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Linke Debatte oder FriedenStell dir vor, es gäbe innerhalb der Linken eine Debatte und niemand nähme an ihr teil so daß nicht mal mehr langjährige persönliche Freundschaftsbande, so wie früher bei leidenschaftlichen Linken üblich, von heute auf morgen zerreißen könnten.Doch leider, die von mir umformulierte Anti-Kriegs-Schmonzette ist längst Realität geworden. Denn so ungefähr stellt sich das Dilemma für eine Diskussion dar, die aus traurigem Anlaß des 11. Septembers und dessen Folgen nicht wirklich geführt werden kann es gibt nämlich kein Forum, das es in echt gäbe. Von den zwei Zeitschriften, die dafür nur in Frage kämen, die Wochenzeitung Jungle World und das Monatsheft konkret, tut es keine von beiden. Einzig der konkret ist nachzusehen, daß sie sich noch die nicht ganz vernarbten Wunden von der Golfkriegsdebatte leckt, die wohl schmerzlich genug waren. Denn schließlich hatte sich das Blatt eindeutig zum Schutz von Israel zugunsten der Operation Wüstensturm gegen die deutsche Friedensbewegung positioniert und wurde dafür kübelweise mit linkem Dreck aller Coleur überhäuft, daß es einem jetzt noch erschaudern läßt. Dagegen ist sogar das unfaire leise Herausstehlen aus der sogenannten Türcke-Debatte seitens des Blattes zu vernachlässigen, das kurze Zeit darauf Gremliza und Co. praktizierten.(1) Das bunte Stelldichein der paritätisch geordneten linken Positionen, welche in der November-Ausgabe des Heftes vorzufinden waren, weisen sodann bei allem Respekt gleichzeitig auf die Wesensverwandtschaft von Ausgewogenheit und Beliebigkeit hin. (Und nur so ist wohl auch zu erklären, warum man im vorauseilendem Gehorsam im Editorial der besagten Ausgabe sich selbst denunzierte und tischklopfend polterte, daß es postmoderne Beliebigkeit (...) bei uns nicht geben werde.) Was aber mag eine Redaktion wie die Jungle World dazu bewegen, wiederholtermaßen eine Debatte abzuwürgen, die noch gar nicht richtig begann? Schon 1996 brach man mittendrin eine der wichtigsten linksdeutschen Debatten der 90er ab, bei der es in der Nachbetrachtung der damaligen Goldhagen-Debatte um die Bedeutung von Auschwitz für heutiges kritisches Denken ging. Der Zweck eines linken Blattes ohne direkte Milieuanbindung besteht nicht in der Aufrechterhaltung der puren Existenz als Selbstversorgungsladen für linke Autoren, sondern in der Förderung und Kanalisierung von wichtigen Debatten. Bei der Jungle World dagegen wird das unsägliche Journalistencredo der ausgewogenen Sorgfaltspflicht mit dem meinungspluralistischen Treppenwitz verbunden, daß es gut sei, mal über dies und jenes geredet zu haben. Nun zeichnete sich recht schnell nach dem 11. September eine Diskussion zwischen der antideutschen Gruppe Bahamas und der krisentheoretischen wie wertkritischen Gruppe Krisis ab, die jeweils den Finger auf bröckliges Mauerwerk des Denkgebäudes vom Gegenüber legten. Mußte man den einen, der Krisis, erst mühselig das Zugeständnis abringen, daß die Motive der Schlächter vom 11. September durch und durch antisemitische waren, bezweifeln die anderen, daß überhaupt noch wahrgenommen wird, was sich hinsichtlich der veränderten Kapitalakkumulationsbedingungen und der daran gekoppelten konstitutiven für das bürgerliche Subjekt seit dem Zweiten Weltkrieg überhaupt verändert hat. Der Vorwurf der Krisis an das antideutsche Denkmodell zielt letztlich auf nichts weniger als darauf, daß unter den objektiven Bedingungen der Wertvergesellschaftung und der fortschreitenden finalen Krise des Kapitals ein Denken nach Auschwitz im Sinne des kategorischen Imperativs von Adorno, daß alles Denken und Handeln so einzurichten