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das Erste, 0.9k

Schwarz-Rot-Old



Weltmeister 1954, 17.8k

Weltmeister 1974, 19.7k

Franz Beckenbauer, 16.2k
Wenn Fußball Farben hat, dann waren die des deutschen Fußballs immer schwarz und weiß. Weißes Trikot, schwarze Hose, weiße Stutzen, schwarze Schuhe; eine Art Zebrastreifen um einen Kickerkörper gewickelt – das schlichte Outfit der deutschen Nationalmannschaft hatte seine Vorteile, früher, als die Jungs noch Fußball spielen wollten wie Deutschland. Ein weißes Unterhemd hatte jeder im Schrank, das zog er über und war verkleidet als deutscher Nationalspieler, draußen auf der Wiese, auf dem Schulhof. Als die Bilder im Fernsehen bunt wurden, blieb die deutsche Nationalmannschaft, wie sie war. Blieb klassisch traditionell, könnte man sagen, wenn man es gut meinte mit ihr. Oder: blieb langweilig, farblos. Schwarz und Weiß sind ja eigentlich sogenannte Nicht-Farben, und mittlerweile ist es so, dass man draußen auf der Wiese nicht mehr kicken kann, weil überall „Betreten verboten“-Schilder rumstehen. Auf dem Schulhof spielen die Kids heute Basketball, in grellen Glanztrikots der Helden aus der amerikanischen Basketballliga: Alle wollen Shaquille O’Neill oder Dirk Nowitzki sein. Wer will Marco Rehmer sein, oder Carsten Ramelow? Wohl die wenigsten.
Es wurden schon öfters Parallelen gezogen zwischen dem jeweiligen Zustand der Nation und Momentaufnahmen der Nationalmannschaft, und diejenigen, die sich ernsthaft damit beschäftigt haben, fanden heraus, dass das Land sehr verwandt ist mit seiner Mannschaft. Als es sich empor ackerte, wühlten auch die schwarz-weißen Fußballer Rahn und Walter die Plätze der Welt um: immer regnet es, wenn man sie in alten Filmen kicken sieht, immer sind ihre Gesichter verzerrt, immer flattert das weiße Hemd um schmächtige Körper. Die Generation Aufbruch wurde Weltmeister 1954, die Generation Aufbegehren wurde Weltmeister 1974, mit den revolutionär vielleicht nicht denkenden, aber immerhin frisierten Breitner, Overath und (auf der Bank) Netzer. Die Generation der fast schon Wiedervereinigten wurde Weltmeister 1990; man werde, verfügte damals der Teamchef Franz Beckenbauer, auf Jahre hinaus unschlagbar sein, wenn die Fußballer aus der DDR aus ihren blauen Arbeiterstaat-Trikots in die weißen hineingewachsen sein würden. Einer der zahlreichen Irrtümer des zum Größenwahn neigenden Fußballkaisers. Heute ist es so, dass die deutsche Nationalmannschaft gegen Portugal schon mal null drei verliert und in Wales 0:1, ohne sich besonders dagegen zu wehren. Heute ist es so, dass die Spieler froh waren, die Vorrunde bei der WM zu überstehen.
Wofür steht die Mannschaft von 2002? Die Fußballergesichter, die jetzt, wie vor jeder WM, aus den Schokoriegeln und Sammelbildertüten purzeln, sehen nett aus: Rehmer, Neuville, Linke, Bierhoff. Sie könnten in der Bank arbeiten oder in einem Medienunternehmen. Die jüngeren, Metzelder oder Frings, könnten in einer dieser Boygroups mitmachen, denen nichts einfällt, als Hits der Siebziger praktisch unverändert nachzusingen. Die Gesichter sind austauschbar, und wenn man sich fragt, ob man von einem der Spieler jemals etwas Bemerkenswertes gehört hätte, in einem der hundert Interviews, die sie gegeben haben, fällt einem nichts ein. Brave Jungs, reiche Männer, nichtssagend wie eine Tischfußballfigur, träge wie das Land, für das sie spielen. Sicher ist es einfach, vom Aussehen auf den Charakters eines Spielers, schließlich auf den Zustand einer Mannschaft und am Ende auf die Situation eines Landes zu schließen. Aber Fußball ist nun mal ein Spiel mit Symbolen, ist ja selber ein Symbol. Und kann es ein Zufall sein, dass die Nationalmannschaft so langweilig ist in einem Moment, in dem die zugehörige Nation in der Pisa-Studie schlecht abschneidet, beinahe den Blauen Brief von der EU bekommt und angeführt wird von einem Kanzler, der den Slogan „Innovation und Gerechtigkeit“ im Laufe seiner Amtszeit reduziert auf: „Stoiber oder Schröder“?
Es ist etwas Uninspiriertes im Land wie in seiner Mannschaft, etwas Leidenschaftsloses. Den Ball streicheln wie die Brasilianer, ihn verzaubern wie die Franzosen – das konnten die Männer mit dem Adler auf dem Bauch nie. Aber es war früher immerhin Begeisterung da, für das Rennen, fürs Taktieren, es gab eine „kreative Ordnung“, wie der große argentinische Trainer und Fußballphilosoph Cesar Luis Menotti erkannt hat. Jetzt sind die anderen robuster, trickreicher, und sie spielen sich den Ball so flink zu, dass das deutsche Spiel in Originalgeschwindigkeit aussieht wie in Zeitlupe.
