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Das Festklammern an der Aufklärung und die Regression der Linken.


Zu den Bedingungen der Möglichkeit von Anti-Emanzipation im 21. Jahrhundert.

Die unmögliche Tatsache

(von Christian Morgenstern)

Palmström, etwas schon an Jahren,
wird an einer Straßenbeuge
und von einem Kraftfahrzeuge
überfahren.

"Wie war" (spricht er, sich erhebend
und entschlossen weiterlebend)
"möglich, wie dies Unglück, ja - :
daß es überhaupt geschah?

Ist die Staatskunst anzuklagen
in Bezug auf Kraftfahrwagen?
Gab die Polizeivorschrift
hier dem Fahrer freie Trift?
Oder war vielmehr verboten,
hier Lebendige zu Toten
umzuwandeln, - kurz und schlicht:
DURFTE hier der Fahrer nicht - ?"

Eingehüllt in feuchte Tücher,
prüft er die Gesetzesbücher
und ist alsobald im klaren:
Wagen durften dort nicht fahren!

Und er kommt zu dem Ergebnis:
"Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil", so schließt er messerscharf,
"nicht sein KANN, was nicht sein DARF."
Die Fragestellung

Ist Aufklärung 1) die Bedingung der Möglichkeit von Emanzipation, aus der man nicht aussteigen kann oder ist sie 2) die barbarische Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus, mit der ein fundamentaler Bruch notwendig ist?

1) Die Aufklärung als Bedingung der Emanzipation, aus der man nicht „aussteigen“ kann

Das ist die Position der überkommenen traditionellen Linken: Emanzipation wurde gedacht als pure Fortführung bürgerlicher Emanzipation. Die Grundlagen bürgerlicher Vergesellschaftung wurden nicht in Frage gestellt Zentral hierbei: Geschlechterverhältnis, instrumentelles zerstörerisches Naturverhältnis, die warengesellschaftliche Grundlegung der Gesellschaft verbunden mit dem Prinzip des immerwährenden und wahnhaften Wachstums und ewigen Fortschritts.
Die Antideutsch-Kommunistische Gruppe Leipzig (AKG) fordert sehr wohl ein Ende der Warengesellschaft (hier liegen die Parallelen der referierten Positionen bei der Veranstaltung „Der Begriff der Aufklärung und seine Kritik“ am 10.9.2002, siehe Ankündigung im CEE IEH 92:). Speziell an ihrem Verständnis von Aufklärung wird jedoch deutlich, dass die Überwindung nicht konsequent gedacht wird. Aufklärung wird unhistorisch verstanden als langer Prozess der Ablösung des „Geistes“ von der „Naturverfallenheit“. Damit wird ein spezifisch kapitalistisches, in seiner Konsequenz scheußliches Modell des Mensch-Natur-Verhältnisses nicht in Frage gestellt. Die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft werden zu denen einer angeblich „ganz anderen“ gemacht. Das zeigt sich besonders in einem völligen Verkennen der Dialektik der Aufklärung: Diese bringt aus sich heraus jene anderen, barbarischen Momente hervor: die Gegenaufklärung, den Irrationalismus, heute furchtbare islamistische Bestrebungen (als ein Beispiel unter vielen - nicht als die zentrale Bedrohung schlechthin!!!).
Also schicken sich die AKGs im besten Sinne der alten traditionellen Linken, mit der sie doch so konsequent brechen wollen, ein weiteres Mal an, die Aufklärung gegen die Gegenaufklärung zu verteidigen. Der Islam wird zum großen Feind, die USA zum großen Verteidiger der hochgelobten „Bedingungen der Möglichkeit von Emanzipation“. Sie schwärmen von „konkreter Parteinahme“, „praktischer Intervention“ gegen „konkretes Leiden“ von Menschen. Fast möchte man das emanzipatorisch finden, ob des Mitleidens an brutalen Verhältnissen. Jedoch erweist sich ihr konkretes Eingreifen meist nur als pure und schnöde Rechtfertigung dessen, was ohnehin geschieht. Es erweist sich als eine erschreckende Zustimmung zum Krieg, der die brutale Existenzform des Kapitalismus darstellt. Auf dem Schlachtfeld erwachte er, auf dem Schlachtfeld schickt er sich an, unterzugehen. Die AKG bejubelt das - wenngleich sie sich dessen nicht bewusst ist. Ich poche auf Aufhebung dieses Systems.

