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das letzte, 1.8k
Eine geheftete Zettelsammlung viel mir vor die Füße. Derer angesichtig, blieb mir keine andere Wahl, als mich der darin geschilderten Problematiken anzunehmen und ein Spezial dieser Rubrik zu servieren. Denn es existieren wirklich noch Probleme in der ansonsten schon ganz schön gerechten Leipziger Kiez-Welt, wie ich dankenswerterweise feststellen durfte.
„Ein etwas ausführlicher Papierkrieg“,
ein Möchtegern-Papiertiger also, wie es ein verstorbener schlitzäugiger autoritärer Dogmatiker einst nannte, dessen kulturrevolutionären Bestrebungen gar nicht soweit von den nachfolgenden Geistesergüssen entfernt liegen, wie sich zeigen wird, sprang los und brach sich alle Pfoten dabei. Fast keiner hat’s gemerkt – nicht mal die vegane Tierschutzfront. Und deshalb hier ein Nachruf.

Es gibt Orte und Menschen in Leipzig, die gibt es nicht etwa nicht, sondern nur
„jenseits industriell gesteuerter Jugendverdummung (...) und selbstzufriedener Lagerfeuer-alternativ-Kultur“.
Kurzum: jenseits von Gut und Böse also. Nun fügte es sich aber, daß sich diesen Menschen an ihrem Orte, den sie ZORO nennen, und der tatsächlich namensgemäß zur mittelalterlichen Kulisse für so manchen Mantel- und Degenfilm taugte, durch die Cannabis-Vernebelung ihrer eigenen Gedankengänge für kurze Momente der Blick auf die weite Welt ihres Kiezes namens Connewitz eröffnete. Und was die so alles wahrgenomen haben, mein lieber Scholli, das kann einen schon blaß werden lassen vor Neid auf soviel Reflexionsvermögen.
Dem Ambiente zwingend angepaßtes Denken kann an einem solchem Orte nur zur Einheit von Geist und Scholle fusionieren wie weiland die von Ackerbau und Viehzucht. Funktioniert also so, wie es die Hausordnung einer jeden Villa Kunterbunt vorschreibt. Und das hat vor allem
„tendenziös mit der Verschiedentlichkeit der Ghettos zu tun, in denen der schwer vermarktbare (sub-) kulturelle Abschaum der Gesellschaft sein konsequentes, aber gelegentlich langweiliges und ignorantes Freak-Dasein fristet, obwohl das manchmal auch was für sich hat“.
Statt der selbstlosen ‘Hä, was schreiben die da für Käse?’-Frage, reicht es, an diesem Punkt festzuhalten, daß sich die Menschen dieser
„Ghettos“
für etwas besseres halten, nämlich für
„Abschaum“.
Das wiederum muß man wissen, um deren charakterliche Mischung aus Steinzeit- und Übermenschen-Ambitionen richtig einordnen zu können.
Im Mittelpunkt ihres Lebens steht der versuchte Verzicht auf alles, was Dasein im Kapitalismus erträglicher macht – zum Glücke der sonstigen Menschheit gelingt ihnen das immer öfter nicht. Sie nennen das selbst D.I.Y. (Do It Yourself)-Prinzip oder: schon heute gelebte Utopie im kleinen.
Daß man unter solchen Umständen auch noch hoffen muß, daß diese Gestalten niemals vor der realen Situation zum Stehen kommen, ihre großen Utopie-Phantasien innerhalb einer konkreten auszuleben, kann einem in dieser beschissenen Welt des Kapitals nur noch mißmutiger stimmen.
In der schon befreiten Zelle ZORO, der idyllischen Kleinsparte mitten unter uns, verschwendet
„total überhaupt niemand irgendeinen Gedanken an eine Metamorphose des Hauses zum DIN-genormten 0815-AJZ“.
