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Schröder, Naumann und die Nazis Vom deutschen Umgang mit Auschwitz und neuen Fehlern der Linken. | |
erstens Am 29. Januar marschierte ein Haufen Nazis mit dem üblichen Brimborium durch das Brandenburger Tor. Gegen das Holocaust-Mahnmal, dessen symbolischer Baubeginn kaum zwei Tage zurücklag. Zehn Jahre lang wollte es auch sonst kaum jemand in Deutschland wirklich haben, jetzt zelebrierten die fast vollzählig angetretenen Volksvertreter die Einweihung öffentlichkeitswirksam zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Und fast zeitgleich forderte Kanzler Schröder auf einer internationalen Holocaust-Konferenz angesichts der Aktivitäten von Neo-Nazis eine internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Hasspropaganda und Gewaltverherrlichung. Deutschlands Kulturminister Naumann verkündete ebenso engagiert die Einrichtung eines Holocaustfrühwarnsystems. Beide ernteten dafür Beifall im In- und Ausland. Einen Tag später marschierten die Nazis durch Berlin, laufen sie dort, wo am 30. Januar 1933 Hitlers Anhänger die Machtergreifung feierten, und wo seit 1945 keine ähnliche Formation zu sehen war. Symbolträchtige Dichte also Ende Januar mit einem häßlichem Tupfer für das auf einmal so geschichstbewußte Land. Schädlich eventuell auch für Image und Tourismusbranche. Man
zweitens Und wirklich. Der Nazi-Aufmarsch war unter einem gewissen Blickwinkel die reinste Lachnummer. Glauben wir den Augenzeugen und nicht der Presse, dann waren es 800 bis 1000, die gegen das Mahnmal auf die Straße gingen. Also trotzdem nur ein winziger Bruchteil der Antisemiten und Schlußstrichzieher, die von der Verfolgung und Vernichtung der Juden nie ein Wort hören wollten oder sich jetzt, nach so langer Zeit jede Erinnerung verbitten. Was hätte es auch für ein Gewimmel vor dem Brandenburger Tor gegeben, wenn die über sechzig Prozent der Deutschen, die laut Umfrageergebnissen so denken, ihrer Einstellung gefolgt wären. Auch abzüglich der Kriegsversehrten und Knastis sicherlich ein Spektakel weit eindrucksvoller und vor allem repräsentativer als die Love Parade. Der 29. Januar aber hat erneut gezeigt, die Mehrheit dieser Deutschen hat was begriffen. Nicht unbedingt wegen Auschwitz, aber wegen Stalingrad schickt es sich, nicht immer so antisemitisch und nationalistisch aufzutreten, wie man eigentlich ist. Das muß kein Dauerzustand sein, wie das Wahlverhalten in Sachsen-Anhalt oder das der Ex-Deutschen aus der Ostmark zeigt. Aber im Großen und Ganzen beißen sich die BRD-Nazis an der Nachkriegstabuisierung immer noch die Zähne aus. Wenn es also weitergeht wie bisher und derzeit deutet einiges daraufhin, daß die rechte Szene auf hohem Niveau, im strengen macht-politischen Sinn aber bedeutungslos, stagniert, wird auch den ehrlichen Braunen der zweiten Nachwende-Offensive der Griff zur Macht verwehrt bleiben. Statt dem erträumten Posten im Generalgouvernement, heißt die Perspektive wieder normal Autowerkstatt mit Häuschen oder Knast. drittens Die Deutschen werden derweil von anderen Anführern, mit etwas mehr Gespür besonders in geschichtspolitischen Belangen angeleitet. Oder anders: Der rot-grüne Umgang mit den Verbrechen der Vergangenheit ist im Vergleich zur dumpfen Agitation von NPD & Co. so modern und erfolgreich wie es heute die Tornados der Bundeswehr gegenüber den Stukas der Wehrmacht wären. Schröder, Fischer und Naumann demonstrieren nicht gegen das Holocaust-Mahnmal, sie weihen es symbolisch ein. Und codieren es um. Denn nicht das Denkmal, welches an das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, an die Opfer und an die Täter des Holocaust erinnert, werden sie, wie diesmal schon, auch die nächsten Jahre jeden 