home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[66][<<][>>]

Schnee von gestern:

surrogat, 0.7k

Sie wird heiss, heisser am heissesten diskutiert, diese Platte namens „Rock“, die Surrogat da nach drei Jahren Ruhe vorlegen.
Sie macht jene Frage wieder salonfähig, die mit Nirvana & Co. schon einmal beantwortet wurde: Ist der Rock nun tot?
Die Feststellung einer wiederkehrenden Diskussion verweist ausreichend auf den Haken bei der ganzen Sache: nur jene diskutieren darüber, die in den 70ern und 80ern tatsächlich bessere Zeiten des Rock erlebten, als jener noch zum Sprachrohr des Subjektivismus taugte, ohne darüber die gesellschaftlichen Misstände aus dem Blick zu lassen. Es war die Zeit, die die erste Person des Ich zur unmittelbaren gesellschaftlichen Reflexion des fuckin’ Systems zwang weil es zum Selbstverständnis gehörte, die Gesellschaft für die eigene missliche Lage verantwortlich zu machen. Doch das ist Schnee von gestern.
Der Zeit, als Popkultur noch etwas galt, weinen jene berechtigte Tränen nach, die die Ödnis der Popkultur von heute unerträglich finden. Das sind vorrangig gerade jene, die durch genau jene Ödnis in Lohn und Brot stehen. Jene also, die in den 70ern und 80ern so richtig dabei waren und heute viel mehr nur noch mit dem materiellen Herzen der eigenen Existenzsicherung an der Sache hängen.
Surrogats Platte ist eine Nostalgiescheibe, die ihre Wirkung bei all denen verfehlen muss, die den Hass auf die Gesellschaft und ihre Ablehnung noch niemals mittels subversiver, rebellischer Kultur erleben durften – denen also die adäquate Sozialisation mangels, sagen wir, der Un-Gnade später Geburt nicht vergönnt war oder ist. „Rock“ drückt die Sehnsucht derer aus, die manchmal wegen des schlechten Gewissens nicht schlafen können. Bei denen ballt sich die Faust und zeigt sich die Gänsehaut auf dem Arm, wenn Surrogat ihre sich minimalistisch steigernde Phraseologie rauslassen: „Gib mir alles, gib mir alles ... – muss zerstört werden“ oder „Ich will Geld!“ wird zu „Ich will Geld nicht wollen!“ wird zu „Ich will Geld nicht wollen müssen!“. Surrogat machen Punk-Rock nach Art Steve Albinis ohne notwendig dazugehörende Bewegung. Und das geht nicht! So gehört die Scheibe sogleich zu einem Teil der Gesellschaft und nicht zu ihrem Widerpart! Selbst wenn sie Leuten aus der 90ies-Generation gefallen sollte, kann sie nichts mitliefern, was deren Sozialisation als Systemgegner nachhaltig prägt: ausser geiler Mucke, geiler und ausgefallener Texte nichts gewesen.
Die perverse Schizophrenie des Pop ist haargenau dieselbe des Kapitalismus. Verweigerung bedeutet totale Bedeutungslosigkeit und Popularisierung zahlt den Preis des Marktes, der sich im Verlust jeglicher Subversion ausdrückt. Nur eine schwindende Minderheit findet das so richtig zum Kotzen und balanciert deshalb immer am Rande der Verzweifelung.
„Rock“ ist ein Liebhaberstück, ein Survival-Paket. Ein Soundtrack zur Rebellion kann es nicht sein. Denn zum Kotzen ist, dass die ganze Chose kaum jemand zum Kotzen findet. Und so gerät auch diese Platte zur Begleitmusik der verkrachten Existenzen, die von der Gesellschaft zu ewigen Nörglern degradiert werden. Es gibt demzufolge nur eine Alternative: „Alles muss zerstört werden“.
Ralf


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[66][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007