Antira heißt... | | Analyse der Antira-Szene
Vorab
Der folgende Text soll einzelne Aspekte der bundesdeutschen linken Antira-Szene
(kritisch) beleuchten. Dazu ist ein kurzer historischer Abriß zu Beginn
notwendig(1).
Eine Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus fand in der Linken der BRD
Mitte der 80er Jahre erstmalig statt(2). Bis dahin fand der Begriff
Rassismus höchstens im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus,
Südafrika oder der USA Verwendung. Bis dahin gab es weder ein
Bewußtsein für den rassistischen Konsens in der Bevölkerung
noch für den instutitionalisierten Rassismus des Staates. Erst aufgrund
der Verschärfung der Ausländergesetze und -politik gründeten
sich in den 80er Jahre einzelne Antira-Gruppen(3). Das
Hauptaugenmerk lag auf staatlichem Rassismus, schließlich war er der
Auslöser für das eigene Engagement. Die Gruppen verstanden sich oft
als antiimperialistisch und/oder sozialrevolutionär (vor allem traf dies
auf die Flüchtlingskampagne der Revolutionären Zellen/Rote Zora in
den Jahren 1986-1989 zu(4)), d.h. zum einen wurde in den
MigrantInnen das neue revolutionäre Subjekt, der verlängerte Arm der
Befreiungsbewegungen im Trikont, erblickt, zum anderen galten die MigrantInnen
als Opfer der Weltwirtschaftsordnung und der imperialistischen Staaten, wie es
auch bei den deutschen ArbeiterInnen oder sozial marginalisierten in der BRD
wenn auch in abgeschwächter Form der Fall
wäre.(5) Das bedeutete auch, daß einige
antirassistischen Gruppen die MigrantInnen nicht nur als Opfer, denen zu helfen
sei, wahrgenommen, sondern als politische Subjekte ernst genommen haben. D.h.
es gab etliche Versuche, eine gemischte Organisierung (Deutsche, MigrantInnen)
auf die Beine zu stellen, die jedoch einige Jahre später für
gescheitert erklärt wurde.
Parallel zur linken Antira-Bewegung entstanden zur gleichen Zeit
bürgerliche FlüchtlingsunterstützerInnengruppen, die aus einer
humanistischen Motivation heraus agierten, und feministische Antira-Gruppen,
die vor allem Ergebnis der Auseinandersetzung um den Rassismus innerhalb der
weißen Frauenbewegung waren. Die Analyse der eigenen Verstricktheit in
Unterdrückungsverhältnisse wie den Rassismus war zwar wichtig, um
einen gleichberechtigten Umgang mit MigrantInnen zu finden, barg allerdings
auch immer die Gefahr der ins esoterische abdriftenden Nabelschau in
sich.(6)
Ab 1990 erlebt die Antira-Szene ihren Aufschwung.(7) Im Zuge weiterer
Verschärfungen im Ausländerrecht, der de facto-Abschaffung des
Asylrechts (1993) und der damit einhergehenden rassistischen Hetze auf allen
gesellschaftlichen Ebenen, gründen sich in vielen Städten Gruppen,
die sich antifaschistisch und antirassistisch verstehen. In ihren Analysen und
Aktionsformen vereinen sie, was sich erst später in Antira und Antifa
trennen soll. Als Reaktion auf die rassistischen Pogrome erweitert sich zum
einen das analytische Verständnis vom Rassismus es ist erstmals vom
Rassismus der Bevölkerung die Rede , zum anderen rücken
Flüchtlinge, die von Nazis überfallen und vom Staat abgeschoben
werden, mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Damit verschiebt sich
allerdings auch die Wahrnehmung von Migration und MigrantInnen. Bei den
Fahrwachen vor den Flüchtlingsheimen(8) oder der
Unterstützung in asylrechtlichen Fragen werden die Flüchtlinge
weniger als Subjekte wahrgenommen, die aufgrund ihrer politischen
Überzeugung flüchten mußten oder als Armutsflüchtlinge die
soziale Revolte in die Metropole tragen, sondern mehr als Objekte
und Opfer, die unsere Hilfe benötigen, um den Frontalangriff von Staat und
Bevölkerung abwehren zu können.
Ab 1993 setzt die Desillusionierung innerhalb der linken Antira-Szene ein. Die
de facto-Abschaffung des Asylrechtes konnte nicht gestoppt werden, die
politischen Rahmenbedingungen haben sich dadurch erheblich verschlechtert,
weitere Gesetzesverschärfungen tun in Folge ihr übriges. Die
pogromwütige Bevölkerung wird mittels Lichterketten gezähmt, die
wenigen (oder im Osten: vielen) Nazis, die das nicht begreifen, werden der
Antifa überlassen. D.h. die immer kleiner werdenden Antira-Gruppen
beschäftigen sich in Folge fast ausschließlich mit dem staatlichen
Rassismus. Die Arbeit wird professionalisiert und z.T. institutionalisiert.
Mensch begibt sich in das weite Feld der Flüchtlingssozialarbeit um
da nicht mehr heraus zu kommen. Erst Mitte der 90er Jahre gibt es wieder
Ansätze, antirassistische Arbeit auf ein breiteres Fundament zu stellen.
Als bundesweite Events etablieren sich die alljährlichen Demonstrationen
gegen die Abschiebeknäste und die Grenzcamps(9). Die
Kampagne kein mensch ist illegal(10) schafft es,
durch Bündelung von Gruppen aus verschiedenen politischen Spektren und
innovative Aktionsformen, die Gesellschaft mit antirassistischen Standpunkten
zu konfrontieren. Die Kampagne kein mensch ist illegal stellt
bislang den einzigen bundesweiten Aktions- und Diskussionszusammenhang für
linke antirassistische Gruppen dar, der allerdings recht lose und unverbindlich
strukturiert ist.
In den letzten Jahren beschäftigten sich etliche Antira-Gruppen mit der
Unterstützung illegalisierter MigrantInnen, was wiederum die alten
Debatten über Arbeitsmigration aufleben ließ. Darüberhinaus kam
die Selbstorganisierung von MigrantInnen (The Voice, Karawane für die
Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen) in den letzten Jahren voran, zu
der sich auch die deutschen Antira-Gruppen verhalten müssen. Im Gegensatz
zu den Anfängen der Antira-Bewegung kommt es heute aber kaum zu einer
gemischten Organisierung, sondern mehr zu einer engen Zusammenarbeit der
getrennt organisierten Gruppen.