27. Januar besuchen, sondern einen alemannischen Triumphbogen, eine neue deutsche Siegessäule, die für die Emanzipation der Deutschen von ihrer Vergangenheit steht. Dieses Husarenstück gelang weder über das Leugnen noch über das lange Zeit vorherrschende Beschweigen der Verbrechen. Noch mit Walsers Friedenspreisrede, dem Pläydoyer des Volksschriftstellers, das Erinnern dem Gewissen der Deutschen zu überlassen, es also abzuschaffen, sah es für einen Moment so aus, als würde sich diese Herangehensweise durchsetzen. Aber das eigentliche Ergebnis der Walser-Debatte war, daß die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit auf der Tagesordnung stand und zur Verhandlungsmasse wurde. Clever aufgegriffen von der Strategie der Achtundsechziger mit Regierungsmacht und Propagandahegemonie. Als es darum ging, die Mitte der Gesellschaft, also die Mehrheit auf ihren Kurs einzuschwören, kredenzte man ihr einen Mix aus Zivilgesellschaft und nationaler Identität. Aber im Gegensatz zu den durch die Erinnerung an die NS-Verbrechen eingeschränkten Versuchen der Rechten, machte man aus der Not eine Tugend und begründete jetzt jede Regung des nationalen Selbstbewußtseins als Konsequenz aus Auschwitz. Weil im Kosovo angeblich ein neues Auschwitz bevorstand, mußte unbedingt völlige militärische Souveränität her, mußte ein Angriffskrieg mit deutscher Beteiligung geführt werden. Wer im In- und Ausland konnte den Deutschen verwehren, daß sie politische Konsequenzen aus dem Holocaust ziehen? Bekanntlich klappte es hervorragend. Statt Schlußstrich und kollektivem Beschweigen machte die Kriegspropaganda mit der Auschwitz-Metapher einen Lärm, daß es weh tat. Und bis heute hat sich dieser nicht gelegt. Nur 24 Stunden bevor der Nazi-Haufen durchs Brandenburger Tor marschierte, spuckten Schröder und Naumann auf besagter Holocaust-Konferenz in Stockholm die großen Töne. Es müsse ein Holocaustfrühwarnsystem eingerichtet werden, um schnell gegen Übel dieser Art losschlagen zu können. Mit ihrem feierlichen Bekenntnis zum Kampf gegen Völkermord und Rassenhass heimsten sie den Applaus der hochkarätigen Delegierten ein und zu Hause freute sich zumindest alles, was rot-grün ist. Aber was für eine Überraschung, auf der Demo gegen die Nazis waren weder Schröder und Naumann, noch die anderen Verfassungspatrioten und Zivilgesellschaftler, die Auschwitz heute so leicht im Munde führen, zu sehen. Selbst wenn das Frühwarnsystem schon instaliert gewesen wäre, vor deutschen Nazis und vor Antisemitismus wird es wohl nie warnen. Dafür jedoch den einen oder anderen, als internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Hasspropaganda und Gewaltverherrlichung getarnten Kriegseinsatz der Bundeswehr zu legitimieren wissen. So könnte es sein, daß nicht nur wegen der Bomben auf Belgrad, sondern auch dank des Engagements des Kanzlers und seines Staatsministers in der Berliner Republik immer mehr Deutsche Auschwitz lieben lernen. Auf eine ganz besondere Art und Weise, versteht sich. viertens Und die Linke? Wie verhält sie sich zur perfidesten Strategie der deutschen Politik seit der Erfindung von Volk und Raum? Früher mußte man schon sehr skeptisch sein, weil die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht gerade das Steckenpferd der Linken war. Wenn sie sich damit mühte, so mußte einem vor den Ergebnissen Angst und Bange werden. Schuld am NS war das Kapital und das erste Opfer war die Arbeiterklasse. Warum also an die Juden denken. In der Sorge um das strukturell sicher geglaubte linke Subjekt, kehrte man lange Zeit den Antisemitismus der Täter, und den ihrer Nachkommen gleich mit, unter den Teppich. Sowas gab es nur als Erfindung der Zionisten, damals ein Synonym für die verteufelten Agenten des