Jean-Martin Büttner:
Sänger, Songs und triebhafte Rede
Basel [u.a.] : Stroemfeld, 1997. – ca. 30,- DM
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Daß das nicht unbedingt so sein muß, beweist uns Jean-Martin
Büttner mit seiner Dissertation Sänger, Songs und triebhafte
Rede, die über Musik und Rockstars, über Rap,Woodstock, MTV,
John Lennon, die Sex Pistols und vieles mehr erzählt. Anfängliches
Zögern, sich aufzuraffen, das 675seitige Werk zu lesen, wird durch den
witzigen Schreibstil des Autors spätestens nach 50 Seiten überwunden.
Nun ist leichte Musik nicht gerade das, was musikwissenschaftliche
Fakultäten beschäftigt und schon Adorno behauptete, Rock liege
im Trüben der Selbstverständlichkeit. Büttner wollte
es seinem Prof. jedoch beweisen und hat für seinen Wälzer alles
zusammengetragen, was er finden konnte: Songs aus vierzig Jahren Rockmusik,
dokumentiert in Songbooks und Alben, auf Singles, Vinylplatten und Compact
Discs, Schwarzpressungen und Konzertaufzeichnungen; außerdem zahlreiche
Interviews mit MusikerInnen sowie Analysen verschiedener
Musikpäpste, vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum. Das
gesamte Material verpackt Büttner recht geschickt, so daß es auch
für den Laien, der sich nicht mit vierzig Jahren Rockgeschichte
identifizieren kann, interessante Aspekte aufzeigt.
Im Kapitel Pop will eat itself geht es um den Marktmechanismus, dem
auch die Plattenindustrie unterworfen ist: Die Plattenindustrie kann am
Erhalt des Bestehenden nur interessiert sein, als es Erfolg einbringt. Dadurch
verliert sie das Neue aus dem Blickfeld. Sie muss also reagieren. Sie tut es,
indem sie neue Trends kopiert und simuliert bis zum Überdruss. Es folgen
Neuorientierung, Popularisierung, erneute Verflachung. Die Musik entwickelt
sich vom Original zur Kopie über die Kopie der Kopie zur Parodie der Kopie
zurück zum Original.(1) Die Rockgeschichte als
Abfolge von Aktion und Reaktion. Während in Europa in den Discos die Bee
Gees aus den Boxen dröhnten, tanzte mensch draußen zu Reggae, der
ersten Trikont-Musik, die sich im Rockgeschäft durchsetzen konnte. Punk,
der sich von der Plattenindustrie nur schwer vermarkten ließ,
ließen die Bosse einfach auf den nächsten Trend auflaufen. New
Wave nannte man diesen hoffnungsfroh. Kühle statt laute Musik, Synthesizer
statt Gitarren, Ohrringe statt Stecknadeln, Kokain statt
Amphetamin.(2) Die Clash und die Stranglers unterschrieben
bei CBS, die Sex Pistols bei EMI zwar entstanden auch kleine sogenannte
alternative Labels wie Radar oder Rough Trade, die aber unter dem Motto
Underground is just the new word for money von den Giganten
verschluckt wurden. In den achtziger Jahren erfuhr die Musikindustrie ihre
weitreichendste Veränderung ihrer Geschichte: nur noch fünf
Unternehmen beherrschten schließlich über zwei Drittel des
Weltmusikmarktes. Und dann ging es in den achtziger Jahren auch technisch
rapide vorwärts. Hörgewohnheiten veränderten sich (1980 wurde
der Walkman von Sony in Serie gegeben), zum Ton gesellte sich das Bild (seit
1981 MTV in Amerika). Nicht nur das Kapitel über Produktion und
Reproduktion bietet interessante Informationen zum Musikgeschäft und
dessen Entwicklung, auch mit dem Mythos Rock und dessen Protagonisten setzt
sich Büttner auseinander. Mythen sollen die Produktionsbedingungen
der Rockmaschinerie zum Verschwinden bringen. Die Rockmythen betonen das
Unmittelbare, um die Distanz zwischen Star und Fan zu überwinden. Das
Authentische, um die Lebenslügen zu unterdrücken, die im
Rockgeschäft ununterbrochen produziert werden.(3)
Büttner untersucht an dieser Stelle die Mythen, die sich um Rockstars wie
David Bowie, Jim Morrison, Kurt Cobain oder John Lennon ranken. Nun weiß
mensch zwar, daß diese Figuren nur Puzzleteile im großen
Musikbuisness sind bzw. waren, aber es ist einfach schön zu lesen, wie
Büttner ganz unaufgeregt die Mythen, hinter denen sich die Stars
verbergen, entkleidet. Natürlich geht es im Buch auch um Texte, um deren
Bedeutung und das Verlorengehen der Strukturierung von Musik und Text im Sound.