Bis auf wenige Ansätze(11) gibt es keine adäquaten
Reaktionen auf die Veränderung der Migrations- und Asylpolitik, die
weniger als früher lokal, regional oder gar national bestimmt wird,
sondern im europäischen Zusammenhang zu betrachten ist. Eine Vernetzung
über Landesgrenzen hinweg läßt sich im Moment noch nicht
ausmachen.
Sand oder Öl, Revolution oder
Quark(12)
Revolutionärer Anspruch oder systemimmanenter Abfederung
rassistischer Politik
Wie schon oben beschrieben herrschte Ende der 80er/Anfang der 90er ein
verklärender Blick auf die Migrationsbewegungen vor. Flüchtlinge
wurden als revolutionäres Subjekt entdeckt, die als Ersatz
für eigene Revolutionsträumereien, die allerdings aufgrund der
eigenen Integration ins bestehende System nicht verwirklicht werden sollten,
herhalten mußten.(13) Diese Träume zerplatzten allerdings
recht schnell an der bundesdeutschen Realität. Antirassistische Praxis
begnügte sich in Folge mit dem Backen kleiner Brötchen. Oft war die
Betätigung sich als links verstehender Antira-Gruppen von der
bürgerlicher Flüchtlingsorganisationen nicht mehr zu unterscheiden,
mal abgesehen von der radikaleren Rhetorik und der unprofessionelleren
Arbeitsweise. Erst mit den Aufflackern von bedeutenden
Flüchtlingsprotesten in anderen europäischen Ländern (Sans
Papiers in Frankreich, Stürmung der Abschiebeknäste in Italien etc.)
keimten wieder leise und geläuterte Hoffnungen auch in der bundesdeutschen
Antira-Szene. Es werden Überlegungen angestellt, inwieweit sich soziale
Proteste der Marginalisierten in der Gesellschaft (MigrantInnen, Obdachlose,
Behinderte etc.) zusammenführen lassen.(14)
Nichtdestotrotz bleibt zu konstatieren, das von den dem linken Anspruch der
antirassistischen Gruppen nicht viel nach außen dringt. Viele Gruppen
konstatieren zwar, daß ihre praktische Arbeit eher der Stabilisierung der
herrschenden Verhältnisse dienlich ist, indem z.B. in der
antirassistischen Sozialarbeit Spannungsverhältnisse gemildert werden,
wissen jedoch nicht, wie sie diesem Dilemma entkommen können und machen
deswegen mangels Alternativen weiter wie bisher.
Natürlich muß antirassistische Praxis mit dem Gegebenen vorlieb
nehmen und Politik ist immer in einer gewissen Art und Weise Realpolitik.
Allerdings darf dabei der linksradikale Anspruch nicht aus den Augen verloren
werden. D.h. für uns zum einen, daß bei den Aktionen, der Presse-
und Öffentlichkeitsarbeit dies immer mit thematisiert werden muß und
nicht etwas aus taktischen Gründen darauf verzichtet werden darf, darauf
hinzuweisen, daß wir nicht Kritik an Auswüchsen des Systems sondern
am System als solchen haben. Zweitens müssen sich die Gruppen der
Verantwortung stellen, ihre Praxis ständig zu reflektieren und
Perspektiven zu entwickeln, die vor den eigenen Ansprüchen Bestand haben.
Zum dritten sind organisatorische Voraussetzung zu schaffen, die dafür
sorgen, daß der linke Anspruch nicht zu kurz kommt. Das betrifft neben
der Struktur der eigenen Gruppe, die z.B. Mechanismen entwicklen muß, der
Sozialarbeitsfalle zu entkommen (siehe unten), auch die
bundesweite(15) und internationale Vernetzung innerhalb der
antirassistischen Bewegung sowie den Ausstausch mit anderen politischen
Kräften.
50 ways to make: Sozialarbeit(16)
Viele linke antirassistische Gruppen erklären es als
Voraussetzung ihrer Arbeit, Kontakt zu Flüchtlingen zu haben. Das mag auf
den ersten Blick einleuchtend klingen, schließlich geht ja um
Flüchtlinge.(17) Allerdings hat die Sache einen theoretischen und
zwei praktische Haken. Rassismus ist ja in erster Linie nicht ein Problem der
Flüchtlinge (in dem Sinne, daß sie das Problem darstellen oder
dafür verantwortlich wären), sondern der Deutschen. D.h.
antirassistische Politik heißt nicht per se Politik für
Flüchtlinge und MigrantInnen(18), sondern gegen Deutsche bzw.
deren Rassismus, gegen deutsche Behörden und deren Asylpolitik usw.
Natürlich ist auch dafür gut zu wissen, was genau vor sich geht, wer
wie von Rassismus betroffen ist. Unter diesen Umständen wäre der
Kontakt zu den Flüchtlingen allerdings lediglich Mittel zum Zweck und
nicht Selbstzweck und somit zwar manchmal sinnvoll aber keinesweg
erforderlich.
