Everybodys Darling
Das derzeitige Verhältnis auf dem Sektor der
gesanglichen Interpretation namens Hip Hop lässt sich am
wahrscheinlichsten mit einem Schwenk auf den europäischen Aktienmarkt
beschreiben. Namen über Namen, hier Newcomer, dort Neuemissionen genannt,
geben den Verfechtern der Masse-statt-Klasse-Theorie die
Nährstoffe, die bisweilen dringend benötigt wurden. Nun, die Zeiten
haben sich geändert, die Ebbe, welche vor allem den Teilhabern der sog.
Mongo-Clikke aufgrund örtlicher Nähe in steter Erinnerung
sein dürfte, ist der Flut, um nicht zu sagen der Schwemme,
unverhohlenem Stumpfsinns gewichen. Ausnahmen davon sind selten, und sollte es
doch welche geben, geraten gerade diese guten Aspekte vorschnell in den
Hintergrund. Geschuldet ist dies dem qualitativen Niveau aller. Dass niemand
was merkt oder gemerkt hat, gilt es demnach zu verhindern.
Nicoteen
Auf den ersten Blick scheint er der Liebling jedweder Schwiegermutter zu sein.
Das Panorama vermittelt ein Individuum, dessen nähere Beschreibung es mit
Worten nicht bedarf. Hier betrachtet man einen Menschen, der einzigartig, weil
nichtssagend ist. Rundum ein Typ, der nichts als Harmonie ausstrahlt. Und diese
Ausstrahlung allein besitzt die Kraft, die andere, in Genrekreisen Rapper
genannte, Kollegen einzig mit dem letzten Lied auf ihrem Tonträger
respektive auf einem Konzert zu versprühen wissen. Wenn dagegen gehalten
werden sollte, dass, obschon die textliche Interpretation der mannigfaltigen
Kraftausdrücke die Potenz der Künstler geradezu vor Augen führt,
muß dem zugestimmt werden. Allerdings, und das bleibt unbestritten, sind
die dargebotenen Reime, welche den harten Kern des Hip Hop und der Hip Hopper
untermauern sollen, einzig dazu geeignet, die geistigen Mittäter auf die
Knie zu zwingen. Dem objektiven Betrachter beliebt es dabei, die Intelligenz
der Darbietenden durch das Dargebotene zu bewerten. Vornehmlich eine
potentielle Intellektschätzung.
Der Ausdruck dieser anmutenden Harmonie äußert sich namentlich ein
jedes Mal punktgenau mit der Hoffnung auf ein baldiges Ende der Darbietung.
Insofern der Tonabnehmer ausgemacht oder der Saal verlassen werden kann. Denn
das schlimmste für einen Hip Hop-Fan ist hinlänglich die Tatsache,
nicht dabei gewesen zu sein. Diese Angst vor dem Fehlgehen der eigenen
Intuitionen, dem sog. Verpassen verschafft der Branche diese
ungeahnten Absatzmöglichkeiten. Mithin kann es schlechterdings als Wunder
bezeichnet werden, wenn auf den sog. Jams, dessen nähere inhaltliche
Erörterung überflüssig erscheint, einmal neue Gesichter, die
sich zum Publikum zählen, zu sehen sind. Das gleiche kann und muß
gerade für eine negative Betrachtungsweise gelten. Kaum ein
Event, bei welchem die herausragenden Heroen der einschlägigen
Cliquen, die sich hinlänglich gerade noch so zum Betrachterkreis
zählen, obgleich auch ihnen der Ruhm aufgrund exorbitanter Kleidung oder
gar extraordinären Graffitis ins Gesicht geschrieben steht, nicht erblickt
werden. Die Apokalypse ist demnach das gleichzeitige Stattfinden zweier
Veranstaltungen an einem Tag. Wie sich dabei verhalten wird, ist bislang
unbekannt.
Vergissihnnicht
Ganz anders dagegen in unserem vorliegenden Fallbeispiel. Fernab des militanten
Auftretens seiner Zeitgenossen, deren geistige Nähe zu den verschieden
Organisationen des Heiligen Krieges augenscheinlich ist, vermittelt
Nico Suave Liebenswürdigkeit und natürlich auch ein wenig Unschuld.
Eben ein Wunderkind, vergleichbar nur mit Michael Owen, der Englands
Fußball retten soll.
Ob hier nun ein Retter des Hip Hop antritt, muß aufgrund vielerlei
Aspekte bezweifelt werden. Erstens kann mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass gerade eben der wie ein
Schüler anmutende Suave keinerlei Handlungsbedarf sieht. In der doch
existierenden Hierarchie des Sprechgesangs hat man sich nun mit Beginn der
Karriere erst mal unterzuordnen.
Zweitens sind die finanziellen Aspekte nicht dazu geeignet, großartige
Experimente zuzulassen. Nur einer muß den Anfang machen. Das prominente
Zitat Brechts kann auch hier nur Geltung erfahren. Mut zum Risiko ist also
gefordert, obwohl das dem Namen suave (nett, lieblich)
widerspricht. Doch wer diese Wesenszüge getreu dem Motto nomen est
omen auf sich vereint, hat Voraussetzungen wie kein anderer.
Mr. Schnabel klingt da schon ein wenig unseriöser.
Teewald
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