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Unser Staat ist pervers!


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Stephan Buchloh:
"Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich".
Zensur in der Ära Adenauer als Spiegel des gesellschaftlichen Klimas
Campus: 2002, 488 S.

In seinem Buch über Zensur in der Adenauer-Ära liefert Stephan Buchloh allerlei lustige Beispiele über die prüde und antikommunistische Sozialisation unserer Eltern, wahlweise Großeltern (sofern sie im Westen aufgewachsen sind, eine Studie über Zensur im Osten dürfte allerdings ähnliche Ergebnisse zeitigen: prüde und „antikapitalistisch“). Gleichzeitig stellt er seine eigene Verblendung glänzend unter Beweis: Er hält Zensur für den bösen Ausnahmefall innerhalb der guten Demokratie. Ist er also selbst ein Opfer des von ihm beschriebenen Phänomens?

Die vorliegende Doktorarbeit wurde inhaltlich von linksliberalen, finanziell von rechten Kreisen gefördert (siehe Danksagung, S. 9). Was dabei rauskommt, ist folgendes: Eine detailreiche und systemimmanente Kritik an der schlimmen Adenauer-Ära führt direkt zur Affirmation der bestehenden Demokratie mit einer liebevollen Warnung vor den Gefahren, die ihr immer noch drohen. Im Gegensatz zu dieser Lesart ist festzuhalten, dass die beschriebene Zensur kein Betriebsunfall der bundesdeutschen Geschichte darstellt, sondern zur Normalität gehört. Das bürgerliche Ideal von den Menschenrechten steht nicht im Gegensatz zur schmutzigen Realität. Und die Abwesenheit von offensichtlicher Zensur in der heutigen Zeit ist kein Ausdruck einer demokratischen Läuterung, sondern das Ablösen von Holzhammer-Methoden durch den Griff mit Samthandschuh. Mit oder ohne Zensur – „Unser Staat ist in Ordnung!“ Diese Demoparole aus Leipzig bringt das Problem besser auf den Punkt als vorliegende Abhandlung.
Lesenswert ist sie allemal, unterhaltsam die Beispiele und lehrreich, wie sich in wenigen Jahrzehnten die Wertvorstellungen grundlegend wandeln konnten. „Was wird eine Jugend, die Schund- und Schmutzliteratur liest, die ihre Seelenkräfte in Kinos, Tanzbars, Spielhöllen vergeudet, die künstlich in Unwissenheit gehalten und zur Nachahmung ungehemmten Genußstrebens Erwachsener verleitet wird, was wird diese Jugend einer kommunistisch klar ‚ausgerichteten‘ Jugend morgen ideell entgegensetzen können, wenn sie nicht mehr kennt, als primitive Konsum-Ideologie?“ (S. 11). Diese Frage des damaligen Bundesinnenministers der BRD aus dem Jahre 1960 hat sich inzwischen ja so beantwortet, dass genau dieses „Genußstreben“ und „Konsum-Ideologie“ Garanten für den Sieg über den Realsozialismus waren. Inwieweit im Nachkriegsdeutschland das asketische, lustfeindliche deutsche Ideal noch am Wirken war, welches dann im Zuge der US-amerikanischen Besatzungspolitik dem normalen kapitalistisch-hedonistischen Glückversprechen weichen musste, inwieweit sich also in dem Zitat des Innenministers und der dazugehörenden Politik sich anti-amerikanische Ressentiments spiegeln, wird vom Autor leider nicht analysiert.
„Zensur kann ... als eine Art Brennspiegel des gesellschaftlichen Klimas einer geschichtlichen Phase angesehen werden“ (S. 18) Ausgehend von dieser Grundannahme beschreibt der Autor die wichtigsten Zensurfälle, die Zensur ausübenden Institutionen sowie die Debatten über geplante Zensurgesetze. Es nimmt dabei eine umfassende juristische, politische und kulturelle Würdigung des jeweiligen Sachverhaltes vor. Am Anfang des Buches referiert er die wichtigsten Theorien über die Medienwirkung und kommt zu dem Schluss, dass der Großteil der Forschung eine direkte oder starke Wirkung von Medien auf Menschen verneint – und somit alles Gerede über das Verbot von Computerspielen nach dem Erfurter Amok-Lauf ad absurdum führt. Am Ende des Buches versucht der Autor eine „Theorie der Zensur“ zu entwickeln, in der er feststellt, dass es oft gar nicht darauf ankommt, ob die Zensoren von einer gefährlichen Wirkung der Medieninhalte auf das leicht zu beeinflussende Publikum ausgehen. Zensur kann auch das Ziel verfolgen, politische Gegner zu stigmatisieren, von eigenen Problemen abzulenken und symbolisch Tatendrang unter Beweis zu stellen.
