischen Geist schon verloren, bevor man ihn überhaupt bemühen kann. Wer sich also in dieser Form einer Normativität zu unterwerfen gedenkt, will von Ursache und Wirkung, Zweck und Mittel und dem Verhältnis von Allgemeinem und Besonderen in Wirklichkeit nichts wissen. Ganz im Gegenteil geht es so einzig und allein um Besserwisserei.
Wer die Wirklickeit dieser Welt nicht mehr auf den Begriff bringt, sondern nur noch milieutheoretische Sperenzchen macht, will die beschissene Realität einzig und allein in einer Vielzahl von Sprecherpositionen auflösen. So kann unser Trio nicht anders als in plotstrukturalistischer Benebelung von sich zu geben: „Die palästinensische Erinnerung ist völlig anders.“ Und deshalb würden die Palästinenser eben „Israel nicht als einen Zufluchtsort für die Verfolgten des europäischen Antisemitismus (begreifen), sondern als Ergebnis eines Kolonisierungsprozesses, der sie aus ihrer Heimat vertrieb und sie ihrer Rechte und einer Zukunft“ beraubt hätte. Als die Postmodernen sich anfangs der neunziger Jahre in Deutschland noch ein wenig ernst nahmen, überall „Konstrukte“ sahen und hinter allem „Rassismus ohne Rassen“ (Balibar) vermuteten, belegte man solche Festschreibungen von Mentalitäten mit dem Vorwurf des sogenanntes Kulturalismus. Inzwischen aber ist man getreu der Bauernweisheit, daß wer anderen einen Grube gräbt, selbst hineinfällt, Opfer des eigenen differenztheoretischen Geschwalles geworden: Der Palästinenser an sich ist halt so. Kann man erstmal nichts machen. Daß also „die palästinensische Erinnerung“ angeblich „völlig anders“ sei, wird nicht etwa zum Problem erklärt, sondern für absolut richtig befunden.
Doch es kommt noch dicker: So behaupten HMT allen Ernstes, daß nicht etwa der Angriff der arabischen Welt auf Israel 1948 zu kriegslogischen Vertreibungen von arabischer Bevölkerung führte, nein, anders: die „Gründung“ des Staates Israel wird für „Krieg und Vertreibung“ verantwortlich gemacht. Kein Wunder, daß Leute, die einer solchen arabischen Propaganda aufsitzen, sich auch nicht zu blöd sind, von „50 jähriger Unterdrückung einer vertriebenen und rechtlosen Bevölkerung“ zu schwafeln.
Aber keine Sorge. Unser Trio ist durchaus gnädig. Und so haben die Israelis in den Augen von HMT nochmal Glück gehabt, denn die „historische Legitimität“ des Zionismus „als nationale jüdische Bewegung“ wird von ihnen „nicht“ bestritten. Allerdings: „Ohne gegenseitiges Verständnis werden die beiden entgegengesetzten kollektiven Gedächtnisse nur blutige Feindschaft legitimieren.“ Daß vielleicht ja gerade das Festschreiben angeblich völlig „entgegengesetzter kollektiver Gedächtnisse“ die „blutige Feindschaft“ legitimiert und zementiert, übersteigt den ideologischen Horizont all derer, die sich mittels selbstverliebter Distinktionssucht freiwillig vor den Karren der palästinensischen Propaganda spannen lassen. Nicht anders ist wohl auch das folgende Eingeständnis zu interpretieren: „Die komplizierte Situation bedeutet jedoch keineswegs, daß nicht Position ergriffen werden kann.“ Was für ein Schwurbelsatz im übrigen. Als wäre der Verzicht auf eine explizite Positionierung nicht auch eine Position, verkündet man voller Stolz und Wagemut, daß man sich tatsächlich nicht scheut, „Position“ zu ergreifen. Allerdings ist das nicht etwa Heldenmut, sondern vielmehr ein neuerlicher Beleg für die alte Regel, daß Dummheit und Stolz nun mal auf dem gleichen Holz wachsen. Weil man von Dialektik allerdings nicht die Bohne versteht, versteht man von der der Dummheit erst recht nichts.
Es gibt aber durchaus Sätze im Text von HMT, die taugen tatsächlich etwas für die akademische Nachwelt: „Ein Brandanschlag auf eine Synagoge ist ein antisemitischer Akt, der zu verurteilen und sanktionieren ist.“ Nun, das ist ja nicht nur eine knallharte Positionierung, sondern auch noch eine wirklich ausgefallene, originelle und interessante These. Ein Vorschlag zur Güte: Sollte man mal ein Seminar drüber machen. Vielleicht unter dem Titel: 'Ist jeder Brandanschlag auf eine Synagoge automatisch antisemitisch? – Versuch einer differenztheoretischen Diskursanalyse der pluralistischen Tätermotive'. HMT zumindest hätten dazu einiges beizutragen: „(...) Es ist nützlich zu wissen, ob es Skins waren, Nostalgiker eines Vichy-Frankreich, islamische Fundamentalisten oder Jugendliche maghrebischer Herkunft, die dadurch ihre Unterstützung der palästinensischen Intifada ausdrücken wollen.“
Der Wissensschatz von HMT ist aber nicht so eindimensional, wie man böswillig unterstellen könnte. Nein nein. HMT wissen noch ‘ne ganze Menge mehr. So unter anderem folgendes: „Im Namen der Erinnerungarbeit geschehen heutzutage viele Instrumentalisierungen.“ Weil früher sowieso alles besser war, glaubte man damals noch an Wunder. Heute dagegen glaubt man nur noch an „Instrumentalisierungen (, die) geschehen“. Man fragt sich, was der Satz denn nun bedeuten soll? Nun, ganz einfach, in der volkstümlichen Übersetzung nicht mehr und nicht weniger als das: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich‘s Wetter oder es bleibt wie es ist.
Diese schrecklichen „Instrumentalisierungen“, die HTM da im Stile diensteifriger investigativer Journalisten ans Licht der Öffentlichkeit zerren, hätten aber noch schlimmere Seiten: „Die Erinnerung wird demagogisch (...) in den Dienst gegenwärtiger Interessen gestellt.“ Was uns die Autoren nun wieder damit sagen wollen? Nun, hier die popularisierte Übersetzung: Wer „Erinnerung in den Dienst gegenwärtiger Interessen“ stellt, also „Erinnerungen“ einfach nicht „Erinnerungen“ sein lassen kann und „gegenwärtige Interessen“ nicht einfach „gegenwärtige Interessen“, ist ein Demagoge, der nach dem Motto verfährt: Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach. Wie man es nur anstellen soll, seine „Erinnerungen“ nicht in den „Dienst“ seiner „gegenwärtigen Interessen“ zu stellen, wollen uns die Autoren einfach nicht verraten. Scheinbar haben es unsere Schlauberger darauf abgesehen, unsereiner mangels akademischer Reife und Qualifikation dumm sterben zu lassen. Aber auch gegen einen solchen Vorwurf haben sich HMT vorbeugend gewappnet: „Die Erinnerung und die Unterschiede zwischen den Erinnerungen führen häufig zu zweifelhaften Vergleichen.“ Wahrlich, gegen solche Intelligenzbestien hat man keine Chance.
Weil einem angesichts solcher Gehirnakrobaten schier der Mund offensteht, kann man nur noch sprachlos zur Kenntnis nehmen, was die drei Autoren sonst noch zum Besten geben. Nicht daß sie behaupten würden, Israel sei ein Apartheidsstaat. Nein nein, darum geht es nicht. Allerdings: „Der Vergleich mit einem Apartheidssystem ist weit zutreffender.“ Als was, fragt man sich? Nun, ganz einfach – als alles andere. Hier nun geht es mit unseren Freunden des Differenzierens ein weiteres Mal durch: Geschissen auf die vorher in höchsten Tönen gepriesene Sorgfaltspflicht einer originären Erinnerungskultur. Wenn es gegen Israel geht, dann will man es wissen. Und unter einem Vergleich mit dem rassistischen Südafrika macht man das nicht. Dieselben Leute, die weiter oben nicht oft genug betonen konnten, wie problematisch doch historische Vergleiche seien, hält dann plötzlich reflexartig nichts mehr, wenn es um die Bestimmung des israelischen Staatscharakters geht. So schnell kann man es selten erleben, wie vorher in höchsten Tönen angepriesene und zur Schau gestellte Vorsätze ad absurdum geführt werden.
Als angesichts des Unwillens Jassir Arafats, den Terror überhaupt nur zu verurteilen, geschweige denn seine Unterstützung zu unterlassen, derselbe folgerichtig von der IDF in Ramallah im März dieses Jahres in seinem Hauptquartier festgesetzt wurde, war dies für den Literaturnobelpreisträger Josè Saramago Anlaß genug, über Ramallah den „Geist von Auschwitz“ schweben zu sehen und zu behaupten: „Dieser Ort wird in ein Konzentrationslager verwandelt.“ (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27. März 2002) Unser Autorentrio nun findet Saramagos Äußerungen nicht etwa antisemitisch, sondern beklagt sich darüber, daß man sich über derlei Äußerungen so empört hat: „Man wird den Eindruck nicht los, daß Saramagos Artikel nicht nur dazu dient, die vielfache Banalisierung der Shoah zu denunzieren, sondern als Vorwand willkommen ist, um nicht mehr über die israelische Politik gegenüber den Palästinensern sprechen zu müssen.“ Nun würden unsere Freunde sicherlich nicht wie der Antisemit Jamal Karsli behaupten, dies sei die Strategie einer „zionistischen Lobby“. Allerdings verleiht sich hier nichts anderes als eine Verschwörungtheorie Ausdruck, die sich die Verschwörung nach Art einer freiwilligen Gleichschaltung halluziniert. Daß man mit dieser Unterstellung wohl goldrichtig liegt, offenbart der gleich darauffolgende Satz in seiner ganzen Häßlichkeit: „Die Erinnerung an Auschwitz wird somit zu einer Sichtblende.“ Auschwitz als Belästigung, als Störfaktor der Bescheidwisser: nicht als Produkt des Verblendungszusammenhanges also, sondern als Grund dafür, daß man nicht wirklich durchsehen könne. Völlig besinnungslos fällt unserem Trio nicht auf, daß man schon im nächsten Satz ohne es zu beabsichtigen gegen sich selbst argumentiert: „Der Banalisierung von Unterdrückung und Gewalt aber darf in einem Denken nach Auschwitz kein Platz eingeräumt werden.“ Was aber nun in Dreiteufelsnamen ist denn die angewiderte Rede von der zu entfernenden „Sichtblende“ Auschwitz anderes als Banalisierung der Wirklichkeit und ihrer Geschichte?! Daß man sich im eigenen Geschreibe verheddert, hat einen Grund in der Liebe zur bedeutungslosen Schaumsprache, von denen weiter oben schon einige Stilblüten präsentiert wurden. Eine weitere sieht so aus: „Die Gründe für die politischen Haltungen sind vielfältig. Einer besteht darin, sich der gesellschaftlichen Konfrontation zwischen historischer Verantwortung und zeitgeschichtlicher Erfahrung zu verweigern.“ Kein Pardon für diesen Jargon! Denn wer mit Begriffshülsen hantiert, will nicht etwa Kritik als Munition verstehen, sondern stattdessen mit Vorliebe seiner eigenen Sammelleidenschaft der nichtssagenden Syntax frönen.
