Die Antifa ist tot, es lebe die Antifa!
Redebeitrag der Autonomen Antifa [M] Göttingen
Verbündete und Mitstreitende,
wir, die Autonome Antifa [M] aus Göttingen, heißen Euch willkommen
im Raster des Widerstands. Unser Blick streift in den nächsten Minuten
kurz über die bundesweite antifaschistische Bewegung.
Die Demonstration am 7. Oktober 2000 in Berlin gegen den Abschiebeknast und die
NPD-Zentrale war die erste bedeutendere, wahrnehmbare, gesellschaftliche
Äußerung des radikal antifaschistischen Spektrums, seitdem
etablierte Machtbesitzende den Kampf gegen Rechtsextremismus als Politikfeld
für sich entdeckt haben. Dabei tobt mittlerweile seit 3 Monaten der Kampf
um den Standort Deutschland mit Argumenten und Verboten gegen
Stiefelfaschisten.
Der Antifa-Offensive 99 der außerparlamentarischen autonomen Antifa
folgte die auf den Parlamentarismus einschwörende
Antifa-Offensive 2000 des Staates.
Mit dem rot-grünen Regierungswechsel 1998 wurde das zur Wirklichkeit, was
sich bereits durch die 90er Jahre angedeutet hatte: ein veränderter Umgang
offizieller, staatstragender Politik mit der nationalsozialistischen
Vergangenheit und der rechtsextremistischen Gegenwart faschistischer Terror-
und Brandpolitik. Nicht mehr die Hofierung der Stiefelfaschisten und ein
Verschweigen der Folgen des Nationalsozialismus sind an der Tagesordnung.
Vielmehr soll der historische deutsche Faschismus als zwar grausames, jedoch
abgeschlossenes Kapitel in die Akten der Geschichte eingehen. Die Stiefelnazis
haben weniger nationale Freiräume.
Mit einer antifaschistischen Rhetorik derjenigen Alt-68er, die jetzt in der
Bundesregierung sitzen, wurde der NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien
ideologisch in der Heimatfront durchgesetzt.
Eine ähnliche Argumentationslinie erleben wir jetzt in der Innenpolitik.
Übrig bleibt in der Regel eine mit dem Image des Humanismus und
Fortschritts etikettierte Bundesregierung, die an Glaubwürdigkeit
dazugewonnen hat und gleichzeitig ehemals oppositionelle Kräfte auf das
deutsche kapitalistische System eingeschworen hat.
Geschieht das gleiche mit der Antifa? Ist der Ansatz schon jetzt, nachdem er
sich fast 10 Jahre als systemoppositionelle grundsätzliche Kritik
entfalten konnte, gegen die Wand gefahren?
Für diejenigen, die Antifaschismus als Recherchearbeit und vordringlichen
Kampf gegen Stiefelfaschisten betrachtet haben mit Sicherheit. Der Staat
besetzt das Feld des Antinazibekämpfers vom Dienst wesentlich
überzeugender. Es gibt nichtsdestotrotz zahlreiche Regionen in der BRD, wo
eine Abwehr des faschistischen Terrors notwendig und berechtigt ist.
Für den Teil der Antifa, zu dem auch wir uns zählen, nämlich
jenen, der Antifaschismus unter revolutionären Vorzeichen versteht, ist
der Kampf gegen Kapitalismus weiterhin auf der Tagesordnung. Ob seine jeweilige
historische Erscheinungsform nun offen faschistisch, schwarz-braun
reaktionär verkohlt ist oder sich selbst in kunstvoll schillernden
Komplementärfarben Rot/Grün auf dem Laufsteg der Konsumbesessenheit
präsentiert, der Kapitalismus mit seinem Kontroll- und
Überwachungswahn gehört abgeschafft!
Also: Die Antifa ist tot. Es lebe die Antifa!
Voraussetzung jeglicher Perspektive von Widerstand ist neben der
Bestimmung der Stoßrichtung der Politik Kontinuität. Ohne
Kontinuität keine Weitergabe von Erfahrungen. Ohne Weitergabe von
Erfahrungen kein Aufbauen auf Erfolgen und Niederlagen. Ohne Bezugnahme auf
Vergangenes, keine Perspektive der Zukunft.
Ohne den Aufbau der radikalen Linken als Teil der eigenen Politik zu begreifen,
verkommt jeder regionale Ansatz zu Reformismus. Oder konkret für die
jetzige Zeit: Jeder regionalpolitische Ansatz, der sich darauf beschränkt,
beispielsweise Bündnispolitik vor Ort in den Mittelpunkt der eigenen
Politik zu stellen, läuft grundsätzlich Gefahr, ehrenamtlicher
Handlanger staatstragender Bekämpfung von Stiefelnazis zu werden.
Unsere Vorstellung von systemsprengender Politik jedenfalls ist eine andere,
zumal jede Handlangertätigkeit die Glaubwürdigkeit staatstragender
Politik stärkt und radikale Kritik am kapitalistischen Gesellschaftssystem
ausblendet und damit isoliert.
Der Kampf gegen die Isolierung fortschrittlicher Ideen und linksradikaler
Praxis sollte nach wie vor im Zentrum jeglicher Initiativen von
antifaschistischer Seite stehen. Egal, ob wir gegen Stiefelnazis, staatlichen
Rassismus oder wie heute gegen die Überwachungsgesellschaft vorgehen.
Dass nachvollziehbare, kontinuierliche Politik nur organisiert
durchführbar ist, hat sich in den 90er Jahren innerhalb der bundesweiten
Antifabewegung ja rumgesprochen. Ansonsten wird eher weniger gesprochen.
Es gibt weder ein für alle existierendes Diskussionsforum, noch eine
für alle verbindliche Organisierung. Ohne ein gemeinsames Dach und eine
permanente Diskussion über die Gesellschaft bzw. die eigene Politik, ist
jedoch keine Weiterentwicklung möglich. Und das steckt der Antifa zur Zeit
wie Rheuma in den Knochen.
Zwar existiert die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation seit fast
über 8 Jahren, eine Attraktivität besitzt sie im Bewusstsein der
meisten Antifagruppen nicht. Auch einen Unterschied zwischen Organisierung und
Organisation vermag der überwiegende Teil der derzeitigen Bewegung nicht
zu sehen. Vielmehr ist eine abwartende Haltung zur Zeit prägend.
Nun ist ja gegen ein gelegentliches Innehalten, um sich dies oder das durch den
Kopf gehen zu lassen, nichts zu sagen. Wenn aber Sprachlosigkeit und
Handlungsunfähigkeit die Szenerie zu dominieren beginnt, spätestens
dann ist Bewegung durch Beteiligung in die Sache zu bringen.
Aus diesen Gründen wird es im April 2001 einen Antifa-Kongress unter dem
Motto: 2001. Das Jahr. In dem wir Kontakt aufnehmen. in
Göttingen stattfinden. Eingeladen sind alle, die den Kampf gegen
kapitalistische Gesellschaftsverhältnisse noch nicht ad acta gelegt
haben.
Eine Perspektive von antifaschistischem Widerstand wird es nur geben, wenn es
Gruppen gibt, die eine Perspektive eröffnen. Und das geht nur unter
Beteiligung. Beteiligung am Aufbau einer radikalen, antifaschistischen Linken,
die nicht Halt macht vor dem Stiefel einiger zur Zeit unbedeutender
Nazis , sondern losgeht und dem Kapitalismus so gründlich die Beine
wegzieht, dass er zu Boden geht.
In diesem Sinne:
Die radikale, antifaschistische Linke aufbauen!
Kapitalismus abschaffen!
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