Der antifaschistische Staat und seine Nazis
Von der Initiative Sozialistisches Forum aus Freiburg
Die Veröffentlichung von 93 gewaltsamen
Todesfällen mit rechtsextremistischem Hintergrund der vergangenen zehn
Jahre in FR und Berliner Tagesspiegel hat ein solch starkes Echo ausgelöst
..., war auf der Titelseite der FR zu lesen ... daß die
geneigte Leserschaft zum Generalstreik gegen Staat und Kapital aufruft? Nein:
... daß sich beide Zeitungen entschlossen haben, die Texte als
Sonderdrucke herauszugeben. An sich ein löbliches Unterfangen, war
es doch bisher linken Publikationen wie jungle world und konkret vorbehalten,
die Morde und Übergriffe gegen Ausländer, Punks und Obdachlose, die
Anschläge auf jüdische Einrichtungen zu dokumentieren. Nun zeigt die
breite Öffentlichkeit der Deutschen ein verstärktes Interesse an den
Taten der braunen Schläger und Mörder und dokumentiert ihr
Bedürfnis, sich von den häßlichen Glatzköpfen zu
distanzieren.
Das Bedürfnis, guter Deutscher, das Bedürfnis, normaler
Staatsbürger und damit normaler Nationalist zu sein, ist hingegen alles
andere als neu. Neu allein ist die unverblümte Weise, in der sich dieses
Bedürfnis artikuliert. Bis in die achziger Jahre war es noch üblich,
den normalen deutschen Nationalismus, d.h. den Patriotismus, in die
Begeisterung für die nationalen Befreiungsbewegungen der guten Völker
im Trikont umzulenken. In der nationalen Erweckungsbewegung, also in der
Friedensbewegung der achtziger Jahre, äußerte sich das nationale
Bedürfnis dann wesentlich offener: im Engagement, deutschen Boden gegen
amerikanische Pershings zu verteidigen. Heute endlich dürfen alle ihren
Stolz, Deutsch zu sein, offen aussprechen. Zehn Jahre Berliner Republik, so
heißt es nun allerorten, hätten gezeigt, daß die Behauptung,
es stehe ein Viertes Reich bevor, keinerlei Berechtigung hatte:
Angst ging um. Aber es kam Normalität freut sich die
Geburtstagsausgabe der Zeit. Und das aber das ist schon lange lange her
ehemals linke Kursbuch, dem Wolfgang Pohrt bereits 1980 das
Umschlagen neudeutscher Klebrigkeit in reaktionäre Ideologie
prognostizierte, erscheint rechtzeitig zum Jahrestag der deutschen Einheit
unter dem Hefttitel Das gelobte Land mit einer Schrift
über die Vorzüge Deutschlands, die dazu beitragen möchte,
die Überproduktionskrise der Selbstkritik zu überwinden
und die Lücke an positivem Schriftum über das Vaterland
als sich einfach keiner getraut hat (Enzensberger) zu
schließen.
Das resignative Statement von Max Horkheimer von 1939 Aber es ist,
als seien die vertriebenen Intellektuellen nicht bloß des
Bürgerrechts, sondern auch des Verstands beraubt worden. Denken, die
einzige Verhaltensweise, die ihnen anstünde, ist in Mißkredit
geraten. Der jüdisch-hegelianische Jargon, der einst aus
London bis zur deutschen Linken drang und schon damals in den Brustton von
Gewerkschaftsfunktionären übertragen werden mußte, gilt jetzt
als vollends überspannt. Aufatmend werfen sie die unbequeme Waffe weg und
kehren zum Neuhumanismus, zu Goethes Persönlichkeit, zum wahren
Deutschland und anderem Kulturgut zurück. (Die Juden und Europa)
ist heute so wahr wie damals: Nach Bitburg, Historikerstreit,
Wiedervereinigung, Mahnmaldebatte, Wehrmachtsaustellung, Goldhagen, Walser,
Kosovo-Krieg scheint die Befreiung der Deutschen von Auschwitz endgültig
abgeschlossen, kann reinen Gewissens zum wahren Deutschtum zurückgekehrt
werden. Deutschland, nach fünfundfünfzig Jahren endlich total
normal (Zeit).
Das Bild vom guten, vom normalen deutschen Volk wird nur noch von den
häßlichen Taten der braunen Glatzen gestört. Sie bringen immer
wieder die zuerst verdrängte, dann in mühsamer Kleinarbeit scheinbar
erfolgreich wegrationalisierte nationalsozialistische Kontinuität der
postfaschistischen Gesellschaft an die Oberfläche. Deshalb müssen die
braunen Schläger nun von der Bildfläche verschwinden. Denn in der
Zivilgesellschaft ist nur ein entnazifizierter Faschismus ein brauchbarer
Faschismus.
