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, 0.0k 1999, 1.8k

Man spricht deutsch.

Ein Rundgang durch das vergangene Jahr.

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Der Versuch, die eigene Geschichte neu zu schreiben, kommt hierzulande zügig voran. Neben dem offenen Geschichtsrevisionismus eines André Brie oder Rudolf Scharping, gibt immer wieder die Sprache Hinweise auf den Bewusstseinzustand. Ob in der ZDF-Sportsendung eine Nationalfechterin unwidersprochen davon erzählt, dass die neuen Fechtmasken „noch nicht die Endlösung“ seien oder der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir die Worterfindung von den „ZwangsarbeitnehmerInnen“ in die Runde wirft. Wenn die F.A.Z. die DKP als „eine reinrassige Nachfolgeorganisation der KPD“ benennt, eine Kerstin Decker in der rechts-alternativen taz das Buch „It's a Zoni“ wie folgt erwähnt: “Seltsamer Eifer, den ganzen Osten als tiefbraun zu erklären und nicht zu spüren, dass man anstelle von ‘die Zonis’ hier jederzeit ‘die Juden’ einsetzen könnte.“ Wenn deutsche Ärzte gegen die Gesundheitsreform mit Orthographie und Inhalt in heutigem Deutsch demonstrieren: „Stoppt dies moderne Eutanasieprogramm“, die Direktorin des UN-Kinderhilfswerkes Unicef von einem neuen Holocaust angesichts der Ausbreitung von HIV in Entwicklungsländern spricht.
Ein Rundgang durch das vergangene Jahr

BILD, 22.8k

Januar

Am zweiten Januartag liefern die tagesthemen einen Beitrag über die Beisetzung von Tamara Bunke auf Kuba. Über den anwesenden PDS-Vorsitzenden vermutet Autor Michael Herbolz, „da wird sich Herr Bisky wohl wie in alten Zeiten gefühlt haben. Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen.“ Nach verschiedenen Ausflüchten – der Autor sei Ostdeutscher oder in der DDR seien diese Zeilen in einem „Antifamarsch“ von 1932 untergebracht worden – entschuldigt sich der ORB-Fernsehdirektor bei Bisky für die Worte aus dem Horst-Wessel-Lied. Dabei wird bekannt, dass weder beim ORB noch bei der Endredaktion jemand etwas bemerkt hat bzw. haben will.

Nach der Vereinbarung einer SPD-PDS-Regierung in Mecklenburg-Vorpommern, regt Erwin Huber, Chef der bayerischen Staatskanzlei, eine Beendigung der finanziellen Bund-Länder-Leistungen für die neuen Bundesländer sowie die Aufkündigung der förderalen Beziehungen an.
Nachdem er Huber ein geringeres Niveau als Franz Schönhuber bescheinigt, erklärt der PDS-Bundestagsabgeordnete Rolf Kutzmutz: „Er stigmatisiert die Ostdeutschen in einer Weise, wie es andere bayerische Politiker vor einem Dreivierteljahrhundert mit den Juden begangen.“
Die „sozialistische Zeitung“ ND druckt dies kommentar- und distanzlos auf Seite 1.
Auch in den folgenden Monaten sehen ostdeutsche Tageszeitungen ihre Leserschaft in der Rolle der „neuen Juden“.
So berichtet im Titel die Freie Presse über die „Kritik an der Sonderbehandlung der ostdeutschen
Braunkohle“. Und im Lokalteil der Sächsischen Zeitung lautet die Überschrift zu einem Artikel über Benzinpreise: „Keine Sonderbehandlung für das Grenzgebiet“.

