home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[88][<<][>>]

Grenzen einer Debatte


Im Zuge der Eskalation der Ereignisse in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten scheinen auch hierzulande innerhalb der Restlinken die Fronten klar abgesteckt: Bedingungslose Solidarität mit Israel oder bedingungslose Solidarität mit Palästina – ein Jenseits dieser Positionen scheint kaum mehr möglich. Die Beteiligten jener Frontstellung sind sich jedoch weder ihres Standpunktes noch des Gegenstands und der Grenzen einer Positionierung bewusst.

Heimatfront

Im Folgenden dokumentieren wir auszugsweise ein Gespräch mit Amos Oz, welches der FAZ vom 16. April 2002 entnommen wurde.

Die Palästinenser benutzen menschliche Schutzschilde


Die ganze Welt fragt sich, was im Flüchtlingslager von Dschenin wirklich stattgefunden hat. War es ein Massaker?

Ich habe mit zwei Soldaten gesprochen, die an den Kämpfen in Dschenin beteiligt waren. Es sind frühere Studenten von mir, mit denen ich eng befreundet bin, Reservisten, die eingezogen wurden, beide etwas über dreißig Jahre alt. Sie gehören zur Peace-now-Bewegung, einer der beiden sogar als Aktivist. Beide haben mir eindringlich versichert, daß in Dschenin kein Massaker stattgefunden hat. Es sei zu heftigen Kampfhandlungen gekommen, bei denen etwa zwanzig Israelis und ungefähr hundert Palästinenser ums Leben kamen. Sie sagen, daß sie nicht mehr als fünfzehn bis zwanzig Leichen palästinensischer Zivilsten gesehen haben, aber möglicherweise befanden sich noch mehr Tote unter den Trümmern. Die palästinensischen Kampfer, so haben meine Freunde mir berichtet, hätten Zivilisten, ihre Landsleute, als lebende Sandsäcke and menschliche Schutzschilde eingesetzt. Das haben sie mit eigenen Augen gesehen und mir gegenüber beschworen. Ich selbst war, wie ich betonen möchte, nicht im Lager. Aber was ich Ihnen sage, stammt von Augenzeugen, von Freunden, denen ich traue wie mir selbst.

Beruhen die Berichte von einem Massaker auf palästinensischer Propaganda and gezielter Dessinformation?

Ja, offen gesagt, bin ich dieser Ansicht. Offensichtlich sind ja die palästinensischen Berichte über die Ereignisse sehr indirekt. Denn die palästinensischen Kämpfer wurden entweder getötet oder gerieten in Kriegsgefangenschaft. Ich glaube nicht, daß die Palästinenser auch nur einen Augenzeugen haben, der ein Massaker bestätigen könnte. Außerdem sehe ich keinerlei Grund, weshalb die israelische Armee dort ein Massaker begehen sollte. Wir sollten auch bedenken, daß die Einheiten, die in Dschenin zum Einsatz kamen, überwiegend aus Reservisten bestanden. Das sind Männer in den Dreißigern, die in ihrem zivilen Leben zur Mittelschicht gehören. Ich glaube nicht, daß irgendetwas an diesen Vorwürfen gerechtfertigt ist.

Warum hat die Armee internationalen Organisationen wie dem „Roten Kreuz“ den Zutritt zum Lager untersagt?

Diese Frage kann ich nicht beantworten – ich habe nicht die leiseste Idee. Wenn Sie mich fragen, war das eine dumme Fehlentscheidung, aber darüber habe ich nicht zu urteilen.

Glauben Sie, daß wir je erfahren werden, was wirklich in Dschenin geschah?

Ich habe keinen Zweifel, daß die Wahrheit früher oder später auf irgendeine Weise durchsickert. Aber Mythen lassen sich nur selten durch Fakten verdrängen. Mythen werden nur durch Mythen ersetzt. Aber das ist eine philosophische Bemerkung über die menschliche Natur and keine Bemerkung über Dschenin oder den Konflikt zwischen Israel and Palästina.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen dem Aufenthalt des amerikanischen Außenministers Powell and dem mutmaßlichen Versuch der Desinformation durch die Palästinenser?

