Über die Vorbedingung für radikalen Feminismus als Interesse an der
Kritik der abstrakten depersonalisierten bürgerlichen Verhältnisse.
von Ralf
Ein weitaus ernsteres Beispiel sind die widerstreitenden erotischen
Beziehungen, die unvermeidlich in dem Prozeß der Befreiung aufkommen
werden. Diese erotischen Konflikte können nicht in einer leichten,
spielerischen Art, noch durch Stärke, noch durch das Errichten
von Tauschbeziehungen gelöst werden. Dies solltet Ihr der
Tauschgesellschaft überlassen, wo es hingehört.
(Herbert Marcuse, Marxismus und Feminismus, Diskussionsvorlage für eine
Diskussion mit Frankfurter Frauen)
Keine Gesellschaft kann Konflikte lösen, die dadurch entstehen,
daß eine Frau sich in zwei Männer verliebt oder
umgekehrt.
(Herbert Marcuse im Interview mit der Zeitung links)
Grundsätzlich scheinen die sogenannten Frauen-Lesbenzusammenhänge und
die ihnen zugeneigten Kreise ähnlich der Antifa/Antira an einer vollends
ungestörten Wahrnehmung zu leiden. Diese ungestörte
Wahrnehmung wehrt sich gegen alles, was dieselbe beeinträchtigen
könnte. Sind es den einen (der Antifa/Antira) die Nazis und der Rassismus,
die einfach nicht von der Bildfläche verschwinden wollen und deshalb zum
gesellschaftlichen Charakter an sich gemacht werden, sind es bei den
FrauenLesben-Zusammenhängen die unzähligen Vergewaltigungen, Pornos,
sexistische Reklame, Anmachen etc. pp., die an die Unveränderlichkeit
aller personifizierbaren Männerherrschaft glauben lassen. Beides macht das
kritisches Denken dumm. Und zwar deshalb, weil die ausschließliche
Empirie und die Konkretion sich dem bürgerlichen Zwang nicht enthebt,
alles auch nur wahrgenommene identisch mit der Wirklichkeit zu setzen. Warum
das so wesentlich ist, bestimmt sich an der Objektivität des Kapitalismus,
der eben kein Herrschaftsprinzip von Menschen über Menschen ist, sondern
eines, das den Menschen nicht als Menschen, sondern nur als
durchrationalisierte, sich der Vernunft unterwerfende bürgerliche Subjekte
das Privileg subjektiver Vergesellschaftung einräumt. Das apersonale
Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft ist deshalb eines des Kapitals als
gesellschaftliches Verhältnis der Warenform und des Tauschwertes. Nach
diesem sind Männer und Frauen als prinzipiell gleiche Warenbesitzer und
-käufer grundsätzlich auf dem Markte gleich. Ihre Ungleichheit ergibt
sich erst aus der Konkurrenz als Tauschende unterschiedlicher Warenwerte. Hat
man das erst einmal klar, so verliert die materielle Ungleicheit in der
Lohnarbeit und die Unterschiedlichkeit in den Besitzverhältnissen seine
Relevanz für die Bestimmung des objektiven Gesellschaftscharakters.
Der Wirklichkeit läßt sich nur per definitionem unterwerfen. Der
Preis dafür ist die Entledigung von kritischem Denken. Die zwangsweise
Konkretion, die dem bürgerlichen Subjekt aufgenötigt wird, kann das
bürgerliche Denken von Rationalität und Vernunft nicht durchbrechen.
Das allein vermag nur die Dialektik von Wesen und Erscheinung: die Abstraktion
Gestörte Wahrnehmung:
„EDV-Frau – Bildung für Jedermann“
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vom empirischen Begriff. Ohne Abstraktion ist alles Denken Versöhnung mit
bürgerlicher Wirklichkeit, nichts als scheinbare Kritik. Diese
Pseudo-Kritik aber ist nicht Kritik des Scheins von Wahrheit. Was die
bürgerliche Gesellschaft dem Subjekt vorspiegelt, ist die Unwahrheit
über es und sich selbst. Die bürgerliche Gesellschaft ist der Schein
vom autonomen Handeln der Subjekte. Dieser Schein nur verspricht
Identität. Identität aber bestimmt sich nicht etwa an sich selbst,
sondern stets am Anderen, am Gegenüber. So ist es also immer
Identität von Identität und Nichtidentität, wie Hegel es
formulierte: Ich bin, was ich nicht bin. Ich bin an sich, aber gleichzeitig
auch für sich, also bin ich an und für sich. Diese spekulative
Denkfigur, denn das Andere muß ja zur Bestimmung des Selbst definiert
sein, ist nach Hegel dem Denken des Konkreten inhärent. In der
Weiterführung durch Marx und Adorno läßt sich diese
Identität als Ideologie, als notwendig falsches Bewußtseins
benennen. Notwendig deshalb, weil aus den Verhältnissen resultierend.
