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The Last Dance – Der letzte Walser.

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von Gunnar Schubert

„Meine Rede wurde, das ist unübersehbar, befreiend empfunden. Das Gewissen befreiend.“ Martin Walser

Wenn jemand keine Meinung hat, dann macht man gern eine öffentliche Person zur eigenen Meinung. Und so hat man hier wie da seinen ganz persönlichen Lieblingsjuden. Die Freunde des Lustigen haben den Ephraim Kishon. Die antitotalitäre Gefühls- und Lichterkettenlinke bezieht sich gern auf Ralph Giordano. Zur deutschen Gesamtentlastung gibt es Zitate von Salcia Landsmann. Die CSU, der Bayerische Rundfunk und der restliche rechte Rand können jederzeit mit dem Michael Wolffsohn rechnen.

Seit der Verleihung des Friedenspreises des Börsenvereins des deutschen Buchhandels an Martin Walser am 11. Oktober bedarf es nicht mehr unbedingt der Tröstung der Deutschen von außen. Der Dichter sagte, was die meisten der Anwesenden schon lange dachten, sich zu sagen aber bisher nicht unbedingt trauten. Seit Franz Strauß („Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht, hat ein Recht darauf, nichts mehr von Auschwitz hören zu wollen.“) hat, vom nationalliberalen Herausgeber des Männermagazins Der Spiegel einmal abgesehen, sich nur selten einer in solcher Form zum Sprecher der schweigenden Mehrheit gemacht. Die 1198 anwesenden Gäste, unter ihnen der ZK-Chef der Katholiken in seiner Eigenschaft als sächsischer Wissenschaftsminister, spendeten dem Redner, der seit Jahren sein letztes Interview verspricht, großen Beifall. 1198 befreite Zuhörer erwiesen stehende Ovationen, den Autor zu Ehren. Zwei weitere Anwesende aber erhoben sich nicht von den Plätzen. Das Ehepaar
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„Man muß sich diese Idee bildlich vorstellen: Massendemonstrationen in Berlin gegen das Holocaust-Mahnmal.“
Bubis. „Der Unterschied zwischen dem johlenden Mob von Rostock-Lichtenhagen“, merkte Tjark Kunstreich an, „und den 1200 Applaudierenden in der Paulskirche besteht lediglich darin, daß die einen Würstchenbuden aufstellen, wo die anderen ein kaltes Büfett erwartet.“

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Daß der Walser etwas sagt, was er dann so nicht gemeint hat bzw. laut meint, was andere auch schon mal so sagen würden, wenn sie es formulieren könnten, ist in den Leserbriefen diverser Tageszeitungen auf des Autors Frankfurter Rede nachlesbar.

So wurde der Dichter, der in der F.A.Z. nicht einmal den Titel der Diskussion richtig widergeben kann, auch falsch durch den Tagesspiegel-Reporter Martenstein zitiert, der von der Veranstaltung „Deutsche Juden, Deutsche und der Holocaust“ im Juni diesen Jahres berichtete. Dort hatte der Friedenspreisträger, Jane Kramer zustimmend zitierend, das Mahnmal als eine zukünftige „Kranzabwurfstelle“ bezeichnet. Seine eigene Wortschöpfung ist die vom „fußballfeldgroßen Albtraum“. Und statt des Bundestages, so Walser, müßten die Berliner über den Bau entscheiden, denn „die Berliner müssen ja mit dem Mahnmal leben.“ Die Berliner sollten also entscheiden. Aber wie? Harald Martenstein hatte die Anregung weiterentwickelt: „Man muß sich diese Idee bildlich vorstellen: Massendemonstrationen in Berlin gegen das Holocaust-Mahnmal.“ Und als hätte er Walsers Einwand, dies habe er nicht gesagt, schon geahnt, fügt der Reporter an: „Der Schriftsteller Walser, der sich oft mißverstanden fühlt, tanzt wieder einmal auf einem dünnen Seil.“