2) Aufklärung als Bedingung der Möglichkeit ihrer emanzipatorischen Aufhebung

In einem Punkt hat die AKG völlig Recht: Die Aufklärung stellt freilich die Grundlage einer radikalen Kritik an ihr dar. Ebenso setzt es den Kapitalismus voraus, um anti-kapitalistisch zu sein, das Patriarchat, um anti-patriarchal zu sein, die Umweltzerstörung, um die Schonung der Lebensgrundlagen zu fordern ... Unsinnig hingegen ist es hingegen, den Kapitalismus durchsetzen zu wollen, um ihn endlich aufheben zu können.
Sehr wohl ist die Aufklärung die Bedingung der Möglichkeit von Emanzipation. Jedoch „die vollends aufgeklärte Erde stahl im Zeichen triumphalen Unheils (Horkheimer/ Adorno: Dialektik der Aufklärung)“. Die vollends, also endgültig aufgeklärte, wohlgemerkt. Unsere. Die Jetzige. Sie ist vollends aufgeklärt. Da geht nichts mehr.
Die menschliche Geschichte war seit je eine Geschichte von unverstandenen Fetischverhältnissen. Vermittelt über Totem, Gott oder den Besitz/ Nicht-Besitz von Grund und Boden formierten Menschen seit je bewusstlos Gesellschaft. Sie schufen selbst Verhältnisse, die sich vehement gegen sie wandten. Sie gestalteten ihre Gesellschaft nicht nach eigenen sinnlichen Bedürfnissen, sondern in zwanghaft von ihnen getrennter, losgelöster, abgespaltener Form. Der Kapitalismus setzte an die Stelle bisheriger direkterer Fetische den Wert (statt Totem, Boden, Gott, die man anfassen oder sich immerhin was drunter vorstellen kann). Die Produktion und Reproduktion menschlichen Lebens nahm jetzt selbst jene eigentümliche Fetischform an. Der seit je durch Tätigkeit vermittelte ewige Stoffwechselprozess des Menschen mit der Natur nahm die entmenschlichte Fetisch-Form der Arbeit an und wurde von menschlichen sinnlichen Bedürfnissen abgespalten. Über die Verausgabung abstrakter Quanta Arbeitszeit werden Menschen jetzt hinter ihren Rücken und über ihre Köpfe hinweg - indirekt vergesellschaftet: Wertvergesellschaftung. Menschliche Produktion geriet in den Widerspruch von stofflicher Produktion einerseits und abstrakter, entsinnlichter Verwertung andererseits. Produziert wurde jetzt, um abstrakten Reichtum zu häufen (in Form von Geld, das immer nur wachsen - aber nicht verzehrt werden kann und soll). Es entstand das Kapital als soziales Verhältnis. Es begann eine permanente Verwertung als Selbstzweck, die sich zwangsläufig stofflich ausdrücken muss. Mensch und Natur wurden in Form eines katastrophalen darnieder fackelnden „Strohfeuers“ verheizt. Zurück bleiben öde Landschaften und ausgebrannte menschliche Wesen. Dieser Prozess brachte aber auch eine ungeheure, bis dahin nicht gekannte und nicht vorstellbare Entfaltung von Produktivkräften hervor. Ebenso trennte sich menschliches Denken vom ehemals einfühlenden, magischen, „sympathetischen“ Verhältnis zur Natur. Vor dem Hintergrund einer von Natur abgetrennten instrumentellen und zweckgerichteten Naturvernutzung trennten sich körperliche und geistige Tätigkeit. Menschliches Denken wurde damit reflexiv. Es wurde möglich, über sich selbst, sein eigenes Tun und Denken nachzudenken. Auf diesen Grundlagen entfalteten sich die Bedingungen einer endlichen menschlichen Emanzipation vom Fetischverhältnis. Es wurde möglich, wie gesagt – möglich – ohne Vernutzung durch Arbeit zu leben. Und es wurde möglich, Gesellschaft zu begreifen, sofern man die Trennung in geistige und körperliche Arbeit nicht reflexionslos hinnimmt. Diese muss dabei selbst wiederum zum Gegenstand der Reflexion gemacht werden. Das sind wahrhaft Bedingungen menschlicher Emanzipation.