Daß Identität ohne konkretes imaginiertes oder wirkliches Pendant
nicht möglich wäre, ist eine folgenschwere Erkenntnis, deren
Bewußtwerdung die Frage aufwirft, ob der Mann als gesellschaftliches
Subjekt sich ausschließlich an seinem angeblichem biologischem
Paarungs-Gegenüber, der Frau, konstituiert hat und ob die Frau genau
dasselbe hinsichtlich des Mannes tat. Wohl stimmt dies, aber eben nur, wenn man
diese gegenseitge konstitutive Abgrenzung als kleineren Teil des ganzen
gesellschaftlichen Seins begreift. Wichtig ist diese Grunderkenntnis schon
deshalb, um nicht dem Mißverständnis aufzusitzen, daß es der
Zweck des Mannes wäre, die Frau zu unterdrücken und der der Frau,
ihre Befreiung vom Manne zu betreiben.
Von gesellschaftlichem Sein, das mit dem Aufkommen des Tausches gleichgesetzt
werden kann, läßt sich überhaupt erst seit dem Warentausch
sprechen. Eine Gesellschaft von Menschen entstand dabei in Auseinandersetzung
mit der Natur, deren sinnlicher Erfahrung und der Bewußtwerdung ihrer
Nutzung und damit Veränderlichkeit durch den Menschen, welche sich als
Tätigkeit bestimmen läßt. Die Spezialisierung als eine erste
Form von Vernunft und Rationalisierung in der Tätigkeit hatte den
Überschuß zum Ergebnis, der sich wiederum zum Tausch mit anderen
anbot.(1)
Die sogenannte Natur des Mannes und die Natur der Frau sind Ergebnis der
Spezialisierung und bestimmten sich vollends in der entstandenen
gesellschaftlichen Arbeitsteilung.
Ein bürgerliches Subjekt unterteilt sich nur als historische Erscheinung
in männlich und weiblich. Der entstandenen ökonomischen
Personifikationen freier und gleicher Warenbesitzer und -käufer
schlechthin haftet somit nur auf Grund der Historie die einschließende
männliche und ausschließende weibliche Zuschreibung an. Nur deshalb
auch konnte es überhaupt gelingen, daß die Frau in der
bürgerlichen Gesellschaft doppelt vergesellschaftet wird. (Das
heißt, in Reproduktion und Produktionssphäre ihre gesellschaftliche
Doppel-Rolle besitzt.) Denn das Kapital als grundlegendes objektives
Vergesellschaftungsprinzip von variablen (Menschen) und konstanten (Sachen
etc.) Dingen wäre nicht davon zu überzeugen gewesen,
wenn das männliche Gesellschafts-Prinzip nicht auch eine gesellschaftliche
Variable wäre, die der Vergesellschaftung des Menschen im
übrigen nicht zu verwechseln mit der Marxschen menschlichen
Vergesellschaftung in der freien Gesellschaft zu durchrationalisierten
vermännlichten Subjekten verhülfe, die das geschichtliche Optimum an
Variabilität des Menschen für das Kapital verkörpern:
Frisch und konzentriert müssen die Arbeitenden nach vorwärts
blicken und liegenlassen, was zur Seite liegt. Den Trieb, der zur Ablenkung
drängt, müssen sie verbissen in zusätzliche Anstrengung
sublimieren.(2)
In der bürgerlichen Gesellschaft entschlüpfte und entschlüpft
sukzessive das männliche Menschheitsprinzip den biologischen
Menschenkörpern egal ob Mann oder Frau oder sonstetwas. Es wurde
und wird zu einem abstrakten Prinzip: Als Kristalle dieser ihnen
gemeinschaftlichen Substanz sind sie Werte Warenwerte (...), weil
abstrakt menschliche Arbeit in (ihnen) vergegenständlicht oder
materialisiert ist. (Denn) die gesamte Arbeitskraft der Gesellschaft, die sich
in den Werten der Arbeitswelt darstellt, gilt hier als eine und dieselbe
menschliche Arbeitskraft, obgleich sie aus zahllosen individuellen
Arbeitskräften besteht.(3) Das ist das Ergebnis des
abstrakten, gleichmachenden Prinzips der gesellschaftlich notwendigen
Arbeitszeit.