Wenn sie aber nur wollten, dann könnten HMT durchaus der Durchbruch zum kritischen Denken gelingen: „Kein Land der Arabischen Liga hat Interesse, einen Krieg mit Israel zu beginnen, den es militärisch nur verlieren könnte“, schreiben sie ganz richtig. Warum das aber so ist, darüber schweigen sie sich aus. Würde man nämlich die Gründe dafür zur Kenntnis nehmen, warum „kein Land der Arabischen Liga“ daran „Interesse“ hat, „einen Krieg mit Israel zu beginnen“, dann müßte man eine Revision all dessen vornehmen, was man an Gedanken im Unterdrücker/Unterdrückte-Schema verpackt hat. Denn nicht etwa die von HMT so hochgehaltenen israelischen Linken haben es geschafft, daß man „einen Krieg mit Israel (...) nur verlieren könnte“, sondern die von HMT so gehaßten israelischen sogenannten Rechten. Im Grunde ist es unglaublich: unser Trio schafft es, die militärische Stärke Israels durchaus positiv zur Kenntnis zu nehmen und trotzdem nicht müde zu werden, eine angebliche „Militarisierung“ Israels herbeizuschreiben. (Zur Erinnerung: „Die Militarisierung der israelischen Gesellschaft und die Zerschlagung der palästinensischen Zivilgesellschaft sind langfristige Ziele des Premierministers Ariel Sharon.“ )
Wenn es denn im Sinne HMTs überhaupt ein Denken nach Auschwitz geben sollte, dann schwebt unserem Trio nur eines vor, das dazu zu dienen hat, überall festzustellen, daß auf immer und ewig kein Ereignis an Auschwitz heranreichen kann, weil jede auch nur im Ansatz konstatierte Analogie zu Auschwitz nichts anders als Relativierung sein könne: „Der Antizionismus in der arabischen Welt und der vieler PalästinenserInnen wird mit dem traditionellen Antisemitismus der westlichen Welt, der die Shoah hervorbrachte, in eins gesetzt. Damit wird der eliminatorische Antisemitismus verharmlost und in seiner historischen Einmaligkeit relativiert. Wenn die PalästinenserInnen als die Antisemiten von heute verurteilt werden, liegt darin ebenfalls Schuldabwehr und eine Relativierung der Shoah.“ Genau hingeschaut! Man schreibt nicht Antisemitismus, sondern „Antizionismus in der arabischen Welt und der vieler PalästinenserInnen“. Genauso wie man ernsthaft meint, daß der „traditionelle Antisemitismus der westlichen Welt (...) die Shoah hervorbrachte“. Nicht aber der Antisemitismus entspringt sich selbst, wie HMT hier bekloppterweise nahe legen, sondern er der allgemeinen kapitalistischen Vergesellschaftung in besonderer Subjektform. Daß unser Trio ganz im Stile Goldhagens von „eliminatorischen Antisemitismus“ redet, verweist nicht zuletzt darauf, daß man wohl eher dazu neigt, nicht etwa das besondere Verhältnis von Staat und Kapital in der Bewältigung von Akkumulations- und Verwertungskrisen als Ursache des pathischen Vernichtungswahns des modernen Antisemitismus zu begreifen, sondern eher das gesellschaftliche Gespräch (Goldhagen).
Wer sich nicht an das Reinheitsgebot üblicher deutscher Erinnerungskultur hält, also nicht wie in Deutschland üblich im Brauchtum der Traditionspflege sich erschöpft, der wird von HMT der „Schuldabwehr und (...) Relativierung der Shoah“ geziehen. Letztlich plädieren unsere Autoren verrückterweise für nichts anderes als dafür, den Antisemitismus wegen Auschwitz nicht beim Namen zu nennen, um so das Vermächtnis an Auschwitz rein halten zu können. So gesehen kann also auch der Kategorische Imperativ Adornos, sein „Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“, in den Augen von HMT nichts anderes als eine „Relativierung der Shoah“ darstellen. Und Insofern wird er wohl gar von ihnen als sinnlos betrachtet. Denn der logischen Konsequenz unseres Trios zufolge kann sich etwas vergleichbares wie Auschwitz ohnehin nicht ereignen, geschweige denn wiederholen.
HMT ziehen wirklich alle Register. So versäumt das Trio auch nicht, gegen die Antideutschen den Vorwurf zu erheben, daß diese sich mit Opfern identifizieren wollen: „Undifferenzierte, bedingungslose Solidarität wird notwendig falsch und ungerecht. Sie dient weit eher dem Bedürfnis einer Linken, die eine Identifikation mit den Opfern sucht, als einem linken Ein- und Widerspruch.“ Halten wir fest: „Ein- und Widerspruch“ gilt nur dann als zulässig, wenn man dem Bedürfnis einer „Identifikation mit den Opfern“ nicht nachgibt. Das heißt also, daß ein „Ein- und Widerspruch“ das emphatische Verhältnis zu Opfern grundlegend ausschlösse. Genau diese Kaltblütigkeit in der Aussage ist die Folge davon, wenn man nicht weiß, was man da überhaupt zusammenschreibt. So kann man sich ruhig einmal fragen, was man sich denn unter einer differenzierten Solidarität im Unterschied zu einer „undifferenzierten“ vorzustellen hat. Bezüglich einer Antwort auf diese Frage spricht vieles dafür, daß von einer wirklichen Solidarität dann nicht mehr viel übrigbleibt. Dreht man den obigen ersten Satz nämlich einmal um und guckt dann, was er überhaupt aussagt, dann zeigt sich einmal mehr, welchen Schwachsinn HMT da zusammengeschrieben haben. In der Umkehrung also würde der Satz im Sinne unseres Trios wie folgt lauten: 'Differenzierte, bedingte Solidarität wird notwendig richtig und gerecht.'
In einem allerdings muß man dem Autorentrio tatsächlich Recht geben: „Eine Linke, die ihren Namen verdient, sollte sich gegen die brutale Besatzungspolitik der israelischen Regierung wenden und sich für die legitimen Rechte der PalästinenserInnen stark machen.“
Denn tatsächlich kann eine linkes Denken traditionell schon aufgrund seiner eigenen Koordinaten und des eigenen Kategoriensystems nicht ohne weiteres mit Israel solidarisch sein. Nur hat das nicht etwa seinen Grund in der Rolle des Staates Israel, sondern einzig und allein in linker Ideologie, die ein kritisches und wirklich emanzipatorisches Denken nicht etwa befördert, sondern vielmehr behindert. Denn allein schon auf die Frage, worin denn die von HMT gepriesenen „legitimen Rechte der PalästinenserInnen“ bestehen sollen, fällt einem Linken nicht vielmehr ein, als das wiederzukäuen, was Lenin einst zur sogenannten Nationalitätenfrage einfiel – das unsägliche Selbstbestimmungsrecht der Völker nämlich.

II.

In einem anspruchsvollen Blatt wie der Jungle World kann nicht einfach so etwas stehen. Wenn dort schon etwas stehen darf, dann nur zu dem Zweck, daß man es entsprechend ‘nebeneinander stehen lassen' kann, ohne das anderer Blattinhalt in Grund und Boden kritisiert würde. Das ist zwar gerade nicht die Grundbedingung menschlicher Kommunikation, so doch aber jeglicher Kommunikationstheorie. Sich dieser Theorien verpflichtet zu fühlen, verhunzt das eigene Handeln nicht nur zum lebensweltlichen Freizeitspaß, sondern nötigt vor allem zum Sieg der Form über den Inhalt.
Wenn Kommunikation nun aber alles ist, dann bestimmt diese eben ausschließlich den Inhalt: Man darf sagen, was man will, wenn es nur die Form wahrt. Daß es aber Dinge im Leben gibt, die man mit dieser Vorgabe gar nicht zu sagen vermag, weil sich Form und Inhalt gerade nicht so schön voneinander trennen lassen, wie es eben auch der Redaktion der Jungle World vorschwebt, übersteigt den Horizont so manches Zeitgenossen, der sich kritisch wähnt.
Das Verhältnis von Form und Inhalt bestimmt sich an den Bedingungen, die man subjektiv an es stellt. Das heißt, soweit man objektiv dazu in der Lage ist, es subjektiv zu tun: Will man die Form wahren, dann bestimmt das den Inhalt, entscheidet man sich für den Inhalt, dann bestimmt das die Form. Damit ist gesagt, daß es ein ausgewogenes Verhältnis von Form und Inhalt objektiv nicht geben kann. Denn wenn man die Form des Inhalts nach auswählt, dann führt der Inhalt Regie und wenn man den Inhalt der Form nach auswählt, eben die Form. Daß sich in dem Streben nach gleichberechtigter Form-Inhalt-Relation nicht weniger als die Aversion gegen die metaphysische Grundfigur von Stoff (Materie) und Form unbewußt Ausdruck verleiht, verweist darauf, wie verheerend die postmodernen Bedürfnisse der Jungle World-Redaktion sich als Holzwege (Heidegger) entpuppen; und damit als eine Art Kampfansage an aufgeklärten kritischen Geist.
Hinsichtlich wirklicher Kritik der antideutschen Position nun ist die Betonung des Primats der Form nichts weiter als redaktionelle Schutzbehauptung: Weil man sich innerhalb der Jungle World-Redaktion nicht in der Lage sieht, inhaltlich zu begründen, warum man mehrheitlich gegen die antideutsche Position ist, macht man es an der Form fest. Antideutsche Kritik sei zu undifferenziert, zu unsachlich, zu allgemein, zu speziell, zu polemisch, zu persönlich, zu belehrend, zu autoritär und und und. So erspart der aufgestellte antideutsche Pappkamerad die wirkliche Kritik antideutscher Inhalte. Und man kann sich sogar zu der Aussage versteifen, daß dieser Kamerad wie in weiten linksdeutschen Kreisen üblich, mangels originär eigener Kritik zur einigenden, das heißt konstitutiven Schreckgestalt des Blattes geworden ist. Der antideutsche Pappkamerad dient so innerredaktionell als eine Art Vogelscheuche, der die antideutschen Vögel und ihren diskreten Schwarm abschrecken soll, ohne daß man diese Konstellation auch nur näher begründen könnte.
Man konnte sich sicher sein, daß ein Blatt wie die Jungle World einen Text wie den von Holz, Müller, Traverso nur deshalb abdruckte, um ihm pluralistisch andere Texte zur Seite zu stellen, die man dann im Selbstverständnis als Kritik oder Entgegnung verbucht – keine Sorge, drunter macht man es schon nicht. Allerdings darf und wird nicht vergessen werden, daß der Dreck von HMT als Grundlagentext, und damit als Maßstab fungieren sollte. Der HMT-Text nun nötigt, durch die Redaktion gewollt, alle Versuche, sich innerhalb des Blattes gegen ihn zu wenden, dazu, sich auf ihn einlassen zu müssen – ihn also überhaupt für kritikwürdig zu halten. Damit ist eines klar: wer diesen Text für das hält, was er ist, nämlich dummes Zeug, der ist so oder so raus. Stattdessen steht seit dem Erscheinen des Textes von Holz, Müller, Traverso fest: antisemitische Positionen sind in der Jungle World seit dem 13. November 2002 bis auf Widerruf explizit gewollt und hoffähig.
Diese zu konstatierende Entgrenzung erfolgte wohlgemerkt nicht beiläufig, sondern gezielt – nicht verschwörerisch lanciert, sondern unter Absegnung und Vorsatz der Redaktion. Entweder man empfand diesen Text gar nicht für indiskutabel oder aber verstand seinen Abdruck gar als perfiden Versuch einer Art Tabubruch, weil man ihn vordem als indiskutabel betrachtete. Daß die ekelhafte Mischung von beidem wohl am ehesten den Nagel auf den stinkenden Jungle World-Kopf trifft, macht die Sache unterm Strich noch schlimmer.