In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des „Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege“ macht sich Manfred Riebe in einem Leserbrief an die Frankfurter Rundschau Gedanken zur Einführung der Rechtschreibreform: „Das erinnert an die Meinungsdiktatur des Dritten Reiches. Tatsächlich verbirgt sich unter dem roten SPD-Mäntelchen ein braunes Kuckucksei.
Wieso? Hitler hatte 1941 zunächst die deutsche Schrift verboten, weil er sie irrtümlich für ‘Schwabacher Judenlettern’ hielt, und hatte dann 1944 eine Rechtsschreibreform einführen lassen, die den ursprünglichen Entwürfen der heutigen Rechtschreibreform verblüffend ähnlich ist. Die Aktionen Hitlers wurden von geschäftlich interessierten Wirtschaftskreisen finanziert. Die gleichen Motive sind auch Triebfeder für die gegenwärtige Rechtschreibreform...“

In einem Dresdner Hotel findet die Podiumsdiskussion „Die Wende in Dresden“ statt. Das spätere Mitglied der „Gruppe der 20“ und heutige CDU-OB der Stadt, Herbert Wagner, gibt aus seinem „persönlichen Tagebuch der Revolution“ über den 4.10.89 zum Besten, wie Geschichte zweifach umgelogen werden kann – einmal das Ereignis vor 10 Jahren, zum anderen der historische Vergleich. „Ich löse mich aus der Menge, gehe auf die Polizisten zu und sage: Ihr seid ja schlimmer als die Nazis!“ Schlimmer als! Das Publikum spendet an dieser Stelle Beifall.

März

In einer Debatte im sächsischen Landtag im März 1998 äußerte sich der Landtagsabgeordnete Volker Schimpff (CDU) u.a. so: „Das war keine Bodenreform, das war Klassenmord, so wie wenige Jahre vorher die Nationalsozialisten Rassenmord begangen haben. Die Ähnlichkeit Ihrer sozialistischen ‘Bodenreform’ versuchen Sie nachträglich mit Lügen und Propaganda historisch zu rechtfertigen... Es ist und bleibt Ihre ewige Lüge.“ Unterstützung gab es durch Justizminister Steffen Heitmann, der anführte, die „Alteigentümer... sind deportiert worden wie vorher die Juden. Freilich sind sie nicht in die Gaskammer getrieben worden.“
Die Forderung der PDS, Landtagspräsident Iltgen solle wenigstens Ordnungsruf erteilen, wurde von diesem verneint, da der MdL das Wort „Holocaust“ nicht gebraucht habe, also habe kein Vergleich stattgefunden. Ein Landtagsjurist bestätigte diese Sicht.
Ein Jahr später versucht die SPD, Schimpff vom Vorsitz des Verfassungs- und Rechtsausschusses abzulösen. Das Ansinnen scheiterte am 30. März 1999 an den Stimmen der CDU.

Im berliner Bundestagsgebäude sollen Künstler aus Staaten der Anti-Nazi-Koalition ausstellen, was der CSU-Innenpolitiker Wolfgang Zeitlmann als einen „Kotau vor den Siegermächten“ versteht. Als einen „Skandal“ sei gleichfalls die bei der Renovierung wiederentdeckten „Russen-Graffitis“ zu konservieren.
Bereits im Januar hatten sich Uwe Lehmann-Brauns, Dissidenten-Anwalt und kulturpolitischer Sprecher der Parlaments-CDU, sowie Manfred Wilke vom „Forschungsverbund SED-Geschichte“ zur „Erinnerungskultur“ in Berlin geäußert, konkret zur Aufstellung eines Holocaust-Mahnmals in Form einer Stele. Wilke fügte an, diese könnte dann hinter dem sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Tiergarten stehen, „um die Nähe der nationalsozialistischen zur kommunistischen Diktatur zu versinnbildlichen“.

MOPO, 21.0k

April

Die Nachrichtenagentur dpa berichtet über den Prozess gegen einen MfS-Mitarbeiter in Westberlin. In einem Porträt wird vermerkt, dass der Mann „als Halbjude selbst von den Nazis verfolgt“ worden war. Diese Wortschöpfung der Nazis wird von verschiedenen Zeitungen unkorrigiert übernommen.