Sound entstand zuerst auf der Bühne, wie alle Techniken des Genres,
gleichsam als Abfallprodukt elektrischer Verstärkung. Der erste Einbruch
von Sound in den Song war die Rückkopplung elektrischer Gitarren. ... Die
Who und Velvet Underground machten aus dem Defekt eine Provokation, Jimi
Hendrix eine Technik, Sonic Youth eine Bewegung.(4)
Auch von Techno, der Rache der Protestanten, ist die Rede. Techno
führt dem Rock seine Verwesung vor: er ist eine Absage an Melodie und
Sänger, steht für die Abschaffung des Sängers als
Charismaproduzenten und vollendet die Mechanisierung der Ekstase. Zwar freuten
sich Techno-Fans, daß jetzt endlich Schluß sei mit den ewig
gleichen, international kodifizierten
Rockmusikershow-Mätzchen(5), dabei wird jedoch die
eine Stupidität nur durch eine andere ersetzt. Beim Techno schließen
sich Alltag und Ekstase aus. Techno also als Fortsetzung von Arbeit mit anderen
Mitteln? Techno ist tatsächlich die Musik der Gegenwart, als die
seine Betreiber sie verstehen. Die Fragmentierung, die Virtualisierung, die
Mechanisierung der Gesellschaft hat ihren pausenlosen Soundtrack
erhalten.(6)
Weiterhin gibt es ein Kapitel Das Ende der Jugendkultur, das sich
mit Rezeptionsfragen von Musik beschäftigt. Die Musikzeitschrift Spex
lieferte in Deutschland die intensivste Debatte zu diesen Fragen. Anfang der
neunziger Jahre war dann auch dort zu lesen, womit die wenigsten Pädagogen
gerechnet hatten: Die neue Subversion kam von rechts. Diedrich Diederichsen
forderte 1992 in seinem Artikel The kids are not alright, der kurz
nach den Pogromen von Rostock erschien, den Abschied vom Konzept
Jugendkultur mit allen angegliederten Unter-Ideen wie Pop, Underground,
Dissidenz durch symbolische Dissidenz, Tribalismus, Revolte, Abgrenzung
etc.(7) Der Begriff Jugendkultur sei nicht mehr in der
Lage, die fundamentale Differenz zwischen Nazis und ihren Gegnern
festzustellen.
Es gibt noch eine ganze Menge mehr auf fast 700 Seiten zu entdecken, auch
für diejenigen, die jetzt abwinken und meinen, das alles schon
gewußt zu haben.
Auf alle Fälle gibt die Arbeit mal wieder Anlaß über Musik,
ihre Rezeption und ihren Anspruch nachzudenken. Gerade heute, wo mensch sich
des Eindrucks nicht erwehren kann, das Labels wichtiger sind als Subversion.
Anne
Fußnoten
(1) Büttner, S. 73
(2) ebd., S. 76
(3) ebd., S. 113
(4) ebd., S. 269
(5) ebd., S. 308
(6) ebd., S. 310
(7) ebd., S. 444
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