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Am 23. Januar wurde in Mulda bei Freiberg der Bundesparteitag der NPD durchgeführt. Dagegen fand am gleichen Tag und Ort eine Antifa-Demo statt. Wir dokumentieren hier einen der Demo-Redebeiträge.
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Antifa muß sein!

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Über die Notwendigkeit von Antifaschismus

Redebeitrag des Bündnisses gegen Rechts Leipzig auf der Demonstration gegen den NPD-Bundesparteitag am 23. Januar 1998 in Mulda/Sachsen

Liebe Antifas, liebe Anwesende,

die organisierte Naziszene befindet sich seit dem Ende des real existierenden Sozialismus stetig im Aufschwung. Darüber können auch nicht die relativ geringen Mitgliederzahlen oder etwaige Wahlergebnisse wie die in Meck-Pomm oder die zur Bundestagswahl vorigen Jahres hinwegtäuschen. Der Grund dafür ist die staatliche nationalistisch-rassistische Politik – fußend auf einem in der deutschen Bevölkerung ausgeprägten rassistischen Konsens –, das Scheitern der Linken als Systemalternative an sich selbst und die Entpolitisierung des öffentlichen Lebens –
Der Kampf gegen die Nazis muß nicht selbstredend antikapitalistisch sein, denn die Parole vom Kapital, das hinter dem Faschismus steht, hat historsich keinen Bestand.
insbesondere der Jugend. Weniger bedeutend sind allerdings letztendlich die Arbeitslosigkeit oder das Ende des Wohlfahrts – bzw. Sozialstaates als solche.
Daß Nazis und Staat Deutschland hinsichtlich deutscher Abschottungspolitik gegenüber Migrantinnen und Migranten und hinsichtlich von Law and Order gut miteinander können, beweisen nicht nur die vielen Grauzonen-Politiker aller politisch relevanten coleur, sondern auch die schleichende oder offene Diskursübernahme vormals nazistischer Programmatik durch die sogenannten Volksparteien von parlamentarisch Links bis Rechts. Genannt seien stellvertretend die erste größere Hetzkampagne gegen Flüchtlinge anfang der Achtziger oder die Abschaffung des Asylrechts mittels des sogenannten Asylkompromisses.
Die Politik der sogenannten großen Parteien fungiert inzwischen als Vorreiter für die Nazis. Sie bereitet letztendlich den Boden für die Politik und Propaganda der Nazis. Sei es seitens der SPD, die gegen „kriminelle Ausländer“ hetzt (Gerhard Schröder), oder der scheisse, die antifa kommt, 9.2k CDU/CSU mit ihrem jüngstem Stammtischcoup gegen die Einführung einer deutschen Variante von Doppelter Staatsbürgerschaft.
Durch das Wegbrechen der liberalen Öffentlichkeit, eines vom bürgerlichen Humanismus geprägten, aktiven Staatsbürgerverständnisses à la Frankreich, sehen sich deutsche Antirassistinnen und Antirassisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten ihrer seit 1968 als fast natürlich geglaubter
Die Antifa-Bewegung von heute muß eine antistaatliche sein.
Bündnispartner und Adressaten beraubt. Viele haben seitdem entmutigt den linken oder gar linksdradikalen Kampf eingestellt, weil sie sich der Situation nicht mehr gewachsen sahen oder weil sie sich endgültig ihrer heimlichen Liebe zum Nationalismus hingeben wollten. So sind bis heute nur noch wenige ihrem Anspruch treu geblieben. Zu ihnen gesellten sich vornehmlich junge AntirassistInnen und Antirassisten, junge Antifaschistinnen und Antifaschisten, die mal mehr mal weniger kontinuierlich Antira- und Antifa-Arbeit machen. Die Fluktuation ist entsprechend der gesellschaftlichen Zwänge durch Geld, Karriere, Arbeit u.a. hoch. Dazu kommt, daß durch staatliche Repression versucht wird, kontinuierliche, organisierte Antifa- und Antira-Arbeit zu zerschlagen – siehe das gelaufene Verfahren gegen die Göttinger Antifa (M), das laufende gegen Passauer Antifas oder die stetigen Massenverhaftungen und Bullenübergriffe bei Demonstrationen gegen Naziaufmärsche.
Die von Antira- und Antifagruppen verfolgten Ziele gehen zu einem großen Teil nicht über einen idealistischen, bürgerlichen Humanismus hinaus. Forderungen nach offenen Grenzen für Alle, gleichen Rechten für