Die beiden praktische Haken dagegen werden auch von den antirassistischen
Gruppen konstatiert, allerdings bleiben dies meist Lippenbekenntnisse ohne
Auswirkungen auf die Praxis(19): Der Kontakt zu Flüchtlingen, der
sich meist in Form von Sozialarbeit abspielt, hilft, staatliche Härten zu
glätten bzw. Lücken staatlicher Politik durch unbezahlte Arbeit zu
füllen und somit einen Beitrag der Zuckerbrot- &
Peitsche-Taktik zu leisten. Diese Arbeit findet von Seiten der
Behörden sogar das öfteren (in)offizielle
Anerkennung.(20) Ein weiteres Manko der antirassistischen
Sozialarbeit ist, daß sie meist alle (zeitlichen, finanziellen)
Ressourcen der Gruppe auffrißt. Selbst Gruppen, die mit dem Anspruch
angetreten sind, den Kontakte zu Flüchtlingen nur zu nutzen, um
Informationen für die politische Arbeit zu gewinnen, versinken recht
schnell in der Einzelfallhilfe und kommen zu nichts anderem
mehr.(21)
Einige antirassistische Gruppen behaupten sogar, die Sozialarbeit wäre
schon ein politisches Ziel an sich, denn sie sorgt dafür, daß einige
Flüchtlinge dann doch hier bleiben können oder mehr Geld bekommen
etc., was ja von Seiten des Staates mit aller Kraft verhindert würde. Sie
deuten also jeden Beratungserfolg in einen Schlag gegen den Staat
um(22). Wir sind da skeptisch: Sollte hier jemand wegen einer guten
Beratung z.B. nicht abgeschoben werden, dann wird halt jemand anders an anderer
Stelle mehr abgeschoben. Andererseits wäre es natürlich zynisch und
nicht zu vertreten, zu fordern, die Flüchtlingssozialarbeit sollte
eingestellt oder gar bekämpft werden in der Hoffung, daß sich
dann irgendwelche Verhältnisse zuspitzen würden. Daran glauben wir ja
nicht. Sehr wohl denken wir aber, daß linke antirassistische Gruppen ihre
Finger davon lassen sollten. Es wäre die Aufgabe der antirassistischen
Gruppen zum einen darauf zu drängen, daß Sozialarbeit von Seiten des
Staates (wo es in seinen Verantwortungsbereich fällt und er es auch nicht
schlechter machen würde als wir) oder liberalen
Flüchtlingshilfsorganisationen geleistet wird. Zum anderen sollte ein
guter Kontakt mit den bürgerlichen Beratungsstellen gepflegt werden, der
dafür sorgt, daß mensch auch an alle relevanten Informationen und
Kontakte zu Flüchtlingen kommt. Von linker Seite sollte kein Kontakt zu
Flüchtlingen nur wegen ihres Flüchtlingsstatus gesucht werden, sehr
wohl aber zu denen, deren politischen Ansichten mensch teilt oder zumindest wo
es das gemeinsame Interesse gibt, gegen rassistische Politik vorzugehen. In
diesem Fall findet mensch sich also aufgrund politischer Aktivitäten
zusammen und nicht zum Zweck der Beratung. Ganz klar ist, daß jenen
MigrantInnen, mit denen mensch politisch zusammenarbeit, auch in rechtlichen
und sozialen Fragen geholfen wird nur ist das dann keine Sozialarbeit
sondern Solidarität.(23)
Nadel im Nadelhaufen versus Reiht euch ein!
Bevölkerung angreifen oder aufklären
Zu Beginn der 90er Jahre waren antirassistische Gruppen die ersten, die in
ihren Analysen von einem rassistischen Konsens sprachen und die Linke für
ihre Ignoranz gegenüber des Rassismus in der Bevölkerung oder gar der
Inschutznahme der manipulierten, fehlgeleiteten Bevölkerung
kritisierten. Mit dem Aufkommen der Antinationalen/Antideutschen gerieten die
AntirassistInnen allerdings ins Hintertreffen. Sie waren nicht mehr die
VorreiterInnen, andere beschäftigten sich jetzt mit dem Volk
und mensch konnte sich ganz der eigentlichen Aufgabe, dem
staatlichen Rassismus, beschäftigen. Die antideutsche Kritik an der Linken
ging an den antirassistischen Gruppen recht spurlos vorrüber, sie sorgte
maximal für einige Verunsicherung, aber kaum für
Diskussionen(24). Das ist umso verwunderlicher, da diese auch massiv
von MigrantInnengruppen vorgetragen wurde.(25) Wahrscheinlich
fühlten sich gerade die AntirassistInnen entweder persönlich
angegriffen oder immun gegen Kritik, da sie ja genau die waren, die für
sich in Anspruch nehmen, antirassistisch zu sein. Ein Rezeption der
antideutschen und antinationalen Thesen hätte allerdings der Antira-Szene
helfen können, ihr Verhältnis zur Bevölkerung mal zu
klären. Dies ist diffuser als noch vor 10 Jahren. Auf jedem Grenzcamp
werden große Diskussionsrunden zu dieser Frage einberufen und Aktionen,
die angreifen und aufklären, liefern sich einen fairen Wettstreit, ein
Ende der Debatte ist allerdings noch nicht abzusehen(26).
Wir denken, daß die antideutsche und antinationale Polemik an vielen
Punkten richtig ist, aber eben als solche Polemik, die polarisieren und
nicht lähmen soll zu verstehen ist. Analog zur schon oben
gestellten Frage nach dem revolutionären Gehalt der antirassistischen
Politik gilt auch hier, daß mensch sich immer vergegenwärtigen und
benennen muß, daß die Bevölkerung nicht Freund sondern Feind
ist.(27) Das darf aber nicht dazu führen, die Hände
resignierend in den Schoß zu legen, vielmehr gilt es dann in
Bündnissen, bei der Öffentlichkeitsarbeit, bei Angriff und Agitation
eigene Positionen immer deutlich zu vermitteln, weil mensch weiß,
daß sie im Widerspruch zu herrschenden Meinung stehen. D.h. es aber auch,
sich von sozialromatischen Vorstellungen zu verabschieden, daß sozial
deklassierten Deutsche BündnispartnerInnen bei
Flüchtlingskämpfen werden könnten nicht, daß das
verwerflich wäre, es ist einfach unrealistisch.
Wir machen mal wieder Faxen
Aktionsformen zwischen Kampagnenpolitik und Einzelfallhilfe. Oder
Faxkampagnen für Einzelfälle?(28)
In der antirassistischen Öffentlichkeitsarbeit wird oft mit extremen
Einzelfällen hantiert. Mag dies taktisches Kalkül sein, weil mensch
anders keine Aufmerksamkeit erlangen kann, so hat es auf lange Sicht sowohl in
den eigenen Kreisen als auch in der öffentlichen Wahrnehmung fatale
Folgen. Denn immer mehr setzt sich das Bild fest, daß die
Extremfälle Ausnahmen von einer alltäglichen Praxis wären, die
umsomehr Absolution erhält, je mehr Betonung auf der Besonderheit des
jeweiligen Einzelfalles liegt. Aber die Ausnahmen sind keine Ausrutscher,
sondern normaler Bestandteil rassistischer Politik. Wenn z.B. betont wird,
daß die Behörden sich nicht einmal an ihre eigenen Gesetze halten
(oder an die Menschenrechte und humanistische Wertvorstellungen), dann
suggeriert dies, daß wir diese gutheißen und zufrieden wären,
wenn die Behörden gesetzestreu agieren würden.(29)
Wir denken, daß es bei vielen antirassistischen Aktionen bislang nicht
deutlich genug herauskommt, daß der/die präsentierten
Einzelfälle nur symbolisch für alle anderen stehen und daß
mensch nicht die Ausnahme sondern die Normalität angreift. Es könnte
sich also auch als sinnvoll erweisen, nicht immer auf Extremfälle zu
rekurrieren. Dies würde der Forderung Offene Grenzen für
alle mehr Nachdruck verleihen, weil die jetztige Praxis eher die
Forderung Offene Grenzen nur für xy, weil er ganz schlimm gefoltert
wurde und bei Abschiebung stirbt oder weil sie sich so gut angepaßt hat,
schon so lange hier lebt, arbeitet und bald verheiratet sein wird
suggeriert.
