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Unüberwindbares Bollwerk.

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Die doppelte Staatsbürgerschaft kommt durch die neue Regierung erstmalig ernsthaft in die Diskussion. Ob am Ende etwas dabei rumkommt, ist mehr als fraglich.

„Kein Vorhaben der neuen Rot-Grün-Regierung wird Deutschland so verändern wie die Neuregelung des Ausländer- und Staatsbürgerschaftsrechts“, schrieb die Woche anfang November. Welcher Art Szenario mit dieser Einschätzung letztendlich die Tür geöffnet werden sollte, ließ das Blatt offen.
Es vermuten diejenigen richtig, die hinter dem Gerangel um das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht einen ebenso eklatanten Wandel vermuten wie jenen, der durch den sogenannten Wechsel der deutschen Regierung zustande kam: ein anderer Name mittels Reförmchen.
Was gab es nicht für Aufmacher im Oppositionsblatt FAZ bis hin zur Regierungspresse taz. Als stünde die Revolution vor den Redaktionsstuben legte sich die Journaille ins Zeug und bejubelte größtenteils die Ankündigung der Rot-Grünen Koalitionsvereinbarung, daß diese vorsehe, die doppelte Staatsbürgerschaft für diejenigen Migranten zu gewähren, die länger als acht Jahre in Deutschland leben (bei hier geborenen Kindern „sogar“ nach fünf Jahren).
„Auf dem Schrottplatz der Geschichte“, so der Bundestagabgeordnete der Grünen, Cem Özdemir, lande nun, was 85 Jahre in Deutschland galt: definition »deutsch«, 10.5k das Blutsrecht auf das Deutschsein, das ius sanguinis. Seit 1913 gilt in Deutschland das Blutsrecht. Damals, als im Reichstag eine gravierende Mehrheit dafür stimmte, besieglte dieses Ergebnis den endgültigen Sieg der völkischen Kräfte in Deutschland. Im Artikel 119 des Grundgesetzes („Begriff ‘Deutscher’, Wiedereinbürgerung“) ist dies für die Bundesrepublik bis heute festgeschrieben. Und zwar, so heißt es in Artikel 119, „nach dem Stande von 1937“ (siehe Kasten).
Es läßt sich an fünf Fingern abzählen, daß über Jahrzehnte die deutsche Identität, das Verständnis des Deutschseins, dadurch geprägt wurde. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Zonis vierzig Jahre um Aufnahme in der alten Bundesrepublik bettelten und mit der sogenannte Volksdeutsche empfangen und betreut werden, die mittels Stammbaumforschung mutmaßlich „deutsche“ Blutsbande mit ihren Vorfahren vor teilweise Jahrhunderten belegen können, läßt keinen anderen Schluß zu. Um so mehr muß es aufhorchen lassen, wenn Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vom 10. November feststellt: „Unser Nationalbewußtsein basiert eben nicht auf den Traditionen eines wilhelminischen ‘Abstammungsrechts’, sondern auf der Selbstgewißheit unserer Demokratie. Wir sind stolz auf dieses Land, auf seine Landschaften, auf seine Kultur, auf die Kreativität und den Leistungswillen seiner Menschen. Wir sind stolz auf die Älteren, die dieses Land nach dem Krieg aufgebaut und ihm einen Platz in einem friedlichen Europa geschaffen haben“.
Für die neue Regierungsgarde steht die skeptische Fragestellung auf der Tagesordnung, die der Spiegel angesichts eines möglichen neuen Staatsangehörigkeitsrechtes aufwarf. Im Zusammenhang mit der Shoah hieß es dort: „Schuld verpflichtet – aber wie lange? Soll an Albanern, Türken oder Nigerianern gutgemacht werden, was Juden damals angetan wurde“?
Die neue Koalitionsregierung kann diese Frage verneinen: allesamt nehmen für sich Anspruch, nicht einmal mehr zur unmittelbaren
spiegel-titel, 14.6k
„Jahrzehnte deutscher Identität“ – Spiegel-Titel vom 23.11.1998
Nachkriegsgeneration zu gehören, woraus eine Unbefangenheit entspringt, die einen Gerhard Schröder in der Regierungserklärung festellen läßt: „Was ich hier formuliere, ist das Selbsbewußtsein einer erwachsenen Nation, die sich niemanden über –, aber auch niemanden unterlegen fühlen muß, die sich der Geschichte stellt, aber bei aller Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, nach vorne blickt.“ Schröder ist der erste, der dies ohne Konsequenzen sagen kann, weil seine Biografie ihm das ermöglicht. Er hat zu wenig von der Psycholgie der Schicksalsgemeinschaft des Täterkollektivs verinnerlicht, als daß er nicht „ein modernes Staatsbürgerrecht“ ausrufen könnte und feststellen, daß „niemand, der Deutscher werden will, (...) dafür seine ausländischen Wurzeln aufgeben oder verleugnen (müßte)“.