3) Der Bruch - die Aufhebung der Aufklärung

Die Aufhebung der Gewohnheit, 26.0k Inzwischen ist die gesellschaftliche Entwicklung der Produktivkräfte jedoch an einen bestimmten Punkt gelangt. Eine weitere Entwicklung in dieser alten Form ist nicht mehr möglich. Die Arbeitsgesellschaft hat aufgrund ihrer eigenen Entwicklung die Arbeit überflüssig gemacht. Damit sackt die auf dem Tauschwert gründende Produktionsweise in sich zusammen. Krise in Permanenz: das heißt: jetzt ist Krise, da gibt es nichts zu warten. Es sei denn auf Godot: nämlich erfolglos auf einen neuen kapitalistischen Wachstumsschub. Die Automatisierung der Produktion ist nicht rückgängig zu machen. Die auf der Vernutzung von Quanta Arbeitszeit beruhende Gesellschaft ist an ihr definitives Ende gelangt.
An diesem Punkt geht es um einen fundamentalen Bruch mit den Prinzipien der Aufklärung. Mit dem Zerbrechen der auf dem Tauschwert gegründeten Produktion stehen die historisch entstandenen Verhältnisse grundlegend zur Debatte. Aufklärung als Bedingung der Emanzipation setzt eben jetzt diesen völligen Bruch mit ihr voraus. Demzufolge geht es nicht mehr um die sinnlose Verteidigung westlicher Werte. Eben sowenig kann es noch um die Verteidigung des instrumentellen Mensch-Natur-Verhältnisses gehen. Auch die auf der Dialektik von Subjekt und Objekt beruhende Identität hat sich historisch erledigt. - Es geht also nicht mehr um das, was die programmatischen Kernpunkte der AKG sind.
Ergo: gerade weil die Aufklärung die Bedingung der Möglichkeit von Emanzipation darstellt, geht es jetzt um einen Bruch mit ihr: weil es jetzt um die Wirklichkeit dieser Emanzipation geht. Unter diesen Bedingungen gilt es die Aufklärung aufzuheben. Das bedeutet, sich intensiv und gerade auch mit ihrer brutalen Schreckensgeschichte gründlich auseinanderzusetzen. Jetzt, nachdem sie sozusagen ihre emanzipatorischen Dienste getan hat.
Dazu ist auf Folgendes zu verweisen. Sie brachte zwar eine umfassende Entwicklung des Menschen hervor. Sie propagierte die hemmungslose Entfaltung des Menschen - aber eben eine verkehrte Entfaltung. Sie entwickelte den Menschen. Aber sie entwickelte den „Menschen als Maschine“ (Lamettrie). Sie entwickelte ihn als entfremdetes Subjekt-Objekt der rücksichtslosen Unterwerfung und Disziplinierung. Sie entfaltete ihn weniger als Mensch, denn umso mehr als Arbeitstier. Sie forderte Mündigkeit und Vermögen den eigenen Verstand zu gebrauchen. Aber damit strebte sie nur die absurde Unterwerfung unter staatliche und marktwirtschaftliche Gesetze an: „rässoniert so viel Ihr wollt aber gehorcht“ (Friedrich II nach Kant: Was ist Aufklärung). Sie propagierte die „Freiheit“. - Aber sie konnte sie nicht anders denken denn als „bürgerliche“ und „liberale“ Freiheit. Sie meinte stets: abstrakte Gleichheit vor dem alle beherrschenden Gesetz (bei Kant sogar verinnerlicht). Dieses verkörpert aber an sich schon die Zumutungen der Warengesellschaft . Nicht materielles und sinnliches Glück für die Menschen, nicht Freiheit von äußeren und inneren Zwängen, sondern das Nützlichkeits-Glück der Utilitaristen standen auf ihren Fahnen. Der Mensch wurde bestimmt als Wesen, das sich selbst maßlos zu disziplinieren hat, sich selbst bedingungslos zu gehorchen, ein stupides Arbeitswesen ist, seine Instinkte und Triebe zu unterwerfen hat, in einem bürgerlichen Staat leben und diesem bis in den Tod ohne nachzudenken zu folgen hat - oder besser: sein Leben überhaupt erst von diesem geschenkt bekommt. Sie entwickelte den Menschen als ein Wesen, welches in der Erziehung von klein auf die Selbstbeherrschung eingetrichtert und eingeschlaucht bekommt. Sie formte ein Wesen, welches stets bedingungslos nach blödsinniger Leistung und tumbem Schaffen zu streben hat. Sie brachte einen entfremdeten Menschen hervor, welcher als Mann die Welt instrumentell bedingungslos bis zur letzten Konsequenz unterwirft und als Frau dem Manne „gefühlvoll“ und „sinnlich“ zu dienen und zu Diensten zu sein hat. Sie entwickelte den Menschen als erbarmungslos geteiltes Wesen. Sie entwickelte nicht die umfassende sinnlich-vernünftige menschliche Tätigkeit, nicht die lustvolle Muse, den Genuss und das freie Nachsinnen, nicht eine breit mögliche Palette von Gefühlen. Sie entwickelte den Menschen als borniertes Arbeitswesen. Und zwar entweder als geistig oder körperlich arbeitendes, schuftendes, sich abrackerndes Wesen. Der Mensch war ihr entweder ein herrschendes oder sich unterwerfendes Wesen. Zumeist beides zugleich. Sie entwickelte ihn als vernunftbegabtes Wesen. Aber sie stellte die Vernunft wiederum nur unter einen Zweck, den der Verwertung. Sie trennte Vernunft und Sinnlichkeit. Heraus kamen Vernunft in Gestalt der Unvernunft und Sinnlichkeit in Gestalt der Unsinnlichkeit.
Wie gesagt: damit hat sie auch eine nie da gewesene und vorher nie denkbare Entwicklung erreicht. Diese stößt aber jetzt an ihre definitiven und endgültigen Grenzen. Es geht somit um die Abstreifung der vereinseitigten und verkümmerten Entwicklung, nach der der Mensch in der Aufklärung gesehen wurde. Es geht also um die Überwindung der fetischistischen und abgespaltenen Verhältnisse, des stumpfsinnigen Leistungsprinzips, des zurichtenden Geschlechterdualismus - also von Mann und Frau, wie wir sie kennen. Das ist möglich nur mittels eines fundamentalen Bruchs mit der Aufklärung. Sie schuf zwar die Bedingungen der Emanzipation, ist aber heute ihre größte Fessel, da sie historisch endgültig überlebt ist.