Die Gewalt der Neonazis beunruhigt auch die herrschende Klasse. Spätestens
seit dem Bombenattentat von Düsseldorf, bei dem im Juli sieben Juden
schwer verletzt worden waren, hat der Staat Antifaschismus zu seiner Sache
gemacht: Politiker aller Parteien werden nicht müde, die braune
Gefahr zu geißeln. Vorläufiger Höhepunkt der seit Wochen
die Innen- und Sicherheitspolitik bestimmenden Debatte: Nach den
antisemitischen Anschlägen am Tag der Deutschen Einheit fordert der
Bundeskanzler einen Aufstand der Anständigen. Man kann nur
hoffen, daß die Deutschen diesem Aufruf nicht Folge leisten.
Weil der Grund für die hektischen Umtriebe der StaatsAntifa nicht die in
Düsseldorf verletzten Juden sind Verletzte und Tote gab es bereits
bei früheren rechtsextremistischen Anschlägen, wie die mittlerweile
auch von ARD-Fernsehmagazinen veröffentlichten Listen des rechten Terrors
dokumentieren , müssen die wirklichen Gründe für den
staatlichen Antifaschismus woanders liegen. Die einen werten den staatlichen
Antifaschismus als eine PR-Kampagne für die Berliner Republik was
er sicherlich auch ist , andere verorten den rationalen Kern des
regierungsamtlichen antirassistischen, antifaschistischen und philosemitischen
Konsens im internationalen Konkurrenzkampf um migrantische Facharbeiter
(Stichwort: Green-Card für den Wirtschaftsstandort Deutschland) und bieten
renten- bzw. bevölkerungspolitische Erklärungsansätze an
was ebenfalls sicherlich nicht falsch ist, denn der Staat des Kapitals hat nun
mal für optimale Verwertungsbedingungen zu sorgen , wieder andere
betonen, die rechte Gewalt sei für den Staat eine willkommene
Legitimation, an der Repressionsschraube zu drehen, oder bedauern, daß
staatliche Verbote von Naziorganisationen wie Blood & Honour aufgrund deren
internationalen Verflechtungen nicht greifen was vermutlich leider auch
stimmt.
Mediales Sommertheater, ökonomische Notwendigkeit (Standort Deutschland),
politische Repression? Sicherlich ist kein Erklärungsangebot völlig
falsch, und die Bedenken der Antifa, daß die Nazis die Verbote und
Ächtungen unbeschadet überstehen werden, sind ernst zu nehmen. Wie
auch die Einschätzung, daß der legale Rassismus und Antisemitismus,
wie er in der Zivilgesellschaft gang und gäbe ist, durch die StaatsAntifa
gestärkt wird: Gemeinsam gegen rechts, das heißt gemeinsam für
Deutschland. Gemeinsam gegen den rechten Mob, das heißt für eine von
der Geschichte befreite deutsche Normalität. Von der Idee eines
weltoffenen Einwanderungsland besessen, wird übersehen, daß die
Politik der Green-Cards sowohl den alltäglichen Rassismus der
zivilgesellschaftlichen Bürger wie den brutalen Rassismus den rechten
Schläger bedient: die Logik, Ausländer nach ökonomischen
Nutzenkalkülen zu sortieren, liefert den rechten Schlägern das Motiv
und die stillschweigende Zustimmung des Volkes. Die internationale Konkurrenz
um migrantisches Fachpersonal und die nationale Konkurrenz um Arbeitslosengeld
und Sozialhilfe sind nur verschiedene Erscheinungsweisen ein- und desselben
Kapitalverhältnisses, das die Mehrzahl der Menschen weltweit zu
überflüssigen und nutzlosen Empfängern von Unterhaltsleistungen
oder humanitären Hilfsaktionen macht. Futterneid und Konkurrenz scheinen
die Beweggründe der Feindschaft gegen Ausländer zu sein auch
wenn diese keinen Mord erklären können. Zum Ärgernis
werden sie (die Ausländer) also nicht durch die Fremdheit ihrer besonderen
Kultur, sondern dadurch, daß sie sich einen Mercedes kaufen, in die Disco
gehen und die Kaufhäuser bevölkern ... weil sie mit den
bundesrepublikanischen Verhältnissen so wenig Probleme haben, daß
sie im Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze und Wohnungen mithalten
können, werden sie gehaßt. (Pohrt, Linke und
Ausländerpolitik, in: Zeitgeist Geisterzeit)
Die Parolen vom Boot, das voll sei, sind verklungen, Parolen einer Politik, die
nicht nur das Asylrecht praktisch abgeschafft und die rechtlichen Grundlagen
für die rigide Abschiebepraxis geschaffen hat, sondern die zugleich den
rechten Mob als ihren mit Baseball-Schläger und Brandsatz
bewaffneten Arm legitimiert hat. Diese werden nun als Bedrohung für die
Demokratie gebrandmarkt. In der Weimarer Republik wurden die rechten
Schlägertrupps als SA/SS legalisiert und damit gesellschaftlich
integriert. Heute versucht man es mit Sozialarbeit. Doch die staatlich
geförderte Glatzenpflege ist, nachdem sie zunächst als der
Weisheit letzter Schluß gelobt wurde, mittlerweile als rechtsradikale
Nachwuchsarbeit negativ in die Schlagzeilen geraten. Was also tun?