Arbeit, Arbeit, Arbeit
Arbeitsmigration und politischen Flüchtlinge
Im Mittelpunkt des antirassistischen Interesses steht der politische
Flüchtling. Allerdings spielt das Attribut politisch keine
Rolle bei der Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen, d.h. es finden kaum
politische Auseinandersetzungen mit den MigrantInnen statt. Vielmehr orientiert
sich dieser Begriff an der staatlichen Vorgabe, nach der nur politische
Flüchtlinge Asylrecht genießen.(30) Doch diese
Vorstellung wird immer obsoleter. Zum einen wissen viele politische
Flüchtlinge, daß ihnen das heutige Asylrecht keinen Schutz
gewähren kann. Zum anderen und das ist viel entscheidender
fällt der Großteil der Flüchtlinge und MigrantInnen in der BRD
nicht unter die Kategorie politisch, egal, ob die staatliche oder
eine wie auch immer aussehende eigene Definition Verwendung findet. Diese
MigrantInnen sind aber gleichfalls von rassistischen Gesetzen, Behörden
und Bevölkerung betroffen. Und gemäß der alten Forderungen
Offene Grenzen für alle gilt es, sich für sie genauso
einzusetzen wie für politische Flüchtlinge. Wie schon im obigen
Abschnitt beschrieben kann die permanente Betonung von politischen
Fluchtursachen, Bürgerkriegen etc, dazu führen, daß alle
anderen Flüchtlingsgruppen, die die Kriterien nicht erfüllen, am Ende
noch schlechter dastehen.
Eine Beschäftigung mit der Arbeitsmigration ist aber auch unter
analytischen Gesichtspunkten wichtig. Während kein Staat daran ein
wirkliches Interesse hat, sich politische Flüchtlinge als solche ins Land
zu holen, gibt es sehr wohl ein staatliches Interesse daran, für die
Wirtschaft eine gezielte Einwanderung von Arbeitskräften zu fördern
und regulieren. Dies hat Auswirkungen auf die Perspektiven antirassistischer
Praxis, die nicht vernachlässigt werden dürfen. So ist die zunehmende
Illegalisierung von MigrantInnen oder die Anwerbung von qualifizierten
Arbeitskräften für die IT-Branche nicht Ausdruck für eine
repressive Politik gegen Flüchtlinge oder ein Schritt in die
multikulturelle Erlebnisgesellschaft, sondern beides der Versuch,
gute Rahmenbedingungen für Verwertungsinteressen der deutschen Wirtschaft
zu schaffen. Genau an diesem Punkt würden sich auch gute
Anknüpfungspunkte für eine antikapitalistische Kritik aus
antirassistischer Perspektive ergeben.
Bis auf wenige Ausnahmen(31) gibt es dazu unserer Meinung nach zu
wenig Auseinandersetzung und Überlegungen innerhalb der antirassistischen
Szene.
Fußnoten
(1) vertiefend zu diesem Thema ist zu empfehlen: Deutscher
Antirassismus? Antirassistische Gruppen ziehen Bilanz. off limits/ZAG: 1995
(2) u.a. angeregt durch das Buch Drei zu Eins (Edition ID-Archiv,
http://www.txt.de/id-verlag/BuchTexte/DreiZuEins/DreiZuEins.html), welches
Rassismus neben Sexismus und Klassenwiderspruch als eigenen Hauptwiderspruch
begründet.
(3) 1982: Einrichtung von Sammellagern für Flüchtlinge (Zur
Geschichte der autonomen Antirassismusgruppen, in: Rundbrief des
Niedersächsischen Flüchtlingsrates, November 1996, S. 53-54)
(4) siehe: Die Früchte des Zorns. Texte und Materialien zur
Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora, Edition
ID-Archiv: 1993, S. 539 ff.
(http://www.txt.de/id-verlag/BuchTexte/Zorn/Zorn01.html)
(5) noch 1994 vertrat das Antirassismus-Büro Bremen diese
Position: neben den Dauerarbeitslosen hat dieses Land nun auch
Dauerflüchtlinge hervorgebracht. Die stellen eine gigantische soziale
Bewegung dar. Keineswegs handelt es sich dabei nur um Opfer, jede/r einzelne
von ihnen ist ein Symbol für den Anspruch auf ein Existenzrecht, jede/r,
der oder die hier ankommt, fordert darüberhinaus Wiedergutmachung durch
Teilhabe an dem in aller Welt zusammengeraubten Wohlstand. Diese
Migrationsbewegung unterläuft alle Versuche der Herrschenden, die Erde in
Metropolen und Drittländer (...) aufzuteilen. (The burning spear of
anti-racism, in: ZAG 3/1994, S. 16)
(6) So gab es innnerhalb der Antirassistischen Initiative Berlin, eine
der ältesten und wichtigsten antirassistischen Gruppe der BRD, die
Überlegung sich aufzulösen, weil mensch eine weiße
Gruppe darstellt (Deutscher Antirassismus, S. 13). Nicht zu
vernachlässigen ist aber auch die Gefahr, rassistische Stereotypen zu
übernehmen, vor allem in der Auseinandersetzung um sexistisches Verhalten
von Flüchtlingen (siehe: Antirassistische Identitäten in Bewegung, S.
178; Auseinandersetzung auf dem Grenzcamp um The Voice; Warnung der Aktion
Zuflucht Marburg vor einem kurdischen Mann in der Mailingliste von kein
mensch ist illegal vom 03.03.2001)
(7) Bis dahin war sie so marginal, daß sie Geronimo in seinem
Standardwerk Feuer und Flamme. Zur Geschichte der Autonomen
(Edition ID-Archiv, 1990) glatt ignorieren konnte. Zwei Jahre später, in
Feuer und Flamme 2 widmet er dem Antirassismus ein ganzes
Kapitel.