Nun, da bin ich nicht sicher. Aber die Palästinenser geben sich sehr große Mühe, den Schreckensbildern von den Selbstmordattentätern and ihren Opfern unter der israelischen Zivilbevölkerung etwas gegenüberzustellen. Sie versuchen, die Waagschalen auszubalancieren. Deshalb erzählen sie Märchen über die Greueltaten der israelischen Armee. Aber ich wiederhole: Ich spreche nicht als Augenzeuge.
Aus den offenen Foren des Internets schreit einem derzeit der „palästinensische Befreiungskampf“ allerorten ins Gesicht. Seien es irgendwelche Nazi-Seiten, der freigelassene Pöbel auf den Seiten der Lokalpresse oder die Befreiungslinke von Indymedia und Co. Die Nazis haben die „zionistische Weltherrschaft“ schon immer als das Böse der Welt identifiziert und der gemeine Pöbel schon immer gewusst, daß die Nazis damit ein Stück weit recht haben.
Auf Seite der Linken werden die Verbrechen der Israelis detailliert aufgelistet, der Terror palästinensischer Selbstmordattentäter pietätvoll verschwiegen und die Freiheit Palästinas gefordert. Man scheut sich nicht davor, Israel einen faschistischen Staat zu nennen, die militärischen Aktionen der IDF (Israel Defence Force) als Holocaust bzw. Vernichtungskrieg zu geißeln und zur offenen Unterstützung des Terrors der Zweiten Intifada aufzurufen. Die Verteidigung des Existenzrechts Israels oder die scharfe Kritik an Arafat bzw. den Terroranschlägen palästinensischer Selbstmordattentäter gilt hier bereits als eine faschistische Position.
Einem weit kleineren Teil der Linken, welcher sich vorwiegend aus den Resten der antinationalen Bewegung speist, scheint die geeignete Antwort auf solcherart „Argumentationen“ das Wedeln der israelischen Nationalflagge, die bedingungslose Unterstützung des israelischen Krieges in der Westbank sowie Leugnung bzw. emotionslose Ignorierung ziviler palästinensischer Opfer zu sein. Realität und Geschichte wird sich hier ein wenig zurechtgebogen, um den israelischen Staat im richtigen Lichte erscheinen zu lassen. So kommt es, dass es in einem Flugblatt des Bündnis „Es geht um Israel“ aus dem Umkreis der Antinationalen Gruppe Leipzig (ANG) heißt, dass 1967 Israel von den arabischen Ländern angegriffen wurde und es sich also um einen „israelischen Verteidigungskrieg“ gehandelt habe und daß im derzeitigen Krieg „versehentliche zivile Opfer eben immer noch die Ausnahme und nicht die Regel“ seien. Punkt aus. Kein Wort darüber, warum der tatsächlich israelische Angriffskrieg von 1967 getrost als Präventiv- oder Verteidigungskrieg bezeichnet werden kann. Auch kein Wort über eine 35-jährige Besatzungspolitik und einen Krieg, der unzählige zivile Opfer brachte, welche nur aus der Perspektive einer sich im Wohlstand suhlenden deutschen Linken derartig relativiert werden kann.
Die zunehmend konstituierte „Logik“ nur „Für Israel“ oder nur „Für Palästina“ sein zu können, das andere damit kategorisch auszuschließen findet immer seltener Querschläger. Der Ton, in welchem die Positionen vorgetragen werden, wird indes schärfer und ausschließlicher. Der Versuch, sich eine mittlere oder vermittelnde Position zu sichern, misslingt. Erstens, weil die zunehmende Polarisierung eine solche Position nicht erlaubt und nur das Entweder-Oder als zulässige Option anerkennt und zweitens, was weiter unten noch näher zu erläutern sein wird, ein Lavieren zwischen den derzeitigen Positionen tatsächlich nicht ohne den Preis der einseitigen Polarisierung zu haben ist.
Die Diskussion spitzt sich zunehmend auf die Fragen einer konkreten Position im Nahost-Konflikt, konkreter realpolitischer Aktionsmöglichkeiten in diesem, sowie verbaler „Empfehlungen“, was zu tun für beide Parteien (Israelis-Palästinenser) das Richtige sei, zu. Es wird damit klarer, daß andere Fragestellungen nicht erwünscht sind und damit zusehends auch nicht mehr als ein möglicher anderer Zugang akzeptiert werden.
Unterdessen die Standpunkte mit dem Anspruch der Ausschließlichkeit präsentiert werden, wächst die Bereitschaft zur gewaltsamen Bekämpfung des jeweils anderen. Besonders die kleinere Gruppe der „Israel-FreundInnen“ sieht sich militanten Angriffen ausgesetzt. Eine Bahamas-Veranstaltung wurde jüngst von ca. 30 Vermummten überfallen, eine Gegenkundgebung zur Palästina-Soli-Demo am 13.04. in Berlin musste durch Bullen vor einem Lynch-Mob geschützt werden und auch in Leipzig wurden die TrägerInnen von Israel-Fahnen am Rande einer Demonstration von vorwiegend PalästinenserInnen durch die Straßen gehetzt und verprügelt. All dies kulminiert in der Frage, wie wohl die revolutionäre 1. Mai-Demo in Berlin eskalieren wird, welche im Vorfeld von beiden Seiten mit unverhohlenen Gewaltdrohungen konfrontiert worden ist.