wäre, daß sich ein Auschwitz nicht wiederholen und nichts ähnliches geschehen könne, endgültig obsolet sei, weil es in einer Endlosschleife kapitalistischer Ehrenrettung eingeschnappt wäre. Dagegen steht der antideutsche Vorwurf, daß sich die Krisis-Gruppe theoretisch über die Wirklichkeit erhebt, indem sie die Kälte bürgerlicher Rationalität in eins setzt mit dem Versuch ihrer negativen Aufhebung wie es weiland die Nazis taten oder heuer die Islamisten und somit der Unterschied zwischen maßloser Ausbeutung und maßloser Vernichtung sekundär werde und offene kritische Dialektik der eigenen Theorie geopfert würde. Der jeweilige Befund des Heraushaltenmüssens (Krisis) und des nicht Heraushaltenkönnens (Bahamas u.a.) nach den Terroranschlägen ist letztlich nur der Ausdruck für die zwei einzigsten überhaupt diskutablen Positionen innerhalb des kümmerlichen linksdeutschen Theoriebildungsbetriebes. Alles andere ist zu vernachlässigen. Ob es nun ölverschmiert (Ebermann, Trampert), traditionell Antiimp (Ditfurth), antiamerikanisch (Joachim Hirsch) oder dümmer als man schon ist (Katja Diefenbach) daherkommt, spielt dabei zum Glück, muß man unter dem Eindruck linker Geschichte sagen keine ernsthafte Rolle. Eine linke Debatte ist kein Selbstzweck, sondern hat die Kritik im Blickfeld, die es an den Verhältnissen zu leisten gilt. Deshalb geht es bei den beiden umrissenen Positionen von Bahamas und Krisis nicht um gegenseitige Vermittlung oder wechselseitige Partizipation auf Teufel komm raus, sondern darum, sich jeweils an der Wirklichkeit beweisen zu müssen. Der Schiß in den Buchsen der Jungle World-Redaktion, der denen gebot, die Debatte um beide Positionen schon abzuwürgen, bevor sie überhaupt nur beginnen konnte, beweist nur, daß die Macher eines Blattes wie die Jungle World sichtlich überfordert sind, wichtigen Streit so zu befördern, daß sie ihn kanalisieren. Und das heißt eben gerade auch, in solchen Momenten bereit zu sein, bewußt die eigene Existenz aufs Spiel setzen zu können. Weil sie aber gerade dazu nicht bereit sind, haben sie längst die eigene Existenz als wirkliches linkes Blatt aufgegeben und zugunsten eines öden linken Journalisten-Ramschladens mit obligatorischer Querdenkerquote unter den freien Autoren eingetauscht. Die Frage, wo also solche Debatten überhaupt ausgetragen werden können, macht das Dilemma perfekt. Zu konstatieren ist, daß es ein solches Forum nicht gibt und alle Versuche, aus einem Milieu heraus ein solches zu schaffen, sich schon immer selbst disqualifizieren müssen. Daß es aber eines solchen Publikationsorgans dringender denn je bedarf, steht als Erkenntnis aus der Diskussion nach dem 11. September felsenfest. Und selbst wenn der Streit zwischen Bahamas und Krisis nicht aus der Internet-Datenautobahn geraten sollte, verdeutlicht doch die Form, mittels derer er geführt werden muß, den verzweifelten Bedarf nach einer Publikation auf der Höhe der Zeit. Neben der wichtigen Debatte sollte darüber in Zukunft mehr denn je die Rede sein. Was nützt uns also die klammheimliche Freude darüber, daß dank ausbleibender leidenschaftlicher Debatten in der Linken persönliche Freundschaften erhalten bleiben. Der Wahrheitsfindung dient so etwas wohl kaum ja selbst dem Frieden auf Erden nicht. Ralf (1) Im übrigen aber möchte ich retrospektiv behaupten, daß das herbeigeführte jähe Ende der Debatte über das Verhältnis von Mensch und Natur dem entsubstanzialisierten und sinnentleerten Herumwedeln mit Kampfbegriffen wie Rassismus und Sexismus auch in der inhaltlich ernster zu nehmenden Linken Tür und Tor geöffnet hat und eine Weiterentwicklung einer kritischen Subjektheorie wohl endgültig eindämmte. |