Antifa... mehr als nur gegen Nazis!
[M]edienwirksam geistert er durch das sonst doch eher triste Sommertheater des
bürgerlichen Blätterwaldes: Der sogenannte Rechtsextremismus.
Überfälle und Morde an Nichtdeutschen, Obdachlosen, Behinderten oder
Linken schon seit Jahren blutiger Alltag haben wieder
Sensationswert. Faschistische Organisierungen, insbesondere die
Unabhängigen Kameradschaften und die Nationaldemokratische
Partei Deutschland (NPD), stehen plötzlich als ernsthaftes
Problem im Augenmerk der Öffentlichkeit. Offensichtlich durch die
anhaltende Debatte um die Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen und
um das Holocaust-Denkmal in Berlin sensibilisiert, wird der
Splitterbomben-Anschlag von Düsseldorf im August diesen Jahres in einem
neuen Licht betrachtet. Die an sich naheliegende Vermutung, es sei
ein faschistischer Anschlag, bricht durch bis an das Ohr des ansonsten
auf Einzeltäter konditionierte Spekulationspublikums. Zuallererst
ist beispielsweise die Abspeisung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen eine
Maßnahme des deutschen Versuches, die wiedererlangte Rolle als Weltmacht
um einen endlich gültigen Schlussstrich unter die eigene Geschichte zu
ergänzen. Dieser muss vor allen Dingen unter den Augen der internationalen
Öffentlichkeit vollzogen werden. Der peinlich auffällige
Rechtsextremismus spricht diesem Versuch in aller Welt Hohn. Die
Behauptung, die Lektion aus der Vergangenheit gelernt zu haben, wirkt genauso
unglaubwürdig, wie sie ist. Und wie schon nach den Pogromen in Hoyerswerda
und Rostock 1991/92 ist die Reaktion ein Feuerwerk gutbürgerlicher
Lichterketten-Moral. Zumindest bis zum nächsten Concorde-Absturz.
> wer was wogegen tut <
Oberflächlich ist die Berichterstattung einhellig von Betroffenheit
geprägt und der diffusen Forderung, es müsse nun endlich etwas getan
werden. Die Bandbreite der Lösungsvorschläge scheint facettenreich.
Sie reicht von der Aufforderung zu Zivilcourage über die Ablehnung
akzeptierender Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen und den Vorwurf an den
Staat, versagt zu haben, bis hin zur bewährten Forderung nach
dem starken Staat. In der gesellschaftlichen Debatte brechen dabei durchaus
humanistische Positionen durch, nehmen sogar einen nicht geringen Teil der
Veröffentlichungen der letzten Zeit ein. Die Funktion der Nazis als
bloße Exekutoren eines rassistischen Konsenses in der Gesellschaft
erfährt eine an sich erfreuliche Beleuchtung. Die Rolle des Staates
jedoch, der die Entwicklung hin zu diesem Zustand maßgeblich
vorangetrieben hat und auch unter Rot-Grün weiter mitträgt, bleibt
meist im Dunkeln. So brüsten sich diverse Stadtverwaltungen neuerdings mit
ihrer Verbotspraxis gegenüber der NPD. Daß dies tendenziell aber
erst seit dem Marsch durchs Brandenburger Tor einiger hundert
Faschisten Anfang diesen Jahres geschieht, dürfte der erheblichen
internationalen Aufmerksamkeit in bezug auf dieses Ereignis geschuldet sein.
