|
Jede Retro-Bewegung beginnt heute auf dem Flohmarkt. Das
ist mit dem Disko-Sound der Achtziger so wie mit dem Jazz der frühen
Sechziger und Siebziger. Während das eine, das Notwist Side Projekt
Console, sich auf den Achtziger-Electro-Sound (Zero Zero) konzentriert, geht
das andere, das Tied+Ticked Trio, den längeren Weg zurück und
orientiert sich musikalisch an den alten Heroen des Jazz. Wie überhaupt in
Germany sich so viele momentan auf Jazz berufen. Es gibt Fusionen im Hip Hop,
bei elektronischen Clubmusik-Projekten und auch im Rock, das ganze ist dann
Postrock. Das Trio, das in einer De-Bug Rezension als die Deutschen
Tortoise des Jazz betitelt wurde, orientiert sich u.a. an Miles Davis,
Herbie Hancock und gesellschaftlich am eigenen Vinylcase oder am New Jazz Hype
in Germany wie weltweit. Dabei ist Jazz als Sample in populären Sounds in
Germany ein reines KonsumentInnengut. Keiner der wichtigsten hiesigen
Pop-Protagonisten unserer Zeit propagiert live oder über Medien so
explizit politische Messages in unsere Gesellschaft, wie es in den Sechzigern
und Siebzigern via alter Jazz- und Soul-KünstlerInnen insbesondere in
Amerika übermittelt wurde. Trotz aller Kritiken können wir dankbar
sein, daß hiesige Projekte der Omnipräsenz des 80er
Mainstream-Diskosounds und Faschorocks noch anglo-amerikanische Subkulturen
entgegensetzten, auch wenn sie mit der Zeit in den Clubs weltweit mehr gebucht
werden als in den hiesigen. Ob die Band sich gesellschaftlich mit den Problemen
dieser Welt auseinandersetzt, gilt es zu hinterfragen. Betrachtet man die
musikalischen Linernotes des Trios aus Weilheim, Support Touren u.a. für
Stereo Lab, eigene Touren mit Notwist, Console und das ständige
Produzieren, Veröffentlichen, Vermarkten von neuen Releases, bleibt da
wahrscheinlich nicht viel Zeit über. Aber unterm Strich ist das ja fast
schon die Definition für die deutsche Popkultur. Produzieren,
Touren, Verkaufen, ständig präsent sein, höher, schneller,
weiter nur so kann sich der neue Tonträger gut verkaufen. Die
Industrie freut sich nebenbei auch noch über die Fusion aus Flohmarkt,
Record Store und Club. Gesellschaftlich passiert dabei nicht viel, außer
daß einige wenige die große Welt sehen und ihre Schäfchen ins
Trockene gebracht haben bzw. die Konzert-KonsumentInnen für den Abend des
Events sich einen günstigen Rausch besorgen. Bei einem bin ich mir trotz
vorangegangener Kritik ziemlich sicher. Typen wie die aus der Weilheim Posse
wird es immer weniger geben. Denn wer von den jüngeren Generationen wird
heute, im Zeitalter der electronischen Musik, noch mit Live Gitarre und Bass
groß (Rock ist Tod)? Und bis die erkennen, daß Live-Musikformen wie
Soul, Jazz, Bossa, Reggae-Dub im Ursprung mindestens genau soviel Subkultur
waren wie Hardcore und Punk, ist der größte Teil von ihnen schon am
Familien-Tisch oder in der Psychiatrie gelandet. Und deshalb ist das alles kein
Negieren des Trios, sondern eine positive Vibe an die Weilheim Posse.
velocity |
|