Die Frankfurter Allgemeine, die dem Dichter bereits vor, während und nach seiner Friedenspreis-Rede helfend zur Seite stand, gab ihm auch diesmal die Möglichkeit, sich richtig darzustellen: als Opfer. Das Opfer, welches sich schon oft und scharf gegen den Bau des „Mahnmals für die ermordeten Juden Europas“ geäußert hatte, würde sich aber die Entscheidung als Bundestagsabgeordneter nicht leicht machen. „Da müßte ich mich besinnen, wie ich mich noch nie im Leben besinnen mußte.“ Um dann doch wieder nicht so ganz richtig dafür zu sein. So konnten Bericht und Interview im Nachrichtenmagazin Bunte vom 24. Juni, wo es eindeutig zweideutig hieß, daß Walser „sich zweimal mutig und ehrlich zum Holocaust-Mahnmal geäußert (hat). Immer wurde der Dichter mißverstanden. Mit Absicht?“, nur eines zeigen: Der Dichter ist dagegen, hat aber vom Thema keine Ahnung. Wer an allem Ärger Schuld ist, weiß er aber genau. Der „Vorsitzende des Zentralrats deutscher Juden“ (sic!), denn „es ist Herrn Bubis’Beruf dauernd solche Sachen zu sagen.“

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Und nicht nur in Frankfurt am Main 1998 hatte man Walser so verstanden wie das Publikum, darunter das Ehepaar Bubis, also richtig.

Man möchte angesichts der bereits erwähnten Leserbriefe gar nicht wissen, was im Einzelnen in den 1000 zustimmenden Briefen stand, unter 1000 machen es wohl der Deutschen Dichter und Führer überhaupt nicht mehr, von denen Walser immer wieder sprach. Seine Rede sei als befreiend empfunden worden, verkündete er. Wer oder was hat die Deutschen und deren Gewissen aber bisher in Unfreiheit gehalten? Jud Bubis? Die Weisen von Zion? Windige

„Wer sich selbst entlarvt

Martin Walser hat es nun mal an sich, daß er gerne schwammig spricht und sich anschließend hinter Mißverständnissen versteckt, die er selbst ausgelöst hat. Diese Art zu reden, ohne die eigene Meinung direkt auszusprechen, hat ja bei ihm schon eine gewisse Tradition.
Wenn Walser nun erst vehement gegen das Holocaust-Mahnmal wettert und dann meint, daß die Berliner eine wahl haben und sich bei dieser Wahl entscheiden sollen: Was kann das anderes bedeuten als die Aufforderung, der Mahnmals-Initiative einen Denkzettel zu verpassen? Verwundert hat mich aber auch etwas anderes: Walser, der sonst gegen eine Instrumentalisierung von Auschwitz für gegenwärtige Zwecke ist, zitiert plötzlich eine Person, die sagt, der Tagesspiegel-Beitrag sei im ‘Stürmer’-Stil verfaßt worden.
Und Walser widerspricht dieser Person nicht etwa, sondern transportiert deren These. Damit entlarvt er sich wieder einmal selbst. Ignatz Bubis“

Stellungnahme von I. Bubis im Tagesspiegel vom 17. Juni zur aktuellen Auseinandersetzung.

jüdische Anwälte aus New York, die 53 Jahre nach Kriegsende für die Überlebenden „unserer Schande“ (Walser) „überzogene Wiedergutmachungsforderungen an die deutsche Industrie“ stellen (Gerhard Schröder)? Man weiß es nicht. Und weiß es doch gerade deshalb ganz genau.

Die Frankfurter Paulskirchen-Rede des ehemaligen Flakhelfers Martin Walser, der von Marcel Reich-Ranicki als Literat anerkannt wurde, als er sich aus dem DKP-Umfeld löste, ist aus dessen Entwicklung zum Heimatdichter heraus logisch und kann nicht verwundern. Der Zeitpunkt allerdings paßt zur alten Rotzigkeit der Neuen Mitte, quasi als Gründungsmanifest der Berliner Republik.
Bubis hatte vor der Bundestagswahl darauf hingewiesen, sollte Kohl nicht Kanzler bleiben, gebe es kein Holocaust-Mahnmal in Berlin. Schröders Schatten-Kulturminister Naumann hatte sich von dem Bau, welchen er auch mit Speerscher Architektur verglich, distanziert und für den Wiederaufbau des Stadtschlosses plädiert. Was mit der Neuerrichtung des zerstörten Kölner Dom nach dem Krieg gelungen sei, sei auch mit dem Stadtschloß möglich. Abgesehen davon, daß das Kirchenbauwerk lediglich partiell zerstört war und das Berliner Bauwerk kulturhistorisch nicht einmal den Stellenwert einer Nebensächlichkeit hat, war der Zusammenhang zwischen dem Wiederaufbau des in der Ulbricht-Zeit abgerissenen Bauwerks und der Ablehnung des Mahnmals für die Opfer der Shoa, nur als Zeichen für den zu erwartenden Umgang der neuen Regierung mit der Vergangenheit zu werten. So hatte Schröder, der als niedersächsischer Ministerpräsident Aufsichtsratsmitglied bei Volkswagen war, entscheidenden Anteil an der Weigerung des Konzerns, Zwangsarbeiter zu „entschädigen“. Er selbst warnte davor, daß das Mahnmal mitten in Berlin nicht ausreichend gesichert werden könne vor Schändungen, was nur belegt, daß er seine Wähler ganz gut kennt. Es solle ein Ort werden, so der Bundeskanzler, „zu dem die Menschen gerne hingehen.“ Auch der von Schröder wiedererweckte Zeit-Herausgeber, der ehemalige Wehrmachts-Oberleutnant, Helmut Schmidt, der sich von seinen Eltern emanzipierte indem er gegen deren Willen der HJ beitrat, äußerte sich in diesem Sinne. Schmidt, mit dessen Sekundärtugenden, so Oskar Lafontaine in seinen klügeren Tagen, man auch ein KZ leiten könne, dieser Helmut Schmidt hielt 1993 die Trauerrede für den Millionär Alfred C. Toepfer, der nach Auskunft des Holocaust-Leugners Thies Christophersen sein Förderer war. Unter den anwesenden Gästen ebenfalls: Klaus von Dohnanyi.