Dechiffrierung eines Konflikts?

Tatsächlich scheint es so, als dreht sich die Debatte, welche in der deutschen Restlinken ob des Nahost-Konflikts tobt, real um diesen. Allerorten wird versucht, hinter die Ereignisse zu steigen und mühevoll einige plumpe Theorien des Konflikts zu präsentieren. Kernpunkt ist die schon erwähnte scheinbare Dechiffrierung des Konflikts als israelisch-palästinensischen und in dessen Zuspitzung als Konflikt Sharon-Arafat. Ein Unsinn, der zum Himmel schreit und der den Standpunkt klar aufzeigt, von welchem eine deutsche Linke derzeit diskutiert: von einem deutschen nämlich. Die Vereinfachung des Konflikts auf einen israelisch-palästinensischen ist in der Tat ein Produkt der hiesigen Medien- und Politlandschaft. Nur indem diese zwei Seiten als scharfe Kontrahenten aufgebaut werden, kann das „Elend“ der palästinensischen Bevölkerung gegen die „Greueltaten“ der israelischen Armee und damit des israelischen Staates ausgespielt werden. Es wird hier nun ein Szenario kreiert, welches eigentlich nur ein Entweder-Oder zulässt. Die nun von einem Großteil der Medien eingenommene Position, welche als vermittelnde erscheint, ist im Klartext jedoch das Plädoyer für den palästinensischen „Befreiungskampf“.
Die Linke, die den Konflikt anders betrachtet haben will, tut das jedoch auf dem begrifflichen Boden, welche die Medien- und Politlandschaft bereitet hat. Weitestgehend unreflektiert wird das dichotome Bild Sharon-Arafat, Israel-Palästina geschluckt und mit diesem operiert.
Tatsächlich ist der Konflikt jedoch kein Konflikt allein zwischen Israel und PalästinenserInnen, sondern viel eher ein Konflikt zwischen Israel und den arabischen Nachbarländern. Schließlich sind es diese, welche die Geburt eines „palästinensischen Volkes“ überhaupt erst ermöglicht haben und den Konflikt seit Jahrzehnten anheizen. Ein Konflikt zwischen Israel und Palästina(1) wäre schon lange gelöst, das bewusste Torpedieren einer solchen Lösung seitens der arabischen Staaten verhindert diese jedoch permanent.
Dies ist jedoch nur eine These, welche dem simplen autonomen Blick auf die Verhältnisse der Welt entgegenschlägt. Die Bahamas zitiert in der Ausgabe 37 einen „Antideutschen Zirkel Rudolstadt“ mit den Worten „Lang lebe Israel! Kein Staat Palästina!“ Eine Forderung, die ein Großteil der pro-israelischen Linken derzeit wohl unterstützen würde, liest man die Erklärungen der letzten Zeit. Gepaart sind derartige Forderungen zumeist mit dem Ruf nach Krieg, nach der militärischen Selbstverteidigung Israels im Kampf gegen PalästinenserInnen.
Völlig fehlendes Verständnis für die Verhältnisse in Israel selbst sind Auslöser solch kruder Theorien. Der Staat Palästina ist heutzutage beinahe schon ein Notwendigkeit zur Existenz des Staates Israel. Dies liegt jedoch nicht in der militärischen Stärke der Israel umgebenden arabischen Welt, sondern vielmehr an dem Zustand der israelischen Gesellschaft selbst. Der permanente Kriegszustand ist im Begriff die israelische Gesellschaft zu zerstören. Der Rückzug Israels aus dem Libanon im Frühjahr 2000 ist genau Ausdruck dessen gewesen. Die israelische Gesellschaft war nicht mehr bereit, diesen Einsatz zu tragen. Ein Großteil der israelischen Soldatinnen und Soldaten verlässt nach Absolvierung der Armee (Männer: 3 Jahre, Frauen: 2 Jahre) für längere Zeit traumatisiert das Land. Für große Teile der israelischen Bevölkerung ist der Traum Israel völlig zerstört: während in Israel noch ca. 6 Millionen Israelis leben, leben im Ausland bereits eine Million Menschen mit israelischem Pass, so alarmierende Studien der letzten Monate. Der Wegzug aus dem heiligen Land nimmt in den letzten Jahren besorgniserregende Dimensionen an. Die völlige Durchmilitarisierung der israelischen Gesellschaft, die nahezu vollständige Kontrolle des öffentlichen Lebens durch den Zwang der Sicherheit und der damit verbundenen absoluten Priorität des Militärischen ist ein Zustand, welcher für den Großteil der Bevölkerung als nicht mehr tragbar hingenommen wird. Wie der Rückzug aus dem Libanon ist der Rückzug aus der Westbank wahrscheinlich notwendig, um keinen Spalt in der israelischen Gesellschaft zu erzielen, der nicht mehr zu kitten ist. Das Kriegsgeschrei der antideutschen Linken würde, so es sich denn erfüllen sollte, das Ende Israels bedeuten. Eine wichtige Gegenthese zu der inhaltlosen Polemik gegen einen palästinensischen Staat ist also jene, daß die Existenz Palästinas Grundvoraussetzung für die weitere Existenz Israels ist. Und das erst einmal ganz knallhart realpolitisch, jenseits einer politischen Beurteilung eines solchen Staates.
Diese Beispiele sollten im Grunde nur die Unzulänglichkeit der hiesigen simplifizierenden Betrachtungen demonstrieren, wenn sie das erfüllen wollen, was zu erfüllen sie vorgeben, nämlich die Dechiffrierung des konkreten Konfliktes in Israel/Palästina. Viel interessanter ist eigentlich, was sich hinter dieser Argumentation verbirgt, zeigt sich doch schon an obigen Beispielen, dass es weniger um den Konflikt in Israel/Palästina geht, als vielmehr um identitäre Politik im Zeitalter der Postantifa. Beide Seiten, welche sich also hierzulande herauskristallisieren, adoptieren eine konkrete Identität: die palästinensische bzw. die israelische/jüdische.