Die wichtigsten Kampffelder der Zensur waren die Sexualmoral und der Antikommunismus. Dabei galt die Nacktbadekultur damals als schlimmere Bedrohung als die Pornographie: Es wurden 7 FKK-, aber auch 4 sexual-reformerische und 95 Homosexuellen-Zeitschriften und 24 Aufklärungsbücher auf den Index gesetzt. Es ging dabei nicht um bestimmte Formen der Sexualität, sondern um Sexualität als solche, vor allem unter Jugendlichen, galt als Tabu. Mit Berufung auf das gesunde Volksempfinden, welches ja mit den Zensurmaßnnahmen maßgeblich geformt wurde, galt Homosexualität SPD-Wahlkampfveranstaltung zu Zeiten, als Schröder und Schily noch anderer Meinung waren, 34.2k oder „Fellatio“ als „Sexualpathologie“. Diese Prüderie ging eine enge Liason mit dem Antikommunismus ein. Die Konservativen betonten nämlich, dass der „Sittenverfall“ der östlichen Propaganda in die Hände spielen würde – und somit alle Gegner der Zensur verkappte Kommunisten wären. Die KPD hielt dagegen, dass der Sittenverfall durch die „amerikanischen Schund- und Wildwestfilme“ vorangetrieben werde: „Unsere Aufgabe muß es sein, die Jugend in ihrem Widerstand gegen die Überfremdung der deutschen Kultur mit amerikanischem Kitsch und Schund zu unterstützen.“ (S. 118) Der Vorschlag der KPD, lieber DDR-Literatur zu importieren, scheiterte allerdings an den antikommunistischen Zensurgesetzen – und wäre von den Konservativen im Grunde ihres Herzens sicherlich gern verfolgt worden. Es hielt die Zensurbehörden aber nicht davon ab, viele Abenteuer- und Kriminalromane verbieten zu lassen. Auch sozialkritische Literatur oder die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus waren nicht gern gesehen. So mussten in einem Film die „ganz normalen Deutschen“ (Goldhagen) in „Nazis“ umbenannt oder die „unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Gebiete“ durften nicht als „Polen“ oder „Rußland“ bezeichnet werden, andere Filme über das Dritte Reich wurden gleich ganz verboten, weil sie wehrkraftzersetzend seien. Aber nicht nur die jüngste Geschichte wurde umgeschrieben und verdrängt. Der russischer Film „Alexander Newski“, der im 13. Jahrhundert spielt, musste um die deutschen Angriffsszenen gekürzt werden, damit die Russen als die Aggressoren dastanden – ansonsten, so hieß es, sei der Film zu „deutschfeindlich“.
Es mag auf den ersten Blick verblüffen, dass der Autor der heutigen Zeit in Sachen Demokratie ein gutes Zeugnis ausstellt, obwohl er selbst in seinem Buch die wirksamste und subtilste Form der Zensur beschreibt, die bis heute Bestand hat: Die Filmförderung. Da wird Einfluss auf die Besetzung der Schauspieler genommen, ins Drehbuch reingeredet und am Ende Änderungen vorgenommen. Aber was will man auch von einem Wissenschaftler erwarten, der es zwar schafft, eine 30-seitige Literaturliste zusammenzustellen und 822 Fussnoten in seine Dissertation einzubauen, Sexualität aber für subversiv, Demokratie für gut und Antikommunismus für berechtigt hält, insofern er sich gegen „die undemokratische und menschenverachtende Politik der Sowjetunion und der DDR richtete“ (S. 351) – im Text aber kritisch anmerkt, dass es keine Fundamentalopposition gegen Zensur gab, sondern sich überall (sei es KPD, Gewerkschaften, Journalistenverbände etc.) nur über Form und Umfang gestritten wurde; immer mit dem beflissentlichen Hinweis, dass man das Anliegen, die deutsche Jugend oder gleich das ganze Volk vor dem sittlichen Verderben zu schützen, uneingeschränkt teilt.
Kurt

Das Buch kann im Infoladen Leipzig ausgeliehen werden.


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last modified: 28.3.2007