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headline, 2.7k
Hip Hop macht blöd – feat. Nina MC
Nach Jahrzehnten progressivem Kampfes gegen gesellschaftliche Missstände ist es um die letzten Aufständigen leise geworden. Einst als der Lebensinhalt einer revolutionären Generation gepriesen, stellt sich die Realität des HipHop mehr als nüchtern dar. Texte, welche an Trivialität und Banalität kaum zu überbieten sind, Melodien, die dem Anspruch eines Grand Prix Eurovision de la chanson nicht gerecht werden können und Interpreten wie Konsumenten, denen der Stumpfsinn förmlich ins Gesicht geschrieben steht. Mit einer einzigen Ausnahme. Diese nennt sich Torch und scheint eine Koryphäe im Bereich Sprechgesang zu sein. Seine Berufung ist Opposition, seine Widersacher jene, welche diese Kultur in den Abgrund führen. Bliebe nur noch eine gute Reise zu wünschen: “Bon Voyage!”

wohin die reise ging
eine Zustandsbeschreibung von gestern bis heute
Wenn die Quantität der Qualität den Rang ablief, handelte es sich bisweilen um Bauvorhaben ostdeutscher Kommunen oder gar um sportliche Belange der hiesigen Fußballnationalmannschaft. Mittlerweile gehen die Uhren jedoch anders. HipHop ist chartkompatibel geworden, fernab jeglicher Ursprünge. An den Spitzen dieser repräsentativen Umfragen geben sich deutschsprachige Rapper die Klinke in die Hand. Was vor Jahren noch als Eingeständnis der Musikindustrie interpretiert werden konnte, ist heutzutage aufgrund der Volkes Stimme angepasster Texte in exorbitantem Ausmaß möglich. Kritische Tendenzen verflachen zusehends, das einst so angesagte Dissing scheint dem Horizont eines solchen, der ein Großer werden will, entwichen zu sein. Mangels politischer Attitüden, Reifeprozessen wie Selbstkritik ist nun HipHop das, was es schon immer war, aber nie werden sollte: nämlich nichts.
Begibt man sich zum Ausgangspunkt zurück, diesem selbst auferlegten Anspruch von Innovation gerecht werden zu können, Graffiti, Breakdance und dergleichen als wesentlichen Bestandteil anzusehen, liegt die Vermutung einer von der Industrie inszenierten Camouflage nahe. Dieser kulturellen Bewegung war es immanent mit Wortakrobatik, aus Mücken Elefanten zu kreieren, aus Scheiße Gold zu machen. Doch allein die Namensgebung deckt den Zwiespalt zwischen Ambition und Wirklichkeit auf. Als eine selbständige Bewegung initiiert nannte man sie HipHop, andere wiederum Rap, womit ausschließlich die Betätigung des sogenannten Rappens umschrieben werden sollte. Vielleicht hätte man sich mit eben jener Lesart begnügen können, umfasst doch der Begriff „HipHop“ eine gesamte Kultur. Woher diese selbstverständliche Selbständigkeit kam, kommt oder kommen wird, erscheint unlogisch. Nähert man sich dem Übel vom Standpunkt der Begriffsdefinition wird schon hier vieles klarer. Zusammengesetzt aus den Bestandteilen hip, was soviel wie „in sein“ bedeutet und hop, deren Umschreibung für Party dadurch zum Ausdruck kommt, ist es eben nichts anderes gewesen, als Gesellschaftsabende zu veranstalten und gleichzeitig nach Macht und Vollkommenheit zu streben, „die Größten“ zu sein. Als Brauchtum deklariert, im Einklang mit Breakdance, Graffiti und der Musik, geprägt durch Armut, Gewalt und dergleichen, scheint es hierzulande eher dem Klischee eines Volkssports mit einhergehender Massenverdummung beikommen zu können, denn sich mit einer Art Lebensweise messen zu lassen. Dieser begegnet man zuweilen im eigentümlichen Kleidungsverhalten sowie den mittlerweile hauptsächlich gewordenen bewusstseinserweiternden Betätigungen. Musikkanäle a la VIVA, MTV und dergleichen haben den neuen Absatzmarkt schnell erkannt. Torchs Interpretation von einer Kultur, die sich der Gesellschaft mit all ihren Normen und Standards angepasst hat, ist nur bedingt zuzustimmen. HipHop war nie. Und bei Leibe keine selbständige Subkultur, fern ab jeglichen gesellschaftlichen Zwängen, sondern immer Bestandteil hiesiger Verhältnisse, denen niemals entronnen werden konnte. Nun ist man unpolitischer als der Schlager, kommerzieller als die Volksmusik, aber einflussreicher als sämtliche Propheten hierzulande. Doch wem nützt dies, wenn all die verwirrten Geister, die ein Konzert besuchen, Platten kaufen und ab und an auch mal eine HipHop Zeitschrift lesen, diametrale Betrachtungsweisen der Autoren einer solchen Publikation als gegeben hinnehmen. Widerspruch ist eben nicht deren Metier.