Palästina-Solidarität und Antisemitismus

Dabei wäre es interessant, sich zu vergegenwärtigen, wie sich die palästinensische Identität generell herausbildete, ist sie doch ein Nach-48er-Produkt (1948: Staatsgründung Israels). Der Platz hierzu fehlt, deswegen nur stichpunktartig. PalästinenserInnen gab es zur Staatsgründung Israels nicht. Die palästinensische Identität entwickelte sich erst in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Diese Identität entstand in der konkreten Auseinandersetzung mit dem israelischen Staat, in Abgrenzung zu jenem. Die palästinensische Identität impliziert somit logisch die Abgrenzung zu Israel. Das Israelische ist somit das ausgeschlossene Andere, was in Abgrenzung zur Konstruktion des Eigenen benötigt wird. Hieraus im Umkehrschluss zu folgern, PalästinenserInnen wären allesamt Nazis (eine durchaus existente These!), ist jedoch falsch, da das Jüdische in den konkreten Auseinandersetzungen nach 1945 nur ein Teil des Israelischen ist und nicht 1:1 gesetzt werden kann. Zudem sind Identitäten nicht nur Konstruktion sondern ebenso Realität.
Die positive Inanspruchnahme der palästinensischen Identität durch Deutsche und eben auch deutsche Linke ist indes problematisch. Die scheinbar bedingungslose Übernahme der palästinensischen Identität durch deutsche Linke impliziert jene kategorische Negierung des israelischen Staates. Bezeichnend ist es, die palästinensische Gesellschaft als Eines zu setzen (wie es auch die pro-israelische Linke tut), deren Brüche nicht wahrzunehmen und daraus folgend die Intifada hochleben zu lassen (Indymedia z.B.) und die Vernichtung von Jüdinnen und Juden durch palästinensische Selbstmordattentäter keines Wortes zu würdigen und sie somit zu legitimieren.
Da wundert es auch gar nicht, daß die deutsche Palästina-Soli-Bewegung in scharfen antisemitischen Tönen den jüdischen Staat attackiert. Von Faschismus ist da die Rede, von Vernichtungskrieg, von Holocaust. Aufgerufen wird zum Judenboykott und zur Vernichtung (Intifada) der Jüdinnen und Juden bis hin zur Vernichtung des jüdischen Staates selbst. Klassische antisemitische Töne paaren sich mit der vorherrschenden Variante des Antisemitismus nach 1945, welcher sich in der Betitelung Israels mit der den deutschen NS bezeichnenden Terminologie äußert.
Eine Linke, die sich mit PalästinenserInnen tatsächlich auseinandersetzen würde und nicht nur eine diffuse Identität übernimmt, um die eigenen antisemitischen Projektionen dahinter zu verstecken, sähe sich gezwungen, die Brüche der palästinensischen Gesellschaft zu betrachten. Das würde auch bedeuten, palästinensische Probleme wie z.B. Flüchtlingslageralltag, Armut, permanente Kontrolle des öffentlichen Lebens etc. nicht einfach so mit dem Vernichtungswahn der Zweiten Intifada(2) in Eins zu setzen, sondern hier Unterschiede aufzuzeigen. Es wäre zudem interessant, etwas über das Selbstverständnis einer palästinensischen Linken zu erfahren, so es sie denn überhaupt noch gibt, welche Unterschiede es dort gibt und was deren zentralen Motive sind. So etwas wird jedoch beflissentlich verschwiegen, genauso wie eine Diskussion, warum die Vernichtung von Israelis das beherrschende Moment der Zweiten Intifada ist, während zur Ersten Intifada noch der Angriff auf die Besatzungsbehörden das entscheidende Mittel gewesen ist.

Israel-Fetisch: Der Mythos von den besseren Deutschen (Linken)

