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Schwer verdaulich

Buchcover, 20.2k

Ruth Mayer, Mark Terkessidis (Hrsg.):
Globalkolorit.
Multikulturalismus und Populärkultur.
Hannibal-Verlag: 1998
ISBN 3-85445-152-0, 330 Seiten

An dem Buch „Globalkolorit. Multikulturalismus und Populärkultur“ haben über 20 AutorInnen mitgewirkt. Der falsche Vorwurf der Rechten an den Multikulturalismus, dass viele Köche den Brei verderben würden, lässt sich allerdings gegen den vorliegenden Sammelband erheben. Darüber hinaus stellt sich bei den meisten AutorInnen die Frage, ob sie überhaupt kochen können. Den „Cultural Studies“ verhaftet, sind sie zwar in der Lage, allerlei lustige und langweilige Phänomene zu beschreiben, dem Verhältnis von „Multikulturalismus und Populärkultur“ gehen jedoch die wenigsten Aufsätze auf den Grund.

Die beiden HerausgeberInnen geben in ihrer Einleitung eine recht gute, theoretische Einführung in die Problematik, die mehr vom Buch verspricht, als die folgenden Texte dann halten. Sie betonen, dass die Globalisierung, die eben nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein kultureller Prozess ist, den alten Rassismus ad absurdum geführt hat. So verstanden ist Multikulturalismus nicht das „friedliche Zusammenleben der Kulturen“, sondern die Modernisierung des Rassismus’. Die Kulturen, die sich gegenseitig mit ihren Essgewohnheiten bereichern oder ihre Tänze tolerieren, um mal die zwei wichtigsten Aspekte des Multikulturalismus aufzugreifen, werden erst konstruiert, um ihre Funktionalität zu entfalten. So schreiben die HerausgeberInnen: „Traditionen (der Deutschen(1) und MigrantInnen – Anm. d. A) werden in Deutschland mithin weniger ‘aufrechterhalten’ oder ‘ausgegraben’ als vielmehr ‘erfunden’, ohne daß dieser Akt der Neuschaffung oder Uminterpretation zu Sprache kommen kann.“ (S. 9) Dabei entlarvt eigentlich schon das Gerede von „Bereicherung“ und „Tolerierung“ mehr von den Machtverhältnissen als es zu vertuschen vermag. Beide Begriffe gehen von einem Machtzentrum aus, z.B. der deutschen Mehrheitsbevölkerung, deren tristes Leben es zu bereichern gilt bzw. die Toleranz gewährt – oder eben nicht. Die multikulturelle Ideologie toleriert dabei nur jene, die ebenfalls „tolerant“ und „bereichernd“ sind. Die MigrantInnen dürfen also nicht wie die Deutschen werden, da sie dann die eigene Identität in Frage stellen, sie dürfen aber auch nicht zu anders, z.B. „fundamentalistisch“ sein. Der Multikulturalismus will die MigrantInnen auf ein gut verdauliches, aber immer noch interessant aussehendes Gericht reduzieren und festschreiben. Dieser Prozess bedient sich der Konstruktion von Differenzen zwischen imaginierten Gruppen bei gleichzeitiger Vertuschung bestehender Machtunterschiede (in ökonomischer, kultureller und politischer Hinsicht). „Beide Prozesse, das Retuschieren ebenso wie das Hervorheben der Differenz, machen sowohl die prinzipielle Verfügbarkeit bestimmter Kategorien deutlich als auch ihre Verweisfunktion für umfassendere, unangesprochene Zusammenhänge. Eine Diskussion um Multikulturalismus allerdings muß eben solche hintergründigen Zwänge ansprechen, die oft kaum greifbar, aber deshalb nicht weniger real wirksam sind. Es gilt also, den Kontext – der kulturellen, historischen, ökonomischen Begleitumstände, die Sprechsituationen, die Codes und Symbole – genau zu untersuchen, um ideologische Bedeutungen in den Griff zu bekommen, die nicht auf klar formulierte Intentionen oder explizite Programme zurückgehen.