home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[92][<<][>>]

Leserbrief


Zur Veranstaltung „Raus aus der Gesellschaft, rein in den Rock.“

The kids are not allright...

Punks früher, 29.0k
Früher noch Wut im Wanst...

Punks heute, 27.1k
...heute nur Angst im Gesicht.
Nach zweijähriger Pause sollte in diesem Jahr der Event wieder auferstehen, der früher unter dem Label „Tanz den Antifa“ bekannt war. Von einer Wiederauferstehung kann nicht die Rede sein, von einer bodenlosen Peinlichkeit schon eher, aber dazu später.
Aus Zusammenhängen des damaligen ASN (Antifaschistisches Schulnetz) entstanden, fand 1997 der erste „Tanz den Antifa“ statt. Gedacht war das Ding als eindeutig linke und antifaschistische Veranstaltung auf der sich linke, antifaschistische Leute treffen und Kontakte zwischen Zecken aus verschiedenen Schulen geknüpft werden sollten. Weiterhin wurde versucht über einen puren Anti-Nazi-Konsens hinaus eine Sensibilität für gesellschaftliche Widersprüche zu wecken und ganz nebenbei sollte auch das Saufen und Feiern nicht ganz vergessen werden.
Nun ja, es hat sich einiges geändert seit damals und so musste der Name „Tanz den Antifa“, als durchaus richtige Reaktion auf die Übernahme, der sich, bis dato nur aus linken Kreisen speisenden Anti-Nazi-Aktivitäten, durch Staat und bürgerliche Öffentlichkeit, der Verkündung „Tanz den Antifa ist tot“ weichen. Zumindest bei den MacherInnen muss also eine Reflektion der eigenen gesellschaftlichen Rolle vollzogen worden sein, wogegen eine solche beim anwesenden Publikum völlig zu fehlen schien. Dass es bei solchen Veranstaltungen schon immer eine Diskrepanz zwischen Produzenten und Konsumenten gab, was zum Beispiel den Grad der Reflektion gesellschaftlicher Verhältnisse angeht, ist ein offenes Geheimnis und doch war diesmal etwas völlig anders. Gab es „früher“ so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl, das sich aus der gemeinschaftlichen Erfahrung ungebremster Nazi-Hegemonie in den Straßen, an den Schulen und anderswo speiste, entsprang aus ebendieser erfahrbaren Realität auch so etwas wie Wut und die Bereitschaft sich zu engagieren, so schien den vornehmlich jungen Gästen nichts ferner zu liegen als sich solchen Gefühlen hinzugeben.
Die sich in den Pausen zwischen den Bands vorstellenden Leipziger Gruppen mit unausgegorenem Mist voll zu pöbeln lag da anscheinend schon eher im Interessenbereich der Jungpunx. Nicht mehr lustig, wenn auch nicht wirklich verwunderlich, ist dann aber, wenn sich gewisse Zeitgenossen beim Stichwort ‘Solidarität mit Israel’ zu Vergleichen zwischen Politikern hinreißen lassen, die nun wirklich definitiv nicht in den selben Topf gehören (Sharon wurde „schlimmer als Hitler“ charakterisiert) und dann nicht mal den Arsch in der Hose haben, Diskussionsangebote wahrzunehmen. Dumm und prollig zu sein mag ja eine gute Strategie sein um sich mit halbwegs reinem Gewissen durch die Schulzeit zu schlagen, nur hatte die werte Teilnehmerschaft anscheinend vergessen, dass sie sich eben nicht dort befand. Dass es trotzdem so schien, lag nicht an den Organisatoren, sondern einzig und allein am eiskalten Desinteresse des Publikums.
Fakt ist: Die Kluft zwischen Machern und Adressaten schien noch nie so tief, noch nie wirkte das wenige, was vermittelt werden sollte, so aufgesetzt und noch nie schien Leipzigs Zeckennachwuchs glücklicher zu sein. Punkrock war ja mal bekannt und berüchtigt für seine Zerstörungswut und seinen Hass auf die Gesellschaft. Das scheint vorbei zu sein. Dementsprechend schoss mir während des Konzerts auch immer wieder eine Frage durch den Kopf: Was wollt ihr denn bitte noch zerstören?! Oder um eine Punkband zu zitieren, die noch wusste, was ich meine: Habt ihr keine Wut mehr im Wanst? Leider musste ich mir diese Frage mit nein beantworten.
Vielleicht hänge ich ja einfach nur der Zeit hinterher, aber ich habe noch nie derart anspruchslose, dumme Punker (oder wie auch immer die sich nennen) gesehen und noch nie schien mir das, was sie darzustellen versuchten, dermaßen angepasst und unradikal.
Dass wir alle Kinder unserer Zeit sind, ist mir klar. Wer aber nicht merkt, dass er, während er sich auf dem Weg zu Freiheit und Unabhängigkeit wähnt, schnurstracks einer Industrie in die Arme rennt, die genau diese Nische erkannt und ausgebaut hat um anschließend mit der Unzufriedenheit und dem Aufbegehren von Jugendlichen genau das zu machen, was hier überall mit allem und jedem passiert, nämlich unter das kapitalistische Gesetz der Verwertbarkeit gezwungen zu werden, wer das nicht kapiert, dessen Schlachtrufe (á la „Fick das System!“) sind einfach nur lächerlich, und er ist um nichts besser als der Markenklamottenträger, von dem er sich doch ach so gründlich abzugrenzen versucht.
Ich weine hier nicht irgendwelchen Lederjacken oder Killernieten hinterher, sondern einfach nur den gesellschaftskritischen, zerstörerischen Potentialen, die dem Punkrock und der ihm angeschlossenen Zeckenkultur innewohnten und die wohl irgendwie verschütt gegangen ist – jedenfalls waren sie an diesem Abend nicht zu entdecken.
Nun ja, wer eben alles, worauf er seine vermeintliche Opposition zur Gesellschaft gründet, schon vorgefertigt in den Warenregalen und Fernsehkanälen findet und damit nicht mal mehr aneckt, der hat wohl einfach keinen Grund irgendwie sauer, unzufrieden oder frustriert zu sein, sondern ist vermutlich einmal mehr in seinem Glauben an die heilenden Kräfte der Marktwirtschaft bestätigt!
In diesem Sinne:
Fresst bis ihr kotzt, konsumiert bis ihr platzt und kommt ja nicht auf die Idee mal richtig zu rebellieren!

Buster


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[92][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007