der intellektuelle Anspruch
alles relativ?
Dass die textliche Ausstattung der Beats nicht viel her gibt, ist indes nicht neu. Zuvorderst als Partymusik angelegt, gilt die zum Sound kompatible Tanzbarkeit als oberste Priorität. So kann es als sicher angesehen werden, „wenn das Deichkind am Mic ist“ seinen „Arsch bewegen“ zu müssen. Ob allerdings die von MC Rene geforderten „90-60-90“ notwendige oder hinreichende Bedingung dafür sind, vermag niemand so recht zu sagen. Auch wenn Thomas D. auf den Straßen von Xavier Naidoo mit seinem Wohnwagen unterwegs ist, scheint Ärger vorprogrammiert zu sein. Kurzum, das Niveau ist bescheiden, den Leuten gefällt’s. Einen Rückschluss auf deren geistige Verfassung liegt somit sehr nahe.

die für hiphop leben
ein fallbeispiel
Als Errungenschaft des deutschsprachigen HipHop kann zumindest dessen internationale Tragweite gelten. In Annahme einer fortschreitenden Popularität lohnt es sich schon jetzt, sein Leben voll und ganz der Musik zu widmen. Letztes Beispiel dafür ist sicherlich Curse, der mit „Ich lebe für HipHop“ neue Maßstäbe setzt. Seine Hommage an das nonplusultra des menschlichen Daseins klingt schon ein wenig abstrus, ja fast lächerlich. Doch auch seine Kollegen wie Kolleginnen haben Prioritäten gesetzt, ihre Betätigungsfelder auf ein Minimum reduziert. Televisionär stets vertreten, die große Familie fortan gepriesen, doch mehr ist leider nicht. Kein Graffiti, kein Breakdance, nur Dogmen aus dem Reich der Fabeln, das ist zu wenig. Auch mit der Authentizität der Willenserklärungen sämtlicher Künstler ist es nicht weit her. Als die Firma ankündigte, sich niemals verkaufen zu wollen oder gar zu werden, war noch heile Welt. Gemeint war wohl unverkäuflich zu sein, zumindest für irgendeine Vernunftlosigkeit. In einem sehr engen Zeit-Raum-Zusammenhang erblickte man eben jenes Ensemble bei einer Hitparadensendung auf RTL 2, fernab vom Kap der guten Hoffnungen. Betrug am Publikum dürfte so etwas wohl genannt werden, doch deren Interesse und Anteilnahme ist begrenzt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann somit festgestellt werden, dass keiner derer auch nur ein Fünkchen von dem für sich beanspruchen können wird, was HipHop wirklich sein soll. Das Privileg, dafür leben zu dürfen, wird sicher nicht in diesen Breitengraden verliehen.

rap is dead
eine zusammenfassung mit schlechtem gewissen
Dass der HipHop-Kultur vom jetzigen Standpunkt aus keine allzu lange Halbwertszeit bevorsteht, gilt als unbestritten. Was tagtäglich im Radio zu hören, im TV zu sehen ist, wird in 20 bis 30 Jahren Diskotheken dazu veranlassen, Themenabende durchzuführen. Wie derzeit Tanzveranstaltung im Stile der achtziger Jahre. Die Entwicklung ist unumkehrbar, auch wenn das schlechte Gewissen des deutschen Raps in Person von Torch, nur dafür zu existieren scheint, den imminenten Untergang mit all seiner Kraft, seinem Elan aufzuhalten. Ihm das Prädikat für HipHop zu leben nachzusagen, wäre sicher eine Beleidigung. Selbst ihm wird es nicht gelingen, doch getreu dem Grundsatz, wer kämpft, kann verlieren, wer nicht, der hat schon, ist ihm jedes Mittel recht. Ziemlich unterschwellig prangert er den gegenwärtigen Zustand an, sehr nachhaltig schafft er dabei Überzeugung, bei denen die zuhören. Doch das Geschäft für den, welchen es angeht, kann auch er nicht übernehmen. Genießt also die nächsten Stunden, es könnten die letzten sein.
Teewald
torch, 22.4k


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last modified: 28.3.2007