4) Realer Humanismus contra Antihumanismus

Meine Argumentation ist im übrigen weder „strukturalistisch“ noch „geschichtsdeterminsitisch“. Sören Pünjer unterstellt im Arche-Noah-Prinzip der KRISIS einen „wertkritischen Angriff auf die Geschichte“: Auf den Nenner gebracht: Die Aufklärung würde als böse, beherrschende Struktur auftreten, die sich das „Menschenmaterial“ als willenloses unterwirft. Demzufolge würde man nicht vom Menschen aus denken, der die Geschichte gestaltet. Man würde mit der Denktradition des „realen Humanismus“ brechen, in die er sich stellt und die von Marx und Engels über die unorthodoxe Marxrezeption der 20er, den Links- und Anarchokommunismus Blochs, Lukacs’ und Korschs und die Frankfurter Schule (Horkheimer, Adorno, Marcuse, Löwenthal, früher Erich Fromm) und ihre radikalen Nachfolger (Alfred Schmidt, Gunzelin Schmid Noerr, Christoph Türcke) bis zu mehr oder minder radikalen linksmarxistischen Gruppen heute reicht. Kerngedanke des realen Humanismus ist es, den Menschen als sinnliches Wesen zu betrachten, als mit der Natur verwobenes Wesen. In den Worten von Marx und Engels: „Die Geschichte tut nichts, sie ‚’besitzt keinen ungeheuren Reichtum’, sie ‚kämpft keine ungeheuren Kämpfe’! Es ist vielmehr der Mensch, der wirkliche, lebendige Mensch, der das alles tut, besitzt und kämpft; es ist nicht etwa ‚die Geschichte’, die den Menschen zum Mittel braucht, um ihre... Zwecke durchzuarbeiten, sondern sie ist nichts als die Tätigkeit des seine Zwecke verfolgenden Menschen“ (Marx, Engels: Die heilige Familie).
Es geht aber gerade um den Menschen als sinnliches, lebendiges, fühlendes, leidendes Wesen, um dessen sinnliche Erfüllung und Befreiung vom unentwegten Leiden. Gegen diese Linie begründete der strukturalistische Marxismus Althussers und Poulantzas einem „Antihumanismus“. In Betrachtung gerieten ökonomische Strukturen, die wissenschaftlich erfasst werden könnten und nach denen sich der Mensch zu richten habe. Weil die KRISIS den Menschen als Opfer blinder objektiver Prozesse betrachte, stellt sie Sören Pünjer in diese antiemanzipatorische Richtung. Das strikte Gegenteil davon ist richtig. Allerdings ist es ein realer Prozess, dass der Mensch im Kapitalismus von ökonomischen Prozessen, vom „Terror der Ökonomie“ (Viviane Forrester) beherrscht wird. Aber er bringt diesen unterwerfenden Terror selbst hervor. Er schafft unter fetischistischen, warengesellschaftlichen und patriarchalen Bedingungen selbst Verhältnisse, die sich hinter seinem Rücken verselbständigen. Diese setzen sich als unabhängige, bedrohliche Bewegung gegen ihn durch und beherrschen ihn. Adorno brachte das treffend und genau auf den Punkt: „Ironisch war Marx Sozialdarwinist: was die Sozialdarwinisten priesen und wonach sie zu handeln es sie gelüstet, ist ihm die Negativität, in welcher die Möglichkeit ihrer Aufhebung erwacht... Real ist die Naturgesetzlichkeit als Bewegungsgesetz der bewusstlosen Gesellschaft, wie es das ‚Kapital’ von der Analyse der Warenform bis zur Zusammenbruchstheorie (!!!) in einer Phänomenologie des Widergeistes verfolgt“ (ND, S. 349) . Und genau diese absurden Verhältnisse gilt es aufzuheben. Damit Menschen nicht nur Geschichte machen, sondern damit sie sie bewusst, in ihrem sinnlichen Interesse und für ihre Bedürfnisse gestalten. Es geht also um eine Gesellschaft, die sich nicht indirekt über einen Fetisch vermittelt. Es geht um eine, in der sich Menschen direkt über ihre Bedürfnisse nach Nahrung, Genuss, Bildung, körperliche und psychische Nähe vermitteln. Ein solcher Gedanke war dem Strukturalismus der Althusser und Co. völlig fremd (die Fetischkritik galt ihnen als abgedrehte unwissenschaftliche Spinnerei).
Ebenso wenig ist die Position der KRISIS eine geschichtsdeterministische. Der Generalvorwurf wäre hier ein ähnlicher. Die Geschichte würde sich nach strikten Gesetzmäßigkeiten entwickeln. Der Mensch vollzieht sie nur mit, muss sich ihr unterwerfen. Am Ende steht dann, je nach Facon, die befreite Menschheit (Engels, durch Lenin und Stalin verballhornt) oder das allgemeine Desaster, der Untergang der Menschheit. Die hier referierte Position steht dem völlig entgegen. Wenn die KRISIS von ökonomischen Verhältnissen spricht, die die Menschen beherrschen, dann geht sie davon aus, dass diese von den Menschen selbst geschaffen sind und mit denen endlich gebrochen werden muss. Marxens Satz, nach dem das Sein das Bewusstsein bestimmt, ist keine ontologische Aussage über das Wesen des Menschen. Sie ist eine empörte Anklage gegen die brachialen Zumutungen des Terrors der Ökonomie, unter dem Menschen Verhältnisse hervorbringen, die letztlich sogar ihr Denken durchherrschen.
Wer sich allerdings wirklich zitatlich nachweisbar auf den strukturalistischen Antihumanismus bezieht, ist die AKG. Um den Mythos vom ewigen Laufen des warenproduzierenden Systems am Brennen zu halten und immer weiter zu nähren, ist ihnen kein Argument zu schade. Auch dann nicht, wenn es vom Front-Denker der Althusser-Poulantzas Linie kommt, in die man so gern die Krisis stellen möchte: von Michael Heinrich. In seiner „Wissenschaft vom Wert“ schickt dieser sich an, die Grundsäule der marxschen Lehre zu zerschlagen, die Arbeitswertlehre, nach der der Wert in der Produktionssphäre geschaffen wird und aus dem Widerspruch zwischen stofflicher Produktion und ihrer Verwertung entspringt. Bei Heinrich gibt es weder Menschen noch einen Austauschprozess der vergesellschafteten Menschheit mit der Natur. Wer gegenteiliges behauptet, wird von diesem Papst des Links-Strukturalismus schon mal als „Physiologist“ bezeichnet.

