Einige kurze Gedanken zu einem der umstrittensten Genre
des Films und der Literatur.
Horror führt uns das Urbild des
Unbewußten vor Augen. So können wir die dunkle Seite sehen, ohne
direkt damit konfrontiert zu werden.
(Stanley Kubrick, Regisseur)
Seit ich im zarten Alter von zehn Jahren meinen ersten Horrorfilm sah,
konnte ich mich von diesem Genre nicht mehr losreißen. Die Lust am
Grauen hatte mich gepackt und es folgten Abende, welche angefüllt waren
mit Videokassetten (die mit Hilfe des geklauten Videothekenausweises meines
Opas besorgt wurden), Knabberzeugs und anschließenden Disskusionen
über das eben Gesehene. Ja, es gibt wirklich Leute, die schier endlos
über The Texas Chainsaw Massacre sinnieren können.
Unglaublich, aber wahr. Im folgenden möchte ich versuchen eine
Annäherung an das Horrorgenre zu ermöglichen. Um Verzeihung
möchte ich auch noch bitten und zwar jene, die das überhaupt nicht
interessiert und die, welche in diesem Teil des Heftes hochkulturelle
Ergüsse erwartet hätten. Alles wird sich ändern, wenn wir...
Scratch the surface...
Horror ist erstmal ein total beliebiges Wort, welches uns überall im
täglichen Leben begegnet. Täglich werden Nachrichten mit dem Wort
Horrormeldung angepriesen oder jemand erzählt uns er/sie habe
Horror vor irgendetwas. Das eigentliche Wort bedeutet nichts anderes als das
Grauen, welches durch gesellschaftlich vermittelte Erfahrung ausgelöst
wird. Seit jeher hat die Lust an Grauen und Gewalt die Menschen in ihren Bann
geschlagen. Von den Gladiatorenspielen im alten Rom über öffentliche
Hinrichtungen bis zu dem heutigen Genre des Horrors. Interessanterweise
entwickelte sich das eigentliche Horrorgenre erst mit Beginn der
Aufklärung, evtl. Indiz für das Rückschlagen derselben in
Mythologie (dies nur am Rande). Doch die Lust am Schrecken in Buch und Film ist
nur ein Abklatsch derer, welche tagtäglich geschehen, jedoch unserer
Wahrnehmung größtenteils verborgen bleiben. Doch warum Horror, ist
diese Welt nicht schon furchtbar genug?
Der bekannte Verhaltensforscher Desmond Morris (Das Tier Mensch),
welcher auf biologische Prinzipien sich beruft, scheint herausgefunden zu
haben, daß wir eigentlich durch unsere Genetik auf das Leben in kleinen
Rudeln zugeschnitten sind. Da jedoch die Gemeinschaften in den letzten
Jahrhunderten stetig gewachsen sind, sich mittlerweile, wie er meint, fast zu
einer Weltgesellschaft entwickelt haben, entsteht eine Rangordnung, mit der
viele nicht umzugehen wissen, der Druck auf den Einzelnen wird stärker und
nur die Starken (was immer auch damit gemeint sein soll...)
Persönlichkeiten setzen sich durch. Dem Leiden, welches aus den
verschiedenen Formen der Unterordnung entsteht, kann aufgrund der eigenen Angst
nicht entgegengetreten werden, dennoch verursacht es Aggression, welche
wiederum kompensiert werden muß. Persönlich halte ich ja nicht viel
von Verhaltensforschungen, die sich hauptsächlich auf biologischer Ebene
bewegen. Ich würde grundsätzlich davon ausgehen, das Menschen im
Gegensatz zu Tieren ein Bewußtsein zur Verfügung steht und wir
unsere Handlungen und Gedanken reflektieren können, dennoch finde ich,
daß hier wichtige Elemente angesprochen werden, und generell ist der
Trieb ein wichtiger Bestandteil des Menschen. Außerdem verfüge ich
nicht über das nötige Wissen im Bereich Genetik und Biologie um
Morris Erkenntnisse anzweifeln zu können.