Die zahllosen, in den letzten Jahren von Gerichten und der Polizei
durchgesetzten, Nazi-Aufmärsche werden dabei von den Medien elegant
ignoriert. Nicht nur hier wird deutlich, dass die bei weitem am stärksten
vertretene Position nichts anderes vor den Nazis zu schützen weiß
als den Wirtschaftsstandort Deutschland; mit der rechtstaatlichen Demokratie
und dem Ansehen im Ausland im Schlepptau. Diesen Standort angemessen zu
organisieren, ist angestammte Aufgabe des Staates und wenn die Nazis hierbei
zum Problem werden, so hat er sich darum zu kümmern. Nicht um den Schutz
der Opfer (Flüchtlinge, Obdachlose etc.) geht es also, sondern um den
Schutz der BRD als Standort. Ins Schussfeld der Kritik kann dabei nur das
Versagen des Staates, also Missmanagement, kommen, was dann ja auch
ausgiebig passiert. Der Staat selber als strukturelle Gewalt ausübendes
Organ bleibt dabei unhinterfragt. Wie schon 1992/93 kann die heutige Regierung
die Debatte um Rechtsextremismus ganz ungeniert aufnehmen und zum Ausgangspunkt
für ihr Vorgehen erklären. Damals waren die
Ausländer schuld am Rechtsextremismus, heute sind
es die Nazis selbst. Im Gegensatz und in Abgrenzung zur CDU und der Kohl-Aera
kann jetzt auch noch von sich behauptet werden, einen Kampf gegen
Rechts wirklich zu führen, ohne dabei ausgelacht zu werden. Die
dabei unternommenen Maßnahmen müssen sich dabei nicht
zwangsläufig von denen unterscheiden, die von konservativer Seite
vorgeschlagen werden. Auch die faktische Abschaffung des Asylrechts (1993)
würde wohl heute unter Rot-Grün ohne den damaligen Protest
durchkommen. Hierin liegt ein entscheidender Unterschied in der staatlichen
Handlungsfähigkeit, der von einer radikalen, antifaschistischen
Perspektive miteinbezogen werden muss.
> täter und andere täter <
Die SPD und noch mehr die Grünen haben das Image,
kritisch und links zu sein, aus der Opposition mit in
die Regierung genommen. Von hier aus erledigen sie die gleiche Aufgabe wie
vorher CDU und FDP, nämlich Standortmanagement nach neoliberalem Prinzip.
Geändert hat sich das Argumentationsmuster, mit dem die
Aufgabenerfüllung begründet oder gerechtfertigt wird. Offenkundig ist
dies spätestens seit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien im März 1999
hervorgetreten. Die Positionen, die früher als Kritik an
Regierungshandlungen dienten, müssen nun als Begründung für die
faktisch gleichen Handlungen herhalten. Die vermeintliche Kritik regiert und
ist somit im Auge der bürgerlichen Öffentlichkeit automatisch
mitvertreten. Protest erscheint da offensichtlich unangebracht. Der
Außenminister erklärt, dass Auschwitz sich im Feindesland wiederhole
und zwar in Jugoslawien. Eine aus der Geschichte gelernte
antifaschistische Position soll nun den imperialistischen Krieg
gebieten. Dass das Feindesland schon in zwei Weltkriegen ein solches war,
stört nicht weiter. So werden demokratisch entsandte ECR-Tornados die
gütige Wiedergutmachung des geläuterten deutschen Volkes und seiner
Staatsvertretenden. Dieses argumentative Meisterstück könnte einer
konservativen Regentschaft nicht glücken. Mit ihm hat Rot-Grün seine
eigentliche Qualifikation für die Verwaltung der Macht bewiesen. Was sich
nun abspielt, ist die Übertragung desselben Argumentationsmusters in die
Innenpolitik.
> das problem...
Zu entnehmen ist der derzeitigen Presselandschaft, welche Maßnahmen der
bürgerliche Antifaschismus gebietet. Dass verstärkte
Videoüberwachung an Bahnhöfen, die weitergehende Erfassung von
Straftätern in Karteien und weitere Einsatzgebiete für
die paramilitärischen Polizeieinheiten des Bundesgrenzschutzes vor allen
Dingen die Repression gegen beliebige Störfaktoren im Verwertungsablauf
erleichtern, ist schwer zu übersehen. Eine weitere Verschärfung des
Demonstrationsrechts hat die gleiche Stoßrichtung, behindert darüber
hinaus jedoch vor allem linken Protest. Gegen die Nazi-Szene, die vielerorts
aus einer gesellschaftlich integrierten Position heraus agiert, können
Gesetze im allgemeinen wenig Wirkung haben. Dieses gilt auch für den
Kristallisationspunkt des Verbotes der NPD, die nur eine politisch isolierte,