internationalen Kapitals. Doch die Zeiten ändern sich. Ökonomistische Erklärungsansätze des deutschen Faschismus sind ebenso wie Antizionismus mehr oder weniger out. Die Schwäche der Linken nach 89 hatte auch ihr Gutes. Kleine subversive Einheiten der Antinationalen waren auf einmal die einzigen, deren Inhalte sich nicht an der Wirklichkeit blamierten. Angesichts brenennder Flüchtlingsunterkünfte, einer rassistischen Bevölkerungsmehrheit und daraus folgender Gesetzgebung, machte sich die letzte übrig gebliebene relevante Organisationsform der außerparlamentarischen Linken die Antifa einen Teil des Positionenfundus antinationaler Zirkel zu eigen. Fortan wurde auf Demos der Spruch, nachdem hinter dem Faschismus das Kapital steckt, von der antinationalen Parole Nie wieder Deutschland getoppt. NS-Vergangenheit, Nationalismus, deutsches Großmachtstreben, Antisemitimus und Rassismus waren jetzt wichtige Themen für die Linke. Schade nur, daß die Lernerfolge dem federführenden Lehrer-Kollegium auch heute noch am Arsch vorbei gehen. Beispiel: Nazi-Aufmarsch in Berlin. Da schreibt eine Antifa-Gruppe, die Antifaschistische Aktion Berlin, einen Aufruf zu Gegenaktivitäten, so einen hat die Szene noch nicht gesehen. Da steht alles drin, was richtiges und wichtiges über die antisemitische Normalität in Deutschland, über Walser und über die rot-grüne Auschwitzlüge gesagt werden muß. Am Ende keine platte, sondern folgerichtige Quintessenz: Unabhängig von der Frage, ob ein zentrales Monument tatsächlich die angemessene Art und Weise ist, die nationalsozialistischen Verbrechen zu vergegenwärtigen: Eine antifaschistische Linke muß das Projekt eines Mahnmals zur Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen verteidigen gegen den antisemitischen Mob genauso wie gegen die nationalen Deutungsversuche der politischen Entscheidungträger. Und was passiert? Nur schlappe 800 Antifas stehen den Nazis in Berlin-Mitte gegenüber. Daß dies ein neuerliches Anzeichen für das mangelnde oder falsche geschichtspolitische Bewußtsein der Szene ist, stimmt nur zum Teil. Weil sich in dieser Beziehung positive Veränderung immer wieder zeigen, der Aufruf ist nicht einfach ein Zufallstreffer und schon bei den Walser-Auftritten waren es Teile der Antifa-Linken, die versuchten gegenzuhalten, soll darauf nicht weiter rumgehackt werden. Diejenigen, die es reflexhaft weiter tun, verbreiten an einem relevanterem Manko vorbei die falsche Angst vorm Bärenfell. Ganz oben an die Jungle World. Wohl eine der wichtigsten linken Publikationen geifert sie ständig gegen die Antifa, insbesondere gegen die oben hervorgehobene Berliner Abteilung. Eine nun schon seit Jahren peinlich improvisierte Antifa-Seite, die unbedeutenden Dorfnazis Name und Adresse gibt und offensichtliche Strukturen aufdeckt, kann über die distanzierte Haltung gegenüber den wenigen öffentlichkeitswirksamen Antifa-Gruppen nicht hinwegtäuschen. Ähnlich verhält es sich mit dem wohl bedeutenstem Inhaltsvermittler innerhalb der Linken, der Zeitschrift konkret. Als diese im letzten Jahr um die Unterstützung des Antifa-Kongresses in Leipzig gebeten wurde, kam nicht viel mehr rum als warme Luft. Keine Referenten, kein Artikel... Nicht, daß man die Antifa dissen würde, nur ernstnehmen und unterstützen will man sie nicht. So bleibt ein Spalt zwischen linken Gruppen und ebensolchen publizistischen Multiplikatoren, der sich inhaltlich immer weniger erklären läßt. Aber genau dieser trug wesentlich dazu bei, daß bei einem Thema, welches die gesamte Linke seit Jahren bewegt, nur ein winzig kleines Häuflein von Demonstranten Position bezieht. Zur Freude von Schröder, Naumann und zur Freude der Nazis. frank |
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