Mai

Auf 30 000 Zetteln will die Firma Burger King in Erfurt für ihre Produkte werben – mit der Aufschrift „Jedem das Seine“ (Unterzeile: „Die Doppelpacks für alle Party-Hungrigen“). Der aus dem römischen Recht entlehnte Satz wurde 1937 von den Nazis am Eingangstor des KZ Buchenwald, in der Nähe von Erfurt, angebracht. Dort starben 56.000 der 250.000 Inhaftierten.
Bereits im vergangenen Jahr hatte die Firma Nokia verschiedenfarbige Handys auf Werbetafeln und in Zeitungen mit dem Zitat beworben.
Von einem Dresdner Gericht werden drei Personen zu einer Geldstrafe verurteilt. Sie hatten im September 1998 zur Eröffnung des Heeresschule in der Landeshauptstadt ein Transparent gehisst mit der Aufschrift „Himmler, Mielke, Rühe – alles eine Brühe“. Um ihre Unwissenheit in historischen Angelegenheiten zu unterstreichen, hatten sie den Buchstaben s im Wort „alles“ durch die SS-Runen ersetzt. Das Dresdner Amtsgericht, das nicht wegen der Nazisymbolik verhandelte, sondern wegen Hausfriedensbruchs, stellte das Verfahren gegen Zahlung von je 300 DM ein.

Transpi, 15.0k

Juni

Im ND schreibt Helga Slowak unter der Überschrift „Endlich ist der Adel da!“: „Besonders ausländische Modeschöpfer und Juweliere bedienen sich gern der hochwohlgeborenen Titelträgerinnen, um ihre Läden anziehend und noch teurer zu machen... Und mit müdem, aber starkem Lächeln berichtet die Gräfin im Fernsehen, daß es ja ‘unendlicher Erfahrung’ bedarf, um z.B. 800 Leute bei der Einweihung des Jüdischen Museums in Berlin in richtiger Tischordnung zu plazieren... Besonders unsere jüdischen Mitbürger sind anfällig. Vielleicht, weil es das gebildete, geistig-interessierte jüdische Bürgertum, das es in jeder Weise mit den ortsansässigen Adelsfamilien aufnehmen konnte, kaum mehr gibt.“

Juli

Das wegen seiner antiisraelischen Berichterstattung bekannte Neue Deutschland lässt sich immer wieder etwas Neues einfallen. In einem Bericht über den Friedensplan des israelischen Premiers Ehud Barak, wird, in Anspielung auf die deutsche Übersetzung des Wortes Barak „Blitz“, festgestellt, dass er einen „Frieden im Nahen Osten erreichen will – einen Blitzfrieden also.“ Gegen die Vorstellung Baraks werden dann Einwendungen vorgebracht, um mit dem Abschlusssatz zu einem historischen Vergleich in Frageform zu kommen. „Die Frage stellt sich also: Baraks Blitzfrieden oder Baraks Blitzkrieg?“

August

Der Kabarettist Dr. Seltsam beschreibt in der jungen Welt ein Ereignis zwischen Westberlin und der DDR im Jahr 1987. Damals hielten Linke ein hinter der Mauer liegendes, aber noch zur DDR gehörendes Teilstück besetzt. Mittels Polizei wurden sie vom Senat drangsaliert und konnten sich deren Zugriff nur durch Flucht über die Grenzanlage in Richtung DDR entziehen. Dr. Seltsam: „Zweihundertfünfzig junge Menschen flüchteten über die Mauer, aber diesmal in umgekehrte Richtung! Flüchteten vor den Gasgranaten des westdeutschen Polizeistaates, der schon wieder eine andersartige Lebensweise ausmerzen wollte.“

Oktober

In der Nachtsendung „Rahbari Live Mitternachtsshow“ von TV.Berlin, bei welchem auch der Rechtsaußen Heinrich Lummer eine Talkshow leitet, lässt der Moderator Christian Rahbari die Zuschauer raten, was er in einer verschlossenen Schachtel habe. Es sei „ein toter Jude“, sagt ein Anrufer. Worauf Rahbari erwidert: „Kann ja gar nicht sein. Da passt ja keine Dusche rein.“