(8) Ein symptomatisches Beispiel: Wir in Leipzig schlafen nicht!
Auch hier fand am 3.10. eine Demonstration gegen Ausländerhaß und
Rassismus statt (...), um ein Asylantenheim, dessen Bewohnern die Nazis
für den 3. Oktober Brandanschläge angedroht hatten, zu schützen.
Daß das geplante Treffen mit den Ausländern dann nicht stattfand,
lag daran, daß um 18 Uhr sämtliche Türen des Asylantenheimes
dicht gemacht werden. Sympathiebezeugungen waren nur über Fenster und
Balkons möglich. Enttäuscht verließen viele so nach kurzer Zeit
den Ort des Geschehens. (Leserinbrief in der taz vom 10.10.1991)
(9) zu jedem Grenzcamp gibt es Videos und Reader. Der von 1999 findet
sich im Internet unter:
http://www.nadir.org/nadir/archiv/Antirassismus/grenzcamp99
(10) zur Kampagne kmii: cross the border (Hrsg.): kein mensch ist
illegal. Ein Handbuch zur Kampagne, ID-Verlag: 1999; Rundbrief der Kampagne
kein mensch ist illegal (wechselnde Redaktionsadresse);
http://www.contrast.org/borders/kein
(11) z.B. bei der Forschungsstelle für Flucht und Migration (FFM)
Berlin (http://www.ffm-berlin.de), die seit Jahren zur Situation in (Ost)Europa
forscht und die Vernetzung vorantreibt.
(12) Den im Text in folgenden behandelten Fragen stellen sich aus
soziologischer Sicht zwei Bücher, die durch Interviews mit
antirassistischen AktivistInnen die Selbstwahrnehmung untersuchen: Sabine Hess,
Andreas Lindner: Antirassistische Identitäten in Bewegung, edition
diskord: 1997; Claus Melter: Zwischen Aktion und Resignation. Flüchtlinge
und Initativgruppen im Widerstand gegen Abschiebungen, von Loeper: 2000
(13) So schreibt das Antirassismus-Büro Bremen in einem der
wenigen aktuellen Texte, die eine kritische Bestandsaufnahme der
Antira-Bewegung versuchen: Wir sahen (...) in den Flüchtlingen die
Vorhut der enteigneten trikontinentalen Massen und sahen angesichts
unkontrollierbar steigender Flüchtlingszahlen das Potenzial für eine
Überhitzung in Deutschland (Antirassismus 2000. Kritischer
Rückblick auf zehn Jahre antirassistische Bewegung und Fragen an die
Zukunft, in: analyse und kritik, Nr. 444 (23.11.2000), S. 6-7) die These
von Das Boot ist voll mal positiv gewendet.
(14) Das vor dem Hintergrund der These, daß neue
Herrschaftsstrategien häufig zuerst an Flüchtlingen oder
MigrantInnen praktiziert (würden), um eine breitere Durchsetzung zu
überprüfen (F.e.l.S-Antifa-AG: Was tun, wenn es (nicht) brennt?
Antifaschismus und Antirassismus: Was geht da praktisch zusammen?, in: ZAG
2/1996, S. 41). Mensch kann auch im Gegenzug behaupten, daß
Herrschaftsstrategien an MigrantInnen eingeübt werden, um den Wohlstand
der deutschen - quer durch alle soziale Schichten - zu wahren. Somit sind die
Hoffnungen auf eine gemeinsame Front von Flüchtlingen und deutschen
Arbeitslosen trügerisch, die Realität zeigt eher das Gegenteil. Das
Konzept, antirassistisches Engagement mit der eigenen Betroffenheit als
Deutsche befördern zu wollen. steht somit auf wackligen
Füßen.
(15) bundesweite Vernetzungsbemühungen sind recht rar: 1994 gab
es bundesweite Treffen der antirassistischen Telefone. Obwohl sich die
Telefon-Gruppen meist auch anderweitig betätigten, ist davon auszugehen,
daß dort kaum antirassistische Analysen und Perspektivenbestimmungen aus
einem linksradikalen Ansatz heraus vorgenommen wurden zumal die Idee,
Antidiskriminierungsstellen einzurichten, aus den ein staatliches Konzept aus
den Niederlanden war, was in der BRD begierig von Linken aufgegriffen wurde
(weil auf den deutschen Staat war ja in dieser Hinsicht kein Verlaß...)
(ZAG Nr. 33, S. 14). Somit wurde mit den Treffen der Kampagne kein mensch
ist illegal erstmals diese Lücke ausgefüllt, auch wenn sich
nicht alle Gruppen als links oder gar linksradikal verstehen.
(16) Zur Sozialarbeit: Radikale Sozialarbeit, Fragen an die
antirassistische Beratungsarbeit, Das Spannungsfeld von Unterstützung und
Bevormundung, alle in: kein mensch ist illegal; Steffen Wurzbacher: Gut
beraten. Abgeschoben... Flüchtlingssozialarbeit zwischen Anspruch und
Wirklichkeit, von Loeper: 1997; Antirassistische Sozialarbeit: Von
der Realität einer Halluzination, in: Deutscher Antirassismus?, S. 32-35;
Antirassistische Identitäten in Bewegung
(17) In Wirklichkeit ist dies allerdings auch nur eine an den Haaren
herbeizogene Begründung, wenn mensch sich vor Augen hält, daß
sich bei den meisten AktivistInnen das antirassistisches Engagement nicht aus
purer Überzeugung oder Analyse heraus entwickelt, sondern erst durch
Kontakt mit Flüchtlingen. (siehe z.B. Antirassistische Identitäten in
Bewegung, S. 117 ff.)
(18) Zumal ja nicht klar ist, für wen mensch da Politik macht.
Wenn Politik für jemand gemacht wird, wäre vorher zu klären, was
einen mit denjenigen (politisch) verbindet, und das dürfte bei vielen
Flüchtlingen nicht viel sein.