Weil nämlich
„in den letzten Jahren (...) von zu vielen Menschen Zeit und Energie investiert“
wurde,
„so daß momentan niemand das Bedürfnis verspürt, den Platz wegen irgendwelcher Wochenend-Freizeit-Tolldreisterei einiger dahergelaufener Schaumstoffhauptträger preiszugeben“,
wartet man eigentlich nur noch darauf, daß irgendjemand mal aus Polen oder Tschechien schöne bunte Vorgartenzwerge mitbringt, die, erstmal aufgestellt, das Heim noch schöner machen, in das
„in den letzten Jahren (...) von zu vielen Menschen Zeit und Energie investiert“
wurde. Man kennt das von Papi und Mami her, und deshalb auch die vielen Hunde im Eigenheim, vor denen man allerdings nicht mit Schildchen an der Eingangspforte warnt, weil das ja rundweg spießig wäre,
die aber vor der
„Wochenend-Freizeit-Tolldreisterei“
der fremden Kriminellen schützen, weil mit der Bullerei zusammenzuarbeiten ja das Schlimmste überhaupt ist. Unter dem Motto ‘Vorsicht, wachsamer Nachbar!’ hilft man sich so als Bürgerinitiative lieber selbst gegen die landauf landab grassierende Kriminalität. Wo Mami und Papi also noch den bürgerlichen Standard der Polizei in den meisten Fällen der zivilcouragierten Selbstjustiz vorziehen, halten es die Feinde der
„Schaumstoffhauptträger“
eher mit letzterer. Wobei man nicht mal sicher sein kann, ob sie sich dabei nicht gar vom Großvater, der kein Verbrecher war und deshalb seine schönste Zeit bei der SA verbrachte, inspirieren liessen – auf Bullen hatte er nämlich auch keinen Bock, dafür aber um so mehr auf Selbstbestimmung und -verwirklichung.
Weil man im alternativen Lebensborn-Heim der besseren Menschen immer auch die Zucht derselben im Visier hat, und man sich deshalb auch
„nicht wirklich als straff organisiertes Kollektiv“
begreift, weil das die Züchtigung zur freien Entfaltung störte, kann sich das Vorhaben,
„sich zu jedem Furz öffentlich zu positionieren sich schon immer ziemlich in Grenzen“
halten. Wo normale Menschen einfach zugeben, daß sie sich von zuviel Denkanstrengung und Kommunikation mit ihrer Umwelt nur belästigt fühlen, macht man ein Gewese, als wäre es etwas ganz besonderes,
„sich zu jedem Furz“
nicht
„öffentlich zu positionieren“.
Die Gedanken sind frei. Dieses höchste Gut, so haben sie abgewogen, schwebt über ihren Köpfen wie ein Damoklesschwert. Weil die aber frei sind, verwechseln sie ihre Tätigkeit mit der freischwebenden Gedankenwelt, in der sie leben. Sie ist nämlich
„soweit wie möglich vom Staat und kapitalistischen Strukturen unabhängig“.
Aufgeklärte Bürger wissen im Gegensatz zu unseren Freundinnen und Freunden, um die es hier geht, daß sich so etwas in der Welt von Staat und Kapital nur rächen kann. Allerdings als Rache an anderen, die für die eigenen Defizite, Fehler und Schwächen in einer Welt der Starken darben sollen. Und so macht man sich haßerfüllt
„einige Gedanken“,
nein, nicht über die Ursachen von Staat und Kapital, nein,
„zu sich mehr und mehr breitmachenden Anzeichen ideologischer Verblödung, Kleinkariertheit und nicht enden wollender gegenseitiger Diffamierungen innerhalb der uns umgebenden, sagen wir mal linken Szene.“
An dieser Stelle wird also der Quarantäne-Befehl ausgegeben. Der Straftatbestand der Gefahr im Verzug für die
„Kleinkariertheit“
des eigenen Geistes gilt als erfüllt, denn gleich einer Seuche wird man einer sich
„breitmachenden“
Gefahr gewahr. Und so handelt man schnell: Ob Ost, ob West, nieder mit der Gedankenpest. Fürwahr Zustände wie im Mittelalter also, wobei der Name ZORO sich einmal mehr als prächtig geeignet erweist. In gewisser Weise allerdings muß man, trotzdem man davon auszugehen gedenkt, daß die Pest nur in der sie
„umgebenden, sagen wir mal linken Szene“,
Unheil stiftet, doch infiziert sein. Denn man fängt nun auch schon an,
„ein paar Denkanstöße geben und Fragen stellen“
zu wollen. Wo soll das alles nur noch hinführen, wenn nicht mal mehr diejenigen,
„die ein paar Ideen im täglichen Leben umzusetzen“
gedenken,
„anstatt den Rest der Menschlichkeit“
auch noch zu verlieren, sich auch nicht mehr wirklich von der Gedankentyrannei frei machen können? Einer der Gründe besteht wohl darin, daß man nicht so richtig klar hat, ob man nun Teil einer sie
„umgebenden, sagen wir mal linken Szene“
ist oder nicht, weil man ja gleichzeitig sich
„innerhalb“
derselben wähnt. Eine verzwickte Sache aber auch. Denn die Pest hat schon
„einen Grad der Idiotie“
erreicht, daß sich der Umgang
„mit eventuell Andersdenkenden speziell in einigen Publikationen Leipzigs“
– was sich, ohne sich hellseherischer Fähigkeiten bedienen zu müssen, so gut wie einzig und allein auf das monatliche Blatt reduzieren läßt, in dem Sie, geneigte Leserin, geneigter Leser, gerade lesen –
„ins Unerträgliche gesteigert hat“.