Politiker aller Parteien formieren sich zur antifaschistischen Volksfront. Die
Rede des Bundestagspräsidenten in der Debatte über Rechtsextremismus
liest sich an manchen Stellen wie ein Flugblatt der Antifa: Die Namen
Rostock und Mölln, Eberswalde und Solingen, Hoyerswerda, Guben und
Hünxe die Namensliste ließe sich fortsetzen sind
verbunden mit der Erinnerung an schreckliche Gewalttaten gegen Bürger
ausländischer Herkunft. Der bisher als Randphänomen
bagatellisierte Rechtsradikalismus wird nun als eine Gefahr beschrieben, die
bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht.
Dort organisiert sich mit der Aktion weltoffenes Deutschland
bereits ein Antifaschismus, der die antifaschistische Legende vom anderen
Deutschland, die immer schon das völkische Denkschema tradiert hat,
kulturindustriell auf die Höhe der Zeit bringt. Der staatlich
geförderte Anti-Rassismus-Verein will Versteigerungen im Internet,
Galamenüs von Spitzenköchen organisieren, Telefonkarten mit
Vereinslogo verkaufen. Die Legende vom anderen Deutschland, d.h. die
antifaschistische Basis der völkischen Kontinuität, geht voll und
ganz in der medienwirksamen Reklameveranstaltung deutscher Prominenter auf, die
vor allem ihr Gesicht zeigen!.
Eine der Beteiligten, die ihr Gesicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu
zeigen weiß, engagiert sich nicht als Prominente, sondern als Frau,
die in diesem Land lebt, und das seit 26 Jahren mit einem jüdischen
Mann. Die Pflicht eines jeden hervorhebend, sich der Geschichte zu
stellen (deshalb will sie eine Lesung aus dem Buch Mama, was ist
Auschwitz? von Annette Wieviorka auf Kassette aufnehmen und an Schulen
verteilen) betont sie zugleich ihr Opfer, nicht nur in diesem Land leben zu
müssen, sondern zudem auch noch einen jüdischen Mann zu haben, und
stellt mit der nach 45 von jedem deutschen Antisemiten zur persönlichen
Entlastung geäußerten Formel: mein bester Freund war Jude, ihre
(verfolgende) Unschuld unter Beweis.
Das Kapital braucht nicht immer den Faschismus. Aber der Zusammenhang
zwischen dem repressiven Charakter des liberalen und neoliberalen Staates und
den terroristischen Methoden des faschistischen Staates darf nicht
übersehen werden ... Die Staatsgewalt muß jederzeit die
Fähigkeit bewahren, gegen Emanzipation konkret zu werden. (Johannes
Agnoli, Die bürgerliche Gesellschaft und ihr Staat, in: Faschismus ohne
Revision)
Im Deutschen Herbst von 1977, als der Staat den Ausnahmezustand verhängte,
war die antifaschistische Welt für einen kurzen Augenblick in Ordnung: der
demokratische Nachfolgestaat des Nationalsozialismus zeigte seine
totalitäre Fratze in aller Deutlichkeit und offenbarte so sein
autoritäres Wesen. Doch dem Gerede der damaligen Linken vom neuen
Faschismus folgte bald das Bekenntnis zum Primat der Gewaltfreiheit
linker Politik die Zivilgesellschaft war geboren und der Staat konnte
sich wieder liberal geben. Heute versucht sich die staatliche Repression an der
rechten Gewalt, gegen die er sein Gewaltmonopol behaupten will. Doch dieser
Kampf gegen rechts ist von der Natur der Sache her ein anderer als der gegen
links. Ein Rechter, der dem Staat das Gewaltmonopol bestreitet, ist ein
Widerspruch in sich. Auch die Linke mag aus sich heraus nie wirklich dieses
Gewaltmonopol in Frage gestellt haben, auch sie wollte, wie sich historisch
gezeigt hat, jenseits aller emanzipatorischer Rhetorik in Wirklichkeit nur den
Staat für sich, den Austausch der Eliten aber von der herrschenden
Klasse wird doch instinktiv gespürt, daß eine tatsächlich
Gefahr für sie nur von links ausgehen kann. Und so braucht es nicht viel,
um prophezeien zu können, daß es im Kampf gegen rechts zu einer
Sympathisantenhatz wie in den siebziger Jahren nie kommen wird
(müßte doch dann der gesamte Bundestag mit dem [[section]] 129a zur
Räson gebracht werden.) Ebensowenig verwundert es, daß die
nationalistisch-konservativen klammheimlichen Sympathisanten der rechten
Schläger im Umkreis ihres Zentralorgans für Deutschland (der FAZ),
genau dieselben Argumente gegen staatliche Repression anführen, die im
deutschen Herbst der siebziger Jahre aus linksliberalen Kreisen zu vernehmen
waren: zuviel Repression gefährde die Demokratie.
