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Not und Spiele

Olympia-Patronen, 13.4k Die Olympischen Spiele, ein Produkt des späten 19. Jahrhunderts, sind heute ein Anachronismus. Die grandiosen Zeremonien, das Fackeltragen, das Fähnchenschwingen, der Kult der Jugend schmecken nach einer Zeit, in der die meisten Menschen noch an den Darwinschen Kampf der Tüchtigsten unter den Völkern glaubten. Dieser Kampf sollte durch das olympische Ideal der „Bruderschaft aller Menschen“ gemildert werden – ebenfalls eine Vorstellung des 19. Jahrhunderts, die noch heute von den zwielichtigen Vertretern eines Milliarden-Dollar-Unternehmens fleißig propagiert wird. Und so war es eben keinesfalls verwunderlich, dass gerade Peking den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2008 erhielt.

Volk und Nation
Die Kommunistische Partei Chinas und das Internationale Olympische Komitee passen gut zusammen, und das nicht nur deshalb, weil IOC-Präsident Antonio Samaranch einst unter General Franco gedient hat. Auch die chinesische Regierung ist wie die Olympiade ein Relikt des 19. Jahrhunderts. Errichtet auf der Basis eines Dogmas, das ein in London wirkender Journalist aus Deutschland Mitte jenes Jahrhunderts erfand, hat die Partei in den letzten Jahren einen ethnischen Nationalismus an die Stelle von sozialistischen Idealen gesetzt, an die in China fast niemand mehr glaubt. Die chinesische Bezeichnung für ethnischen Chauvinismus bedeutet wörtlich übersetzt „Volkheit“, ein ebenfalls im 19. Jahrhundert geprägter Begriff, der auf romantischen deutschen Ideen von Volk und Nation basiert. Zeitungsschlagzeilen wie „Das 21. Jahrhundert wird dem chinesischen Volk gehören“ würden in jedem europäischen Land heute sonderbar altmodisch anmuten, während sie in China gang und gäbe sind. Pekings „Sieg“ im Kampf um die Olympiade 2008 wird von den chinesischen Funktionären und auch von vielen einfachen Chinesen als Sieg für das „chinesische Volk“ verstanden. Und davon hat des Land über eine Milliarde. Das ist natürlich kein rein chinesisches Phänomen. Alle kommunistischen Länder haben olympische Goldmedaillen fetischisiert – so als könnten „nationale“ Leistungen die Menschen irgendwie von der politischen Unterdrückung ablenken. Aber schließlich haben auch alle kommunistischen Regimes – genauso wie alle faschistischen – ihr Machtmonopol damit begründet, dass sie im Volk eine undifferenzierte Masse sahen, die „wie ein Mann“ hinter ihrem Führer stand. So ist es in China in Wirklichkeit nicht mehr. Unter anderem hat der Kapitalismus deutlich gemacht, wie differenziert die chinesische Gesellschaft ist, was Interessen, Kultur, relativen Wohlstand und sogar ethnische Herkunft betrifft. Die Olympischen Spiele sind für die Regierung eine willkommene Gelegenheit, so zu tun, als könnten diese Unterschiede zeitweilig in einer „machtvollen Demonstration nationaler Geschlossenheit“ aufgehoben werden.

Ruhe und Ordnung
Olympia-Bier, 25.4k China ist die letzte Großmacht, die sich noch an Sozialdarwinismus und ethnischen Nationalismus klammert. Und wie der Chauvinismus des wilhelminischen Deutschlands wurzelt auch der chinesische in Ressentiments, die in jedem chinesischen Schulzimmer unablässig gepredigt werden. Den chinesischen Kindern wird eingebläut, dass keine andere Nation vom westlichen Imperialismus so gedemütigt worden sei wie China. Alle derzeitigen Schwächen Chinas werden einem Jahrhundert ausländischer Aggression zugeschrieben. Und man bringt den Chinesen bei, dass die ganze Welt (besonders die USA) noch immer nicht will, dass China eine große Nation sei. Die Welt will das chinesische Volk klein halten. Die Welt macht China seinen Platz an der Sonne streitig.
Und darum erklärten am Abend des 13. Juli delirierende Menschen in Peking den Reportern: „Die Welt hat uns als große Nation anerkannt!“ Zumindest für eine Weile hat die Olympiade die nationalen Ressentiments besänftigt. Das ist wahrscheinlich nicht schlecht; denn nichts ist gefährlicher als ein ressentimentgeladener Nationalismus. Auch Taiwan hat nun etwas Zeit gewonnen – dass China in den nächsten sieben Jahren irgendetwas Kriegerisches gegen Taiwan unternimmt, ist nicht zu erwarten. Auch das ist natürlich nur gut.
Weniger positiv ist die Auswirkung, die die Olympiade auf die demokratische Entwicklung in China haben wird. Von IOC-Funktionären wird einigermaßen nervös behauptet, die Spiele würden gut für die Menschenrechte in China und vielleicht sogar für die Demokratie sein. Seht auf Südkorea (sagen sie), das eine Demokratie wurde, nachdem es die Spiele bekam. In Wirklichkeit waren Wahlen in Südkorea schon Jahre vor den Spielen zugestanden worden, und die Olympiade sorgte nur dafür, dass die südkoreanischen Generäle dieses Versprechen auch einhielten. Dass in China dasselbe geschieht, ist unwahrscheinlich. Eher ist mit der weiteren Marginalisierung von Menschen zu rechnen, die für Demokratie oder verbesserte Menschenrechte eintreten.
Das IOC ist nicht als Förderer von Demokratie und Menschenrechten bekannt. Im Gegenteil, es möchte gerne, dass „Politik und Sport getrennt“ werden. Was für die chinesische Regierung und die Großsponsoren der Spiele aus der Wirtschaft gilt, gilt auch für die Herren und Damen vom IOC: Ihre Hauptsorge ist Ruhe und Ordnung. Sie wollen, dass die Spiele geordnet ablaufen, ohne durch Demonstranten und sonstige Unruhestifter gestört zu werden.
Glaubt man der Propaganda des IOC wie der chinesischen Regierung, ist in China seit geraumer Zeit nunmehr eine Veränderung zum Besseren zu bemerken. Es liegt im Interesse des IOC, dass China wie eine stabile Gesellschaft mit glücklichen, wohlhabenden Menschen aussieht. Jeder, der die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, indem er diesem schönfärberischen Eiapopeia widerspricht, wird als potenzieller Störenfried angesehen werden. Wenn die chinesische Regierung das Gefühl hat, Ordnung und Stabilität bei den Spielen 2008 dadurch garantieren zu müssen, dass sie solche Leute wegsperrt, wird das IOC schwerlich intervenieren. Im Gegenteil, es dürfte solche Maßnahmen eher begrüßen. Denn die olympischen Funktionäre (ebenso wie die chinesische Regierung) hassen Leute, die ihnen den Spaß verderben könnten.
Gehbald



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last modified: 28.3.2007