Der Portugiese Figo, der Franzose Zidane haben bei der letzten EM bewiesen, dass man fußballspielend so etwas wie Würde vermitteln kann. Und dass das Business Fußball Persönlichkeiten gedeihen lässt, die die Verehrung, welche ihnen die Fans beimessen, für Zwecke nutzen, die über den Fußball hinausweisen. Fußballer, die einer Mannschaft Charakter schenken, die in der Lage sind, dem von weißen Linien begrenzten Ort zu entfliehen, an dem sie sich ursprünglich ausgedrückt haben. Darum geht es in Wahrheit, und daran scheitert die deutsche Nationalmannschaft.
Zum Beispiel Zinedine Zidane, der schon früh wie ein weiser Mönch aussah mit seinem tonsurhaften Haupthaar; Zidane, Sohn algerischer Einwanderer; Zidane, den sie Zizou nennen: Er wird geliebt in Frankreich. Er war Ehrenpräsident des Jugend-Fußballclubs La Nouvelle Vague de Castellane, in dem Kinder aus den übelsten Vierteln Marseilles das Fußballspielen lernen. Er ist – wie der Brasilianer Ronaldo – Goodwill-Botschafter der Vereinten Nationen für den Kampf gegen die Armut in der Welt. Zizou, Star der französischen Nationalmannschaft, die der Gegenentwurf zur deutschen ist, nicht nur, weil sie den besten Fußball auf dem Planeten spielte. Die Equipe ist ein internationales Team, mit Desailly, verwurzelt in Ghana, mit Karembeu aus Neu-Kaledonien, Henry von den Antillen, Barthez und Lizarazu aus Spanien, Trezeguet aus Argentinien. „Das Nationalteam ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft – viele Kulturen und Stile werden optimal miteinander vermischt“, hat der ehemalige Nationaltrainer Aimé Jacquet gesagt. Und als zuletzt deutlich wurde, dass es in Frankreich genug Gegner einer vermischten Kultur gibt, haben sich französische Nationalspieler offen gegen den Präsidentschaftskandidaten Jean Marie Le Pen gestellt.
Die Deutschen haben – innerhalb und jenseits der Nationalmannschaft – in der Mehrzahl Fußballer, die schweigend oder redend das Vorurteil nähren, dort, wo bei anderen das Gehirn wohnt, befände sich beim kickenden Menschen eine luftgefüllte Lederblase. Sie haben Stefan Effenberg, der Arroganz mit Stil verwechselt und ewig ein Halbstarker bleiben wird. Der die Debatte um Arbeitslosigkeit durch die Aussage bereicherte, den meisten Arbeitslosen gehörte die Stütze gestrichen. Wobei er sich der zwischenzeitlichen Argumentation des Kanzlers („Es gibt kein Recht auf Faulheit“) annäherte – ein neuer Beleg für die These, dass Fußball und Politik eng miteinander verwandt sind. Sie haben den ewig pubertierenden Weißbierfreund Basler, der ein paar Jahre mit dem Franzosen Djorkaeff beim 1. FC Kaiserslautern spielte. Die beiden haben sich nicht verstanden, den Grund formulierte Basler: „Ich lerne nicht extra französisch für die, wo die deutsche Sprache nicht mächtig sind.“ Sie haben Spieler, die sind wie ihre Zeit: fordernd und laut – und seit Jahrzehnten Nationaltrainer in Derwall, Beckenbauer, Ribbeck, Völler, deren Auftritte vor Kameras deutlich machen, dass der Unterschied zu anderen Ländern nicht nur ein spielerischer ist, sondern auch ein intellektueller. Die weit entfernt sind vom Argentinier Menotti oder vom Franzosen Jacquet; Trainer, die eine Idee vom Spiel hatten und eine Idee von der Bedeutung einer Nationalmannschaft. Als Menotti 1978 mit Argentiniens Fußballteam Weltmeister wurde, sorgte er für einen Eklat: Der Junta-Gegner verweigerte dem faschistischen General Videla den Handschlag. Die deutsche Mannschaft hatte damals Besuch von Hans-Ulrich Rudel bekommen – der bekennende Alt-Nazi erfreute sich bei seiner Visite im DFB-Trainingscamp überaus zuvorkommender Behandlung.
Was bedeutet die Nationalmannschaft? Günter Netzer hat das Thema nach der letzten EM, seiner Wichtigkeit entsprechend, eingeordnet: „Die Spieler haben das höchste Kulturgut ihres Landes, die Nationalelf, leichtfertig aufs Spiel gesetzt.“ Wenn Fußball ein Kulturgut ist, kann man froh sein, dass Männer wie Basler oder Effenberg nicht mehr in der Nationalmannschaft spielen.
Man sollte froh sein darüber, dass in der Nationalmannschaft ein paar Fußballer mitmachen, die – wie der Bremer Marco Bode – gelegentlich die Dinge richtig einordnen, wenn sie etwa erkennen: „Gegenüber einer Krankenschwester habe ich keine Argumente. Natürlich sind die Gehaltszahlen im Fußball absurd, verglichen mit der Leistung, die in einem Krankenhaus gebracht wird.“ Oder wie der Torwart Oliver Kahn, der zum Thema Amoklauf in Erfurt erklärt hat: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der nur noch erste Plätze zählen, der totale Erfolg, das Maximale. Ich selbst bin ja ein Kind dieser Gesellschaft. Ob das der richtige Ansatzpunkt innerhalb einer Gesellschaft ist, weiß ich nicht. Ich denke, man tut gut daran, diese Dinge zu überdenken.“
Vielleicht hat Kahn begriffen, dass es in den vergangenen Wochen nicht allein um die Weltmeisterschaft ging für die deutsche Nationalmannschaft, sondern dass es Dinge gibt im Leben, die größer sind. Größer sogar als ein Ball.
Teewald

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last modified: 28.3.2007