Die Bombe von Düsseldorf gefährdet das Gewaltmonopol des Staates
selbst jedenfalls nicht doch die zur Zeit verfochtene herrschende
Politik. Der Kampf gegen rechts soll allen Rechten also auch der
(glücklicherweise noch) schweigenden Mehrheit der Bevölkerung
zeigen, daß zwar alle dasselbe wollen Deutschland , die
staatliche Antifa von Stoiber bis Gysi aber nicht gewillt ist, für
Deutschland eine andere Politik zu machen als die bisherige. Und so lange die
derzeitige Koalition von Staat und Kapital nicht in die Krise gerät, wird
die Rechte sich daran die Zähne ausbeißen.
Sei es wie es ist. Der Gewinner des politischen Spiegelgefechts zwischen
Demokratie und Repression, zwischen Recht und Gewalt, steht von vorn herein
fest: der Staat selbst den es, wollte man mit Antirassismus und
Antifaschismus ernst machen, abzuschaffen gälte. Doch diese
Minimalforderung wird man im zum gesellschaftlichen Mainstream avancierten
Antirassismus vergeblich suchen: Staat, Volk, Prominente und Intellektuelle
haben sich zu einer antifaschistischen Volksgemeinschaft formiert, die sich
über die brutalen Formen von Rassismus in unserem Land
empört, sich jedoch einen Dreck um deren Ursachen schert. So abgegriffen
kann das Diktum Horkheimers, demzufolge vom Faschismus schweigen soll, wer vom
Kapitalismus nicht reden will, gar nicht sein, als daß man den
antirassistischen Konsens in Deutschland nicht wieder und wieder damit
konfrontieren müßte. So wie es ist, muß es nicht bleiben. Die
Alternative zeigt sich in der Gleichzeitigkeit, mit der das Feuilleton zur
Feier des hundertjährigen Todestags von Nietzsche die Entfesselung
der von ihm propagierten Energien kreativer Zerstörung zelebriert
(Hartmann in konkret 10/2000), mit der Wirtschaftsmagazine unter Berufung auf
Josef Schumpeters aggressive Theorie des Unternehmertums die
schöpferische Zerstörung als Innovationspotential gegen
die kommunikative Ethik der runden Tische anpreisen, mit der sich die Mitte der
Gesellschaft als verfolgende antirassistische Unschuld liberal und humanistisch
zu inszenieren weiß, verweist auf die Gleichzeitigkeit von Liberalismus
und Anti-Liberalismus. Genauso, wie der Liberalismus das Gespenst vom die
Demokratie bedrohenden Faschismus braucht, benötigt dieser die Ideologie
eines die Gemeinschaft gefährdenden, reinen Liberalismus. Doch
Liberalismus und Faschismus sind keine Gegensätze. Im Rationalismus des
Liberalismus steckt bereits der Umschlag in die Irrationalität, die dem
Faschismus als Differenzkriterium zugesprochen wird; in der Aufklärung
steckt bereits die Gegenaufklärung. Die in der bürgerlich-liberalen
Ideologie zur invisible hand mystifizierte, von
antiindividualistischen Gemeinschaftsideologen als abstrakt und
unpersönlich diffamierte gesellschaftliche Synthesis durch den Wert, und
die volksgemeinschaftliche Form der nationalsozialistischen Synthesis stehen
sich (bei aller Unterschiedlichkeit) nicht diametral entgegen. Ebensowenig aber
läßt sich das historisch Spätere (die Volksgemeinschaft) aus
dem Früheren (der unsichtbaren Hand) logisch ableiten. Beide haben
denselben Grund: das Kapital und seinen Staat.