Notwendig ist kontinuierliche antifaschistische Politik als Grundlage unserer eigenen verbindlichen Perspektive.
Migrantinnen und Migranten, Beendigung von Abschiebungen, Jugendarbeit mit den Opfern von Naziübergriffen oder die Zerschlagung von Nazistrukturen und -organisationen müssen sich, bedingt durch den hierzulande herschenden Konsens von verantwortlichen Politikerinnen und Politikern und sogenannter Normalbevölkerung als „linksextremistisch“ einordnen lassen, um im Gegenzug gleichzeitig wieder die Legitimation für eine noch verschärftere Law and Order-Politik zu geben.
Der Kampf gegen die Nazis ist notwendiger denn je. Auf ihre gesellschaftliche Rolle als Stichwortgeber einer verschärften staatlichen Politik kann nicht oft genug hingewiesen werden. Dabei darf nicht eintreten, daß der Antikapitalismus der Nazis, oder das, was sie als wesentlichen Teil ihrer „Systemalternative“ begreifen, von den Resten der Linken nicht ernst genommen wird. Für die Anhänger des strukturell antisemitischen Weltbildes der Trennung von sogenanntem „raffendem“, sozusagen „volksschädlichem“ Kapital, und dem des angeblich „volksfreundlichem“ „schaffenden“ Kapitals, darf es keine Entschuldigung geben; nach dem Motto: das Schlimme am „raffendem“ Kapital haben die Freunde der Nazis schon erkannt, fehlt also nur noch die Erkenntnis, daß Kapital insgesamt nicht gut ist und fertig ist der linke Antikapitalismus.
Es ist die alleinige gesellschaftliche Verantwortung einer antifaschistischen linken Bewegung, ob die Nazis wieder zu einer attraktiven Massenbewegung werden oder nicht.
Der Kampf gegen die Nazis muß nicht selbstredend antikapitalistisch sein, denn die Parole vom Kapital, das hinter dem Faschismus steht, hat historisch keinen Bestand.
Antifaschismus mit weiterführender Perspektive jedoch muß den Kapitalismus angreifen, muß antikapitalistisch sein, weil die Grundwerte von Emanzipation, einem Leben ohne Ausbeutung, freier Entfaltung aller und gleicher Rechte für alle im Kapitalismus nicht verwirklichbar sind. Der Kapitalismus braucht, um leben zu können, um seine Attraktivität durch die Weckung unzähliger Bedürfnisse zu befriedigen, den Profit als Lebenselixier und Katalysator seiner eigenen Entwicklung. Und wegen des unbedingten Profits braucht er die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.
Es ist die alleinige gesellschaftliche Verantwortung einer antifaschistischen linken Bewegung, ob die Nazis wieder zu einer attraktiven Massenbewegung werden oder nicht. Keine andere gesellschaftliche Kraft wird sich letztendlich den Nazis in den Weg stellen. Die Demokratie allein wird dies nicht vermögen. Antifaschismus heute muß sich deshalb auch kritisch auf die Geschichte des Antifaschismus beziehen und muß insbesondere die Fehler von damals analysieren und aus ihnen lernen.
Die Antifa-Bewegung von heute muß eine antistaatliche Bewegung sein. Wenn sie sich auf den Staat verläßt oder an ihn appelliert, wird sie im Zuge der bürgerlichen Totalitarismusdoktrin eingehen. Notwendigerweise müssen die antifaschistischen „Sekundärtugenden“ anti-deutsch sein: gegen den Arbeitswahn, den Ordnungs - und Disziplinzwang, gegen Unterordnung und Anpassung.
Die Notwendigkeit von kontinuierlicher antifaschistischer Politik als Grundlage unserer eigenen verbindlichen Perspektive muß abschließend ausdrücklich betont werden. Gegen die Verlockungen der bürgerlichen Gesellschaft und die angeblich öffentliche politische Beliebigkeit hilft nur Organisierung und Politisierung in Antifa-Gruppen. Dabei wird in Zukunft entscheidend sein, wie sehr die Antifa-Bewegung eigene Akzente setzen kann und sich nicht die eigene Politikausrichtung durch die Nazis diktieren läßt.

Für kontinuierliche Antifa-Arbeit!
Organisiert Euch in Antifa-Gruppen!

Mulda, den 23. Januar 1999

Bündnis gegen Rechts
c/o VL, PF 54, 04251 Leipzig
e-mail: BGR@link-l.cl.sub.de

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last modified: 28.3.2007