Im Kosovo herrsche nicht nur NS-Faschismus sondern
»barbarischer Faschismus« behaupten Sie. Also etwas noch
fürchterlicheres als der industriell organisierte Massenmord der Deutschen
an Millionen von Jüdinnen und Juden, Sozialisten, Kommunisten, Roma und Sinti und OsteuropäerInnen?
Jedes furchtbare Massaker außer die Nato hat es begangen
nennen sie »Völkermord«. Jede brutale Vertreibung wird in
ihrer Wortwahl eine »Deportation«. (»Erzwungene
Verschleppung von Individuen oder zivilen Bevölkerungsgruppen« mit
dem Ziel, »sie in Arbeits- oder Vernichtungslager zu
internieren«(1)). Auch »KZ«, also
Massenvernichtungslager wie die der Nazis, soll es im Kosovo geben, behaupten
Sie. Einen nationalistischen Regionalfürsten, der grausame Verbrechen,
Massaker und Vertreibungen auf dem Gewissen hat, nennen sie einen
»Hitler« (und bomben die linke demokratische jugolawische
Opposition noch schnell an seine Seite).
Nach ihren Maßstäben könnten sie in etwa vierzig
bis fünfzig Regionen der Welt Bomben abwerfen, auch innerhalb der Nato.
Vor allem in der Türkei, wo etwa viertausend kurdische Dörfer
vernichtet, vier Millionen Kurden vertrieben, mehr als dreißigtausend
Menschen getötet und Tausende gefoltert wurden.(2) Aber die
Türkei brauchen sie ja, braucht EU-Europa als »zentrale Front
für die Stabilität im nahen Osten«(3), als
Nato-Stützpunkt für den Krieg gegen den Irak und als Zugang nach
Zentralasien, wo es um die Ausbeutung von bis zu zehn Milliarden Tonnen
Erdöl geht, das zweitgrößte Erdölvorkommen der Welt um das
Kaspische Meer. Dafür wird das türkische Militär, auch von der
rotgrünen Bundesregierung, aufgerüstet, unter anderem mit
fünfhunderttausend Heckler & Koch-Gewehren und zweihundert
Spürpanzern (Typ Fuchs). Dafür läßt Rotgrün der
Türkei Spielraum bei der Verfolgung der KurdInnen und der linken Opposition.
In Deutschland kann nur regieren und Außenminister werden
wer bereit ist, Krieg zu führen. Darauf haben Sie sich seit Jahren
vorbereitet und eine Partei, die einmal ein emanzipatorisches Projekt war,
vollständig auf Ihre persönlichen Interessen zugeschnitten. Der Nato
und dem deutschen Kapital konnte nichts besseres passieren, als ein deutscher
Außenminister, der mit den Resten alternativer Rhetorik einen Teil des
vormals kritischen Bürgertums mit Eimern von verlogener Moral in die
Kriegszustimmung gleiten läßt.
Der Kern ihrer 68er-Identität damit rechtfertigen Sie sich schamlos
sei die Frage an Ihre Eltern: Warum habt ihr Hitler
zugelassen? Sie möchten, klagen Sie, nicht eines Tages die gleiche
Frage hören müssen. Bedeutet das, daß ein Angriffskrieg
geführt und Jugoslawien auf Steinzeitniveau gebombt wird, auch weil der
deutsche Außenminister zu blöde und geschichtslos-unfähig ist,
seinen Kindern den Unterschied zwischen Milosevic und Hitler zu erklären?
Sie, Josef Wilhelm Fischer (»wir kennen keine Parteien mehr, wir
kennen nur noch Deutsche« Außenpolitik) verharmlosen Auschwitz und
die Greueltaten des NS-Faschismus, um diesen ersten deutschen Angrifsskrieg auf
einen souveränen Staat nach der Befreiung von NS-Faschismus und um Tod und
Zerstörung als human(itär)e Handlung zu veredeln als sei
dadurch den betroffenen Menschen zu helfen! Von ihrem Charakter, viel
wichtiger: von ihrer Politik war ich noch nie beeindruckt, aber daß Sie
zum Sieg von Ernst Nolte & Co. beitragen würden, hätte selbst ich
nicht gedacht. Sie helfen, die NS-Vergangenheit Deutschlands zu entsorgen.
Bleiben wir in ihrer Logik: Weil in Jugoslawien ein »barbarischer
Faschismus« herrscht, nicht »nur« NS-Faschismus, lassen
Sie Menschen mit Bomben ermorden: in Wohnhäusern, Personenzügen,
Flüchtlingstrecks. Dennoch scheint das »neue« Auschwitz und
dieser »barbarische Faschismus« nicht furchtbar genug, um nicht
mitten im Krieg fröhlich Hochzeit zu feiern. Frankfurt/Main, den 16. April 1999
(1) Vierte Genfer Konvention über das Verbot von Deportationen
(2) Zahlen lt. Medico International
(3) Lothar Rühl, ehem. Staatssekretär im Verteidigungsmaterialien |