Gleichwohl gehört die Bekämpfung des Liberalismus zum festen
Bestandteil der totalitären (faschistischen) Ideologie, der
nationalsozialistischen in den dreißiger Jahren ebenso wie der von heute.
Die von Sloterdijk und anderen Heideggerianern im Kulturkampf
(Zeit) gegen die Kritische Theorie vorgetragene Humanismuskritik soll den Weg
in ein nach vorne gerichtetes, die Last der Vergangenheit abgeschütteltes
Denken ebnen. Sloterdijks Regeln für den Menschenpark eröffnen den
Deutschen eine Perspektive, auch bei den zukunftsträchtigen Themen wie
Gentechnologie zur Normalität und Kontinuität westeuropäischer
Geschichte zurückzukehren. Die Größe der Aufgabe verlangt aber
nach einem heroischen Menschenbild, nach einem Übermenschen, der nicht
unmittelbar mit dem Herrenmenschen der Nazis identisch ist, verlangt nach einer
von humanistischer Moral und der störenden Erinnerung an die
nationalsozialistische Eugenik befreiten germanischen Züchtungsprogramm.
Die Philosophie Heideggers, deren faschistischer Gehalt immer nur von wenigen
Außenseitern thematisiert wurde, und die bereits über die
postmoderne Rezeption in Frankreich auch hierzulande höhere Weihen
erhielt, und die Philosophie Nietzsches, vor deren Faszination auch kritische
Rezipienten nicht gefeit sind, sind längst zur geistigen Grundlage der
Berliner Republik avanciert. Wahre Stärke repräsentiert nicht der
Baseball schwingende Hooligan, sondern der narzistische, erfolgsorientierte,
souveräne Machtmensch, dessen stählerner Blick einem aus jeder Hugo
Boss Werbung entgegen stiert.
Und was hat die kritische Linke der antifaschistischen Volksgemeinschaft
entgegenzusetzen? Gibt es in dieser überhaupt noch einen emanzipatorischen
Anti-Rassismus, gibt es noch eine Kritik des Antisemitismus, die nicht zum
bloßen Selbstzweck heruntergekommen ist? Gerade letztere hat sich
innerhalb der Linken in den letzten Jahren zum festen Bestandteil des
theoretischen Repertoires etabliert: Man hat seinen Postone gelesen, hat
gelernt, die Personifizierung der abstrakten Form der Vergesellschaftung und
die Unterscheidung von raffendem und schaffendem Kapital als antisemitische
Stereotype zu denunzieren, schaut, völlig zurecht, ganz genau hin, wenn
vom Spekulationskapital und Casino-Kapitalismus die Rede ist. Zweierlei
allerdings sucht man in der Kritik des linken Mainstream an Antisemitismus und
an Rassismus nach wie vor vergebens: die Reflexion auf den Zusammenhang von
Warenform und Denkform (kritische Selbstreflexion) und das Einbeziehen einer
Staatskritik. Zu oft noch wird, wenn nicht kulturalistisch, dann
strukturtheoretisch oder ökonomistisch argumentiert: der Gegensatz von
abstraktem Wert und konkretem Gebrauchswert wird meist zum Strukturprinzip der
Wertvergesellschaftung verallgemeinert, ohne auf die Form zu
reflektieren, die das Verhältnis von abstrakt und konkret in der für
den gesunden Menschenverstand ebenso wie für die akademische Denkform
selbstverständlichen Weise konstituiert.
Es bleibt der an der Wertformanalyse von Marx orientierten Kritik vorbehalten,
den Gegensatz von abstrakt und konkret nicht als quasi-natürliche
Denkvoraussetzung zu ontologisieren, sondern als notwendiges Resultat des
Denkens in der Form des Werts selbst zu begreifen einem Denken, dem
Antisemitismus und Rassismus nicht als kulturelle oder ökonomische oder
politische Phänomene hinzutreten, sondern als notwendig falsches
Bewußtsein völlig immanent sind. Den Zusammenhang von Kritik der
politischen Ökonomie und Erkenntniskritik ignorierend, haben
linksakademische Theorien des Antisemitismus und Rassismus etwa denselben
Stellenwert wie gutgemeinte Sonntagsreden des Bundespräsidenten: sie
versuchen zu verstehen, was, wollte man es wirklich bekämpfen,
abzuschaffen wäre.
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