Den Text von HMT innerhalb der Jungle World als reaktionären Dreck zu benennen, ist unerwünscht. Erwünscht ist stattdessen ausdrücklich, sich auf seinen antisemitischen Gehalt einzulassen. Und so gelangten nur eine Woche später der Ausgewogenheit wegen zwei weitere Texte ins Blatt, die als intendierte zaghafte Entgegnungen den nötigen Farbtupfer dafür setzten, daß der Text von HMT noch gestärkt hervorging.
Der erste, der seine Duftmarke setzen durfte und wollte, war Autor Udo Wolter. Und der hob in seinem Text „Projektion und Wahn“(2) auch gleich an, die hehren Absichten von HMT zu betonen: „Die AutorInnen (...) sind angetreten, eine Kritik an einer linken Solidarität mit Israel zu leisten, die durch bloße Umkehrung der zuvor auf die PalästinenserInnen gerichteten identifikatorischen Projektion gekennzeichnet sei.“ Auch Wolters Einbildung drückt das Kolportagewissen darüber aus, daß es eine „linke Solidarität mit Israel“ gäbe, „die durch bloße Umkehrung der zuvor auf die PalästinenserInnen gerichteten identifikatorischen Projektion gekennzeichnet sei“. Daß es die gar nicht gibt – wen interessiert's schon, wenn diese Behauptung dem Anspruch einer ausdifferenzierten Sicht auf eine verkomplizierte Welt zu dienen hat. Daß also auch Wolter nichts anderes als Don Quichoterie betreibt und gegen antideutsche Windmühlen anzukämpfen gedenkt, verdeckt nicht zufällig den wahren Anspruch des HMT-Textes, den Wolter nicht sehen will: Nämlich nichts anderes darzustellen, als den billigen Versuch, die linke Welt anachronistischer Koordinaten durch postmoderne Formgebung in die Wirklichkeit von heute hinüberzuretten. Daß genau das nun aber zum reaktionären Schwachsinn führt, somit also eine zwangsläufige Folgeerscheinung ist, die man als solche auch erfassen muß, um das Verhältnis von subjektiver Verfehlung und objektiver Folgerichtigkeit eines traditionellen linken Denkens zu reflektieren, übersteigt auch das Vorstellungsvermögen von Wolter. Wichtiger ist dem vielmehr, hinsichtlich einer konsequenten Israel-Solidarität feststellen zu müssen, daß „das Adjektiv 'bedingungslos' nur von einer bestimmten Strömung um die Zeitschrift Bahamas als Bekenntnisticket benutzt“ werde. Nicht daß man das mit dem „bedingungslos“ vielleicht ja auch begründetermaßen gegen das notorische Lamento aller wortgewaltigen Israel-Solidarisierer ernst meinen könnte, weil diese nämlich meist dann auf dem dünnen Eis ihrer Solidaritätswandlungen einbrechen, wenn sie im konkreten Fall nötig wird, sie sich also als wirkliche Solidarität zu bewähren hätte. Nein, als „Bekenntnisticket benutzt“ wird hier etwas – als reines Bekennertum also betrieben. Daß Wolter zu allem Überdruß auch noch mit dem Vorwurf des Ticketdenkens herumwedelt, sei als leichtfertig und nicht als böswillig unterstellt. Gerade deshalb aber nochmal kurz der Hinweis, wofür der Vorwurf eines Ticketdenkens im Sinne der Studien zum autoritären Charakters des Institutes für Sozialforschung steht: „Nicht erst das antisemitische Ticket ist antisemitisch, sondern die Ticketmentalität überhaupt.“ (Horkheimer/Adorno, „Dialektik der Aufklärung“) Seitens Wolter also Begriffssorgfalt walten zu lassen, sei nicht nur angemahnt, sondern eingefordert.
In seinem Text konstatiert Udo Wolter „Aporien bei der Begründung einer grundlegenden Notwendigkeit von linksradikaler Solidarität mit dem Staat Israel“. Und hat damit durchaus Recht. Denn „linksradikale Solidarität“ und „Solidarität mit dem Staat Israel“ sind tatsächlich unter dem Aspekt einer bedingungslosen Solidarität unvereinbar. Allerdings hat dies seinen Grund wiederum nicht im Objekt der Solidarität – also in Israel –, sondern im Subjekt – also im Linksradikalismus. Letzterer nämlich ist tatsächlich als Hindernis einer Kritik der politischen Ökonomie dergestalt zu verstehen, als daß radikal linke Ideologie wie weiter oben am Text von HMT ausgeführt, nur den Widerspruch zum allgemeinen Anspruch im Verhältnis von linksradikaler Kritik und Israel-Solidarität konstatieren läßt. Diesbezüglich ist festzustellen, daß eine Kritik der politischen Ökonomie, die eine Israel-Solidarität nicht als folgerichtigen Ausdruck dieser Kritik, sondern nur als Widerspruch zu fassen vermag, keine wirkliche sein kann. Daß nun aber stellt ein Bekenntnis zum Linksradikalismus vor eine durchaus existentielle Entscheidung: radikale Kritik der politischen Ökonomie oder linksradikale Attitüde – beides zusammen geht nicht.
Leider geht es einem Wolter darum nicht. Stattdessen hält der in seinem Text ein Plädoyer für die allseits beliebte Ausdifferenzierung für angebracht und führt das dann an einem vermeintlichen Negativbeispiel auch noch aus: „Daß mit dem Vorwurf des Antizionismus sehr vorsichtig umzugehen ist, zeigt das Vorgehen der Zeitschrift Bahamas, die ihn in denunziatorischer Weise gegen alles richtet, die nicht absolut ihre Position bestätigen.“
Wer Antizionisten Antizionisten nennt, gehe „in denunziatorischer Weise“ vor, als wäre das von vornherein falsch. Richtig ist vielmehr, daß man Antizionisten „in denunziatorischer Weise“ als Antizionisten bloßstellen muß. Daß die Bahamas-Redaktion nur deshalb Kritik übt, weil sie sich „gegen alles richtet, die nicht absolut ihre Position bestätigen“, ist Blödsinn. Scheiße aber gerade dann Scheiße zu nennen, wenn man sie für solche hält, ist nun mal das Normalste von der Welt. Darüberhinaus legt auch Wolter Zeugnis davon ab, daß er den Pomo-Scheiß ebenso verinnerlicht hat wie so viele andere. Denn er meint, der Bahamas-Redaktion allen Ernstes vorwerfen zu müssen, daß diese sich nicht der Meinungsvielfalt des bunten Heeres der postmodern Einfältigen anschließt, deren Konsens bekanntlich darin besteht, daß niemand das Recht auf Wahrheit gepachtet haben darf und auf ein konsequentes Ringen um Wahrheit und Verteidigung derselben verzichtet werden muß, als gäbe es objektiv so etwas wie absolute Wahrheit unabhängig von Zeit und Raum. Zu sagen, was man zu sagen hat, gilt in postmodernen Kreisen tatsächlich als verwerflich – in einem solch erbärmlichen Zustand befindet sich dieser Haufen.
Der von Wolter erhobene Vorwurf der Rechthaberei ist einer, der darüberhinaus zumeist von beleidigten Leberwürsten erhoben wird: ‘Immer wollt ihr Recht haben, das kotzt mich an!', so oder ähnlich klingt das dann. Daß man deshalb kritisiert wird, weil man nicht der Meinung des Kritisierenden ist, hält Wolter seiner Aussage zufolge also für inakzeptabel. Sicherlich wird er das nicht ganz so eng sehen, wenn man ihn damit konfrontiert. Geschrieben hat er es dennoch schwarz auf weiß. Warum Wolter so den Gekränkten heraushängen läßt, wenn man Antizionisten Antizionisten nennt? Nun, den Grund dafür nennt er selbst: „Ein Beispiel dafür liefert die Kampagne (der Bahamas) gegen den Autor Stefan Vogt, bei der ein gefälschtes Zitat (‘Israel ist eine Katastrophe') aus einem Artikel verwendet wird.“ „Kampagne“ muß man es schon nennen und von „Fälschung“ reden, wenn versehentlich statt von „Tragödie“ von „Katastrophe“ die Rede ist. Daß besagter Vogt nun also „Israel ist eine Tragödie“ schrieb und nicht „Katastrophe“ macht die Sache, die gemeint ist, keinen Deut besser: Einer wie Vogt, der mit geschwellter Brust den Kämpfer gegen Antisemitismus und Antizionismus gibt, argumentiert antizionistisch, wie in der Bahamas Nr. 39 nachzulesen ist. Warum man eine solche Person dann nicht Antizionisten nennen sollte, erschließt sich leider schon formallogisch nicht.
Wenn man davon redet, etwas sei ent- oder aufgeladen, dann setzt das voraus, daß ein Gegenstand schon vorher eine Zweckbestimmung besitzt. So gilt eine Akkubatterie, ob nun voll oder leer, immer noch als Akku. Daß sich etwas mit irgendwelchem Zeugs auflädt, gehört seit geraumer Zeit zum geflügelten Sprech des postrukturalistischen Jargons. Auch Udo Wolter kennt sich mit der Technologie des Aufladens aus und weiß hinsichtlich des palästinensischen Terrors von einem „völkisch bzw. religiös inspirierte(n) Todeskult als antisemitisch aufgeladene Mordtat gegen ein halluziniertes jüdisches 'Feindkollektiv'“ zu berichten. Was nun aber war zuerst da? Der Palästinenser, der sich „antisemitisch aufgeladen“ hat, oder der Antisemitismus, der sich mit Palästinensertum auflud? Schwere Fragen das. Nur sind die Fragen eben schon falsch gestellt. Obwohl die Palästinenser weder wie die Duracell-Batterien mit dem Kupferkopf noch wie herkömmliche Zink-Kohle-Batterien funktionieren, stellt sich dennoch die Frage nach der Zweckbestimmung von dem, was sich da „antisemitisch aufgeladen“ hat. Fragt man also, ob die Bestimmung der Palästinenser tatsächlich die ist, daß sie sich antisemitisch „aufladen“, dann führt das durchaus weiter. Denn diese Frage läßt sich mit einem deutlichen Ja beantworten. Halten wir also fest: konstitutiv für den Palästinenser ist, daß er „antisemitisch aufgeladen“ ist. Das heißt, ein Palästinenser, der nicht „antisemitisch aufgeladen“ ist, muß, um seiner Zweckbestimmung als Palästinenser nachzukommen, zusehen, daß er sich immer wieder von neuem „antisemitisch auflädt“. Denn der Antisemitismus kam weder aus heiterem Himmel über die Palästinenser noch wurde er via Antisemitismuspipeline in die Palästinenser hineingepumpt. Stattdessen hat tatsächlich erst der Antisemitismus den Blut-und Boden Mythos vom Palästinenser als solchen hervorgebracht. So abwegig ist die Frage, ob sich der Antisemitismus vielleicht ja palästinensisch „aufgeladen“ hat, wiederum also gar nicht. Denn das, was die Palästinenser „Nakba“ (die Katastrophe) nennen – also die Gründung des Staates Israel – ist für den Mythos vom Palästinenser konstitutiv. Und in diesem Mythos verschränken sich Reflexionsausfall hinsichtlich eigenen Handelns und pathische Projektion allen Schicksals auf die Juden zu einem notwendig antisemitischen Wahn, der mit der historischen Wirklichkeit, die nur als zionistische Verschwörung erfahren wird, permanent auf Kriegsfuß steht.