Grundsätzlich würde ich auch davon ausgehen, daß der Mensch
innerhalb des Kapitalismus aufgrund von bestimmten Erscheinungen leidet
(Existenzangst, Repression, Klassengesellschaft etc.) und daß einige dies
besser verkraften oder verdrängen als andere, wobei ich denke, daß
der eventuelle Zusammenbruch dieser Personen sich umso schlimmer
äußert. Weiterhin erscheint es als logisch, daß dieses Leid
Aggression produziert, die auf irgendeine Art und Weise kompensiert wird und
sei es nur durch Reflektion des eigenen Selbst. Oft werden für das
individuelle Leiden Projektionsflächen gesucht, die dann zur Verantwortung
gezogen werden können (die Politiker, die Beamten, die Konzerne etc.) oder
denen man offenbar ohnmächtig gegenübersteht. Dies halte ich in den
meisten Fällen für falsch, denn auf der sogenannten anderen
Seite stehen Menschen, die ebenfalls dem Leid sich ausgesetzt
fühlen. Das Gefühl der Ohnmacht jedoch scheint mir durchaus
berechtigt, denn die bürgerliche Gesellschaft bildet eine Totalität,
die keine Aussicht auf Entrinnen zu bieten scheint. Die bürgerliche Moral,
bedingt durch Sozialisation, verhindert in den meisten Fällen, daß
Agression in Gewalt mündet. Reelle Gewalt ist also in der
Öffentlichkeit zuerst einmal etwas verabscheuungswürdiges, deshalb
ist stellvertretend für das Ausleben etwas anderes notwendig, das
Darstellen. Der Affekt wird durch die Beobachtung desselben unterdrückt,
und das Zusehen steht somit auch für das Ausleben. Während der
Erziehung wurde uns beigebracht, die individuelle, oftmals agressive
Lustäußerung durch das passive Betrachten eben jener zu ersetzen.
Der Markt hat hier für jede Vorliebe etwas zu bieten: Everything
goes. Die Zivilisation zwingt uns also ein künstliches Verhalten
auf, welches in den meisten Fällen überschritten wird, insofern es
die Rahmenbedingungen erlauben und keine Strafe zu drohen scheint. Was der
Horror bei LeserInnen oder ZuschauerInnen auslöst, ist die Lust, die
empfunden wird, während man sich fürchtet, die Lust an Schauer und
Grausamkeit. Grundvoraussetzung ist jedoch, daß das Gezeigte immer
ungefährlich für die eigene Person bleibt, was auch während des
Schauderns bewußt ist. Horror setzt die sowieso schon vorhandenen
Ängste in uns frei und erschafft sie nicht erst, wie so oft behauptet
wird. Oft werden z.B. Ängste der Kindheit Thema des Horrors, etwa das
Monster im Schrank, unterm Bett, in der Dunkelheit oder die Jahrhunderte alte
Drohung der Eltern, das denen, die nicht brav sind, etwas schreckliches
widerfährt. Eines ist den meisten Filmen und Büchern des Genres
gemein: das Böse ist nicht faßbar, lauert hinter der Fassade des
Alltags, kommt unerwartet und zerstört brutal die Leben der
DarstellerInnen. Die Bestie, die in uns allen schlummert, wird freigesetzt, sei
es das Monster, der Killer, das Böse halt oder aber die, welche sich mit
allen Mitteln dagegen zur Wehr setzen und dabei auch nicht gerade ein
Paradebeispiel für humanitäres Verhalten abgeben. Im Horrorgenre wird
dargelegt, wie brüchig unser Alltag eigentlich ist. Es genügt eine
falsche Handlung beispielsweise und die gesamte, bisher mehr oder weniger heile
Welt der ProtagonistInnen bricht völlig in sich zusammen. Die
Labilität der Welt als Status Quo des Horrorgenres. Die offenbare
Nähe des Grauens zur bekannten Alltagswelt ist wichtiger Bestandteil, um
bei den RezipientInnen das Gefühl der Angst zu wecken. Oft verursacht auch
nicht irgendein Dämon das eigentliche Grauen, sondern die eigenen
verborgenen und bezwungen geglaubten Bedürfnisse und Wünsche, welche
ohne jegliche Rücksicht auf die Welt, die sie umgibt, dem Gesetz des
Triebes folgen.