5) Voodookult und Mummenschanz: Die Rettung der Aufklärung nach ihrem Tode

In den Argumentationen der AKG geht es jedoch um die Rettung der Aufklärung (nach ihrem Tode), nicht um ihre Überwindung. Im Zuge des Zusammenbruchs von Identität und männlichem Prinzip sollen diese eben geradezu gerettet werden (siehe ihr Angriff auf die Linke in „Wir sind unserer Meinung“). Und das wird dann als Schaffen der Bedingungen der Möglichkeit von Emanzipation verkauft. Es geht jetzt aber nicht um die Bedingungen der Emanzipation, sondern um deren Realisierung. Die Mehrzahl der Linken verfällt jedoch angesichts dieses Zustandes in Regression: man fixiert sich auf einer früheren Stufe des warenproduzierenden Systems - und wiederholt immer wieder die Situation von 1945ff in Endlosschleife. Verteidigung der Aufklärung gegen ihre irrationalen Widersacher. Zur Regression tritt die Projektion: die infantil fixierten sind immer die anderen. Dahin führt es wohl, wenn man Probleme mit „Kuscheln“ und „Rubbeln“ hat ( vgl. AKG: Wir sind unserer Meinung, dort wird ein „aufgesetztes“ und „verlogenes“ „WG-Kuscheln und Rubeln“ halluziniert ).
Weil nicht sein kann was nicht sein darf, klammert sich die traditionelle Linke, allen voran die AKG, an die Verteidigung der Aufklärung. Alles, was jetzt zur Debatte stehen müsste, wird von ihr verzweifelt (zugestanden...) verteidigt. Koste es, was es wolle. Im Zweifel wird das dann als „konkrete Parteinahme“ für die Leidenden verkauft. An anderer Stelle redet man dem kapitalistischen Egoismus das Wort und wünscht die soziale Frage, die für immer mehr Menschen zur existenziellen wird, endgültig in den Orkus. Das identische zweckgerichtete bornierte Leistungssubjekt wird so verteidigt wie das patriarchale Geschlechterverhältnis (irgendwas muss dran sein am natürlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern, schließlich muss der Begriff davon ja irgendeinen Inhalt haben...). Unter Rückgriff auf den Christoph Türcke wird mit gleichem Argument die Existenz von Rassen zumindest nicht in Abrede gestellt. Die ollsten Kamellen der Aufklärer werden als „Bedingungen der Möglichkeit von Emanzipation“ neu aufgetischt. Wo sich Linke im seichten Anflug von Ideologiekritik kritisch mit Rassismus und Sexismus auseinandersetzen, und ihre Erkenntnisse auch umsetzen wollen, werden ihnen „Gutmenschentum“ und Helfersyndrom untergejubelt. Richtig wäre es, auf die fehlende wert- und abspaltungskritische Fundierung der Überlegungen dieser anti-sexistischen und anti-rassistischen Linken hinzuweisen. Zweifellos ist es problematisch mit dem ständigen Helfen wollen. Klar ist, dass es um eigene Interessen, die der Emanzipation, gehen muss, die Grundlage der Emanzipation aller sein könnte. Das rechtfertigt jedoch nicht die identitäre Diktion der Kritik an der Linken, wie sie von der AKG in den Mittelpunkt gestellt wird. Allein die schlichte und einfache Tatsache, dass man seiner Meinung ist, wird bei ihnen zur Ideologie. An deren Ende steht die Rechtfertigung des Bestehenden. Ich hatte bereits darauf verwiesen: Krieg, Geschlechterverhältnis, Rassen - mündend in ihren Hype der kapitalistisch erstrahlten und verstrahlten „aufgeklärten“ Welt. Ungewollt sagen sie in ihrer Überschrift die Wahrheit: Meinung - nicht begriffliche, reflektierende Durchdringung kapitalistischer Verhältnisse ist der durchgehende Wesenszug dieser Argumentation.

6) Krise

Die Krise des globalen Kapitalismus, 10.6k Zentraler Schwerpunkt dabei ist dabei ihr Begriff von der Krise des warenproduzierenden Systems. Gerade in ihrer abgrundtiefen Krisenignoranz treffen sie sich mit den von ihnen so gehassten und verpöhnten Traditionslinken, Pomos und Struckis, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen wollen. Aussagen betreffs der über die Menschen hinweg rollenden kapitalistische Vergesellschaftung mit Zusammenbruchstendenz geraten bei ihnen zu „Metaphysik“ und „Apokalypsenwahn“.
Gepocht wird auf die Unterscheidung von Einzel- und Gesamtkapital. Krisentheorie würde Aussagen, die für das Einzelkapital richtig seien, auf die gesamte Gesellschaft übertragen. Ein Einzelkapital kann bankrott gehen, wenn es unrentabel wirtschaftet, gesamtgesellschaftlich wäre eine solche Behauptung eher Weichkäse.
Aber erst auf der Stufe des Gesamtkapitals lassen sich überhaupt erst sinnvoll Aussagen über die finale Krise machen. Das Einzelkapital findet, was es braucht, fix und fertig auf dem Markt vor - zumindest in „normalen“ Situationen. Erst auf gesellschaftlicher Ebene zeigt sich, dass der Kapitalismus ein Verwertungsprozess ist, der auf seine materielle Substanz, die Arbeit, keine Rücksicht nehmen kann. Das Einzelkapital will Arbeit einsparen (Mikroelektronik, Rationalisierung) - erst gesellschaftlich zeigt sich das große Dilemma. Aber für solche Grobstofflichkeiten hat die AKG wie der Strukturalist Michael Heinrich keinen Sinn.
Die Hauptdiktion: über gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten lassen sich keine klaren Aussagen machen. Wie kann ich als Teil des Wertverhältnisses Aussagen über seine Gesetze und sein Ende machen? Das wäre ja wie frei nach dem lügenden Baron von Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Wasser gezogen haben wollte. Schon der alte Schopenhauer erkannte, dass Menschen wohl nie die Funktion ihres eigenen Gehirns erkennen könnten. Sie bedürften dazu ja eines externen „Super-Gehirns“, welches sie wiederum niemals verstehen könnten. Das Problem liegt aber hier schon im Begriff vom Kapital. Sören Pünjer stellt es sich vor als eine Einheit von Staat, konstantem und variablem Kapital sowie Waren-, Rechts- und Denkform (vgl. Arche-Noah-Prinzip, 22). Das ist nun wirklich die vollendete anti-marxistische Krönung: Also: Kapital ist vernutzte Arbeit. Sein Wesen besteht in der ständigen Vernutzung neuer lebendiger Arbeit, mithin seinem ständigen Wachstum. Nicht mehr. Dazu bedarf es bestimmter Denkformen, Rechtsformen, des Staates, auch bestimmter warenförmiger Gefühle. Sie leiten sich ab. Jawohl sie leiten sich ab - und zwar aus dem Gegensatz zwischen warenförmiger Produktion und dem sie begründenden dualen Geschlechterverhältnis. Grundprinzip bleibt die ständige unentwegte Vernutzung von Arbeitskraft als herrschendes männlich-instrumentelles Prinzip. Diese vernutzte Arbeitskraft ist eine empirische Größe. Mit der Durchsetzung der mikroelektronischen Revolution baut sich diese Substanz ab. Um weiter auf Arbeit zu beruhen, muss der Kapitalismus nach eigenen Prinzipien unrentabel werden. Es bedarf hier des eingeklagten „absoluten Schlusses“ nicht: wann denn nun genau der Zeitpunkt erreicht ist, wo „alles“ zusammenkracht. Fakt ist: die Anfälligkeit wächst unentwegt in Permanenz. Gesetzt, ein See habe einen Zu- und einen Abfluss und ich leite den Zufluss um. Da bedarf es keines Wissens darüber, wie viel Liter Wasser sich noch im See befinden. Ich kann exakt schließen, dass er bald leer sein wird. Der Kapitalismus schafft sich also selbst seine Substanz, die Arbeit, ab. Computer und Softwareprogramme, die sich zum Teil selbst schreiben, übernehmen die „Tätigkeit“, über deren Vermittlung Menschen doch im Kapitalismus sich vermitteln. Dabei werden diese Computer übrigens nicht „intelligent“. Sie „bleiben unendlich weit auch nur vom Bewusstsein einer Amöbe entfernt, weil sie nichts als ein Haufen toter Materie sind“. Die mikroelektronische Nachahmung von Bewusstsein ist selbst kein Bewusstsein. Sie ist nichts als Verlängerung des menschlichen Denkens, ein Werkzeug, das Menschen zwischen sich und die zu bearbeitende Natur schieben. Auch der leistungsfähigste Super-Computer ist so intelligent wie ein Faustkeil. Im Übrigen kann das menschliche Konstruieren und Programmieren von Computern keinen neuen kapitalistischen Akkumulationsschub in die Welt zaubern. Software, Computer, Roboter und Maschinen schaffen keinen Wert. Sie sind nun mal keine gesellschaftlichen Wesen. Sie können zueinander keine fetischistischen Beziehungen eingehen. Sie können sich nicht indirekt über Arbeit vermitteln und dafür Lohn erhalten (vgl. Robert Kurz: Die Welt als Wille und Design).
Erst aus einen solchen Verständnis von Kapital als vernutzter Arbeitskaft können all die Denk-, Fühl- und Rechtsformen bestimmt werden. Immanuel Kant betrachtete sie als „a priori“ - aus der Funktion der menschlichen Vernunft als solcher entspringend. Hegel beschrieb ihre Entwicklung als historischen Prozess. Und Marx - und in Folge Alfred Sohn-Rethel machte ihre materiellen gesellschaftlichen Grundlagen erstmals klar. Als Vertreter von Charaktermasken denken und fühlen sich Menschen in die von ihnen im Tausch hervorgebrachte Warenbewegung hinein. Den „der Ware mangelnden Sinn für das Konkrete des Warenkörpers ergänzt der Warenbesitzer durch seine eigenen fünf und mehr Sinne“ (Marx, K1, 100) Aber genau diese Art von Gesellschaft machte sowohl die kritische Erkenntnis dessen möglich als auch die materiellen Möglichkeiten ihrer schlussendlichen Überwindung in Form der immensen Produktivkraftentwicklung.
7) Auschwitz