Das Gute ist nun aber, daß der palästinensische Mensch mit Kopf zum Denken im Gegensatz zu herkömmlichen Blut und Boden-Palästinensern nicht ein anderer Palästinenser sein muß, wenn er will, sondern gar keiner. Das heißt, er kann seine Zweckbestimmung, Palästinenser und damit Antisemit zu sein, auch aus freien Stücken ablegen. Das geht unter den bestehenden Bedingungen natürlich nicht von Heute auf Morgen, doch er kann es, wenn er nur will, schaffen. Kurzum: Antisemitismus zu bekämpfen, heißt auch, die Palästinenser zu agitieren, daß sie nicht Palästinenser sein müssen, wenn sie nicht wirklich wollen.
„Der israelisch-palästinensische Konflikt darf zwar sicher nicht auf den Antisemitismus und die Shoah reduziert werden, er kann aber auch nicht einmal ansatzweise ohne beides gedacht werden“, wendet Udo Wolter ein. Ein richtiger Satz das. Nur hat er unterm Strich wenig Bedeutung. Man kann sich aber ruhig mal fragen, warum nicht wenige Möchtegernkritiker auf die Idee kommen, einen Satz solchen letztlich banalen Inhalts immer und immer wieder formulieren zu müssen – siehe z.B. auch HMT weiter oben. Ja, auch das hat seine Gründe: Leute wie HMT oder Wolter machen diese Feststellung über den Zusammenhang von sogenanntem Nahostkonflikt sowie „Antisemitismus und Shoah“ meist nicht etwa zum Ausgangspunkt ihrer Kritik, sondern schon zum Endpunkt. Und das ist ein großes Problem. Denn weil man sich alles in Sprecherpositiönchen und Fluchtlinien (Deleuze/Guattari) zerlegt, hat man am Ende dermaßen zu tun, alles wieder einigermaßen zusammen zu flicken, daß man zu nichts anderem kommt, als zu der weitläufigen, ständig wiedergekäuten Feststellung, daß irgendwie Shoah, Antisemitismus und alles doch miteinander zu tun haben. In Zeiten, wo alle den Gürtel enger schnallen müssen, kann man da nur sagen: Schade um das vergeudete Papier und die Druckerschwärze. Wenn überhaupt, dann sollte es gerade in einer Zeitung wie der Jungle World statt Zeilenhonorar maximal Fersengeld für solche Autoren geben. Nur ist das eben schwer zu machen, wenn das postmoderne Problem eben ein hausgemachtes; sprich: redaktionelles ist.
Auch wenn Wolter es wohl gut meint und der allgegenwärtigen Schelte des Staates Israel begegnen will, so tappt sein Vergleich der Türkei mit Israel in die menschenrechtelnde Antiimp-Falle. Wolter schreibt: „Die Türkei ist, wie viele ähnlich autoritär strukturierte Staaten, trotz der jahrzehntelangen blutigen Unterdrückung der Kurden und permanenter Menschenrechtsverletzungen noch nie von internationalen Institutionen und der 'zivilgesellschaftlichen' Öffentlichkeit derart verurteilt und als Staat delegitimiert worden wie Israel. Niemals hat sich ein dem Antizionismus vergleichbarer 'Antikemalismus' als eigenständiges Ideologem herausgebildet.“
Was sich Wolter im Falle Israel angenehmerweise verkneift, platzt er allerdings gegen die Türkei heraus: sie sei ein Souverän „wie viele ähnlich autoritär strukturierte Staaten“ auch. Nicht zufällig bleibt er es schuldig, auch nur einen der „ähnlich autoritär strukturierten Staaten“ zu nennen. Das Problem, das sich hier zeigt, besteht darin, daß die linke Ideologie, der auch Wolter felsenfest verhaftet bleibt, den Kemalismus genauso erledigen will, wie es viele mit dem Zionismus tun: ersteinmal ganz allgemein den „autoritär strukturierten Staat“ konstatieren und dann anfangen, das Besondere des Staates erfassen zu wollen. Aber genau das funktioniert nicht. Und hier zeigt sich die Grenze linker Kritik, die sie als Ideologie gerade nicht überschreiten kann. Will man also den Charakter der Türkei insbesondere hinsichtlich der Bedeutung des türkischen Militärs auf den Begriff bringen, dann kann man das wie im Falle Israels und sonstiger Bestimmungen nur, in dem man diesen Charakter in Relation zu etwas setzt und daran nicht nacheinander, sondern immer nur zugleich das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderen darstellend entfaltet. Das ist das A und O wirklicher Kritik – eines dialektisch und historischen Materialismus also.
Im Falle der Türkei ist dies die Bedeutung des Islams und die unter Kemal Atatürk von 1922 bis 1928 durchgesetzte Abtrennung islamischer Herrschaft von primärer politischer Macht – die Säkularisierung durch bürgerliche Willensbildung also, von der Marx wußte, daß sie die Voraussetzung aller Kritik ist.
Schreibt man also mit leichter Hand davon, daß die Türkei ein „autoritär strukturierter Staat“ sei, gibt man damit preis, wie es um das eigene kritische Denken insbesondere hinsichtlich einer konsequenten Israel-Solidarität in Wirklichkeit nur bestellt sein kann. Auch Wolter hat demzufolge nicht die ideologischen Verbindungen zu einem notwendigen Antizionismus gekappt, sondern sich nur soweit von diesem entfernt, daß es – bis auf weiteres – für eine einigermaßen sattelfeste Israel-Solidarität reicht. Daß er aber die Ideologie des Antiimperialismus nicht bei der Wurzel packen will, wird ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann einmal zum Verhängnis werden. Das heißt dazu führen, was man unter der Rubrik der Regression kritischen Bewußtseins als eine Art Wiederkehr des nur Verdrängten faßt.
Immerhin weiß Wolter im Gegensatz zu HMT und vielen anderen, daß es hinsichtlich des „Antisemitismus von PalästinenserInnen und in der arabischen Welt mit dem eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen (...) wesentliche Berührungspunkte (...) gibt.“ Das kaum ausgesprochen, meint er allerdings, sich gleich wieder meilenweit zurücknehmen zu müssen, um ja nicht in den Geruch eines Antideutschen zu kommen und damit auf das Einfahren des unter Postmodernen so heißbegehrten persönlichen Distinktionsgewinnes verzichten zu müssen: „Natürlich dürfen solche Berührungspunkte nicht überinterpretiert werden und zu einer falschen Gleichsetzung der Palästinenser mit den Nationalsozialisten führen.“
Die dann doch eher zartleibigen „Berührungspunkte“ nicht „überintrepretieren“. Das läßt von „wesentlichen“ Parallelen unterm Strich nicht viel übrig. Allerdings: Liest man den Wolter wohlwollend, dann steht hier, es gäbe nicht nur eine „falsche Gleichsetzung“, sondern auch eine richtige. Denn wo Falsches ist, ist Richtiges und wo Richtiges bestimmt ist, ist dies auch immer zugleich das Falsche.
Um die richtige Gleichsetzung nun geht es antideutscher Kritik: nicht also um die Vermeidung der Gleichsetzung, sondern um die richtige statt der falschen. Die Vermeidung der falschen Gleichsetzung ergibt sich nur aus dem richtigen Vergleich – nicht aber aus dem Verzicht auf jeglichen. Der richtige Vergleich also ist nichts anderes als die Vermeidung falscher Gleichsetzung. Wer meint, ein Vergleich des „Antisemitismus von PalästinenserInnen und in der arabischen Welt mit dem eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen“ wäre zu unterlassen, hat immer schon verglichen. Auch das ist allerdings nichts weiter als eine unter der Last postmoderner Bedürfnisse verschütt gegangene materialistische Binsenweisheit.
„Kritik“, so weiß Wolter, sei „eine im allgemeinen auf rational verhandelbaren Urteilen über 'falsch' und 'richtig' beruhende Form der Auseinandersetzung.“ Was aber, wenn etwas unter aller „Kritik“ ist wie der Text von HMT? Nicht mal mehr also Marxens Diktum zählt, nach dem erstens „Kritik keine Leidenschaft des Kopfes, (sondern) der Kopf der Leidenschaft“ ist und zum zweiten „kein anatomische Messer (sondern) eine Waffe (...), die ihren Gegner nicht widerlegen, sondern vernichten will“, es sich also bei Kritik gar nicht, wie Wolter schreibt, um „eine im allgemeinen auf rational verhandelbaren Urteilen über 'falsch' und 'richtig' beruhende Form der Auseinandersetzung“ handelt? Nicht zufällig ist Wolter in einem solchen Fall mit seinem Kritiker-Latein am Ende und beklagt lieber, wie weiter oben gegen die Redaktion Bahamas geschehen, daß jemand in „denunziatorischer Weise“ eine „Kampagne“ führe. Damit erklärt er allerdings nichts geringeres als den Bankrott seiner Kritik. Weil Kritik ihm zufolge weder in „denunziatorischer Weise“ noch als „Kampagne“ sich äußern dürfe, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die unsägliche konstruktive Kritik einzufordern. Und das weiter unten im Text so: Die Bahamas-Redaktion versuche, „mit der fast schon systematisch betriebenen Verwischung der Grenze zwischen Kritik und persönlicher Diffamierung politische Hegemonie (...) durchzusetzen.“ Au weia! Da hat die Bahamas doch tatsächlich den Willen zur Wahrheit, wie Wolter mit ausreichend Foucaultschen Bio-Müll im Tornister zu entlarven meint; und wer immer Recht haben will, der will ja immer nur Macht. Man muß daraus leider den nicht etwa abwegigen, sondern im postmodernen Sinne völlig stimmigen Schluß ziehen, daß sich in Wolters Denken dieses freischwebende Ding namens Macht nur vermeiden ließe, wenn man sich den Willen zur Wahrheit austreibt – also den Wahrheitsverzicht übt. Die Bahamas-Redaktion will was „durchsetzen“, schreibt Wolter und macht ihr damit nichts anderes zum Vorwurf, als daß die Redaktion etwas vertritt, was sie auch „durchzusetzen“ gedenkt. Kehrt man das nun um, und wirft mal einen Blick auf den, wie es immer so schön im Pomo-Jargon heißt, Sprechort eines Wolters, dann stellt man fest: der kann gar nichts „durchzusetzen“ haben, wenn er daran seine Kritik festzumachen gedenkt. Ein armes linkes Würstchen ist der Wolter also, der gar nichts mehr wirklich wollen kann, um erstens „politische Hegemonie“ zu vermeiden und zweitens gar nicht in die Verlegenheit zu kommen, diese auch „durchzusetzen“.
Was Wolter zum Ausdruck bringt, ist, wie gesagt, nichts anderes als der unbedingte Wille zur konstruktiven Kritik, von der man seit Marx über Karl Kraus, Walter Benjamins destruktivem Charakter, Adornos kräftezehrender Kritik der SDS-68er bis Wolfgang Pohrt wissen muß, daß sie grundsätzlich keine ist.