Angesichts solcher Äußerungen resümiert die FAZ: „Manche sehen Deutschland von multikulturellen Gutmenschen auf einen gefährlichen Sonderweg geführt – der sich allerdings als ziemlich ausgetretener westeuropäischer Hauptweg erweist“. Und das trifft insbesondere den Nagel auf den Kopf. Im Zuge der Harmonisierung europäischen Rechts wäre die Bundesregierung über kurz oder lang in einen Widerspruch zu den anderen EU-Staaten geraten. Denn obwohl Deutschland in vielerlei Hinsicht die Monetär-, Wirtschafts-, Migrations- und Sicherheitspolitik in der EU bestimmen konnte, galt und gilt der deutsche Sonderweg hinsichtlich des Staatsbürgerrechtes als so weit weg von der Tradition und Gesetzebung aller anderen EU-Staaten, daß Deutschland so oder so hätte nachziehen müssen, um nicht die gesamte EU-Politik mit permanenten Spannungen aufzuladen. Trotzdem weiß die neue Regierung genau, daß der Widerstand gegen jede Änderung des Staatbürgerschaftsrechts in Deutschland ein schier unüberwindliches Bollwerk darstellt. Laut einer EMNID-Umfrage von mitte November 1998 können sich nur ganze sieben Prozent (West: acht - Ost: sechs) vorstellen, daß „Deutschland durchaus mehr Ausländer aufnehmen könnte“.
Aus diesem Dilemma heraus sprang auch flugs der zuständige Innenminister Kanther dem Schröder zur Seite. Noch in der Debatte zur Regierungserklärung, am 12. November, sagte Otto Schily, die Regierung werde zwar das Staatsangehörigkeitsrecht „auf ein modernes europäisches Niveau“ bringen, das „dem aufgeklärten Staats – und Verfassungsverständnis des beginnenden neuen Jahrhunderts entpricht“, jedoch gebe es „durchaus ernstzunehmende Einwände“. Und deshalb sei die doppelte Staatbürgerschaft kein „eigenständiges Ziel in dem Sinne, daß wir möglichst viele doppelte Staatsbürgerschaften einführen wollen“. In diesem Kontext muß sich auch die Äußerung Schilys gegenüber dem Tagesspiegel lesen lassen. Dort hatte Schily gesagt: „Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten“.
Wieder einmal die FAZ brachte das Techtemechtel um die doppelte Staatsbürgerschaft auf den Punkt: Das Abstammungsprinizp des ius sanguinis, so Eckhard Fuhr, werde um das Territorialprinizp des ius soli lediglich „ergänzt“.
Die jetzige Hysterie um die doppelte Staatsbürgerschaft läßt für das angekündigte Einwanderungsgesetz so einiges ahnen. Allein die Tatsache, sich dazu durchringen zu müssen, Deutschland als Einwanderungsland zu akzeptieren, wird einen nicht enden wollenden Schwall der Ablehnung hervorrufen. In Anbetracht dieser Konstellation werden der jetzigen Regierung schon jetzt die Knie weich. Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesinnenminister, Cornelie Sonntag-Wolgast, und der SPD-Innenpolitiker Michael Bürsch erklärten gemeinsam, daß vor einer gesetzlichen Regelung der Zuwanderung die absolute Priorität auf der „Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes“ läge. Was das im Klartext bedeutet, kann sich jeder ausmalen: Da nicht mal klar ist, inwieweit die vorgeschlagenen Minimal-Änderungen hinsichtlich der doppelten Staatsbürgerschaft durchgebracht werden können, steht tatsächlich alles weitergehende in den Sternen.
Ruft man sich die praktizierte Unverfrorenheit ins Gedächtnis, mit der tagein tagaus die sogenannten Volksdeutschen völlig selbstverständlich die deusche Staatsangehörigkeit als zweite erhalten, schreit das Ganze Gezeter erst recht zum Himmel. „Während für sogenannte ‘Auslanddeutsche’ ganz selbstverständlich von den Behörden dieser Republik eine zweite Staatsbürgerschaft eingeräumt wird – denn natürlich haben alle diese Personen ihre polnische, tschechische, russische oder sonstwelche Staatsbürgerschaft und behalten diese auch, zumal, wenn sie nicht in die BRD einreisen – werden der in der BRD lebenden ‘ausländischen’ Wohnbevölkerung mit genau derselben Selbstverständlichkeit alle staatsbürgerlichen Rechte hartnäckig verweigert.“1
Ralf

(1) zitiert aus: Deutsches Staatsbürgerrecht – diskriminierend & großdeutsch. Hrsg. v. der Arbeitsgruppe „Ostexpansion“ der Bundeskonferenz BWK, GNN-Verlag Köln, März 1997



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last modified: 28.3.2007