“ (S. 9), betonen die HerausgeberInnen. Dieser Vorgabe werden die meisten Aufsätze allerdings nicht gerecht, da sie sich in den oberflächlichen Wirrungen der Populärkultur verirren, anstatt „kulturelle, historische, ökonomische“ „Zusammenhänge“ „genau zu untersuchen“. Wir lesen im Folgenden von dem Kind von Boris Becker, von Michael Jackson, einer mexikanischen Pop-Ikone und anderen Aliens, von türkischem Rap in Berlin und asiatischen Frauen in Australien sowie in London, dem Verhältnis der US-amerikanischen Präsidenten zur Musik, dem Alternativtourismus in Griechenland, von guten und schlechten Kinofilmen mit MigrantInnen, von einem Film über die deutsche Kolonialgeschichte in Togo und von dem Film Independence Day, von der Antirassismus-Kampagne des britischen Fußballverbandes, von einem türkischen Männercafé in Frankfurt/Main, in dem Fußball gekuckt wird, von einem BBC-Bericht über ein Fußballspiel in Israel, von dem Modemagazin Cosmopolitan und der Zeitschrift essen & trinken, von Kleidungsstilen asiatischer Jugendlicher in London, von Spendenkampagnen karitativer Organisationen und von rassistischen und antirassistischen Graffiti.
Alles nette Geschichten, die zur Bebilderung einer Theorie ihre Berechtigung hätten, die jedoch ohne die Theorie zum nichtssagenden Monolog über die vermeintliche Komplexität und Buntheit dieser Welt werden: alles hat irgendwie mit allem zu tun, steht aber auch für sich; ist spannend und wert, eingehend betrachtet zu werden. Wer die Geistesanstrengung scheut, ein paar grundlegende Aussagen zu treffen, wird in den konkreten Ausprägungen der Gesellschaft nicht das finden können, was er/sie ja gar nicht erst sucht. Viele AutorInnen konstatieren, dass die untersuchten Phänomene (Mode, Film, Graffiti etc.) viel aussagen würden; sie unterschlagen uns allerdings, was diese denn nun aussagen.
Die Perlen des Buches seien kurz genannt: Ayse Caglar beschreibt in „Verordnete Rebellion“ sehr kenntnisreich, wie deutsch-türkischer Rap nicht etwa Ausdruck von Unkommerzialität und Subversion des “Gettos” – so die Eigenwahrnehmung oder Selbststilisierung – ist, sondern eine Erfindung von deutschen SozialarbeiterInnen, die delinquente Jugendliche innerhalb der deutschen Gesellschaft auf multikulturelle Art und Weise, d.h. durch Schaffung einer eigenen Identität, ruhig stellen wollten.
Mark Terkessidis ist der einzige, der mit seinem Beitrag „Das Land der Griechen mit dem Körper besuchen“ Ideologiekritik betreibt und auf historische Kontinuitäten hinweist, indem er die Ähnlichkeit der „Reiseerfahrungen“ der deutschen Wehrmacht, von Martin Heidegger und den deutschen Alternativ-Touristen beschreibt.
Ien Ang greift in ihrem Beitrag „Der Fluch des Lächelns. Die Ambivalenz der ‘asiatischen’ Frau im australischen Multikulturalismus“ die einleitenden Ausführungen der HerausgeberInnen über die Machtförmigkeit der multikulturellen Toleranz auf und kritisiert den affirmativen Bezug vieler Linker auf den Begriff der „Hybridisierung“, der für das Verschmelzen oder Auflösen verschiedener Identitäten im Multikulturalismus steht. In der „Aufwertung des ambivalenten Hybriden“, wie es nicht nur von den Cultural Studies betrieben wird, zeichnet sich „eine gewisse Romantisierungstendenz ab: Schließlich wird nicht nur vorausgesetzt, daß die Dekonstruktion von Gegensatzpaaren an sich politisch subversiv und wünschenswert ist, sondern die Macht des hybriden minoritären Subjekts, umstürzlerisch und eben ambivalent zu wirken, wird (...) überschätzt. (...) Die ambivalente Position des Innen/Außen ist also nicht allein das Werk des minoritären Subjekts (...) sondern sie wird ihm vom Multikulturalismus aufgezwungen. (...) Ambivalenz bedeutet nicht nur Macht, sondern ist auch eine Falle, eine Zwangslage.“ (S. 284)