In der gedanklichen Abstraktion als Kritik der bürgerlichen Gesellschaft
ist dieses Ganze als grundlegend zu begreifen. Es darf nicht
auseinanderdividiert werden, weil es sich sonst gemäß der
bürgerlichen Ideologie des notwendig falschen Bewußtseins in den
Dingen verliert. Die bürgerliche Welt nicht abstrakt als Ganzes zu
begreifen, schafft dann in der Praxis nur neue Instrumente zur Modernisierung
der bürgerlichen Gesellschaft, zur Reproduktion des Ganzen im Angesicht
seiner Krisenhaftigkeit.
Daß das abstrakt bürgerliche Prinzip nicht ahistorisch per se ist,
haben Horkheimer/Adorno mit der Charakterisierung der Menschheit vortrefflich
benannt: Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das
Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen
geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt. Die
Anstrengung, das Ich zusammenzuhalten, haftet dem Ich auf allen Stufen an, und
stets war die Lockung, es zu verlieren, mit der blinden Entschlossenheit zu
seiner Erhaltung gepaart.(4) Das Selbst im Kapitalismus,
ohnehin nur als Warenbesitzer überhaupt entfaltbar, ist darüberhinaus
der herrschende Rationalismus der Geschichte, die den Subjekten
aufgenötigte Vernunft. Es entfaltet sich allerdings nicht als zum Beispiel
Dreigestirn von gleichberechtigten Herrschaftsverhältnissen etwa
der paradigmatischen Gleichstellung von Frauenunterdrückung,
Klassenantagonismus und Rassismus bzw. Antisemitismus, wie es zum Beispiel die
Gedankenmixtur der sogenannten Triple Oppression-Theorie serviert. Diesem
Theoriegebräu liegt der traditionell falsche unkritische Kapitalbegriff
von der Entfremdung der Arbeiterklasse von der Arbeit zu Grunde, als
schlössen sich Kapital und Arbeit natürlicherweise aus. Diese vom
Marxismus-Leninismus als Hautpwiderspruch verteidigte Vorstellung von Kapital
ist aber eine verheerend falsche Verkürzung. Denn sie begreift Kapital
nicht als das, was es objektiv ist, als ein ganzes umfassendes
Gesellschaftsverhältnis nämlich, dem alles andere
untergeordnet ist. In dieser falschen Logik von Widerspruchsdenken
verkommt das Menschenbild vom Selbst zu einem Ensemble selektiver Wahrnehmung
und nicht zu einem sozialer Verhältnisse, wie Marx es materialistisch vom
ideellen Stande der freien menschlichen Gesellschaft gegen den Materialismus
von Feuerbach einwandte. Als ein solches Sammelsurium selektiver Wahrnehmungen
kann Gesellschaftskritik nur bürgerliche Kritik der Verhältnisse
sein, nicht aber Kritik der bürgerlichen Gesellschaft in Gänze.
Das männlich konnotierte Selbst des bürgerlichen Subjekts als
historisches Phänomen ist die objektivierte Bestimmung von
gesellschaftlicher Geschlechtlickeit überhaupt. Diese entwickelte
Geschlechtlichkeit ist die Grundlage des hierarchischen
Geschlechterverhältnisses, das nur als zwangsweise abstrakte
Fortschreibung von Heterosexualität funktioniert der sogenannten
Zwangsheterosexualität -, derer es in der bürgerlichen Gesellschaft
letztlich keiner vorbestimmter biologischer Menschenkörper mehr bedarf,
sondern nur der zwangsweisen Zurichtung und Unterwerfung unter dieses
abstrakte Gleichheitsprinzip. (Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl die
Menschenrechtsdeklaration der französischen Revolution von 1789.) Aus der
historischen Bestimmung des Geschlechterdualismus ergeben sich die
gesellschatlichen Formen von Sexualität. Der Begriff der Sexualität
ist hierbei im Sinne der Psychoanalyse als ein weit gefaßter zu
verstehen, dem weder die Genitalfixierung ausschließlich zu Grunde liegt
noch der biologisierenden Genese als Untersuchung von Instinkt und Trieb auf
den Grund gegangen werden soll.