Zu Recht wird von der AKG die Positionierung zum Holocaust als entscheidend und grundlegend dargestellt. Nach Auschwitz gibt es keine völlige Gewissheit über Fortschritt in der kapitalistischen Gesellschaft mehr. Inmitten des größten Fortschritts zeigte sich das schlimmste Grauen. Keine fortschrittliche Errungenschaft darf als sicher hingenommen werden, solange die kapitalistischen Grundlagen noch bestehen. Diese Einsicht läge es nahe, keine Hoffnungen in die Fortschrittslogik des Kapitals zu setzen. Genau das aber praktiziert die AKG. Sie meint mit der Durchsetzung westlicher Werte schlimmeres verhindern zu können. Auschwitz war aber eben auch - ich betone: auch - die Durchsetzung der Aufklärung. Nämlich unter deutschen Verhältnissen, in ihrer hässlichen deutschen Fratze. Heute steht uns eine solche Durchsetzung nicht mehr ins Haus. Wir sind heute daher bedroht von einem postmodernen frei flottierenden Antisemitismus - einem sozialdarwinistischen, wahnsinnsegoistischen Hass auf alles unproduktive, „nicht Wert schaffende“. Dies gerade weil der Wert sich erledigt hat - gerade weil man verzweifelt und verbittert an überkommenen Verhältnissen klammert wie eine Schar von Äffchen.
Die Einsicht von Auschwitz als Ende der bürgerlichen Epoche und Deutschlands wäre die einzig mögliche, um wahrhaft menschliche Verhältnisse herzustellen, schreibt die heutige AKG. Bedauernd muss sie feststellen: das Selbstbewusstsein wurde nicht erschüttert. Und warum? Ja weil Auschwitz eben auch die Durchsetzung der Warenproduktion war - weil 1945ff nichts weniger anstand als die Überwindung des Kapitalismus und der Nation - auch der deutschen nicht. Es ging damals wirklich um das, was die AKG für heute behauptet: die Verteidigung der Aufklärung in ihrer westlichen Gestalt. Es käme der Krisis bekanntlich nicht in den Sinn nach Auschwitz mit emanzipatorischen Gewissheiten zu brechen - so Sören Pünjer in seinem „Arche-Noah-Prinzip“. Auschwitz könne gesetzmäßig aus der Ökonomiekritik hergeleitet werden, unterstellt er „uns“. Zweimal daneben getroffen: wie sich der Kapitalismus in Deutschland durchsetzt, ist aus keinem „Kapital“ herauslesbar. Zumindest wird das weder von der Krisis noch von uns behauptet. Aber: paradoxerweise vertritt gerade die AKG jenes Fortschrittsideal, welches sie anderen unterstellt und mit dem nach Auschwitz so gründlich gebrochen werden muss. Die USA als Kraft des Fortschritts soll ein neues Auschwitz verhindern helfen? Wie? Wo sich doch inmitten des größten Fortschritts die schlimmste Barbarei entfaltete. Wo Fortschritt gegen nichts so wenig zu helfen scheint, wie gegen barbarische Zustände?