Auf der anderen Seite hat sich aus den Resten der antideutschen Linken ein Bündnis eingeschworener Israel-FreundInnen gebildet. Entstanden aus der Kritik einer antisemitisch argumentierenden Linken wurde zusehends der Weg zu einer Identifizierung mit dem jüdischen Staat eingeschlagen. Nicht erst nach den antisemitischen Ausbrüchen der letzten Wochen gehört in diesen Kreisen das Tragen von Israel-Buttons, Israel-Ansteckern, Israel-Fahnen etc. zu einem guten Äußeren einfach dazu.
Interessant ist hier zu beobachten, wie bereits auf rein formaler Ebene die Antifa-Identität von der Israel-Identifizierung verdrängt wird. Dort wo früher der Antifaschistische Aktion-Button prangte, leuchtet nun in blau-weiß die Israel-Fahne: ein selten dämlicher Tausch der Identität. Im Grunde ist der pro-israelischen Linken an den Kopf zu werfen, was sie anderen linken Gruppierung um sich rum die letzten Jahre in penetranter Unermüdlichkeit zum Vorwurf machte: Die Identifizierung mit Israel dient dem Zweck, endlich einmal auf der moralisch richtigen Seite der Geschichte zu stehen, auf der Seite der Jüdinnen und Juden, also genau nicht auf der Seite der Deutschen. Wo die antideutsche Kritik stecken bleibt, wo die Selbstverortung außerhalb des deutschen Kollektivs in der ständigen Projektion des „wir und die anderen“ keinen Standpunkt findet und somit verpufft, scheint sich der Standpunkt zumindest in symbolischer Weise eingefunden zu haben: Israel.
Um ganz sicher zu gehen, daß auch alle verstehen, was gemeint ist, wird mit pompösen Worten ein Szenario definiert, welches die bedingungslose Unterstützung notwendig mache. Im Flugblatt des Bündnis „Es geht um Israel“ heißt es dazu: „Wer sich die Geschichte der Juden anschaut, kann um ihre Jahrtausende währende Verfolgung und um ihre Ausgrenzung wissen. Keine Religionsgemeinschaft dieser Welt hat so viel Leid und Elend erfahren wie die Juden. [...] Wenn es also eine Menschengruppe auf der Welt gibt, die man als die Verdammten dieser Erde benennen muß, dann gebührt dieser traurige Titel der Menschheitsgeschichte einzig und allein den Juden.“ Daß es also mit dem Bekenntnis für die Jüdinnen und Juden doch nicht ganz so ernst gemeint ist, sondern es sich eher um die eigene Standortversicherung dreht, demonstrieren diese beiden Sätze deutlich. Denn besonders in den letzten zwei Jahrzehnten wird dieser hier präsentierte Blick auf die Geschichte des Judentums hauptsächlich von jüdischen WissenschaftlerInnen kategorisch abgelehnt. Es handele sich hierbei, so die Argumentation, als eine von außen zugeschriebene Stigmatisierung und Festschreibung der Jüdinnen und Juden als ewige Opfer und nicht als menschliche Subjekte.
Nun wäre es vielleicht übertrieben, den Goldhagenschen Schluss, dass der Philosemitismus der Antisemitismus im Schafspelz sei, auf das Bündnis „Es geht um Israel“ anzuwenden. Dennoch soll das vielleicht stehen bleiben, um zu demonstrieren, wie in dieser philosemitischen Argumentation die Elemente des Umschlagens zum Antisemitismus bereits angelegt sind.
Daß auch die pro-israelische Linke die angebliche Dichotomie des Konflikts (Israel-Palästina) scheinbar bedingungslos schluckt, verwundert auf den ersten Blick, gab sie doch als antideutsche Linke vor, mit autonomer Politik und deren autonomen Erklärungsmodellen gebrochen zu haben. Doch wenn die Volksweisheit sagt, daß die größten Kritiker der Elche früher selber welche waren, hat sie nur die eine Seite der Medaille erfasst. Denn sie waren es nicht nur, sondern sind es zum großen Teil noch immer. Zwar gab die antideutsche Linke vor, autonome Weltbilder in ihren Grundfesten kritisiert zu haben, doch konnten sie den Boden der autonomen Argumentation nie verlassen. Der autonome Duktus der Simplifizierungen ist auch der antideutschen Linken ein fester Bestandteil der Argumentation. In der Wahl der Sprache allein lässt sich bereits erahnen, was gemeint ist: „Lang lebe Israel“ prangt in großen Lettern auf dem Flyer des Bündnis „Es geht um Israel“. Nicht der Inhalt aber die Sprachform entspricht einem „Lang lebe Genosse Stalin“, „Lang lebe der Kommunismus“ etc.
Auch eine pro-israelische Linke, so sie es denn ebenso erst meinen würde mit ihrer Solidarität zu Israel, sähe sich gezwungen, zuallererst die Brüche und Differenzen innerhalb der israelischen Gesellschaft anzuerkennen. Denn „Israel“ war immer nur die Klammer um eine Gesellschaft, die widersprüchlicher kaum sein kann, eine Gesellschaft aus Menschen, welche nur gemein haben, dass sie als Jüdinnen und Juden oder als solche Stigmatisierte den antisemitischen Verfolgungen in einem Großteil der Welt ausgesetzt waren und sind. Diese Auseinandersetzung zu verweigern, ist ein Hauptmerkmal der heutigen „Israel-Solidarität.“