(19) Das Antirassismus-Büro Bremen beschreibt die eigenen
Arbeitsschwerpunkte z.B. folgendermaßen: (...) sozialrechtliche
Unterstützung von Flüchtlingen (... das) ist die
Bereitstellung von Ressourcen und Kenntnissen, schlicht Solidarität und
gegenseitige Hilfe, nicht jedoch Sozialarbeit, weil die Absicht nicht in der
Vermittlung und Abpufferung sozialer Widersprüche lag (in: Deutscher
Antirassismus?, S. 41). Allerdings können wir uns nicht so recht
vorstellen, daß diese schönen Worte eine Praxis bedeuten, die sich
signifikant von der anderer Gruppen unterscheidet, die offen zugeben,
Sozialarbeit zu leisten.
(20) So sehen sich sogar Gruppen, die illegalisierten MigrantInnen
helfen, was unter hoher Strafandrohung steht (Haftstrafen bis zu mehreren
Jahren), damit konfrontiert, daß sie nicht etwas von Repressialien
überzogen werden, sondern ihre Angebote in der Regel geduldet und
von (...) Behörden manchmal sogar inoffiziell (...) genutzt werden.
(Medizinische Versorgung für Flüchtlinge, in: kein mensch ist
illegal, S. 41).
(21) Wir sind der Meinung, daß die liberalen und
bürgerlichen Flüchtlingsunterstützungsorganisationen dieses
Dilemma vielerorts besser gelöst haben als die Linken. In diesem Spektrum
ist es nämlich so, daß die Beratungsstellen die Sozialarbeit
leisten, unanhängig davon aber meist Gremien existieren (z.B.
Flüchtlingsräte auf Stadt- und Länderebene, Pro Asyl als
bundesweiter Zusammenschluß), die ausschließlich Presse-,
Bildungs-, Öffentlichkeits- und politische Lobbyarbeit leisten. Der
Informationsfluß funktioniert recht gut, da in der Regel VertreterInnen
aus den Beratungsstellen gleichzeitig in den anderen Gremien aktiv sind.
(22) Diese Position Flüchtlingssozialarbeit als
antirassistische Tätigkeit wird u.a. von der autonomen
Flüchtlingehilfe kahina (Leipzig) vertreten. Siehe z.B. ihren Beitrag
Perspektiven von Flüchtlingsberatung und Antirassismus im
Osten, in: telegraph Nr. 100 (2000), S. 16-20
(23) Als Analogie mag das Beispiel Rote Hilfe dienen. Wir
unterstützen ja nicht alle Gefangenen, nur weil sie eingesperrt sind (auch
wenn wir die Institution Gefängnis ablehnen) zumal ja auch etliche
Faschos im Knast sitzen , sondern spenden für die Rote Hilfe und
verhalten uns solidarisch zu linken politischen Gefangenen.
(24) Zum Teil provozierte sie sogar nur Abwehr: Den antideutschen
MigrantInnengruppen wurde umgekehrter Rassismus vorgeworfen (Kanak
Attak: Mit den besten Absichten. Spuren des migrantischen Widerstands, in: iz3w
April 2000, S. 37)
(25) Café Morgenland: Kurze Prozesse lange Gesichter,
in: Deutscher Antirassismus, S. 44-47
(26) Im aktuellen Grenzcampreader (Grenzcamp3. Vom Protest
zur Vereinnahmung, 2000) schreibt ein Teilnehmer sogar davon, daß der
Bürgermeister von Forst (dem Standort des Grenzcampes) der
wahrscheinlich einzige Mensch (gewesen wäre), der bis zuletzt die
Grenzcamp-Teilnehmer/innen nicht gemocht hat (S. 58)
(27) Verkürzt ist z.B. die Vorstellung von 2 Mitgliedern der
Antirassistischen Initiative Berlin, daß wenn man den Rassismus aus
der Mitte der Gesellschaft bekämpfen will (...) es in den meisten
Fällen reichen würde, die Gesetze und Paragraphen , die eine
Ungleichbehandlung festschreiben, einfach zu streichen. (ZAG Nr 33, S.
16)
(28) Wir erhalten wöchentlich die Aufforderung, ein Protestfax an
eine böse Ausländerbehörde zu senden, um uns damit für ein
Bleiberecht für einen guten Flüchtling einzusetzen. Mal abgesehen von
der (vermuteten) Wirkungslosigkeit, beschleicht uns immer ein komisches
Gefühl bei diesen Einzelfallkampagnen, da sie politisch nichts
vermitteln.
(29) Timur und sein Trupp kritisieren an der Kampagne kein
mensch ist illegal, daß die staatliche Abschiebemaschinerie wie
geschmiert läuft und die moralisch unterlegten
Solidaritätskampagnen nur dazu dienlich sind, für einen
abschiebungsbedrohten Menschen eins der begehrten Medienlose
zu ziehen. (interim 481/1999, S. 3). Volker Maria Hügel, damaliger
Sprecher von Pro Asyl kritisierte im Interview mit off limits (Deutscher
Antirassismus?, S. 51-54) das Herauspicken von
Flüchtlingsgruppen (Kosovo-Albaner, Roma, KurdInnen etc.): In
dem Moment, wo ich eine Gruppe herausgreife und mich gegen deren Abschiebung
wende, und ich vergesse aus taktischen Gründen zu betonen, daß ich
überhaupt gegen Abschiebung bin, dann löse ich das Dilemma nicht auf,
sondern brauche z.B. immer erst den aktuell aufflammenden Krieg, um einen
Abschiebungsschutz argumentativ durchdrücken zu können, ich brauche
noch mehr Tote das klingt zynisch, aber es ist so. Aus diesem Dilemma
kann man sich nicht befreien, wenn man nicht parallel dazu auch endlich
anfängt, Abschiebungen als solche zu brandmarken und zu sagen, was sie
sind. Das war 1995. Heute pickt mensch sich nicht mal mehr ganze
Flüchtlingsgruppen heraus, sondern gleich nur noch einzelne
Flüchtlinge...