Anlässlich der in Frankfurt am Main stattfindenden Buchmesse mit dem Schwerpunkt „Ungarn“, hetzt der ungarische Rechtsextremist Istvan Csurka gegen jüdische Schriftsteller. Es werde „durch die Besatzung“ die „ungarische Literatur verfälscht“. Von einem von der USA ausgehenden „Dollareinfluss“ der „Lauder-Bronfmann-Gruppe“, ist die Rede. „In Frankfurt vollzieht sich der Holocaust an der ungarischen Literatur.“ Die Hoffnung der ungarischen Autoren, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als Ausrichter der Messe werde sich deutlich gegen diese Angriffe aussprechen, wurde enttäuscht. Eugen Emmerling, der Sprecher des Börsenvereins, wiegelt ab: „Wir wissen, dass es rechtsradikale Tendenzen auch in Ungarn gibt. Aber wir wollen dies nicht überbewerten und ihnen keinen Resonanzboden geben.“

November

Anlässlich der Grenzöffnung am 9. November 1989 erklärt der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Luther, mit dem Abstand von zehn Jahren könne eingeschätzt werden, dass dieser Tag „ein Tag der Befreiung gewesen“ sei. Dass es sich nicht um einen Versprecher handelte, bestätigte das Gründungsmitglied der DDR-SPD Stephan Hilsberg. Das Datum, so der jetzige Bundestagsabgeordnete, sei „fast so wichtig wie der 8. Mai 1945“.

Dezember

„Kälte-Front dem Krieg“. So wirbt die Werbefirma K.E. & Kingstone für Heizgeräte der deutschen Firma DBK David & Baader auf Taiwan. Auf den Plakaten ist Adolf Hitler mit erhobenem rechten Arm zu sehen. Das Hakenkreuz auf dem Armbinde wurde das Firmenzeichen ersetzt. „Wir haben uns entschieden, Hitler für unsere Werbung zu nutzen, weil man sofort an Deutschland denkt, wenn man ihn sieht“, hieß es unfreiwillig doppeldeutig von Seiten der Werbefirma. Die sofort informierte Firma DBK reagierte erst nach 14 Tagen: Man hätte nichts gewusst. Dann wurde auf Beendigung der Werbung gedrängt.

I. Alles Nazis?

Neben der Andeutung zu Nazi-Praktiken (Gleichschaltung), ist es für manche nur noch ein kleiner Schritt im Gegner einen praktizierenden Hitler (Endlösung) zu sehen:
Der bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU) warnt, die Kultusministerkonferenz dürfe die deutschen Schulen und Hochschulen nicht länger gleichschalten.
Eine Kampagne wie diejenige gegen das 630-Mark-Gesetz, hat Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) nach eigenem Bekunden, noch nie erlebt. Es gibt „in der sogenannten öffentlichen Diskussion“, so Riester, „fast eine Gleichschaltung der deutschen Presselandschaft“.
Nach der Ankündigung der neuen Bundesregierung, Umbesetzungen in ihren wissenschaftlichen Beratergremien, den Sachverständigen-Kommissionen, vorzunehmen, empört sich Hans-Peter Repnik, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion: „Sie setzt damit die Brutalität des Personalaustauschs in den Ministerien seit der Bundestagswahl fort... Wäre das Wort nicht historisch vorbelastet, könnte man von Gleichschaltung sprechen.“
Können konnte wenige Tage später der FDP-Chef Wolfgang Gerhard. Auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen erklärt er zum selben Sachverhalt, dieser käme „einem Versuch der Gleichschaltung nach innen gleich.“
Da von der Neubesetzung der Gremien auch die Reaktorsicherheitskommission betroffen ist, macht sich ein Dr. Ludwig Lindner in einem Leserbrief an die F.A.Z. dazu Gedanken: „Die Absetzung der international anerkannten Fachleute der Reaktorsicherheitskommission und die Ankündigung der Besetzung mit Atomkraftgegnern erinnert an die Diktaturen der Nationalsozialisten und der SED. Auch dort war Ideologie wichtiger als Fachwissen.“
Daran konnte einige Wochen später in einem Radio-Interview der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu (CSU) anknüpfen, indem er ein Gleichheitszeichen zwischen der Atompolitik von Bundeskanzler Schröder und der Judenvernichtung setzt. „Im übrigen“, so Wiesheu, „ist es eine Art Überheblichkeit zu meinen, man könne eine derartiges Problem endgültig lösen. Es hat in diesem Jahrhundert einen gegeben, der Fragen endgültig lösen wollte. Er war nach zwölf Jahren am Ende.“