Warum das hier so ausgeführt wird, hat seinen Grund in dem Umstand, daß nicht vergessen werden darf, inwieweit Wolter bereit ist, auf den geistigen Müll von HMT konstruktiv einzugehen. Gerade über den Weg der Bemühung von o. g. Autoritäten läßt sich nur wiederholt festhalten: Wolter übt keine Kritik an HMT, sondern adelt deren Text dadurch, daß er ihn überhaupt in seinem Verständnis für kritikwürdig hält. Zu allem Überfluß bricht sich Wolter auch noch die Zacke aus der Krone, auf die seiner Meinung nach im Grunde doch hehren Absichten HMTs abzustellen. Schließlich sei das Anliegen HMTs, „eine aus der Erinnerung an Auschwitz gewonnene antideutsche Identitätspolitik zu kritisieren, unbedingt zu teilen“, denn das sei der „Versuch, den schlechten linksdeutschen Traditionen eine differenzierte Haltung entgegenzustellen“. Nochmal: Einbildung ist auch 'ne Bildung. Und zwar hier gleich im mehrfachen Sinne: Erstens gibt es keine „aus der Erinnerung gewonnene antideutsche Identitätspolitik“. Zweitens ist eine Kritik an dieser vermeintlichen Tatsache überhaupt nicht das Anliegen HMTs. Drittens steht die „differenzierte Haltung“ für jene „schlechten linksdeutschen Traditionen“ stumpfer Kritik und nicht die zugespitzte als Waffe, die ihren Gegner so überhaupt nur treffen kann. Wolter verfehlt also mit drei Irrtümern auf einen Streich das Thema. Das macht ihn zwar zum Anwärter auf den Titel eines tapferen Schreiberleins, zugleich aber auch zum linken Märchenonkel von nebenan. Was ihn darüberhinaus mit HMT verbindet, ist seine Vorliebe für aufgeblähte Schwurbelsätze mit einem Anstrich falscher Sachlichkeit. Als zaghafte Kritik gegen HMTs Text gedacht, meint er feststellen zu müssen, daß deren Dreck „einen moralisch binären Bewertungsmaßstab für NS-Vergleiche, der natürlich zuungunsten Israels ausfällt“, abgebe.
Kann nun aber ein „Bewertungsmaßstab“ überhaupt „moralisch binär“ sein? Natürlich. Nur kann er das nicht nur, er muß es auch sein, wenn man eins und eins noch zusammen zusammenzählen will. Wie also kann man es anstellen, einen „moralisch binären Bewertungsmaßstab“ im Sinne Wolters zu vermeiden? In dem man nicht mehr „moralisch“ ist? Nicht mehr „binär“ denkt? Oder sollte man gleich auf einen „Bewertungsmaßstab“ verzichten?
Nicht gerade überraschend weiß ein Wolter zwar an dieser Stelle auch nicht weiter. Einfach aber mal einen kritisch-solidarisch intendierten Satz mit toll klingenden Begriffen wie „moralisch“ und „binär“ kombiniert und hinausposaunt zu haben, hält er sich wohl zu allem Überfluß auch noch zugute – allerdings ohne einen dumm sterben lassen zu wollen und auf die Vertracktheit der komplexen Sache hinzuweisen. Und so stände man eben vor der „Schwierigkeit, dem Teufelskreis binärer Wahrnehmungsmuster zu entkommen.“ Doch Wolter hätte seine Position der Anwartschaft auf den Titel als tapferes Schreiberlein kaum verdient, wenn er nicht im Stile eines Propheten Wege aus dem „Teufelskreis binärer Wahrnehmungsmuster“ benennen könnte: Der „Teufelskreis“ könne „nur überwunden werden, indem die Aporien einer aus dem Fortwirken und der ständigen Erneuerung des modernen Antisemitismus unter kapitalistischen Verhältnissen mit Israel angesprochen und ausgetragen werden, ohne das kritische Denken durch den Rückzug auf vermeintliche aufklärerische Gewißheiten zu beschwichtigen.“
Der Mann scheint’s echt drauf zu haben. Udo Wolter gar als deutscher Mao der Postmoderne? Nun, nicht übertreiben und auf dem Teppich des Propheten Udo Wolter geblieben. Denn der empfiehlt uns erst einmal, um auch wirklich „dem Teufelskreis binärer Wahrnehmungsmuster zu entkommen“, die Gründung einer Selbsthilfegruppe, mindestens aber den Besuch eines Therapiekreises, in dem die „Aporien angesprochen und ausgetragen werden“ können. Daß diese Hilfe zur Selbsthilfe nur dann therapeutischen Erfolg zeitigen könne, wenn es sich nicht um eine offene Gruppenstruktur handelt, sondern um eine geschlossene, auch darauf weist Wolter hin. Begründen läßt sich das für ihn ganz einfach damit, daß jede Therapie, die wirklich etwas bringen soll, „ohne (...) den Rückzug auf vermeintlich aufklärerische Gewißheiten (...)“ auskommen müße.
Vorwärts immer, „Rückzug“ nimmer, so ähnlich nannte es der letzte große Vorsitzende der Deutschen Demokratischen Republik Auch wenn Wolter es wohl nicht zugeben wird, hat er sich offensichtlich insgeheim der Pflege dieses geistig-erinnerungskulturellen Erbes ehrlichen Herzens verschrieben.
Wer nun zum dem Schluß kommt, für ein solch verworrenes Denken sich als unfähig zu erweisen, hat zumindest einen Zwischentest seines kritischen Geistes erfolgreich bestanden. Denn wie inzwischen obligatorisch zu befürchten ist: Ja, die Jungle World-Redaktion hat noch mehr Realsatire parat.

III.

Ein Beitrag von „Ole Frahm und Freunde“ (OFF) soll es sein, dem die Jungle World unter der Überschrift „Ein Opfer zuviel“ gestattet, „noch eine Kritik am Dossier ,Schuld und Erinnerung'“ von HMT zu formulieren. Schon die Unterüberschrift, die wohl ein Jungle World-Redakteur dem ganzen Text voranstellte, hat die knisternde Spannung einer Situation, in der ein gemütlich im Schaukeltstuhl vor sich hindösender Pensionär ob der wohligen Kaminwärme in seinem Arbeitszimmer kurz vor dem Einschlafen ist: „Die Ambivalenzen des Nahostkonfliktes erlauben keine einfache Lösung.“
Mit einer über die Jahre zu stande gekommenen Abgeklärtheit weiß der erfahrene Leser schon jetzt, was ihn über zwei ganze A3-große Zeitungsseiten im folgenden erwarten wird. Denn immer, wenn von „Ambivalenzen des Nahostkonfliktes“ die Rede ist, „die keine einfache Lösung“ erlaubten, kann man davon ausgehen, daß es in erster Linie um nichts anderes als klugscheißendes Geschwätz geht – das ist inzwischen so sicher, wie einst das Amen in der Kirche.
Nicht gerade überraschend erweisen sich OFF dann auch als Fuzzis, die zwar hochhinaus wollen, leider aber intellektuelle Tiefflieger auf dem Niveau von Erstsemestlern sind. Denn ihr Hauptaugenmerk, das sie über ganze zwei Seiten darlegen dürfen, liegt darauf, daß man sich nicht identifizieren dürfe und Identitäten vermeiden müsse. Weil sich OFF noch am Anfang ihrer Akademikerlaufbahn befinden, es also noch Hoffnung besteht, ihnen diese zu versauen, sei ihnen mitgeteilt, daß Identifikation und identifzieren nicht von Infektion und infizieren abgeleitet sind, sondern daher rühren: „Der Schein von Identität wohnt (...) dem Denken seiner puren Form nach inne. Denken heißt identifizieren. (Es) vermag das Identitätsprinzip zu durchschauen, nicht aber kann ohne Identifikation gedacht werden, jede Bestimmung ist Identifikation.“ Und für unsere Freunde des identitätskritischen Differenzgeschwätzes heißt das: „Dialektisch ist Erkenntnis des Nichtidentischen auch darin, daß gerade sie, mehr und anders als das Identitätsdenken, identifiziert.“
Diese Sätze Adornos aus der „Negativen Dialektik“ können OFF gern zur Kenntnis nehmen und sich darüber ihre noch jungen Köpfchen zerbrechen. Allerdings nur unter einer Bedingung: mit dem Versprechen nämlich, kein Sterbenswörtchen über sie in irgendeinem Uni-Seminar oder einer Hausarbeit zu verlieren, um ihnen nicht unnötig Gewalt anzutun. Denn: „(...) Ideologiekritik (ist) kein Peripheres und Innerwissenschaftliches, auf den objektiven Geist und die Produkte des Subjektiven Beschränktes, sondern philosophisch zentral: Kritik des konstitutiven Bewußtseins selbst.“ (ders. ebd.)
Es ist nun genügend vorgebaut, OFF selbst zu Wort kommen lassen zu können.(3) Und die legen erwartungsgemäß gleich so richtig klischeemäßig los: „Es ist richtig, linke identitäre Politik zu kritisieren, insbesondere in Deutschland (...).“
Spätestens seit Raider Twix heißt, kann man sich sicher sein, daß bei Linken der Vorwurf des Dogmatischen schon seit längerem davon abgelöst wurde, daß etwas „identitär“ sei: „Wann immer eine linke Identitätspolitik mit einer eindeutigen Zuschreibung von Gut und Böse und mit einer klaren Opferidentifikation sich zu einer Massenbewegung entwickeln konnte, war es nicht mehr möglich, daran kritisch anzuschließen.“ Was das heißen soll? Nun, das übliche postmoderne Gelalle darüber, daß man gefälligst nicht mehr zwischen gut und böse unterscheiden solle, also „eine klare Opferidentifikation“ zu vermeiden habe und nichts mehr richtig oder falsch finden darf, um wirklich „kritisch“ zu sein: „Eine künftige Politik, die sich links nennt, müßte sich jenseits jeder Identifikation artikulieren; sie dürfte weder den Anspruch haben, Opfer zu repräsentieren, noch dem Glauben anhängen, Opfer zu sein.“
OFF empfehlen uns also, via Verzicht auf jede „Identifikation“ nicht nur jegliches Denken sein zu lassen, sondern darüberhinaus überhaupt gar zu existieren. Bleibt zu hoffen, daß sie im Sinne James Deans nicht wissen, was sie tun: Seit dem Bolschewiki-Bestseller „Wie der Stahl gehärtet wurde“ von Nikolai Ostrowski und dessen Heldenfigur Pawel Kortschagin wissen echte linke Kämpfernaturen außerdem, daß man als linker Held weder „Opfer zu repräsentieren“ habe noch „dem Glauben anhängen“ darf, „Opfer zu sein“. Allerdings: Heldenmut tut selten gut. Opfer also solle man „links“ liegen lassen, empfehlen uns OFF, um „künftige Politik“, nein, nicht etwa zu gestalten, sondern um sie „ jenseits jeder Identifikation“ zu „artikulieren“. Die jungen Wilden von heute um Ole Frahm als die Politikmacher von morgen. Vermutlich haben diese für alle Fälle schon mal einen Koffer beim PDS-Vorstand in Berlin für „künftige Politik“ deponiert.