So begriffen liegt die Relevanz für Subjekt und Gesellschaft erst klar auf
der Hand. Das Auseinanderfallen von Gleichheit und Emanzipation auf der einen
Seite und Befreiung der Sexualität auf der anderen bestimmt die Grenzen
des überhaupt möglichen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft.
Nur wenn man dieser Grenzen gewahr wird, entgeht man der Falle der Verzweiflung
in der Kritik der Verhältnisse, denen man sich dann folgerichtig nur
erschöpft und ohnmächtig ausgeliefert sieht und letztlich vor ihnen
kapituliert. Denn ohne die Anerkennung von Objektivitäten ist die Neigung
zur personifizierten Kritik als Ressentiment vorprogrammiert. Das Recht auf
Gleichheit und Emanzipation als formale Gleichberechtigung in der
bürgerlichen Rechtssubjektivität ist selbst als ein Recht auf die
Definition von Vergewaltigung durch das Opfer nicht Überwindung der
Gleichheitsappellation, sondern ihre explizite Reproduktion männlicher
Prinzipien. Denn die Erkämpfung oder das Nehmen von Rechten ist die
Beförderung der Entpersonalisierung der abstrakten Herrschaft des
männlich konnotierten Kapitals nicht aber seine partielle
Überwindung. Eine teilweise Überwindung ist nicht möglich, weil
jedes Partialrecht unwiderruflich gesellschaftlich immanent ist und bleibt: Das
Ganze auseinanderzudividieren, hat nur die Reproduktion der ganzen objektiven
Wahrheit des Kapitals zur Folge. Da das Ganze die Wahrheit ist, ist es die
Unwahrheit über eine befreite Gesellschaft, das Unwesen von Totalität
(Adorno).
Hier nun scheint ein innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse
unauflösbarer Widerspruch auf: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
als männliche Form-Prinzipien der Rationalität und Vernunft sind
genau jene Normen, die der Forderung nach der Emanzipation unwiderruflich zu
Grunde liegen. Ein Definitionsrecht auf Vergewaltigung heißt demzufolge
nicht zufällig so. Innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft kann es
also auch keine befreite Sexualität geben, sondern maximal eine
gleichberechtigte resp. emanzipatorische. Die männliche Konditionierung
von Sexualität ist also immanent nicht abzuschaffen, weil allein schon das
Rekurrieren auf die Gleichberechtigung genau jene vornimmt. Gleichberechtigung
und Emanzipation hinsichtlich der Sexualität wie auch allgemein sind in
diesem begriffsbestimmten Sinne einzig und allein Wege zur Zurichtung als
duchrationalisiertes, vernunftgefesseltes bürgerliches Subjekt. Das
Schmutzige und Irrationale der Sexualitität vermag den bürgerlichen
Zwang zur Totalität gebührlich zu unterlaufen. Der Sexualität
sind genau jene Leerstellen immanent, die die bürgerliche Gesellschaft nur
über den Weg des Innen, über das Ich, unter Kontrolle bekommen kann.
In dieser Lesart tritt dem Kampf der Frau um die Subjektwerdung als Recht auf
den eigenen Körper ein bitterer, aber nicht zu vermeidender Beigeschmack
hinzu, den in Worte zu kleiden, längst an der Zeit ist.
(Der Text ist Teil einer beginnenden Artikelserie. Eine Fortsetzung erfolgt
in der nächsten Ausgabe des CEE IEH)
Fußnoten
(1) Ich vermeide hier bewußt den Begriff Arbeit, um nicht den
irreführenden Glauben zu kolportieren, daß Arbeit so alt sei wie die
Menschheit und deshalb als eine Art natürliche Tätigkeit des Menschen
anzusehen wäre.
(2) Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung,
Frankfurt am Mai 1969, S.40
(3) Karl Marx, Das Kapital Erster Band, Berlin 1955, S.42 ff.
(4) Marx Horkheimer/Theodor W.Adorno a.a.O., S.40
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