organisatorische Spitze darstellt. Die Substanz der völkischen
Massen findet sich weit über solche Organisationen hinaus in der
ganz normalen Bevölkerung und reicht bis weit in die
etablierten Parteien hinein. Ob von hier nur klammheimliche Billigung für
das eliminatorische Treiben ausgeht oder frenetischer Beifall, entscheidet
für die Nazis über politischen Erfolg oder Misserfolg. Und in weiten
Teilen Deutschlands, auch jenseits des Ostens, muss von Erfolg gesprochen
werden. Der Staat hat seinen Frieden mit dieser Entwicklung gemacht und
bekräftigt dies, indem er nach wie vor mehr gegen
Ausländer tut, als der gesamte Nazi-Mob es könnte. Abschiebung,
Abschiebehaft und Illegalisierung sind eine ständige Bestätigung der
Teilnehmer am deutschen Staatsvolk als höherwertige Menschen. So wird die
mörderische Praxis dann auch verstanden und die deutsche Identität
bleibt konsensual an Blut und Boden geknüpft. Der völkische
Nationalismus musste zwar seinen Hut vor der auf Pässe keine
Rücksicht nehmenden Verwertungslogik ziehen. Dennoch ging es bei der
Greencard-Diskussion um das Aufenthaltsrecht angeworbener Fachkräfte eben
nur um einen neuen Vertrag mit nicht-deutscher Arbeitskraft. Eine
politisch-rechtliche Anerkennung als Mensch bleibt an eine deutsche
Staatsbürgerschaft gekettet. Letztendlich handelt es sich dabei nur um
eine Standortaufwertung und -veredelung. Dass die Wirtschaft diese erst
vehement einfordern musste, macht deutlich, wie schwierig es dem
deutschen Geist fiel, diesen Modernisierungsschritt hinzunehmen und
zu verarbeiten. Dabei steht am jetzigen Punkt nur die Erkenntnis, dass auch
nicht-deutsche Arbeit vaterlandsförderlich sein kann. Das
macht Ausländer noch lange nicht zu
Volksangehörigen, zumindest nach deutsch-nationaler Logik. Der
nationale Konsens wird nach den Kriterien der Standortlogik modifiziert, aber
nur um sein Bestehen zu sichern. Was wäre schließlich ein deutscher
Standort ohne deutsche Nation? Bürgerlicher Antifaschismus muss als
vollzogene Bewältigung der Vergangenheit das rot-grüne
Puder auf dieser Fratze der neuen Weltmacht sein.
und die lösung: radikale linke, revolution, kommunismus! <
Die deutsche Geschichte macht eine angemessene Betrachtung des Faschismus nur
möglich unter Einbeziehung fundamental-gesellschaftskritischer
Gesichtspunkte. Dies ist die eigentliche Bedeutung des Horkheimer Diktums:
Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll auch vom Faschismus
Schweigen. Eine solche Betrachtung verlangt automatisch nach
Widerstand. Sie würde durch eine staatlich-demokratische
Verstümmelung des Begriffs von Antifaschismus unmöglich gemacht.
Dieser Begriff ist zentral für die heutige linksradikale Praxis und
Weiterentwicklung. Mehrere 100 außerparlamentarische Antifa-Gruppen
bundesweit eint der Konsens der Erkenntnis, daß eine Abschaffung
faschistischer Gruppierungen bzw. des Faschismus generell ohne eine Abschaffung
kapitalistischer Verwertungslogik nicht möglich ist. Die Bewegung ist
heterogen und erscheint in der jetzigen gesellschaftlichen Debatte um
Rechtsextremismus handlungsunfähig, zumindest findet sich wenig in den
hiesigen Medien. Und ihre Notwendigkeit wird von der derzeitigen Entwicklung
nur unterstrichen. Für sie stellt sich also die Frage, ob sie ihre
Zersplitterung und Diffusität überwinden kann, um in eine
handlungsfähigere Position zu gelangen. Ein bürgerlicher Staat kann
weder Rassismus noch Rechtsextremismus wirkungsvoll bekämpfen,
sondern bringt beide selbst mit hervor. Sich gegen die Nazis als Erscheinungen
der bürgerlichen Gesellschaft zu richten, ist nur als Widerstand gegen den
Staat möglich. Nur der Kampf gegen die Wurzeln, aus denen nicht nur die
braune Brut erwächst, bietet eine tatsächliche Perspektive auf
Befreiung nicht nur von den Nazis. Die Aufgabe, vor die uns ein in
diesem Sinne ernstgenommener Antifaschismus stellt, ist der Aufbau einer
konkreten Form von Gesellschaftskritik nichts anderes also als
revolutionärer Widerstand.
göttingen . august/september 2000 . autonome antifa [m] . organisiert
in der AA/BO
|