Eines kann man OFF mit auf den Weg geben: über eine Kritik der Politik wird man an der Uni nichts erfahren, da muß man sein Köpfchen schon mal selbst anstrengen, um das Wesen der Politik als rundum staatsfetischistische Veranstaltung auf den Begriff zu bringen. Nur muß man dafür lernen, erstens bis drei zählen zu können und zweitens dergestalt befähigt mal einen reflexiven Gedanken auf die Konsequenzen des eigenen Denkens und Geschreibes verschwenden – auf den unter Pomos sagenumwobenen sogenannten Sprechort also. Weil OFF das aber nicht können, findet sich nur wenige Zeilen später plötzlich die ausdrückliche Aufforderung zur Identifikation. War man sich gerade noch sicher, daß man sich nicht einfühlen dürfe, hält man es nur einen einzigen Satz später für notwendig, die fehlende Emphatie der Deutschen hinsichtlich der Opfer des Holocaust zu beklagen – also genau das, was die Mitscherlichs die Unfähigkeit zu trauern nannten. Allerdings nur, um allzugleich besinnungslos gegen die Antideutschen und deren Verhältnis zur „israelischen Bevölkerung“ zu pöbeln: „Manche Antideutsche verwechseln diese notwendige Emphatie mit Identifikation.“
„Notwendige Emphatie“ ja, aber nur ohne „Identifikation“. Wie das gehen soll, weiß wohl weniger der Wind, als vielmehr nur der postmoderne Ideologe, der mit dem Rüstzeug der Dekonstruktion sich jedem Unbill subjektiv gewachsen fühlt – und sei es auch noch so objektiv. Nichts als ausgemachter Blödsinn also ist der Versuch, „notwendige Emphatie“ ohne „Identifikation“ hinzubekommen. Allerdings klingt solch Geseiere wie das von OFF erst einmal schlau. Und das hebt das Niveau des Geschwätzes ungemein. Halten wir also fest: Nicht nur wer nämlich mit h schreibt ist dämlich, sondern auch wer „Emphatie“ ohne „Identifikation“ fordert.
Das erste und wichtigste Gebot postmoderner Bedürftigkeit lautet: Ob antideutsch oder antiimp, wichtig ist die Distinktion. Und weil auch OFF schon mal davon gehört haben, daß die Antideutschen sich mit den Israelis identifizieren und die Antiimps mit den Palästinensern, fährt man auch schnurstracks den eigenen Gewinn an Originalität ein: „Beide Positionen zeichnet das Ressentiment gegen einen einzigen Täter aus“, so hat man sich sagen lassen.
Diese Antideutschen und Antiimps aber auch. Im Grunde sind sie doch alle gleich, das nimmt sich nicht viel. Kennste einen, kennste alle. Irgendwie hat das doch bei beiden mit dem „Ressentiment gegen einen einzigen Täter“ zu tun. Und mit so etwas wollen Erstsemestler, die gerade die Vielfalt der Welt für sich entdecken, natürlich nichts zu tun haben, denn „beide Identifizierungen taugen nicht für eine zukünftige Politik.“ Daß es nur „einen einzigen Täter“ geben soll, findet man schon von deshalb nicht so toll, weil Eltern und Großeltern das immer wieder für die Zeit zwischen 1914 und 1945 geltend gemacht haben. Und so wird Leuten wie OFF, die mit der Gnade der späten Geburt gesegnet sind, die Aufgabe zuteil, auf dem Wege des obligatorischen Generationskonfliktes eine Modernisierung des binären Täter-Opfer-Schemas in Deutschland voranzubringen, mit dem dann auch wieder versöhnlerisch Vati, Mutti, Omi und Opi einverstanden sein können: „Das Ressentiment gegen einen einzigen Täter“ ist ungerecht.
Klar wie Klosbrühe ist OFF also, daß viele Täter nicht den postmodernen Brei verderben. Denn Kritik hat für diese ohnehin nur die Funktion des Salzes in der Suppe – nicht mehr also, als Geschmacksverstärker im Zeitalter des studentischen Überdrußes von Spex, Drugs & Party ‘n' Roll zu sein.
Weil es in OFFs Beitrag auch um den Text von HMT gehen soll, muß jener erst einmal wegen seiner hehren Absichten entsprechend positiv gewürdigt werden: „Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso kritisieren in ihrem Dossier die identitäre Politik der Antideutschen“, haben OFF herausgefunden und sind deshalb frohgemuts. Denn „ihre Kritik könnte hoffen lassen, daß sie einen Weg jenseits der bisherigen Diskurse suchen.“ Diese jungen Wilden um Ole Frahm aber auch. Mut zeigen wollen sie, Alternativen aufzeigen, quer denken, gegen den Strom schwimmen und Wege „jenseits der bisherigen Diskurse suchen“. Ja, Deutschlands Zukunft ist gesichert. Denn nicht nur, daß das Land immer neue Querdenker für „zukünftige Politik“ braucht, nein es hat sie bereits schon. Denn ganz in der Bersteinschen sozialdemokratischen Tradition sind sich OFF sicher, daß der „Weg jenseits der bisherigen Diskurse“ das Ziel zu sein hat.
Doch das Damoklesschwert der Politikverdrossenheit schwebt auch über OFF. Denn die können hinsichtlich der Hoffnung auf Alternativen zu etablierten Diskursen bezüglich HMTs Text nur feststellen: „Diese Hoffnung wird enttäuscht.“ Und weil man sich als zukünftige Polit-Elite nicht so ohne weiteres unterkriegen läßt, weiß man, wie man die Enttäuschung einzuordnen hat: Es läge an dem „linken Diskurs, wie er sich in den letzten 13 Jahren herausgebildet hat.“
Die Einbildung von „Herausbildung“ ist noch lange keine Kritik. Doch um die geht es OFF auch gar nicht, sondern darum, „die Symptome, die sich am Umgang mit dem Antisemitismus und der Shoah zeigen, (zu) untersuchen.“ Um so schlimmer allerdings, daß sie ihre Diskursforschung nach „Symptomen“ und so Zeugs zu allem Überfluß auch noch als „Kritik“ begreifen.
Nicht überraschend finden OFF, daß der Text von HMT „tendenziell im Vokabular einer traditionellen Linken befangen“ sei. Und „dieses Vokabular prägt die Beschreibung der Situation.“ Daß der Ton die Musik macht und nicht der Klangkörper, und das Ausgedrückte das Auszudrückende; oder anders: die Form – also „dieses Vokabular“ – den Inhalt – also „die Beschreibung“ –, geht nicht von ungefähr am sachlichen Gehalt des HMT-Textes vorbei. Wer nämlich davon redet, daß das Formale das Sachliche „prägt“, will „tendenziell“ entlasten und nicht Kritik üben. Warum das so ist, geben OFF gleich im Anschluß offenherzig preis: Es gelänge HMT, „den blinden Fleck mancher antideutschen Kritik herauszuarbeiten, also ihren Sprechort, der eine Identifikation mit Israel als Lehre aus der Shoah verbietet.“ Den unter Pomos so beliebten „Sprechort“ als „blinden Fleck“ so „herauszuarbeiten“, daß man sich „eine Identifikation mit Israel als Lehre aus der Shoah verbietet“, ist eine Leistung, die leider jeder Logik spottet. Weil aber das postmoderne Geschäft sich genau gegen diese metaphyische Logik der Einheit von Prozeß (Logos) und Resultat (Telos) richtet, merkt man gar nicht, wie sehr das eigene Geschreibe von vorne bis hinten nicht mehr hinhaut. Wo ein moderner Mensch den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, sehen Postmoderne vor lauter „Sprechorten“ und „blinden Flecken“ nicht mehr durch. Das ist traurig aber – Achtung, binäres Denken – wahr. Übersetzt man diesen Jargon ins Deutsche, so meinen OFF nicht mehr und nicht weniger, als daß „mancher antideutschen Kritik“ die Selbstreflexion abginge. Warum nun aber Selbstreflexion – also das Wissen um den „Sprechort“ – ausgerechnet dazu führen soll, daß sich „eine Identifikation mit Israel als Lehre aus der Shoah verbietet“, muß das Geheimnis der postmodernen Ideologien bleiben.
Welch schwerem Unterfangen sich HMT ausgesetzt haben, wissen OFF einfühlsam zu betonen. Da HMT „sich nicht entscheiden können (...), changieren (sie) zwischen einer innerlinken Kritik und dem Anliegen, sich zum Nahostkonflikt verhalten zu wollen.“ OFFs Zeilen entpuppen sich bei näherer Betrachtung allerdings weniger als Nachsicht denn als unterstellte Unfähigkeit an die Adresse von HMT. Denn wer meint, anderen sagen zu müssen, daß man, weil man „sich nicht entscheiden“ könne, ganz einfach unvermögend sei, ein „Changieren zwischen einer innerlinken Kritik und dem Anliegen, sich zum Nahostkonflikt verhalten zu wollen“ vermeiden zu können, kann sich unter gewissen Umständen schon mal 'ne schallende Ohrfeige für diese freche Unterstellung einfangen. Man sollte bei allem Ungemach allerdings nicht vergessen, daß man es bei OFF mit einer Autorengruppe von Erstsemestlern zu tun hat, bei denen nicht nur die sprachliche Grenze zwischen autonomen interim-Kitsch und postmodernen Worthülsen noch fließend ist. Wenn also tatsächlich in einem Blatt mit immerhin ernstzunehmendem gesellschaftskritischem Anspruch wie der Jungle World jemand anderes damit beleidigt werden kann, ihm ein „Anliegen“ zu unterstellen, sich wie auch immer „verhalten zu wollen“, dann ist die Grenze zwischen Jungle World und dem autonomen Selbsttherapieblatt interim keineswegs für immer.
In einem sind sich OFF ziemlich sicher: „Unsere Kritik wird in Deutschland formuliert. Jede Analyse des Nahostkonflikts ist daher von Diskursen geprägt, in denen die Schuldabwehr, der Antisemitismus, die wiedervereinigte Nation und ihre weltpolitischen Ansprüche als europäische Führungsmacht eine Positionierung erfordern.“ Daß eine „Analyse (..) von Diskursen geprägt“ ist, die „eine Positionierung erfordern“, leuchtet zwar nicht unmittelbar ein, muß man nach OFFs Meinung wohl aber mal vorsichtshalber gesagt haben. Was aber nun, wenn aus Versehen ein Diskurs von einer „Analyse“ geprägt wurde und nicht nur „jede Analyse (...) von Diskursen geprägt“ ist, hm? Wenn also das berühmte Thema in Variation sich aufdrängt, was nun zuerst da war, das Denken, von „Diskursen geprägt“, oder die „Analyse“? Nun, in einem solch komplizierten Fall können sich OFF auf eine sichere Bank zurückziehen: 'Hatten wir noch nicht, kommt erst im zweiten Semester dran'. Für alle anderen gilt: von „Diskursen geprägt“, zur „Positionierung“ verdammt – armes Deutschland, was hast du nur für eine bekloppte Linke.
Was man schon seit geraumer Zeit im ersten Semester verinnerlicht hat, und so selbstverständlich auch OFF, ist folgendes: „Es kann auf keinen Fall um die alte linke Vermessenheit gehen, den Konflikt objektiv analysieren zu wollen. Jede formulierte Analyse hat für die Konfrontation im Nahen Osten keine Relevanz, sondern nur dafür, wie hier, jetzt und zukünftig diskutiert wird.“
Wo früher in Seminaren, wenn auch ungern, so doch über Sinn und Zweck des theologischen Bilderverbotes diskutiert wurde, also darüber, was Adorno in der „Negativen Dialektik“ „die materialistische Sehnsucht, die Sache zu begreifen“ nannte, die „nur bilderlos“ sein könne und als eine solche „Bilderlosigkeit (...) mit dem theologischen Bilderverbot“ konvergiere, da findet sich heute als einzigste Zuckung zombiehafter Gesellschaftskritiker eine Art Objektivierungsverbot.