Ein aktueller Nachtrag

Aktuell steht uns der Angriff der USA auf den Irak ins Haus. Die radikale Linke – allen voran die die bahamas-, ISF und AKG-Antideutschen – haben nichts besseres zu tun, als diesen Angriff auch noch zu heiligen. Ihre berechtigte Kritik am Anti-Amerikanismus der deutschen Linken und weltweiten Globalisierungsgegner kommt dergestalt auf den Hund. In dieser auf falscher Analyse beruhenden Position wird die Hilflosigkeit der Aufklärungsverteidiger deutlich. Der außer Rand und Band geratene Kapitalismus schickt sich an, die Welt in Trümmern zu legen. Es wäre die Aufgabe der Linken, diesen Krieg zu verhindern. Gerade das könnte jene Atempause erreichen, die Per Violett in „Von der Idee einer vernünftig eingerichteten Welt“ in der Bahamas einklagt. „Time is running short, und die Linke ist, gelinde gesagt, schlecht vorbereitet auf das, was im Gefolge der katastrophischen Zuspitzung einer Weltwirtschaftskrise kommen könnte. Jede noch verfügbare Atempause ist zu nutzen …“ (Bahamas 38, S. 40, Hervorhebung von mir). Die Politik der USA sei jedoch nur dann bedenklich, wenn „eine kommunistische Guerilla“ unter ihre Räder gerät, nicht jedoch, wenn eine „islamistische Bande“ dem wirtschaftlichen Interesse der USA in die Quere kommt. Die Bahamas beweist hier einmal mehr, dass sie nur interessenpolitisch denkt und den realökonomischen Krisenprozess außer Acht lässt – wenn man einmal von der Krisenrhetorik absieht, die sie an den Tag legt. Diese beschränkt sich darauf zu betonen, dass sich der Krisenprozess beschleunigen wird. Aussagen über den kapitalistischen Entwicklungsprozess will sie damit ausdrücklich nicht betreiben. Die Logik der bahamas lässt sich auf die Frage reduzieren, ob denn nun gerade zufällig die Guten oder die Bösen von den US-Interessen überrollt werden. In einem Falle ist das dann gut, im anderen schlecht. Die bahamas erkennt jedoch nicht, dass das militärische Umsichschlagen der USA heute die Zerstörung und Erosion der kapitalistischen Welt vorantreibt und emanzipatorische Ausbruchsmöglichkeiten damit gerade verhindert. Im Zuge des Selbstabschaffungsprozesses der Arbeit, welcher die Substanz des marktwirtschaftlichen Systems unterspült, werden Staaten wie jede Art von nationalökonomischen Gebilden real unmöglich oder immerhin handlungsunfähig. Damit sackt der auf Nationalstaaten beruhende Kapitalismus mitsamt seinen Subjektformen in sich zusammen. Im individuellen wie im staatlichen Sinne wird der Amoklauf zum adäquaten Ausdruck dieser Verhältnisse. Staaten wie Individuen beginnen zu kollabieren, ohne dass sie eine äußere starke Macht davon noch abhalten könnte. Eine solche gibt es erstens gar nicht. Gäbe es sie, so würde ihr Eingreifen die Brisanz nur verschärfen. Die weitere Abdichtung des überkochenden kapitalistischen Dampfkessels lässt eben nur den Zeitpunkt seines Zerplatzens näher treten. Die Kriegspolitik der USA ist real als Ausdruck dieses irrationalen Selbstzerstörungswahns des Kapitalismus zu dechiffrieren. Dabei ist es scheißegal, ob sie dabei „islamistische Banden“ oder „kommunistische Guerillas“ treffen (es stimmt, dass mir ersteres lieber ist, aber zur Sache tut das nichts).
Für eine kritische Linke kommt es jetzt darauf an, diesen Krieg zu verhindern. Und wenn ihr das nicht gelingt, so muss sie doch immerhin an ihm den Zerstörungswahn der kapitalistischen Weltwirtschaft in ihrem Endstadium klarstellen und Perspektiven der Überwindung aufzeigen. Die Linke steht vor der Entscheidung, ob sie zusieht, wie die übergeschnappten Reste der Kapitalherrschaft die Welt und Schutt und Asche bomben oder ob sie sich lieber doch Gedanken machen will, wie sie sie davon abhalten könnte. Um Meilen verfehlt dieses Ziel Sören Pünjers Artikel über die „Islamisierung des globalen Wahns“ (CEE IEH 92). Hier ist die Rede von einer „weltweiten antiimperialistischen Phalanx gegen Israel und die USA… von den Globalisierungsgegnern über die Islamisten, allen anderen linken und rechten Antiimps, Multikultifreunden, die EU und Deutschland“ (S. 46). Dem kritisierenden Bewusstsein wird hier alles gleich. Nicht genug damit, dass verkannt wird, dass die Globalisierungskriik nicht unter ein einheitliches Raster zu bringen ist, wird sie gleich noch mit Nationalstaaten, Neonazis und Kulturalisten in ein Boot gesetzt. Aber dieses Boot erweist sich als eben jener falsche Dampfer, in dem sich die Antideutschen befinden. Entgegen ihrer Strategie ist jedoch in die Globalisierungskritik selbst der polarisierende Keil zu schlagen. Dann könnte sich herauskristallisieren, wem es wirklich um die Überwindung kapitalistischer Verhältnisse geht und wer lediglich „gegen ‚Entwurzelung’ und ‚Individualisierung’ redet“ (ebenda). Dieser Keil kann jedoch nicht darin bestehen, die Globalisierungskritik einfach etwas proamerikanischer und philosemitischer zu machen bzw. die Globalisierungsgegner mittels antideutscher Polemik auf die Seite der Kriegsführer zu holen. Vielmehr liegen