Grenzen einer Debatte

Das bereits Geschriebene demonstriert zum Großteil die Grenzen der hiesigen Debatte. Scheinbar verbale Intervention in den Konflikt ist im Großen und Ganzen nichts mehr als Identitätshuberei par excellence. Der Standpunkt, von welchem aus diskutiert wird, bleibt unklar.
Es geht den beteiligten deutschen Linken also, wie gezeigt, zu einem Großteil um die eigene Verortung. Positionen, welche die Debatte aufnehmen, von welcher behauptet wird, es sei die geführte (die realpolitische Komponente des Nahostkonflikts also), sehen sich, wenn sie eine vermittelnde Position einnehmen wollen, in dem Dilemma, keine vermittelnde Position zu haben. Das Kritisieren der israelischen Militäreinsätze, der Besatzungspolitik, der Wasserpolitik, der Selbstmordattentate etc. läuft auf die völlig berechtigte Frage zu, von welcher Position aus dies geschieht. In der Annahme, tatsächlich den konkreten Nahostkonflikt zu diskutieren, kann die Alternative letztendlich nur lauten: Für Israel oder für Palästina. Oder das Lavieren mit einer positionslosen Kritik, die durch ihre Positionslosigkeit die Grundbedingung ihrer selbst (der Kritik also) nicht mehr erfüllt und sich somit selbst obsolet macht.
Auch wenn man mit Vehemenz verteidigt, daß der Staat Israel bestehen muss,(3) dass Selbstmordattentate an Israelis zu verhindern seien etc., leuchtet es nicht ein, warum derartige Positionen ein Rechtfertigung der aktuellen Politik der israelischen Regierung nach sich ziehen müssen. Dabei geht es gar nicht darum, die bestehenden Kriegseinsätze in realpolitischer Bescheidwisserei einer Kritik zu unterziehen, sondern diese in ihrer Konkretion weder zu rechtfertigen noch abzulehnen. Gleiches betrifft eine pro-palästinensische Position, welche versucht, Selbstmordattentate in eine wie auch immer geartete Befreiungsromantik einzubetten.
Kurzum muss man sich der Bedingungen der eigenen Kritik auf der einen Seite und den Standpunkt derselben auf der anderen Seite bewusst werden. Es ist eben nicht der Israel-Palästina-Konflikt welcher die eigene politische Sozialisation geprägt hat, genauso wie jener realpolitische Konflikt jenseits der Erfahrungswelt einer Linken in Deutschland liegt. Eine Linke in Deutschland hat die Pflicht, sich den eigenen Standpunkt bewusst zu machen, die eigene deutsche Sozialisation sowie die sie umgebenden Praxisformen als die ihren zu begreifen (was keine bewusste Aufgabe in diese bedeutet) und daraus schlussfolgernd zu verstehen, daß ihr jede Berechtigung fehlt „den Palästinensern“, „den Juden“, „dem Sharon“ oder sonst wem Vorhaltungen zu machen, was zu tun deren Aufgabe wäre.
Was der deutschen offiziösen Politik zur Vorhaltung gemacht wird, was gegen die bundesdeutsche Publizistik ins Felde geführt wird und was Deutschland insgesamt zur Bedingung gemacht wird, hat für eine deutsche Linke ebenso zu gelten: Sie hat nicht das Recht, in besserwisserischer Manier „denen dort unten“ ihre möglichen Lösungen zu diktieren. Wenn die Friedenspläne eines Joseph Fischers eine Anmaßung sondergleichen sind, so sind es die „Friedenspläne“, oder wie auch immer das aktuell zu Verzeichnende zu benennen ist, welche von links daherkommen ebenso.