Wenn man weiß, daß nichts mehr über die Gesellschaft aussagt, als der allgemeine Zustand ihrer Kritik, dann kann man nur den Zusammenhang von Verblendungszwang und freiwilligem Wahrheitsverzicht als einen erbärmlichen Zustand auf den Begriff zu bringen versuchen, der diesem einigermaßen angemessen ist: wenn für linke Schlauberger vom Schlage OFF „jede formulierte Analyse für die Konfrontation im Nahen Osten keine Relevanz“ hat, dann sollten sie mit gutem Beispiel voran gehen und zum Thema „Konfrontation im Nahen Osten“ gefälligst das Maul halten. Genau das aber machen sie nicht, sondern reißen es um so weiter auf, weil sie eines angeblich ganz genau wüßten: daß „jede formulierte Analyse“ doch nur einen Zweck haben kann, nämlich darüber zu befinden, „wie hier, jetzt und zukünftig diskutiert wird.“
Weil Ole Frahm und Freunde, wie zu lesen ist, nicht die einfachsten dialektischen Kalauer intus haben, nämlich die, daß in einer kapitalistischen Weltgesellschaft notwendig alles mit allem zusammenhängt und zu tun hat, sich niemand also einfach via Milieutheorie in seine kleine heile Diskurswelt flüchten kann, so fest er auch daran glauben mag, ist eine Rede davon, daß man maximal darüber befinden könne, „wie hier, jetzt und zukünftig diskutiert wird“, Ausdruck einer Verblödung sondersgleichen.
OFF wagen eine Art Quadratur des Kreises, die über „die Reflexion des eigenen Sprechorts“ den Versuch darstellen soll, „eine kosmopolitische Position zu formulieren, die getragen wird von dem Wunsch, die herrschenden Verhältnisse zu zersetzen.“ Warum sie nicht gleich lieber zerstäuben statt „zersetzen“ schreiben, ist einen Streit über den besseren Geschmack unter Hedonisten wert, muß uns also nicht weiter beschäftigen.Warum sie allerdings „die herrschenden Verhältnisse“ weder bekämpfen noch aufheben geschweige denn abschaffen wollen, liegt darin begründet, daß sie letztlich nichts wollen, als „eine kosmopolitische Position zu formulieren“, die zwar nicht vom Winde verweht werden kann, so doch aber von einem „Wunsch getragen“, der unter dem Primat der „Reflexion des eigenen Sprechorts“ nichts sein soll als Beschäftigungstherapie zur Selbstfindung von Erstsemestlern. Eine „kosmopolitische Position“ als reine Selbstbeschäftigung mit dem „eigenen Sprechort“, die darüberhinaus auch noch etwas „zersetzen“ solle, ist nämlich ungefähr so logisch, als würde man wider dem Brechtschen Sinn behaupten, daß nicht etwa das Fressen vor der Moral, sondern die Moral vor dem Fressen kommt.
In HMTs Text, so meinen OFF, drücke „sich die Sehnsucht nach einfachen Wahrheiten aus.“ Und eine solche Anklage, so wissen wir inzwischen, kommt in postmodernen Kreisen der Erfüllung des Tatbestandes eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit gleich. Denn menschlich sei nicht etwa, die Dinge rational auf den Punkt zu bringen, sondern sie so kompliziert wie möglich zu machen – seien sie auch noch so einfach. Erst recht gilt so etwas natürlich im Falle Israel/Palästina. Da wissen OFF: „Der Nahostkonflikt hat viele Ursachen.“ Frei nach dem Motto: 'Darf's vielleicht noch ein paar „Ursachen“ mehr sein', stehen OFF wie die gesamte postmoderne Spezies vor dem Problem, der Leidenschaft des „Ursachen“-Sammelns frönen zu müssen, um auch nur einigermaßen zu Potte kommen zu können. Daß das anstrengend sein muß, sei ihnen schon deshalb zugestanden, weil es erklären hilft, warum man in jenen Kreisen so wenig klare Gedanken zu fassen vermag, geschweige denn auch nur irgendetwas gar richtig oder falsch findet. Folgerichtig kann so HMTs Vorliebe für die angeblich unterdrückten Palästinenser von Ole Frahm & Co. maximal als „zu wohlfeil“ sowie die Diffamierung des israelischen Staates als „Apartheidssystem“ und als „Militärdiktatur“ nur als „schlicht kontrafaktisch“ befunden werden. Entsprechend wollen OFF auch keine postmodernen Kameradenschweine sein und piepsen deshalb vorsichtig in Richtung HMT, daß diese doch „hinter ihr eigenes Reflexionsniveau zurück (-fielen), wenn in ihrem Text der israelische Staat ausschließlich als Täter und die PalästinenserInnen ausschließlich als bemitleidenswerte Opfer erscheinen“ würden. Handzahm und zunftgemäß schlußfolgert man daraus, daß „jede wohlwollende Lektüre des Textes (...) hier an seine Grenzen“ stoße. Die Milde, mit der OFF hier HMT umgarnen, anstatt sie dafür in Grund und Boden zu kritisieren, daß nichts anderes als der ewige linke Antisemit mit unserem Internationalistentrio Holz, Müller, Traverso durchging, macht sie zu Erfüllungsgehilfen des antisemitischen Geschwätz' – man halluziniert sich ein „Reflexionsniveau“, um das Schreibtischtätertrio zu entlasten: eigentlich seien die gar nicht so, sie fielen hier nur ausnähmlich hinter sich selbst „zurück“.
Als Erstsemestler wollen sich Ole Frahm und Freunde die Karriere als zukünftige linke Querdenker im deutschen Akademiebetrieb nicht von vornherein verbauen. Und so attestieren sie HMT im vorauseilendem Gehorsam, wie es sich für strammdeutsche Untertanen auf der Karriereleiter gehört, nichts anderes, als „eine aufgeklärte Kritik an der israelischen Regierung“ zu leisten. Da Erstsemestler zumeist gerade dem Pubertätsalter entwachsen sind, liegt die Vermutung nahe, daß auch OFF mit Begriffen wie Aufklärung und „aufgeklärte Kritik“ wohl eher Liebesbeziehungen und Pärchenbetrieb assoziieren statt Begriffe wie Vernunft, Ich oder Geist. Nur so wird zumindest plausibel, warum OFF, hervorgerufen durch eine Art spätpubertären Pärchenkoller, alles doppelt sehen – so auch im Verhältnis von Palästinensern und Israelis: „Es gibt, bei aller Ungleichheit, auch zwei Täter.“
Daß irgendwie alle Opfer und Täter sind, hat man schon öfter gehört und gelesen – nicht zuletzt bei unserem Außenminister Joseph Fischer, der sich ja besonders, „bei aller Ungleichheit“, für den Frieden im Nahen Osten engagiert. Umso schockierter allerdings zeigen sich OFF in eine ganze bestimmte Richtung: „Für deutsche Linke sind das ein Opfer und ein Täter zuviel.“
Wenn es um das Verhältnis von Shoah und sogenanntem Nahostkonflikt bei der Position von HMT geht, ist die Freude bei OFF fast ungetrübt: „Sie lehnen jede Instrumentalisierung ab – freuen sich OFF –, versäumen dabei aber, die Bedeutung für sich zu fassen und Schlüsse für ihre Bewertung des Konfliktes zu ziehen.“ Man muß OFF einen anderen als den Text von HMT vorgelegt haben. Nur so läßt sich erklären, warum die allen Ernstes meinen, daß HMT es versäumt hätten, „die Bedeutung (der Shoah) für sich zu fassen und Schlüsse für ihre Bewertung des Konfliktes zu ziehen.“ Es hat schon viel mit unverblümter Dummheit zu tun, so ein Fazit überhaupt ziehen zu können. Ist es doch so, daß ein Mensch mit halbwegs kritischem Bewußtsein wohl gar nicht so viel von HMT lesen kann, wie man angesichts deren Textes kotzen muß. Doch es kommt noch dicker. OFF schreiben allen Ernstes, daß die „Konsequenz aus der Shoah“ für Holz, Müller, Traverso darin bestünde, „kritisch zu denken.“
Nun, wäre das so, wie OFF hier schreiben, bräuchte man angesichts solcher Kritiker keinen Gegenstand der Kritik mehr: der Kritiker wäre er selbst. Allerdings sind HMT wie OFF unter aller Kritik und gerade deshalb – der Rettung kritischen Denkens vor der postmodernen Verblödung wegen – zur permanenten Erledigung frei gegeben. Erledigung hieße hier zum Beispiel, daß sie sich schleunigst auf nimmer Wiedersehen auf den Weg durch die akademischen Instanzen machen, um dort dem sterbenslangweiligen Seminaralltag nachzugehen und regelmäßig Diskursgeseierschinken in Verlagen zu veröffentlichen, bei denen der Stückpreis pro Buch nicht unter 50,- Euro liegt.
Scheinbar schon jeder Möglichkeit der Entfaltung eines kritischen Geistes entledigt, weil ganz und gar dem wissenschaftlichen Dikdaktikkult erlegen, schreiben unsere Erstsemestler Ole Frahm und Freunde: „Kritisch zu denken, folgt (...) aus der Lektüre von Karl Marx, Judith Butler oder Hannah Arendt.“ Vermutlich hat ihnen das so ein Professor während eines Butler-Proseminares diktiert, und seitdem widerkäuen sie dies, so oft es geht. Nur wird es dadurch leider nicht besser, sondern schlimmer. Denn wer sich erdreistet, „Judith Butler“ mit „Karl Marx“ und „Hannah Arendt“ in einem Atemzug zu nennen, der hat auch noch den letzten Erstsemestler-Bonus verspielt. Und wer diese Ungeheuerlichkeit auch noch mit der grenzenlosen Blödheit krönt, das aus der „Lektüre von Karl Marx“ automatisch folge, „kritisch zu denken“, der hat nicht etwa nur einen besonders trotteligen Jungle World-Redakteur, der solche Grütze durchgehen ließ, sondern nicht mal mehr einen Zacken in der Krone.
Gerade die Apologeten der Postmoderne sind es, die den besten Beweis dafür liefern, wie nicht nur lesen allgemein dumm machen kann, sondern insbesondere auch das Lesen von Marx. Denn sie verhunzen noch den kritischsten Gedanken zum Textbaustein für ihr Selbstgespräch über ihren Sprechort.
Was in der Jungle World alles stehen kann, wenn es statt um die Sache der Kritik einzig und allein um die der distinktiven Klugscheißerei geht, klingt in der Formulierung von OFF so: „Die Vernichtung der europäischen Juden in ihrer Systematik, ihrer Gründlichkeit, läßt keine Lehre zu. Jede Lehre, selbst jene, daß Auschwitz nicht wieder geschehe, ersetzt das Gedenken an die Ermordeten.“ Allen Ernstes sich zu erdreisten und frei von der jungstudentischen Leber weg zu behaupten, aus Auschwitz könne nun mal gar keine „Lehre“ gezogen werden, ist der Gipfel des postmodernen Scheißhaufens. Zur Wiederholung: OFF schreiben hier, daß man aus der Shoah keine „Lehre“ ziehen könne, weil es „das Gedenken an die Ermordeten“ ersetze. Was mir auf solche Unglaublichkeit als einzigst angemessene Antwort einfiele – und zwar als Lehre aus Auschwitz –, könnte unter Umständen strafrechtlich relevant sein, und deshalb behalte ich es an dieser Stelle für mich. Was OFF hier vorführen, ist die deutsche Normalität der Eindeutschung der Shoah mittels Erinnerungskult, die nach folgendem Schema abläuft: Zum einen ist nur ein toter Jude ein wirkliches Opfer. Und zum anderen hat man den jüdischen Opfern zu gedenken und keine ernstlichen Lehren aus Auschwitz zu ziehen – insbesondere nicht im Bezug auf Israel.