Was Dohnanyi in der „Walser-Bubis-Debatte“ an behutsameren Umgang von Bubis mit den verletzbaren nicht-jüdischen Deutschen verlangte, hatte bereits Franz Schönhuber etwas weniger schöngeistig, aber ähnlich kraftvoll bereits vom damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland gefordert: „Herr Galinski, ich bin kein Antisemit, aber hören Sie auf, Patrioten zu beschimpfen... Stellen Sie Ihr Geschwätz ein. Wir lassen uns nicht weiter demütigen.“ – Finden Sie 5 Unterschiede zu Dohnanyi.

Er habe während des Streits die Klassenkumpanei gewollt, er habe die Klassenkeile bezogen, war da von linker Seite zu hören. Richtig ist, Ignatz Bubis hat sich vor sie gestellt, als es galt, Namen und Adressen zu nennen. Als das Gesindel in Rostock-Lichtenhagen sich zur Gemeinschaft formierte, welche auf Mord aus war, da sprach er in den USA von einzelnen Verwirrten. Für die Wir für Deutschland-Kampagne ließ er sich für ein Plakat ablichten, auf welchem er bekannte, ihm schmecke die Suppe (Deutschland), auch wenn ein Haar darin sei. Wer Bubis allerdings in den Wochen der Auseinandersetzung gehört hat, wird Veränderungen bemerkt haben, die gravierend sind. Doch auch wenn dem nicht so wäre, verböte sich angesichts Bubis’ Familiengeschichte und einem Leben, welches ohne tägliche Drohbriefe und Leibwache nicht denkbar ist, jedwede Freude, auch die klammheimliche, über die bezogene „Klassenkeile“.
Der 8. Mai 1945 war für die Deutschen, die wenigen Ausnahmen reichen gerade zur Bestätigung der Regel, ein Tag der Niederlage, der Schande. Der Untergang eines 1000jährigen Reiches, in welchem sich auch mit der „Arisierung“ um das Wohl der kleinen Leute gesorgt wurde. Am 8. Mai aber hatte von Osten her das bolschewistische Untermenschentum gesiegt. Im Westen hielt die jüdische Wallstreet mit verniggerter Musik Einzug. Der Tag der nationalen Demütigung über 50 Jahre.

Das ist vorbei. Der 11. Oktober 1998 wird ihnen nun als Tag der Befreiung bleiben. Ausgegeben von einem deutschen Dichter, abgeklatscht von den Eliten, bestätigt von den breiten Massen.
Sie sind wieder bei sich.

Literatur:

  • Rohloff, Joachim „Ich bin das Volk. Martin Walser, Auschwitz und die Berliner Republik“, KVV „Konkret“, DM 22,80
  • von Klotz, Johannes, Wiegel Gerd (Hrsg.) „Geistige Brandstiftung? Die Walser-Bubis-Debatte“, Papyrossa, DM18,-
  • Dietzsch, M., Jaeger, S., Schobert, A. (Hrsg.) „Endlich ein normales Volk? Vom rechten Verständnis der Friedenspreisrede Martin Walsers“, DISS, DM 25,-
  • Landtag NW „Die Walser-Bubis-Kontroverse. Eine Dokumentation des Streites um die Friedenspreisrede von Martin Walser, gehalten am 11.10.1998" (Kostenlos zu beziehen: Landtag NW, Referat II.4 Bibliothek, Informationsdienste, Archiv, Telefon 0221-8842112)


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last modified: 28.3.2007