Jetzt, wo es raus ist, daß man sich zur armseligen Spezies der
„Andersdenkenden“
zählt, und sich so unter dem Schutz der FdGO wähnt, was also heißt, daß man trotz allgemein gleicher natürlicher Grundausstattung mit Gerhirnzellen und -windungen dieselben subversiv – also anders – gegen sich selbst wendet, gibt es kein Halten mehr. Ein übler Schwall gekotzter Brocken geht über Bord des gleichen Bootes namens Welt, in dem man immerhin mit allen anderen sitzt, ohne es zu ahnen: Man hat es also satt, sich noch länger gefallen zu lassen,
„daß ein paar, sich alle drei Monate selbstwidersprechende, fremdwörterstrotzend pseudo-wissenschaftlich daherquatschende Selbstdarsteller mit ihrer Penetranz und ihrem perversen Drang nach steter Präsenz mittels gezielter Provokation die gesamte Szene nötigen, sich mit ihren realitätsfernen, vergeistigten Theorien“
auseinandersetzen zu müssen. Denn das
„nervt unendlich“.
Die Traumdeutung einer jeden Psychoanalyse gerinnt hier zu Worten, ohne daß man großartig hinterfragen müßte. Mit dankenswerter Offenheit wird hier, quasi wie zu Studienzwecken, das ganze Arsenal bedient: von A wie Angst, D wie Destruktionstrieb, F wie Familienneurose, H wie Hysterie, I wie Identifizierung mit dem Angreifer oder infantile Amnesie, K wie Kastrationskomplex, L wie Libidostauung, M wie Minderwertigkeitskomplex, N wie Neurose, O wie Objektwahl, Ö wie Ödipuskomplex, P wie Paranoia oder Penisneid, R wie Regression, S wie Sublimierung, T wie Triebabfuhr, U wie das Unbewußte, V wie Vaterkomplex, W wie Wunsch, Z wie Zwangsneurose.
Auf diese umfassende Diagnose hin hat man aber wahrscheinlich schon die vermeintlich passende Antwort parat. Sie nennen so etwas
„elitäres Rumgewichse“,
worauf ich nur Bingo! rufen kann.
Was mir allerdings ein wenig Sorge bereitet, das gebe ich ehrlich zu, ist, durchaus damit rechnen zu müssen, daß, einmal als
„offensichtlich mit massenhafter Energie ausgerüsteter Selbstdarsteller“,
der
„mittels unzähliger Outputs nachhaltig das Klima zu versauen“
gedenkt, in dieser auch nicht nur mir zuteil werdenden Beschreibung, gleichzeitig die Problembewältigung schlummert, die man parat hat und nicht faul ist anzudrohen:
„Grundsätzlich war und ist es unserer Ansicht nach korrekt, sich nicht jede beschissene Provo bieten zu lassen und notfalls zur unsanften Problemlösungsmethode zu greifen.“
Es sei Euch versichert: ich bin gerüstet. Denn Krieg ist keine Lösung und Zivilisation nicht gleich Völkermord.
Ralf


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last modified: 28.3.2007