Die Hilfsschüler Ole Frahm und Freunde sind also deutscher als deutsch – und zwar postmodern deutsch: man bewertet und kritisiert lieber diejenigen, die beanspruchen, nach Auschwitz im Sinne des Kategorischen Imperativs Adornos zu denken, anstatt sich selbst einen Kopf darüber zu machen – auch das gehört zum notorischen Bescheidwisser-Geschäft des postmodernen menschenverachtenden Drüberstehertums. OFF verleihen ihrer selbtserwählten ekelerregenden Auschwitz-Schiedsrichterrolle so Ausdruck: „Angesichts der vielen möglichen Verwendungen, Metaphern und Instrumentalisierungen der Shoah geht es (...) nicht darum, jene zu verbieten (sic!), sondern ihren jeweiligen Gebrauch zu bewerten und zu kritisieren.“
Um die Perfidie noch auf die Spitze zu treiben, pappt man zum Schluß des Textabschnittes einen Satz an, diesen seiner Essenz zu berauben man sich vorher alle Mühe gegeben hat. Und so bleibt von ihm nichts weiter übrig als eine hohle Phrase, die sie wohl auch ganz bewußt sein soll: „Daß nach Auschwitz der Kampf gegen die Bedingungen, die zu Auschwitz führten, dringlich ist, versteht sich von selbst.“ Man will gar nicht wissen, was die Arschlöcher um Ole Frahm unter den „Bedingungen, die zu Auschwitz führten“, verstehen. Vermutlich irgendeinen gegenaufklärerischen Dreck a' la Zygmunt Baumann, der bekanntlich „die“ Moderne für Auschwitz verantwortlich macht. Hätten OFF diesen Satz nicht geschrieben, wäre alles nur abstoßend. So aber überkommt einen der Ekel in Anbetracht eines Denkens, das etwas zu Papier bringen läßt, das sich wie nichts weiter als ein billiger Reklamespruch der Kulturindustrie ausnimmt.
Daß OFF gefährliche Trottel sind, sei hiermit nachdrücklich festgestellt. Das gilt insbesondere auch im Bezug auf den Text von HMT, den OFF abschließend so würdigen: „Der Anspruch der AutorInnen, sich der Geschichte politisch verantwortlich zu stellen, ist sicher richtig.“ Wer dem Text von HMT entnimmt, daß dieser davon motiviert sei, „sich der Geschichte politisch verantwortlich zu stellen“, kann den antisemitischen Gehalt nicht besser beschönigen. Aber in der Jungle World geht so etwas. Und nicht nur so, sondern auch noch als Kritik antisemitischer Texte durch.
Auch OFF meinen genau zu wissen, was an antideutschen Positionen zu kritisieren sei, nur sagen sie es gar nicht erst, sondern schließen sich im großen und ganzen dem Geschreibe von HMT an. Allerdings nicht, ohne alles noch schlimmer zu machen: „Vor diesem Hintergrund muß bei aller berechtigten Kritik an antideutschen Positionen deren positives Moment geborgen werden: die Kritik an Deutschland.“ Es gehört mittlerweile zum scheinheiligen Gerede über Antideutsche, daß man sie nach der Art von Zuckerbrot und Peitsche allzugern in die Grenzen des wiedervereinigten Deutschlands verweisen würde, wenn man nur könnte. Zu Deutschlandexperten möchte man sie degradieren, weil sie für „die Kritik an Deutschland“ schon ganz tauglich wären. Allerdings ist genau das ein Indiz mehr dafür, warum man sich darauf nicht einlassen sollte. Denn diejenigen, die die antideutsche Kritik knebeln wollen, wollen ihr zugleich das Beste nehmen: ihre bedingungslose Israelsolidarität als einzigst richtige Lehre aus Auschwitz.
Es gehört zur Aufgabe antideutscher Kritik, Schwätzern wie Holz, Müller, Traverso oder Ole Frahm und Freunden das Maul zu stopfen, damit sie Israel nicht gefährlich werden können. Daß sie es wollen, wenn sie nur könnten, beweisen auch die abschließenden schwülstigen und nichtssagenden Zeilen von OFF mehr als gründlich: „Es gibt für diesen Konflikt keine einfache 'Lösung'. Jede Hoffnung darauf versucht, die Geschichte zu verdrängen, anstatt sich mit ihr auseinanderzusetzen. Die Ambivalenz der Situation, in der es mehr als einen Täter und mehr als ein Opfer gibt, darf nicht reduziert werden. Denn diese Ambivalenz erzeugt nicht zuletzt die Sehnsucht nach klaren Lösungen. Statt dessen müssen Praktiken entwickelt werden, die die historischen Ambivalenzen zur Voraussetzung der Politik machen.“
Wenn man auch nur eine „Hoffnung“ darauf hat, daß es „für diesen Konflikt“ eine „einfache Lösung“ geben könnte, dann gilt man für OFF als jemand, der versucht, „Geschichte zu verdrängen“. Was für eine Verdrängungsleistung eigener Lust, kann man da nur sagen. Denn nur postmoderne Deppen wie OFF können sich so abschätzig über die normalste aller normalen menschlichen Regungen äußern, die sich dergestalt Ausdruck verleiht, daß natürlich jeder jederzeit den Wunsch verspürt, einen „Konflikt“ durch eine „einfache Lösung“ zu bewältigen. Weil man aber gemäß dem ehernen Postmoderne-Gesetz „keine einfache Lösung“ nie und nirgends kennen darf, bleibt nur die komplizierte – und die ist per se lustfeindlich. So verleugnet man sich mittels Ideologie selbst und bekundet, es ginge darum, statt „Hoffnung“ zu hegen, sich mit „Geschichte auseinanderzusetzen“. Was man damit meint, wissen OFF zwar selber nicht, den Jargon der Eigentlichkeit von „Geschichte“, mit der man sich „auseinanderzusetzen“ hätte, mal auf's Papier gebracht zu haben, weil das so schön schlau klingt, ist ihnen das aber allemal wert. Und weil man ja nichts richtig oder falsch finden will, greift man einmal tief in die Psychoanalyse-Kiste und fördert den Begriff der „Ambivalenz“ zutage, der dafür stehen soll, daß man „Opfer“ wie „Täter“, „Täter“ wie „Opfer“ gleichermaßen – je nach subjektiver Geschmacksrichtung – mal mehr, mal weniger lieben und hassen können soll. Das heißt, für OFF bedeutet die Objektbindung an „diesen Konflikt“ in völlig beliebiger Art und Weise nichts anderes als die Gleichzeitigkeit von Objektliebe und Objekthass. Daraus zieht man dann den Schluß, den nur Analphabeten ziehen können: daß nämlich „die Ambivalenz der Situation (...) nicht reduziert werden“ dürfe. Wie man eine „Ambivalenz“ überhaupt „reduziert“? Nun, bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte den zuständigen Jungle Word-Redakteur oder Postmoderne-Experten. Logisch würde ich meinen: „reduziert“ man „Ambivalenz“, entsteht ein Ambivalenzchen, das man bei genügend Sonnenlicht und guter Muttererde alle drei Tage ausreichend gießen sollte, damit es ordentlich gedeihen kann.
Der notorische Analphabetismus von Erstsemestlern treibt aber noch ganz andere Blüten. Waren sich OFF erst sicher, wie verabscheuungswürdig doch eine „einfache Lösung“ wäre, ist man nur drei Sätze später vom genauen Gegenteil überzeugt, „denn diese Ambivalenz erzeugt nicht zuletzt die Sehnsucht nach klaren Lösungen.“
Hä, wie jetzt? Die Gewißheit der „Ambivalenz“, die gerade noch eine „einfache Lösung“ vermeiden sollte, „erzeugt“ nun ebenso „die Sehnsucht nach klaren Lösungen“? Mein Gott, was ist die Welt der Diskurse kompliziert! Aber Politnachwuchs wie OFF weiß da natürlich Rat. Weil der Begriff der „Ambivalenz“ ihnen ohnehin alles und nichts bedeutet, soll dieser auch noch schlechthin „zur Voraussetzung der Politk“ gemacht werden. Verblümter kann man mittels Pomo-Sprech Israel wahrlich nicht die Pest an den Hals wünschen.

Epilog

Um es nochmals an Eides statt zu erklären: Alle Zitate von HMT, Wolter und OFF finden sich im Dossier der Jungle World-Ausgaben Nr.47 vom 13. November 2002 und Nr.48 vom 20. November 2002. Wer es nicht glaubt, lese es bitte dort nach. Wer es glaubt, ziehe bitte seine Konsequenzen daraus.
Seit Hegel ist klar, daß dialektisches Denken der ganzen Anstrengung des Begriffs bedarf. Diesem Begriff, von dem Adorno wußte, daß man „ihn nur mit Begriffen auftun kann“, alles andere also Geschwätz ist, tut das postmoderne Bedürfnis als verpupptes ontologisches nichts als Gewalt an, die jeden M/L in den Schatten stellt. Und so kann es in keinster Form an die Sache des Begriffs auch nur annähernd heranreichen, denn postmoderne Ideologen benutzen zwar ihr Gehirn, aber ohne Verstand.
Das Problem der postmodernen Verblödung bündelt sich darin, daß die Apologeten dieser Ideologie nicht mehr in der Lage sind, den Faschisten oder Islamisten zu kritisieren, ohne ihn zugleich in Schutz nehmen zu müssen und ihn quasi zu entlasten. Zu nichts anderem muß das anerkennende Denken von der Eigentlichkeit des jeweiligen Sprechortes notwendig führen: Kritik ja, aber nicht wirklich ernst gemeint, weil die eigene Plotstruktur ja nicht die Plotstruktur des Anderen sein könne, die man vor aller Kritik immer bedenken müsse.
Weil man also unter einem solchen Primat des Differenzdenkens den festen Boden des eigenen Standpunktes unter den Füßen verloren hat, läßt sich nichts mehr auf einen kritischen Begriff bringen, sondern nur Verständnis für das vermeintlich Eigentliche jeder Situation aufbringen. Das aber ist nicht etwa kommunistische Nächstenliebe, sondern in der Konsequenz zutiefst menschenverachtend. Denn es legt das Individuum auf ein An sich fest, das so aus der ideologisch vorgegebenen Welt der Diskurse und Orte des Sprechens nicht mehr ausbrechen kann. So wird der Mensch nicht mehr primär als natürliches, zur Veränderung befähigtes Wesen wahrgenommen, sondern immer wieder reproduzierend auf seine eigentliche Befangenheit in allen Fragen des Lebens zurückgeworfen – als totes Subjekt, das nur noch Objekt der Verhältnisse sei.
Das postmoderne Denken führt demzufolge keinen Schritt weiter, sondern ist vielmehr Ausdruck davon, daß einem Schritt vorwärts zwei zurück folgen, nichts anderes also ist als Regression des Geistes in voller verwelkender Blüte.

Fußnoten:
(1) Alle nachfolgenden kursiven Passagen sind Zitate des Textes von Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso aus dem Dossier „Schuld und Erinnerung“ der Jungle World Nr. 47 vom 13. November 2002.
(2) Alle nachfolgenden kursiven Passagen sind Zitate des Textes „Projektion und Wahn“ von Udo Wolter aus der Jungle World Nr. 47 vom 20. November 2002.
(3) Alle nachfolgenden kursiven Passagen sind Zitate des Textes „Ein Opfer zuviel“ von Ole Frahm und Freunde aus der Jungle World Nr. 47 vom 20. November 2002.

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last modified: 28.3.2007