Open End

Die Eskalation des Konflikts in Israel/Palästina wird sich also herangezogen, um die Frontstellung im eigenen politischen Lager zu festigen. Die beabsichtigten Abgrenzungen funktionieren derzeit prächtig und so haben sich so manche Linke ihre in den letzten Jahren zugelegte Maske vom Gesicht gerissen – um diese prägnante marxistische Metapher mal zu bemühen – und ihr wahres Gesicht der Öffentlichkeit präsentiert.
An der eigenen „Heimatfront“ wird mittlerweile ebenfalls scharf geschossen, dies zu diskutieren und anzugreifen, sollte ein Hauptanliegen einer Linken in Deutschland sein. Nicht nur in Frankreich wurden jüdische Institutionen angegriffen, auch und gerade in Deutschland hat der Antisemitismus Hochkonjunktur. In Berlin wurden jüngst zwei New Yorker Juden zusammengeschlagen und schwer verletzt, auf Internetseiten wie „Indymedia“ wird der Vernichtung von Juden Beifall gezollt, bei der Palästina-Soli-Demo am 13.04. in Berlin wurden Parolen wie „Wir wollen keine Judenschweine“, „Sieg heil“, „Intifada bis zum Sieg“ von Massen gegrölt.
Interessant auch der freigelassene Pöbel auf den Internetseiten der Leipziger Volkszeitung. Im offenen Forum werden in verschiedenen Beiträgen Pogrome an Jüdinnen und Juden in Deutschland als „begründet artikulierte“ Form der Auseinandersetzung um Israel/Palästina bezeichnet, die Rücknahme der juristischen Emanzipation der Jüdinnen und Juden von 1871 gefordert: den deutschen Jüdinnen und Juden solle die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden, sowie der „Madagaskar-Plan“ als richtige „Endlösung der Judenfrage“ bezeichnet.
Angesichts solcher Töne, angesichts der Attacken von Lamers, Möllemann & Co. sollte die Bekämpfung des Antisemitismus hier in Deutschland eine wichtige Rolle spielen.
Zum anderen sollte die Verantwortlichkeit Deutschlands und Europas an der Situation im Nahen Osten benannt werden. Die Politik der europäischen Regierungen, der weltweite Antisemitismus und schließlich die durch Deutschland und die Deutschen verübte Vernichtung von Millionen Jüdinnen und Juden in den dreißiger und vierziger Jahren sorgte schließlich für die Etablierung und Sicherung des jüdischen Staates in dieser Region. Die Politik der nächsten Jahre bis 1989 war geprägt von dem konkreten Versuch der Instrumentalisierung der Länder jener Region für spezifisch europäische, sowjetische und amerikanische Interessen. Dieser Konflikt bewahrte Israel eine Sicherheitsgarantie, welche nach 1989 Schritt für Schritt weggefallen ist und den jüdischen Staat heute vakant erscheinen lässt. Die finanzielle Unterstützung Deutschlands für antisemitische Schriften und Leerbücher in den palästinensischen Gebieten sind hinreichend bewiesen.