II. Vom Denunzianten zum Geschichtsrevisionisten – Der kurze Marsch des André Brie

„Wenn man aber“, so der Irrealo André Brie im Februar letzten Jahres in einem Interview, „im Sinne von Hannah Arendt Totalitarismus als Bewegung sieht, dann muss ich sagen: Die DDR war nicht verbrecherischer als der Nationalsozialismus, ganz und gar nicht. Aber totalitärer waren Sowjetkommunismus und DDR im Anspruch, alles unterzuordnen unter einen gestaltenden gesellschaftlichen Willen.“ Kurz vorher war Bries Meinung noch etwas deutlicher geworden, als er ausführte, „dass die realsozialistischen Länder eigentlich viel totalitärer waren als der Nationalsozialismus.“
Ähnlich unsinnig wie die Formel „dümmer als Brie“, ist die Briesche Aussage „eigentlich viel totalitärer als“. Inhaltlich wie auch sprachlich lässt sich das Wort „totalitär“ (allumfassend) nicht steigern. Mag dies noch marginal sein, wird das ganze Elend des Reformtotalitären an der Definition sichtbar. Jede Totalitarismus-These setzt sich aus mehreren Voraussetzungen zusammen, z.B. Repression nach innen, Aggressivität nach außen, Gleichschaltung der Medien. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, ist das totalitäre System eben keines. Und so ist es unsinnig sich a la Brie einen Aspekt herauszunehmen, um ihn in Verhältnis mit Nazi-Deutschland zu setzen.
Sich dann noch auf Hannah Arendt zu beziehen, die die DDR ausdrücklich als einen nichttotalitären Staat bezeichnet hat, ist ungefähr so sinnvoll, wie die Gründung eines Instituts mit dem Namen Hannah Arendt in Dresden, um vergleichende NS-DDR-Forschung zu betreiben. Niemand bei halbwegs klaren Verstand käme auf so einen Einfall.
Der Vorteil der Brieschen Äußerung war die Bekenntnisse, die ihr folgten. So schloss sich die Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt dem Vordenker an. Sie könne sich, so die Politikstudentin zur Begründung, noch gut an die Fackelumzüge der FDJ erinnern. Auch Dieter Klein, heutiges Vorstandsmitglied der PDS-eigenen Luxemburg-Stiftung, der in den achtziger Jahren mit den Brie-Brother absurde Reformsozialismus-Konzeptionen entworfen hat, unterstützte den Liebling der Partei.
Unter der sprachlich mutigen Überschrift „Brie nach Europa!“ setzten sich u.a. Bundestagabgeordnete wie Ruth Fuchs, Manfred Müller und Christie Ostrowski, Landtagsabgeordnete wie Matthias Gärtner und Heiko Hilker, PV-Mitglieder und Parteiunabhängige wie Barbara Thalheim für den Geschichtsrevisionisten ein.