Gita Sahgal weist in „Vexierbilder. Fundamentalismus, Feminismus und asiatische Frauen in London“ darauf hin, dass sowohl der sogenannte orientalische Fundamentalismus (z.B. Witwenverbrennung und Mitgiftmorde in Indien) als auch der westliche Diskurs darüber (der oft vermeintlich feministisch argumentiert) ein Ergebnis des Multikulturalismus ist: Historisch gesehen sind die fundamentalistischen Phänomene keine barbarischen Überbleibsel der Vorzeit sondern ein Ergebnis der Moderne, ideologisch konzentriert sich im Begriff des Fundamentalismus das von Multikulturalismus ausgeschlossene, das Andere.
Kommen wir abschließend zum Unerfreulichem. Neben der oben erwähnten generellen Schwäche des Buches sind einige Beiträge nicht nur nichtssagend, sondern falsch. In „Verstöße gegen das Reinheitsgebot. Migrantenkino zwischen wehleidiger Pflichtübung und wechselseitigem Grenzverkehr“ plädiert Deniz Göktürk in Abgrenzung von schlechten, humorlosen, langweiligen Filmen über MigrantInnen für den weltmännischen, wechselseitigen, perspektivenreichen, witzigen, also den wahren Multikulturalismus im deutschen Film.
Positive Ansätze in den Spendenkampagnen der Wohlfahrtsverbände für den Trikont vermag auch Sigrid Baringhorst in ihrem Beitrag „Katastrophenästhetik und Come-together-Mythen“ zu erkennen. Und an einer Kampagne der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung „Sagen sie später nicht, sie haben von nichts gewusst! Pro Tag wächst die Weltbevölkerung um 260.000 Menschen“ kritisiert sie nicht etwa deren Inhalt, sondern lediglich die Tatsache, dass deren Inhalt „angesichts der wachsenden Konkurrenz unter Spendenorganisationen und -appellen und einer unablässigen ‘Flut’ von großen und weniger großen Katastrophen Gewöhnung und damit am Ende die Gefahr eines folgenlosen Voyeurismus hervorzurufen“ droht (S. 188) – dabei bleibt zu hoffen, dass die Spendenkampagnen der zutiefst rassistischen Deutschen Stiftung Weltbevölkerung folgenlos bleiben.
In „Graffiti-Kriege“ stellen Les Black, Michael Keith und John Solomos neben der banalen Behauptung, dass Graffiti „entscheidend bei Identitätsbildung-, Integrations- und Ausschlußprozessen“ wirken, die absurde These auf, dass linke Sprayer die rechten Graffitis bräuchten, um sich darzustellen und der Graffitikrieg zwischen Linken und Rechten auf dem Rücken der armen LadenbesitzerInnen „ohne deren Zustimmung ausgetragen“ würde (S. 268). Die Totalitarismustheorie läßt grüßen!
Paul

Fußnote

(1) Ein interessantes Detail ist, dass die „Deutsche Küche“ eine recht junge Erfindung der 80er Jahre ist, die parallel zum Multi-Kulti-Diskurs, der ja auch sehr stark auf kulinarische Traditionen Bezug nimmt, entwickelt wurde. (S. 305)

Das Buch kann im Infoladen Leipzig (www.nadir.org/infoladen_leipzig) ausgeliehen werden.


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last modified: 28.3.2007