Zudem fällt derzeit die letzte moralische Schranke, welche Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als Folge des barbarischen Vernichtungskrieges, noch besitzt: Deutsche Soldaten schießen als UN-Schutztruppe auf jüdische Soldaten – eine Katastrophe sondergleichen, welche zu erreichen, sich die deutsche Regierung offensichtlich zur Aufgabe gemacht hat.
All dies sind stichpunktartig Aspekte, die zu problematisieren unumgänglich sind. Realpolitische Forderungen in die Nahost-Region entsagen jedoch jeder Grundlage. Wenn Politik in dem Falle bedeutet, sich im Nahost-Konflikt erklären zu müssen um den Preis, Ideologiekritik in der Westentasche zu lassen, kann es hier nur heißen: Kritik statt Politik!
Helmut

Anmerkung:
Die hier zugrunde gelegte stärkere Auseinandersetzung mit der pro-israelischen Linken bedeutet nicht etwa eine stärkere Kritik an dieser, sondern liegt zunächst daran, daß diese hier innerhalb der Leipziger Linken als die stärkere und als die derzeit einzig wahrnehmbare Fraktion zu bezeichnen ist. Zudem ist in Zeiten, in denen sich alle Welt mit „Palästina“ solidarisiert, notwendig, eine Gegenposition zu entwickeln, die sich nicht in haltlosen Allgemeinheiten verliert.

Fussnoten:
(1) Der Begriff Palästina ist zwar nicht zutreffend, da es ein Palästina nicht gibt, dennoch soll dieser Ausdruck hier bisweilen verwendet werden, um die Gebiete zu kennzeichnen, die einen eventuellen palästinensischen Staat ausmachen könnten. Dennoch sei zur Vorsicht mit solcherlei Begriffen geraten, da hiermit nicht selten Fakten geschaffen werden sollen, die keine sind, wie z.B. mit der in deutschen Medien durchgängigen Bezeichnung des Vorsitzenden der palästinensischen Autonomiebehörde Yasser Arafat als „Palästinenserpräsident“.
(2) Der Begriff der Al-Aqsa-Intifada ist übrigens irreführend, da die Zweite Intifada seine Ursprünge vielmehr in dem Rückzug Israels aus dem Libanon als in dem Besuch Sharons auf dem Tempelberg samt Al-Aqsa-Moschee hat. Sie so zu bezeichnen liegt im Interesse der deutschen Medienlandschaft, Sharon als eine der beiden Hauptfiguren des Terrors zu identifizieren.
(3) An dieser Stelle wird des öfteren der Terminus des „Existenzrechts“ Israels, das es zu verteidigen gilt, bemüht. Eine problematische Formulierung, impliziert sie doch, dass es irgendjemanden zustehe, dem Staate Israel sein Recht zu existieren ab- oder zuzuerkennen. Nicht das Recht auf Existenz muss verteidigt werden, sondern die Existenz als solche und ebenso die Unverschämtheit bekämpft, über ein Existenzrecht diskutieren zu wollen.


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[88][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007