Was manch ein Fußballfan bisher in der
dritten Halbzeit trieb, ist längst kein Geheimnis mehr. Das
zur Schau stellen von Emotionen war ebenso Bestandteil wie das
spieltägliche Auslaufen der Spieler. Dass es für selbige erst nach
den 90, scheinbar kraftraubenden, Minuten auf dem Platz so richtig zur
Sache gehen sollte, war faktisch unvorstellbar. Doch was hat sich nicht
alles geändert seit den Vorfällen vom 11. September 2001. An Treu und
Glauben orientiert man sich seit langem nicht mehr, die Feste werden eben
gefeiert, wie sie fallen.
Halloween, dieses amerikanische Verkaufsfest, das
immer Anfang November unter Zuhilfenahme dicker Kürbisse
schreckenerregende Ergebnisse liefert, hat sich zu einem globalen Ereignis
entwickelt. Irgendwie ist die Sache nicht aufzuhalten. Was mit den
Liebesgrüßen vom Valentinstag nie geklappt hat, wurde bei Halloween
ein transatlantischer Marketingerfolg: Wo man hinschaute, glotzten
Kürbisse zurück, Schaufenster als Schreckensbilder, Millionen von
Kindern in grusliger Kostümierung. Ganz Europa von Halloween besetzt. Ganz
Europa?
Nein! Eine kleine Schar von unbeugsamen Fußballern hört nicht auf,
dem Eindringling Widerstand zu leisten und beweist, daß man an
Halloween keine Kürbis-Masken oder Kostüme tragen muß, um seine
Umwelt zu erschrecken. Es geht auch, wenn man gar nichts trägt. Wir sind
nicht in Gallien, sondern in Spanien, wo das Halloween von Betis
Sevilla zum Wort der Woche geworden ist. Es begann damit, daß die
Mannschaft von Betis, als Aufsteiger zwischenzeitlich sogar an die
Tabellenspitze der Primera Division vorgestoßen, beschloß, das Fest
gemeinsam zu feiern. So etwas schafft Mannschaftsgeist, dagegen ist nichts zu
sagen. Dennoch hatten Präsident und Trainer ein dummes Gefühl bei der
Sache. Weil sie nicht eingeladen wurden. Ein ebenso nicht willkommen
geheißener Ersatzspieler wurde schließlich redselig und verschaffte
seinen Kameraden mithin eine Bescherung, welche genaugenommen ein paar Wochen
zu früh kam. Darüber, ob sein Status als Auswechselspieler nunmehr
der Vergangenheit angehört, ist nichts bekannt. Auch im Festlegen des
Strafmaßes mit all seinen Variationen ist man bekanntlich in Sevilla
nationale Spitze.
Zu vorgerückter Stunde jedenfalls begehrten die jetzt doch Verdacht
schöpfenden Verantwortlichen Einlass ins Mannschaftsquartier. Und fanden
ihre bezahlten Herren in deutlicher Unterzahl gegenüber bezahlten Damen
vor. Nach grober Zählung sollen rund dreißig Gewerbetreibende das
Trainingslager aktiv geteilt haben. Um spielerischer Auszehrung vorzubeugen,
brachen die Offiziellen die Soiree augenblicklich ab. Zuhause
wärs billja, reimte einst ein Gassenhauer, der einem dazu in
den Sinn kommt: Doch man will nach Sevilla. Am nächsten Tag stand alles in
der Zeitung. Funktionäre packten Geldstrafen aus und Spielerfrauen ihre
Paella-Pfannen. Man kann sich das routinierte Unschuldsbeteuern der Heimkehrer
vorstellen: Das war kein Foul, Schatz, nicht mal berührt; die simulieren
doch! Sozusagen Schwalben, so heißt das im Fußball, wenn jemand
sich freiwillig hinlegt.
Allein, es half nichts. Drei Tage später gabs gleich noch mal
Prügel, beim 0:1 gegen Real Saragossa. Die Fans wurden böse, die
Konkurrenz lachte sich kaputt. Der Brasilianer Denilson, einst teuerster
Fußballer der Welt, mußte als Halloween-Folge gar seine Hochzeit
verschieben. Am Mittwoch danach gab es noch mehr Häme, als er mit
Brasilien in Bolivien 1:3 verlor. Ansonsten wurde er frenetisch gefeiert.
Freilich nicht aufgrund seiner fußballerischen Leistungen, vielmehr wurde
so ein weiteres Exempel statuiert, dass den Ballzauberern vom
Zuckerhut das so heißgeleibte Europa noch schmackhafter zu machen
scheint. Nun müssen die Brasilianer zwar bangen, dass sie nicht die
Weltmeisterschaft verpassen, zum ersten Mal seit 1930. Seit damals, als alles
noch in Ordnung war im sittenstrengen Fußball. Seit damals, als der erste
Torschütze der WM-Geschichte, der Franzose Lucien Laurent, wie er sich als
über Neunzigjähriger erinnerte, seinen historischen Treffer wo
feierte? Richtig, in einem französischen Bordell in Montevideo. Damals
kannten sie ja noch kein Halloween.
Teewald
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