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Sänger, Songs und mehr

„Talking about music is like dancing about architecture.“
(Steve Martin)
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Jean-Martin Büttner:

Sänger, Songs und triebhafte Rede

Basel [u.a.] : Stroemfeld, 1997. – ca. 30,- DM

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Daß das nicht unbedingt so sein muß, beweist uns Jean-Martin Büttner mit seiner Dissertation „Sänger, Songs und triebhafte Rede“, die über Musik und Rockstars, über Rap,Woodstock, MTV, John Lennon, die Sex Pistols und vieles mehr erzählt. Anfängliches Zögern, sich aufzuraffen, das 675seitige Werk zu lesen, wird durch den witzigen Schreibstil des Autors spätestens nach 50 Seiten überwunden.
Nun ist „leichte Musik“ nicht gerade das, was musikwissenschaftliche Fakultäten beschäftigt und schon Adorno behauptete, Rock liege „im Trüben der Selbstverständlichkeit“. Büttner wollte es seinem Prof. jedoch beweisen und hat für seinen Wälzer alles zusammengetragen, was er finden konnte: Songs aus vierzig Jahren Rockmusik, dokumentiert in Songbooks und Alben, auf Singles, Vinylplatten und Compact Discs, Schwarzpressungen und Konzertaufzeichnungen; außerdem zahlreiche Interviews mit MusikerInnen sowie Analysen verschiedener „Musikpäpste“, vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum. Das gesamte Material verpackt Büttner recht geschickt, so daß es auch für den Laien, der sich nicht mit vierzig Jahren Rockgeschichte identifizieren kann, interessante Aspekte aufzeigt.
Im Kapitel „Pop will eat itself“ geht es um den Marktmechanismus, dem auch die Plattenindustrie unterworfen ist: „Die Plattenindustrie kann am Erhalt des Bestehenden nur interessiert sein, als es Erfolg einbringt. Dadurch verliert sie das Neue aus dem Blickfeld. Sie muss also reagieren. Sie tut es, indem sie neue Trends kopiert und simuliert bis zum Überdruss. Es folgen Neuorientierung, Popularisierung, erneute Verflachung. Die Musik entwickelt sich vom Original zur Kopie über die Kopie der Kopie zur Parodie der Kopie zurück zum Original.“(1) Die Rockgeschichte als Abfolge von Aktion und Reaktion. Während in Europa in den Discos die Bee Gees aus den Boxen dröhnten, tanzte mensch draußen zu Reggae, der ersten Trikont-Musik, die sich im Rockgeschäft durchsetzen konnte. Punk, der sich von der Plattenindustrie nur schwer vermarkten ließ, ließen die Bosse einfach auf den nächsten Trend auflaufen. „New Wave nannte man diesen hoffnungsfroh. Kühle statt laute Musik, Synthesizer statt Gitarren, Ohrringe statt Stecknadeln, Kokain statt Amphetamin.“(2) Die Clash und die Stranglers unterschrieben bei CBS, die Sex Pistols bei EMI – zwar entstanden auch kleine sogenannte alternative Labels wie Radar oder Rough Trade, die aber unter dem Motto „Underground is just the new word for money“ von den Giganten verschluckt wurden. In den achtziger Jahren erfuhr die Musikindustrie ihre weitreichendste Veränderung ihrer Geschichte: nur noch fünf Unternehmen beherrschten schließlich über zwei Drittel des Weltmusikmarktes. Und dann ging es in den achtziger Jahren auch technisch rapide vorwärts. Hörgewohnheiten veränderten sich (1980 wurde der Walkman von Sony in Serie gegeben), zum Ton gesellte sich das Bild (seit 1981 MTV in Amerika). Nicht nur das Kapitel über Produktion und Reproduktion bietet interessante Informationen zum Musikgeschäft und dessen Entwicklung, auch mit dem Mythos Rock und dessen Protagonisten setzt sich Büttner auseinander. „Mythen sollen die Produktionsbedingungen der Rockmaschinerie zum Verschwinden bringen. Die Rockmythen betonen das Unmittelbare, um die Distanz zwischen Star und Fan zu überwinden. Das Authentische, um die Lebenslügen zu unterdrücken, die im Rockgeschäft ununterbrochen produziert werden.