gerade in der ablehnenden Haltung diesem Krieg gegenüber die Chancen der Globalisierungskritik. Wenn also die antideutsche Pro-USA-Polemik überhaupt etwas bezweckt, dann leider das falsche. Das Problem der Globalisierungskritik sind ihre weithin falschen Gründe gegen den Krieg der USA und die völlig fehlende Kapitalismuskritik. Sie bleibt in ihren Analysen vielfach bei oberflächlichen Problemen stecken (Kritik des „Neoliberalismus“, Forderung nach Besteuerung von Spekulationsgewinnen…). Damit wird sie allerdings anschlussfähig für antisemitische und reaktionäre Gedankengänge. Sie setzt auf eine Art von Kapitalismus, der heute nicht mehr existiert. Nämlich einem mit einem zentralen und handlungsmächtigen Staat. Da aber das Subjekt, auf welches sie setzt, nicht mehr handlungsfähig ist, besteht die Möglichkeit eines offenen Ausbruchs ihres antisemitischen Potentials. Nur: gerade in ihrem Verkennen der Krisenlogik des Kapitals sitzen die Antiglobalisierer tatsächlich auf einem gemeinsamen falschen Dampfer mit Nationalstaaten, Neonazis, Menschenrechtlern und weiß Gott wem noch. Aber eben auch in trauter Gemeinsamkeit mit ISF, bahamas & Co.
In diese Problematik löst sich auch das große Geheimnis von Hannes’ in vielen Teilen sehr klugen Dialektik-Einführung „Eine andere Welt ist möglich“ (CEE IEH 92) auf. Zu Recht wird dort proklamiert und zynisch gewordenen Ex-Linken ins Gesicht geschleudert: „’Ihr habt ja schöne Ideale, aber der Mensch ist nun mal schlecht’ ist kein seltener Spruch, den man als hoffnungsvoller Linker ständig von gutmütigen Erwachsenen, die zusätzlich noch behaupten, auch mal jung gewesen zu sein, zu hören bekommt“ (S. 31f). Nach derart hoffnungsvollen Überlegungen wird nämlich leider am Ende des Textes referiert: „Der Sprung in den versöhnten Zustand ist trotz historischem Materialismus und negativer Dialektik nicht in Sicht“ (S. 39). Die zwischen diesen Passagen klaffende Gegensätzlichkeit wird vom Autor selbst ausgefüllt. „Glücklicherweise gibt es das Bilderverbot, welches davor warnt, konkrete (!!!) Aussagen über die befreite Gesellschaft zu machen… Allgemeine (!!!) Aussagen über den befreiten Zustand verbieten sich, da sie aus dem heutigen entfremdeten Zustand gepredigt würden“(S. 36). Von einem „Bilderverbot“ ist in Marxens Schriften weit und breit nicht die Rede. Es stellt sich also die Frage, ob nicht der „historische Materialismus“ des Autors selber es ist, der ihn eine befreite Gesellschaft nicht sehen lässt. Nirgends ist bei Marx die Rede davon, sich Aussagen über eine befreite Gesellschaft zu verbieten. Allenfalls geht es ihm eben um die Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse und um eine Kritik oberflächlicher Überwindungsideen.
Heute sieht die Situation allerdings anders aus als zu Marxens Zeiten. Heute wären, zwar nicht konkrete aber doch grundsätzliche Ideen, wie eine andere Gesellschaft aussehen könnte und wie diese erreicht werden kann, dringend vonnöten. Das Festhalten an einem „Bilderverbot“ ist bestens dazu geeignet, derartige Konzeptionen zu verhindern. Die Konsequenz: es geht eben nichts – und daher ist in dieser ausweglosen Situation das immerhin nicht ganz so grässliche zu forcieren: „Insofern stehen Kommunisten heute nicht nur vor der Aufgabe, die Hoffnung auf eine befreite Gesellschaft lebendig zu halten, sondern auch vor der Herausforderung, notfalls Gewalt gegen ‚antikapitalistische’ Entfachungen zu fordern und anzuwenden, um völkischen, antisemitischen und religiösen Tätergemeinschaften keinen Raum zu lassen“ (38). So schnell begibt man sich ungewollt zu jenen, die sagen: „tja, Deine großen Hoffnungen in Ehren, aber die Welt ist nun mal so schlecht“. Zwar schimpft man wohltuend auf auch mal jung gewesene Erwachsene. Aber die antikapitalistische Kritik, die dieser Empörung folgen müsste, kehrt auf halbem Wege wieder um und begibt sich in die bieder-asketischen Gefilde des Bilderverbots von Martin Luthers Gnaden.
Die so bitter nötige Kritik an völkischem Denken, Antisemitismus, religiösem Wahn, Anti-Individualismus und reaktionärer Kulturkritik verkommt so zu einer Legitimierung des kapitalistischen Großmaßstab-Amoks. Hinzu kommt der ständige Pessimismus bezüglich einer wirklichen Aufhebung der Warengesellschaft.
Die praktizierbare Alternative dazu ist: die Initiierung einer radikalen Kritik an der Warengesellschaft/ dem warenproduzierenden Patriarchat und den völkischen wie liberalen Denkweisen, die sie aus sich hervorbringen. Diese kann sich in der jetzigen Situation nur darstellen als eine prinzipielle Kritik am geplanten Krieg der USA gegen den Irak. Die Linke muss sowohl aus ihrem Pessimismus wie aus ihrer Lethargie und ihrer Affirmation der bestehenden Verhältnisse herauskommen und sich zu gesellschaftlicher Wirkungsmächtigkeit herauf schwingen. Das wird ihr nicht mit weiterer Verklärung des Großamoks der USA gelingen.

Martin D.


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last modified: 28.3.2007