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das letzte, 1.8k
Rom: Am 10. November, ganze 8 Wochen nach den Anschlägen in New York, ist die linke Welt auch in Italien wieder so in Ordnung wie noch im Juli in Genua. Die Regierungskoalition organisierte eine Solidaritäts-Demonstration für die USA mit 50 000 Menschen, auf der Berlusconi ausrufen kann:
„Heute sind alle freien Menschen Bürger von New York.“
Im Gegenzug organisieren die Linken einen Marsch, an dem rund 100 000 Menschen teilnehmen. Im Unterschied zu den meisten teilnehmenden Linken schaut die FAZ dankenswerterweise ein wenig genauer hin:
„Bei dem Marsch wurden Fahnen der Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und Israels verbrannt.“
Tja, lieber verbrennend gekämpft, als Bürger
„der Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und Israels“
geworden.
Eine Einladung zum
„Global Action – Local Congress, 30.11.01. bis 2.12.01, Hamburg, Rote Flora“
flatterte auf den Tisch. Sie ist zum Verständnis von uns allen Linken im Szenesprech verfaßt, um auch wirklich sicher zu gehen, daß fremdartige Linke dort garantiert nicht auftauchen werden. Deshalb steht dort unter anderem:
„Es soll viel Platz für Diskussionen und eure eigenen Fragestellungen und weitere Aks geben.“
Also
„Aks“
is’ neu, kenn’ ich noch nich’. Aber insgesamt gilt: Auf Einladungen, wo sowas draufsteht, ist ganz gewiss nicht viel drin. Wer damit hausieren geht, daß es auf einem
„Congress (...) viel Platz für Diskussionen“
gibt, meint damit nicht etwa die Inhalte, über die es zu streiten lohnt, sondern ausschließlich die Raumkapazität
„für Diskussionen und eure Fragestellungen und weitere Aks“,
die ganz spontan sich entwickeln sollen und deshalb immer nicht stattfinden. Unter der Last des alten Flora-Gemäuers erdrückt es schier die Antiautoritären, so daß sie abschließend – nur so um Mißverständnissen vorzubeugen – daraufhinweisen müssen, was wohl wirklich niemand vermutet hätte:
„Wir sind verschiedene Gruppen und Einzelpersonen aus dem linksradikalen Spektrum und arbeiten zu unterschiedlichen Themen.“
Also wirklich, wer hätte das gedacht. Bloß gut, daß die das nochmal so hingeschrieben haben.

Meinen Diskussionsbeitrag zum Kongress hat die FAZ leider schon vorweggenommen. Eigentlich wollte ich ja folgendes kundtun:
„Durch die Globalisierung gelangen viele Pflanzenarten ins Ausland und reduzieren dort die biologische Vielfalt.“
Daß diese These stimmt, wurde erst am 16. November via deutscher V-3-Wunderwaffe der V-ertrauensfrage durch den Bundestag bestätigt: ganze 3 900 bewaffnete Tarncheck-Gewächse werden
„durch die Globalisierung ins Ausland“
verschickt und
„reduzieren dort die biologische Vielfalt.“

Doch bevor der Abmarsch unserer Staatsbürger in Uniform losgeht, noch ein wichtiger Hinweis einer Forschungsgruppe der Ruhr-Universität Bochum betreffs der allgemeinen Truppenmoral:
„Durch die kulturelle Sozialisation der jüngeren Soldatengenerationen ergibt sich ein Wandel der Einstellung gegenüber traditionellem Liedgut.“
Na bloß gut, daß es solche universitären Forschungsgruppen gibt, sonst müßten unsere Kameraden am Ende noch dumm sterben und wir alle mit.

Der Spiegel berichtet über abscheuliches nach dem 11. September:
„Sie ist eine Lehrerin vom alten Schlag. Sie fordert Leistung vom ersten Schultag an, achtet streng auf Disziplin, duldet keine Faxen, scheut auch keine Konflikte mit Eltern. Generationen von Schulanfängern hat Christa B. mit ihren Methoden Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht. Seit 34 Jahren unterrichtete sie an der kleinen Grundschule Oberlößnitz im sächsischen Radebeul. Jetzt ist die 56-jährige Lehrerin plötzlich weg: gerüffelt und zwangsversetzt an eine andre Schule.“
Der PDS-Reflex des Ossis vermutet natürlich hier sofort die Siegerjustiz am Werk. Und irgendwie stimmts ja auch. Allerdings anders als man denkt. Warum also die Zwangsversetzung?
„’Jetzt spüren die Amerikaner mal selbst, wie das ist’, äußert Grundschullehrerin Christa B. nach den Terrorangriffen im Unterricht. ‘Schließlich bombardierten sie auch unser Dresden.’“
Der längst vergessene Re-Education-Reflex, der hier bewirkte, daß
„die 56-jährige Lehrerin plötzlich weg“
ist, ist die Siegerjustiz alter Schule, die man einstmals auch Entnazifizierung nannte. Und so hat der 11. September wenigstens etwas gutes bewirkt. Nämlich daß
„Christa B.“
zumindest
„zwangsversetzt“
wurde.

Eine Tageszeitung, die sich selbst als marxistisch begreift und Junge Welt heißt, hat scheinbar mehr Fragen als Antworten parat. So zum Beispiel die folgende:
„Wie teuer ist Wissen? Auf diese 1997 auf einer Demonstration gestellte Frage gibt es nach wie vor keine Antwort.“
Sollte es auf diese Frage tatsächlich im marxistischen Fundus keine direkte Antwort geben, so liegt das unter Umständen daran, daß vor
„1997 auf einer Demonstration“
niemand eine solch dämliche Frage überhaupt gestellt hat.
Ralf


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last modified: 28.3.2007