Dont call the fuckin cops...
Ein wichtiger Bestandteil des Genres ist die Abwehr der Bedrohung, die meistens
ohne jegliche Hilfe von außen erfolgt. Die KämpferInnen gegen das
Böse können sich nicht auf staatliche Institutionen verlassen, da sie
in den meisten Fällen entweder räumlich ein- oder aufgrund ihrer
mangelnden Glaubwürdigkeit sozial ausgeschlossen sind. Sie sind auch keine
Superhelden, Stars etc., sondern Menschen aus dem langweiligen Alltag (z.B.
SchülerInnen, Beamte, Hausfrauen). Dem Zuschauer wird damit suggeriert,
daß auch er sich in solch bedrohlichen Situationen behaupten könnte
und letztendlich in jedem ein Held schlummert. Dabei setzen sich die Darsteller
oft über Gesetze und Moralvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft
hinweg, um sich selbst, das soziale Umfeld oder die Menschheit gegen das
Böse zu verteidigen. Wird gerade in diesem Genre oft das Gewaltmonopol des
Rechtstaates angezweifelt und seine Ohnmacht gegenüber vielen Dingen
demonstriert. Das was wir fürchten, wird in Horrorproduktionen vereinfacht
dargestellt, und nur selten wird das reale Grauen Gegenstand von Film oder
Buch. Nach den Ursachen des Übels wird nicht gesucht, sondern es wird
symbolisch dargestellt. Die Ohnmacht gegenüber dem alltäglichen
Leiden wird in ein Gut-Böse-Raster gezwängt, dennoch will das Genre
keine Sündenböcke schaffen, sondern spielt, wie schon erwähnt,
mit den Ängsten der Menschen. Die ewige Angst vor dem Fortschritt etwa,
die sich in dem Aufbegehren der Maschinen ausdrückt. Generell kann man
sagen, daß die Angst vor dem Fremden und Unbekanntem ein grundlegendes
Thema bildet, wie etwa auch die Angst vor dem Zusammenbruch der Gesellschaft.
Horror will diese Ängste darstellen und vor Augen führen. Ein sehr
wichtiger Bestandteil, vor allem der von mir hochgeschätzten
Splatter-Filme, ist der Ekel. Ekel ist eine instinktive Reaktion, welche unser
Unterbewußtsein auslöst. Die Bestimmung, was anekelt, wird von klein
auf anerzogen und ist nichts Natürliches, wie auch fast unsere gesamten
Vorlieben und Abneigungen Ergebnis unserer Sozialisation sind. Grauen und Ekel
rufen Abscheu hervor, können jedoch nie eine gewisse Faszination, manchmal
sogar Lust, leugnen. Die Darstellung des als eklig Determinierten in der
Gesellschaft, welche der Splatterfilm ständig betreibt, kommt einem
Verstoß gegen die ungeschriebenen Gesetze gesellschaftlicher Tabus
gleich, welche zurückzuführen sind auf eine Verleugnung des
Körpers und natürlicher Vorgänge. Während der
Mainstreamhorror auf explizite Darstellungen verzichtet, kommt der Splatterfilm
ohne sie gar nicht aus. Empfohlen sei am Schluß der Versand
Troma-Videos, welcher den Beweiß erbringt, das low-budget
Produktionen einen unglaublichen Charme besitzen können. Alle die mit
diesem Genre nicht soviel anfangen können, mögen mir diesen Artikel
verzeihen. Die anderen wissen wahrscheinlich eh schon, das es nicht unbedingt
ein Zufall ist, wenn dem Bullen auf der Mattscheibe der Kopf abgebissen wird.
Schlaubi
|