Für André Brie, einen „der großen kritischen Intellektuellen im vereinten Deutschland“, machten sich in einer bezahlten Anzeige auch französische Reformkommunisten stark. Dass sie wie auch ihr Klient das „Schwarzbuch des Kommunismus“ begriffen haben, lassen sie mit kräftiger Metaphorik das Publikum wissen: „Für ihn (A.B.) ist es vordringlich, im kritischen Nachdenken bis auf den Grund des Totalitarismus zu gehen, die Wunden mutig zu reinigen und daraus neue Wege der Hoffnung für das vereinte Deutschland und für Europa zu öffnen.“
Anfang März wurde Brie trotz seiner Äußerungen auf Platz 2 der Europawahlliste geschoben. Dieser Putsch von oben, wie Winfried Wolf die Intervention des PV und insbesondere die Brandrede Lothar Biskys bezeichnete, ist ein Lehrstück für die innerparteiliche Erneuerung.
Eine Erkenntnis, die unerwartet im ND zu finden war, macht zwar das Klima in der PDS („unter vier Augen“) und die Verlogenheit deutlich, nannte aber auch keine Gründe. Unter der Überschrift „Wenn ein PDS-Stratege vergleicht – Brie total“ meint der Kommentator: „Was wäre passiert, hätten Thierse oder Gauck exakt zum Beginn des PDS-Parteitages in einem Interview mitgeteilt, die DDR war zwar nicht verbrecherischer als der Nationalsozialismus gewesen, aber totalitärer im Anspruch, alles einem Willen unterzuordnen? Die PDS hätte sich aufgeregt, prinzipielle Erklärungen formuliert – völlig zu Recht. (...) Gelten solche DDR-NS-Vergleiche als künstlerisch wertvoll, wenn sie ein PDS-Stratege von sich gibt? Unter vier Augen befragt, reagierten etliche PDS-Politiker auf Brie mit einer Mischung aus Empörung und Ratlosigkeit. Laut widersprechen wollte bis zum Sonntag nachmittag niemand. Warum nicht?...“

III. Der Serben-Hitler auf dem Auschwitzfeld

Ob die unsäglich Vergleicherei mit dem Besuch in Auschwitz durch Rudolf Scharping und Bundeswehrangehörigen im März 99 begann, ob Peter Handke der Erste war oder bereits sechs Jahre zuvor der sächsische Dissident Werner Schulz mit seiner Äußerung „Gegen die von Serben und Kroaten betriebene ‘Endlösung’ der Moslemfrage muss man bereit sein, bewaffneten Widerstand zu leisten“ den Startschuss gab, ist heute kaum mehr nachzuvollziehen. Dass es aber, angeführt von der Neuen Mitte, ein Großreinemachen bezüglich der deutschen Geschichte gab, ist das bleibende Verdienst der rot-grünen Bundesregierung.
Mitte März hatte Peter Handke dem serbischen Fernsehen erklärt, dass was „die Serben seit acht Jahren durchgemacht haben, hat in diesem Jahrhundert kein Volk durchgemacht.“ Für diese indirekte Holocaust-Anspielung entschuldigte sich Handke brieflich im Magazin Focus, was ihn aber nicht hinderte im Mai dem Magazin News zu Protokoll zu geben: „Für mich ist das Antiserbentum, das als Hauptschmutzstrom gegen das Volk auftritt, ein Schimpfwort wie Antisemit geworden... Die Antiserben sind für mich auf andere Weise genauso übel und unerträglich wie die Antisemiten in ihrer schlimmsten Zeit.“ Noch deutlicher wird der Autor wenige Tage später im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: „Die Nato sagt, es geht uns nicht um Geld oder Macht, es geht uns um die Sache. Wir wollen ein neues Auschwitz verhindern. Gut, jetzt hat die Nato ein neues Auschwitz erreicht... Damals waren es Gashähne und Genickschusskammern; heute sind es Computer-Killer aus 5000 Meter Höhe.“
Welcher Art die Vergleiche und deren Intensität seien werden, welche von Gerhard Schröder, Joseph Fischer und Rudolf Scharping zur Rechtfertigung des Krieges benutzt würden, war nicht vorauszusehen. Für die Grünen war mit der Aufnahme von Teilen der erzreaktionären DDR-Bürgerrechtsbewegung eine Unterstützung zugunsten Realos zugewachsen. Neben dem oben zitierten Werner Schulz, setzten sich 1993 auch Gerd Poppe und Vera Wollenberger für eine militärische Intervention ein. Wer dem nicht folgen wollte, war für sie ein “Mörder”. Ein Teil von Bosnien, so die grüne Bundestagsabgeordnete, sei ein großes Ghetto.
Das war gute Vorarbeit für die Joseph Fischer, der erschrocken reagierte, „dass Milosevic bereit war zu handeln wie Hitler und Stalin: einen Krieg gegen die Existenz eines ganzen Volkes zu führen... Ich sehe eine Parallele zu diesem primitiven Faschismus. Es ist offensichtlich: Die 30er Jahre sind wieder da, und das können wir nicht akzeptieren.” Denn der Diktator hat eine “serbische Sonderpolizei, gewissermaßen die SS von Herrn Milosevic“. Und andernorts: „Was Milosevic treibt, ist eine völkische Politik, es ist eine rohe, barbarische Form des Faschismus.“ Eine Einschätzung die vor Fischer der lange Zeit versehentlich für links gehaltene Ludger Volmer formulierte: „Das, was Milosevic betreibt ist Völkermord. Und er bedient sich der gleichen Kategorien, derer sich Hitler bedient hat.“ Für Daniel Cohn-Bendit und Heide Rühle waren die, die nicht „Krieg geil“ gröhlten, auch Faschisten. Auf einer Europawahlkampfveranstaltung rief erster dem protestierenden Publikum zu: „Faschisten seid ihr... Aber ich sage euch, Milosevic ist ein faschistischer Nazi, da könnt ihr schreien, wie ihr wollt.“
Noch verrückter schien es nicht zu gehen. Bis Rudolf „Ich sage bewusst KZ“ Scharping auftrat. Aus dessen umfangreicher Propaganda erscheint ein weitgehend unbekannter Vortrag an der „European Business School“ als Essenz. Nicht nur mit Köpfen von Kindern würden die Serben Fußball spielen, sondern auch Frauen den Fötus entreißen, grillen und anschließend wieder in den Bauch legen.

