Welch irritierende Vorstellung, daß sich alle
Deutschen schuldig gemacht hatten - die einen durch ihre verbrecherischen
Taten, die anderen durch Wegschauen... am Ende fanden weder ich noch andere
Leute eine nennenswerte Zahl von Oppositionellen, die offen oder versteckt
gegen das Hitlerregime gekämpft hatten, sondern nur erbärmliche
Mitläufer. |
Dreiundfünfzig Jahre hat es gedauert bis Padovers
Gesprächsprotokolle, die Ende 1944 bis März 1945 aufgezeichnet
wurden, in Deutschland erscheinen konnten. Nachdem Goldhagen sich mit
Deutschland ausgesöhnt hat, dürften Padovers Notizen die Deutschen
zwar mehr oder weniger interessieren, aber zu größeren
Gefühlswallungen wird es wohl nicht mehr kommen. Eine deutsche
Geschichtsschreibung, die Täter- und Opfergruppen gleichsetzt, die den
Mythos vom guten Deutschen, der nichts vom Holocaust wußte,
aufrechterhält und die die alleinige Schuld für die deutschen
Verbrechen bei den faschistischen Machthabern sucht, wird wohl auch Padover auf
die ein oder andere Weise in Ungnade fallen lassen.
Saul K. Padover wurde 1905 als Sohn jüdischer Eltern in Wien geboren. 1920
wanderte er mit seiner Familie in die USA aus. 1938 wurde er persönlicher
Referent des Innenministers. 1943 wechselte er in die Abteilung für
Psychologische Kriegsführung nach London. 1920 und 1931 hatte er in
Deutschland gelebt und galt deshalb als Deutschlandspezialist. Seine Kenntnisse
über die Hitlerdeutschen bei seiner Landung in der Normandie stammten
jedoch nur aus zweiter bzw. dritter Hand. Die Aufgabe der Abteilung für
Psychologische Kriegsführung bestand darin, die ideologische Mauer
zu sprengen, die Goebbels rings um Deutschland errichtet hatte. Dazu
bedurfte es aber der Kenntnis darüber, was in den deutschen Köpfen
vor sich ging. Padover führte Interviews mit Vertretern aller sozialen
Gruppen, vom Arbeiter bis zum Pfarrer, von der Lehrerin bis zum Nazibonzen, und
kam bald zu der Erkenntnis, das es noch lange nicht zu Ende war.
Nach einem seiner ersten Interviews in einer Ortschaft nahe Aachen mit deren
Bürgermeister Wagemann, der vorgab ausschließlich Befehlen gehorcht
zu haben, lautete Padovers Fazit: Durch das Gespräch mit Herrn
Wagemann wurde mir zum erstenmal der Zusammenhang zwischen guten
Deutschen und Gaskammern klar. Es bestand eine logische Verbindung zwischen
Vernichtungslagern und August Wagemanns Haltung. Zu diesem Zeitpunkt
hatten Padover und sein Kollege noch die Hoffnung, daß Wagemänner
die Ausnahme seien, und daß es in Nazideutschland auch Widerstand gegeben
haben müsse. Im Verlauf der Gespräche mußte er jedoch
feststellen, daß sich die Deutschen fast ausnahmslos als Opfer ihres
Führers sahen und in Selbstmitleid ertranken. Padover beginnt, sie mehr
und mehr zu verachten und entwickelt im Verlaufe seiner Darstellung eine
antideutsche Haltung. Seine Sympathie gilt ausschließlich den
Zwangsarbeitern aus Osteuropa und den Soldaten der Roten Armee, bei deren
Charakterisierung er jedoch allzuoft in Stereotypenbeschreibungen
verfällt.
Im Gegensatz zu Goldhagen kommt Padovers Buch nie dahin, Deutschland einen
Persilschein für seine gelungene demokratische Entwicklung auszustellen.
Schon 1945 schien klar zu sein, daß die Deutschen ihre Schuld am
Holocaust auch in Zukunft verdrängen und verharmlosen würden. Ihre
Unterwürfigkeit, ihr Selbstmitleid und ihre Gleichgültigkeit waren
das Schlimmste.
Bei einer Lesung in Aachen 1999 reagierten die deutschen Zuhörer wie
gewohnt: Alles Lüge, es sei ja modern auf die Deutschen
einzudreschen, die Stadt würde besudelt und da
müßte die Stadtverwaltung mal ein klärendes Wort
sprechen. Die Parallelen von 1944 zu 1999 sind in diesem Beispiel
eindeutig.
Neben seinen Interviews mit den Deutschen und dem damit verbundenen Wunsch,
Deutschland bald verlassen zu können, berichtet Padover auch über
andere Aspekte, die mit dem Kriegsende in Zusammenhang stehen. So hatte die
amerikanische Militärverwaltung die schwierige Aufgabe, die deutschen
Städte wieder funktionstüchtig zu gestalten. Dafür gab es keine
klar formulierte politische Linie und anstehende Fragen wurden je nach dem
Standpunkt des jeweiligen Offiziers gelöst. Militärverwaltungen
werden daher fast jede Person einstellen, die ihnen geeignet erscheint, beim
Wiederaufbau der Stadt kompetent mitzuwirken. Und so stützt man sich auf
Nazis und Nazisympathisanten...
Ein typisches Beispiel für das deutsche Bewußtsein spiegelt ein
Interview mit einer Lehrerin wider. Ob sie politische Fächer
unterrichtet oder ihren Schülern von politischen Begebenheiten
erzählt habe? Um Gottes willen, wo denken sie hin! rief Frau
Pernitz schockiert. Ich habe nur Lesen und Rechnen unterrichtet.
Vorgelesen habe ich einfache, unpolitische Kindergeschichten, etwa aus dem
Leben unseres Führers.... Frau Pernitz Augen leuchteten bei der
Erinnerung an die Kindheit des Führers. Kein einziges Mal kam ihr das Wort
Hitler über die Lippen, stets verwendete sie der Führer
und sprach die Worte ehrfurchtsvoll und verzückt aus.
F.M. |