(30) Diese Schwerpunktsetzung dürfte sich auch aus der
internationalistischen und antiimperialistischen Vergangenheit einiger Gruppen
oder AkteuerInnen erklären, die sich in bestimmten
Vorzeigeländern Lateinamerikas besser auskennen, als in
Osteuropa dem Herkunftsgebiet der meisten MigrantInnen. (siehe z.B. ZAK:
Die Linke zwischen Antirassismus und internationaler Solidarität, in:
Deutscher Antirassismus, S. 28-31)
(31) siehe z.B.: Arbeitsgruppe 501 (Hrsg.): Heute hier morgen
fort. Migration, Rassismus und die (Un)Ordnung des Weltmarkts, iz3w: 1993;
Antirassismus 2000; ZAK: Rechtlos auf Arbeit. Flüchtlinge berichten, 1996;
Gleiches Recht auf Ausbeutung jetzt sofort? in: Grenzcamp
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... fusionieren mit der Antifa? | |
Was ging und geht bei Antifa und Antira zusammen
Verhältnis zur Selbstorganisation von
Flüchtlingen
Ausgangssituation der Zusammenarbeit
Bereits bei der Konstituierung der Antira-Szene in der BRD Mitte der 80er Jahre
gab es den (gescheiterten) Versuch einer engen Zusammenarbeit zwischen Menschen
mit und ohne deutschen Paß. Die enormen Unterschiede in der
Ausgangssituation (Menschen mit bzw. ohne gesicherten Aufenthaltsstatus und
staatsbürgerlichen Rechten) führten zu einer Spaltung in
Deutsche und Ausländer. Es gelang nicht, gemischte
Gruppen entlang von politischen Grundauffassungen zu bilden. Heute gibt es neue
Ansätze(1) einer Zusammenarbeit zwischen den meist
durchgängig deutschen Antira-Gruppen und den
Selbstorganisierungs-Ansätzen von Flüchtlingen und MigrantInnen, die
sich mit nachfolgenden Problematiken auseinandersetzen müssen:
Die Selbstorganisierungsansätze von Flüchtlingen entstehen aus der
Erfahrung und Erkenntnis heraus, daß sie, wenn sie sich nicht wehren, in
dem bestehenden rassistischen System chancenlos sind. Gleichzeitig haben sie
bei Widerstand ungleich mehr zu verlieren als Menschen mit deutschen Paß
(daher geschehen Aufstände z.B. in Abschiebeknästen häufig aus
Verzweiflung in ausweglosen Situationen).
Der Begriff des Flüchtlings faßt Menschen zusammen, die
aus den unterschiedlichsten Beweggründen (politisch, Arbeitsmigration,
besseres Leben) herkommen und verschiedene Interessen haben (politische
Weiterbetätigung im Exil, Geldverdienen, um zurückgehen zu
können, Aufbau einer Existenz im Exilland, ...). Gemeinsam ist ihnen die
Betroffenheit von institutionellem und dem Rassismus der Bevölkerung.
Gleiches gilt für MigrantInnen. Dies erschwert eine Zusammenarbeit: die
Ziele, Ansprüche und Handlungsformen von MigrantInnen und Flüchtlinge
ergeben sich nicht zwingend daraus, daß sie von Rassismus betroffen
sind.
Des weiteren gehen das Herangehen an Politik und das Verständnis der
Situation in Deutschland auseinander: so wird die spezifische deutsche
Situation (eliminatorischer Antisemitismus, völkischer Rassismus) von
Flüchtlingen häufig nicht verstanden.(2) Hingegen
erwarten deutsche Antiras von Flüchtlingen und MigrantInnen,
daß diese sich an deutsche Themen, Politikformen und
-strukturen anpassen.
Umgang mit Flüchtlings- und MigrantInnen-Gruppen
Der Umgang von Antira-Gruppen mit Selbstorganisation differenziert sich
zwischen zwei Extrempositionen vor dem Hintergrund, daß Flüchtlinge
häufig die politische Arbeit, die sie in ihren Heimatländern
betrieben haben, im Exil fortsetzen:
Die erste besteht in der Forderung nach unbedingter Solidarität mit der
politischen Betätigung von Flüchtlingen. Vermieden werden soll ihre
Bevormundung und das Aufzwingen der eigenen, deutschen Sichtweise.
Praktisch folgt daraus die formale oder unkritische Anerkennung der politischen
Inhalte ohne eine nötige Auseinandersetzung.
Die entgegengesetzte Position verabsolutiert die Kritik an den politischen
Grundauffassungen und erhebt die Forderung nach den gleichen politischen
Zielen, Themen und Handlungsformen, wie sie linksradikale deutsche
Gruppen verfolgen. Dies läßt jedoch die spezifische Situation von
Menschen ohne deutschen Paß außer acht (Sozialisation, politisches
Betätigungsverbot, Residenzpflicht, soziale Isolation, Sprachprobleme,
extrem schlechte Finanzsituation, ...). Eine Auseinandersetzung über
politische Inhalte und Strukturen der Flüchtlinge und MigrantInnen findet
nicht statt.
Eine Zusammenarbeit muß zunächst diese Situation, unter denen
Flüchtlinge in Deutschland Politik machen, einbeziehen. Flüchtlinge
als politische Subjekte ernstzunehmen heißt auch, sich kritisch mit deren
politischen Grundauffassungen auseinanderzusetzen und sich selbst den
möglicherweise unbequemen und schwierigen Auseinandersetzungen zu stellen.
Dennoch können und sollten sich Linke solidarisch auf deren Forderungen
und Kämpfe beziehen. Eine solche Zusammenarbeit ist jetzt schon
möglich (und erfolgt auch, ist jedoch noch ausbaubar), wo die Forderungen
zusammengehen: beim gemeinsamen Kampf gegen den rassistischen Konsens und
Politik in der BRD.
Antira und Antifa
...zwei Politikfelder?
Die Herausbildung des eigenständigen Politikfeldes Antirassismus Anfang
der 90er ging einher mit inhaltlicher Abgrenzung von der antifaschistischen
Politik. Die damalige Kritik(3) ist inzwischen jedoch von einer
Weiterentwicklung des Antifaschismus überholt:
Eine verkürzte antifaschistische Analyse, die sich auf ökonomische
Ursachen und Zusammenhänge beschränkt und den Rassismus als
Nebenwiderspruch und Bestandteil faschistischer und imperialistischer Politik
reduziert, ist inzwischen bestenfalls Randposition: heute wird Rassismus
allgemein verortet als eigenständiges Unterdrückungsverhältnis
und wesentliches konstitutives Element des bestehenden kapitalistischen
Systems.