Ob Rechts, ob Links, ob Neue Mitte, der Auschwitz/Nazi-Vergleich, also die Geschichtsfälschung, ist das verbindende Element, egal, ob man sich für oder gegen den Krieg äußert.

Der russische Autor Alexander Solschenizyn setzte das Verhalten der Nato ins eins mit dem Hitlers. Angesichts der Überlegung von Karl Lamers, dem außenpolitischen Sprecher der CDU im Bundestag, das Kosovo zu teilen, lässt Tilman Zülch, den Vorsitzenden der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, aufheulen, dass Lamers in der „Tradition von Hitler und Stalin“ über ein Land verfügen wolle. Vuk Draskovic von der „Serbischen Erneuerungsbewegung“ forderte im Juni eine „Entnazifizierung“ in Serbien. Und der ehemalige Liedermacher Lerryn, der unter dem Namen Dieter Dehm stellvertretender Vorsitzender der PDS wurde, hatte die Geschichte präsent. „Ich schäme mich, dass es unter unmittelbarer Beteiligung von deutschen Soldaten wieder einmal gegen die geschundene Minderheit der Roma geht – wie 1995 im Zusammenhang mit der brutalen Vertreibung der Hunderttausende Roma und Serben aus der Krajina durch das kroatische Militär mit NATO-Beratung. Wie 1941 bis 1944 während der Besetzung Jugoslawiens durch die Hitler Wehrmacht. Und: wie in Auschwitz.“ Und über die Bombardierung jugoslawischer Städte wusste die ehemalige Brecht-Schauspielerin und Friedens-Aktivistin Käthe Reichel in der jungen Welt zu berichten: „Letztlich ist es für diese glühenden Städte ein demokratisches Auschwitz in Freiheit. Letztlich ein Auschwitz vom Himmel durch Abstimmung seines Parlaments hienieden!“ Frank Wehner referiert über “Gescheiterte Blitzkrieger” im ND-Kommentar, dass „der Bosnien-Erfolg wäre ohne Moslems und Kroaten nicht errungen worden, die als Fußvolk sich verheizen ließen. Diesmal reicht eingeborenes Kanonenfutter leider nicht... Auch das ist eine Lehre der Geschichte: Es gab schon manchen, der auf Blitzkrieg setzte. Und hoch war stets der Preis, wenn er gescheitert ist.“


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last modified: 28.3.2007