“(3) Büttner untersucht an dieser Stelle die Mythen, die sich um Rockstars wie David Bowie, Jim Morrison, Kurt Cobain oder John Lennon ranken. Nun weiß mensch zwar, daß diese Figuren nur Puzzleteile im großen Musikbuisness sind bzw. waren, aber es ist einfach schön zu lesen, wie Büttner ganz unaufgeregt die Mythen, hinter denen sich die Stars verbergen, entkleidet. Natürlich geht es im Buch auch um Texte, um deren Bedeutung und das Verlorengehen der Strukturierung von Musik und Text im Sound. „Sound entstand zuerst auf der Bühne, wie alle Techniken des Genres, gleichsam als Abfallprodukt elektrischer Verstärkung. Der erste Einbruch von Sound in den Song war die Rückkopplung elektrischer Gitarren. ... Die Who und Velvet Underground machten aus dem Defekt eine Provokation, Jimi Hendrix eine Technik, Sonic Youth eine Bewegung.“(4)
Auch von Techno, der „Rache der Protestanten“, ist die Rede. Techno führt dem Rock seine Verwesung vor: er ist eine Absage an Melodie und Sänger, steht für die Abschaffung des Sängers als Charismaproduzenten und vollendet die Mechanisierung der Ekstase. Zwar freuten sich Techno-Fans, daß jetzt endlich Schluß sei „mit den ewig gleichen, international kodifizierten Rockmusikershow-Mätzchen“(5), dabei wird jedoch die eine Stupidität nur durch eine andere ersetzt. Beim Techno schließen sich Alltag und Ekstase aus. Techno also als Fortsetzung von Arbeit mit anderen Mitteln? Techno ist „tatsächlich die Musik der Gegenwart, als die seine Betreiber sie verstehen. Die Fragmentierung, die Virtualisierung, die Mechanisierung der Gesellschaft hat ihren pausenlosen Soundtrack erhalten.“(6)
Weiterhin gibt es ein Kapitel „Das Ende der Jugendkultur“, das sich mit Rezeptionsfragen von Musik beschäftigt. Die Musikzeitschrift Spex lieferte in Deutschland die intensivste Debatte zu diesen Fragen. Anfang der neunziger Jahre war dann auch dort zu lesen, womit die wenigsten Pädagogen gerechnet hatten: Die neue Subversion kam von rechts. Diedrich Diederichsen forderte 1992 in seinem Artikel „The kids are not alright“, der kurz nach den Pogromen von Rostock erschien, den Abschied „vom Konzept Jugendkultur mit allen angegliederten Unter-Ideen wie Pop, Underground, Dissidenz durch symbolische Dissidenz, Tribalismus, Revolte, Abgrenzung etc.“(7) Der Begriff Jugendkultur sei nicht mehr in der Lage, „die fundamentale Differenz zwischen Nazis und ihren Gegnern“ festzustellen.
Es gibt noch eine ganze Menge mehr auf fast 700 Seiten zu entdecken, auch für diejenigen, die jetzt abwinken und meinen, das alles schon gewußt zu haben.
Auf alle Fälle gibt die Arbeit mal wieder Anlaß über Musik, ihre Rezeption und ihren Anspruch nachzudenken. Gerade heute, wo mensch sich des Eindrucks nicht erwehren kann, das Labels wichtiger sind als Subversion.
Anne

Fußnoten
(1) Büttner, S. 73
(2) ebd., S. 76
(3) ebd., S. 113
(4) ebd., S. 269
(5) ebd., S. 308
(6) ebd., S. 310
(7) ebd., S. 444



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last modified: 28.3.2007