Auch der Vorwurf des Fahndungsantifaschismus(4)
trifft nur noch auf wenige Antifa-Gruppen zu: in der aktuellen Diskussion
(verstärkt infolge des Antifa-Sommers und die Entwicklung des
zivilgesellschaftlichen Antifaschismus) wird der Antifaschismus-Begriff als
grundsätzliche linksradikale Gesellschaftskritik verstanden. Der rechte
Konsens in der Gesellschaft, staatlicher, wirtschaftlicher und Rassismus in der
Bevölkerung, patriarchale und kapitalistische
Unterdrückungsverhältnisse sind Bestandteile gegenwärtiger
antifaschistischer Kritik. Auch die bearbeiteten Politikfelder haben sich in
den letzten Jahren erweitert.(5)
Die Anfang der 90er weit verbreitete Haltung gegenüber der
Bevölkerung, die diese für ihren Rassismus entschuldigte und
rassistische Aufhetzer bei Nazis und Regierung
verortete(6), ist der Analyse des rassistischen/rechten
Konsens sowohl innerhalb der Antifa- wie auch der Antira-Szene gewichen:
die analytischen Positionen über den Rassismus stimmen in diesem Punkt
weitgehend überein.
but now? together!
Ein linksradikaler Antirassismus muß gesellschaftskritisch sein:
Rassismus ist ein Teil der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.
Ohne diese anzugreifen, bekämpft antirassistische Arbeit nur die Symptome,
nicht aber den Rassismus selbst. An dieser Stelle liegt die Schnittstelle zu
linksradikaler antifaschistischer Gesellschaftskritik: die Analyse und Kritik
beider Teilbereichsbewegungen stimmt in weiten Teilen überein.
In den entsprechenden Antifa-Aufrufen der letzten Jahre wird die
Bedeutung der rassistischen Politik und des rassistischen Konsens benannt und
als Arbeitsfeld begriffen (wenngleich bislang wenig konkrete Politik daraus
folgte(7)). Die OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen der
antirassistischen Grenzcamps thematisieren immer auch die Bedeutung
faschistischer Aktivitäten für Flüchtlinge und antirassistische
Arbeit sowie die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Institutionen und
Bevölkerung.
Bislang erfolgte eine praktische Zusammenarbeit überwiegend bei der
Bekämpfung rassistischer Aktionen und Organisationen. Eine gemeinsame
Politik kann darüberhinaus auch gegen strukturellen, institutionellen und
Rassismus der Bevölkerung entwickelt werden.
Trotz jeweiliger kleiner Unterschiede und Schwerpunkte gibt es eine Vielzahl
übereinstimmender Politikformen (insbesondere im Bereich der symbolischen
Politik) und ähnliche AdressatInnen (linke und liberale Menschen, die die
bestehenden Verhältnisse reflektieren).
Eine Zusammenarbeit von Antifa- und Antira-Gruppen ist aus unserer Sicht nur
mit linksradikalem Anspruch möglich. Sowohl bei Analyse (Kongresse,
Zeitschriften) und Praxis (übergreifende Kampagnen, Demonstrationen,
Camps, ...) ist eine gemeinsame Politik beider Ansätze machbar und
nötig. In den letzten Jahren geschah dies schon ansatzweise bei den
Organisierungen und Mobilisierungen für die bundesweiten
Anti-Abschiebehaft-Demos in Büren und Neuss und den antirassistischen
Grenzcamps. Möglich ist jedoch viel mehr: in absehbarer Zeit wird es wohl
keine Fusionierung, aber eine engere Zusammenarbeit geben, von der beide Seiten
nur profitieren können.
Fußnoten
(1) Siehe z.B. kein mensch ist illegal:
www.contrast.org/borders/kein; die Karawane für die Rechte der
Flüchtlinge und MigrantInnen: www.humanrights.de/caravan/;
Flüchtlingskongreß gemeinsam gegen abschiebung und soziale
ausgrenzung Ostern 2000 von The Voice African Forum:
www.humanrights.de/congress/index.html
(2) Repräsentativ ist ein Ereignis während der bundesweiten
Demonstration Save the Resistance am 14.10.00 in Leipzig: eine
linke palästinensische MigrantInnengruppe aus Leipzig bezeichnete
während eines Redebeitrages die Politik Israels als faschistisch, ebenso
skandierten Menschen aus dem MigrantInnen-Block PLO, Israel No,
darauffolgend die Reaktion Kampf dem Antisemitismus aus dem
Lautsprecherwagen in der folgenden Auseinandersetzung (nachzulesen in
der Leipziger Zeitschrift klarofix #81 Dezember 2000) warf die
palästinensische Gruppe den OrganisatorInnen vor, die Palästinenser
für die deutsche Geschichte verantwortlich zu machen und ihnen die Sicht
auf Israel aus dem deutschen Blickwinkel aufzuzwingen. Die OrganisatorInnen
argumentierten, daß aufgrund der deutschen Geschichte die Existenz
Israels nicht in Frage gestellt werden kann und solche Parolen während
einer Demo durch Deutsche nur antisemitisch rezipiert werden können.
(3) Hierbei stützen wir uns vorwiegend auf folgende Texte
(sämtlich aus Deutscher Antirassismus? Antirassistische Gruppen
ziehen Bilanz. off limits/ZAG 1995): Antirassistisches Telefon Hamburg:
Politische Bilanz und Perspektiven antirassistischer Politik; Thomas
(ZAG-Redaktion): Antifaschismus und Antirassismus was geht da zusammen?;
Anti-Rassismus-Büro Bremen (ARAB): Antirassismus in Deutschland sowie auf
den Beitrag von Thomas Herr: Antirassismus wie wir ihn meinen Notizen
zum Stand der Bewegung. aus: Heute hier Morgen fort?
(4) personalisierte antifaschistische Arbeit und damit einhergehend
eine Vernachlässigung der gesellschaftlichen Zusammenhänge
(5) Beispielhaft seien die bundesweite Demonstration Gegen
Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn des Bündnis gegen
Rechts Leipzig und des Antifaschistischen Frauenblocks Leipzig am 14.10.2000 in
Leipzig und die Mobilisierung vieler Antifa-Gruppen zu den
Globalisierungsprotesten in Prag und Davos genannt
(6) Auf den Punkt gebracht in der unsäglichen Parole Die
Flüchtlinge sind die falsche Adresse, haut den Herrschenden auf die
Fresse und dem Verständnis von Rassismus als Resultat sozial
schlechter Lebensbedingungen
(7) Beispiel Demo am 7. Oktober 2000 in Berlin: Nazis morden,
der Staat schiebt ab: Deutschland halts Maul! Demo gegen Abschiebeknast
und NPD-Zentrale
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