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Vom 2. bis 5. Juli 1998 fand bei Witzenhausen/Göttingen ein von der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation ausgerichtetes „Antifa-Camp“ statt. Neben vielen anderen Arbeitsgruppen beschäftigte sich eine mit der Verbindung von Nationalsozialismus und Antisemitismus. Als Referenten wurden dazu Vertreter der Antinationalen Gruppe Leipzig (ANG) eingeladen.
In einer Serie von drei Teilen veröffentlichen wir fortlaufend das gehaltene Referat.
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ohne antisemitismus kein nationalsozialismus, 3.7k

Teil III:
Von der Lebendigkeit der nationalsozialistischen Ideologie. Aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus in Deutschland.

Es ist kein Geheimnis, daß der Antisemitismus in Deutschland nicht mit dem Sieg der Alliierten im 2. Weltkrieg verschwand. Ganz im Gegenteil, die antisemitische Einstellung der Deutschen lebte auch nach der Niederlage fort. Obwohl sich die Realität des Holocaust jetzt nicht mehr leugnen ließ, führte dies nicht zu einem Traditionsbruch, statt dessen war die unmittelbare Nachkriegssituation von einer kaum geschminkten Kontinuität der feindlichen Einstellung gegenüber den Juden gekennzeichnet. Der Erwartung, daß mit dem Bekanntwerden der ganzen Wahrheit über das Ausmaß der Vernichtung der europäischen Juden eine Einstellungsänderung einsetzte, stand die Realität von unzähligen Angriffen auf Juden, auf jüdische Friedhöfe und die Ergebnisse von vielen Meinungsumfragen nach 45 entgegen.
Betrachtet man heute die politische Kultur Deutschlands, so lassen sich immer noch die traditionellen Formen des Antisemitismus beobachten. Natürlich in geringerem Maße als kurz nach 1945. Nur schwer aber doch stetig gewöhnten sich die Deutschen daran, nicht mehr frei von der Leber zu reden. Statt dessen entwickelten sie im Laufe der Jahre eine Vielzahl antisemitischer Codes, die den gewandelten Staatsdoktrinen der beiden deutschen Nachkriegsstaaten mehr oder weniger Rechnung trugen. Bei genauerem Hinsehen offenbaren auch diese ihre Wurzeln in der antisemitischen Weltanschauung und beweisen, daß der Nationalsozialismus nur als offizielle Staatsideologie, nicht aber als in der Gesellschaft verankertes Bewußtsein besiegt wurde.

Erscheinungsformen des Antisemitismus

Antisemitismus wegen Auschwitz

Eine mögliche Klassifikation des Antisemitismus nach 45 muß neben dem Fortleben des geschlossenen antisemitischen Welbildes und dessen leicht abgeschwächten, zeitgemäßen Variationen vorallem auch den Antisemitismus wegen Auschwitz, den sogenannten sekundären Antisemitismus(1) berücksichtigen. Eike Geisel pointierte diesen eimnal mit dem Satz: „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.“ Der sekundäre Antisemitismus wird immer wieder in den ständigen Versuchen der Relativierung und Leugnung des Holocaust und in der Schlußstrichmentalität, die von den deutschen Verbrechen während des Nationalsozialismus nichts mehr wissen will, manifest. Im Juni 1994 bezeugten die Richter des Landgerichts Mannheim dem damaligen NPD-Vorsitzenden Deckert in einer Urteilsbegründung eine „charakterstarke, verantwortungsbewußte Persönlichkeit mit klaren Grundsätzen“ zu sein. Daß Deckert bekennender und keinesfalls nur sekundärer Antisemit und Nazi war, wußte nicht nur die Antifa, sondern ebenso die Tagesschau. Deshalb konnte man annehmen, daß die Richter nicht völlig unbedarft an ihre Arbeit gingen. Trotzdem, oder gerade deshalb, heißt es in der Urteilbegründung weiter, daß Deckerts Tat, die Leugnung des Holocaust, von seinem Bestreben motviert sei, „die Widerstandskräfte im deutschen Volk gegen die aus dem Holocaust abgeleiteten jüdischen Ansprüche zu stärken. Nicht außer acht gelassen wurde auch die Tatsache, daß Deutschland auch heute noch, rund fünfzig Jahre nach Kriegsende, weitreichenden Ansprüchen politischer, moralischer und finanzieller Art ausgesetzt ist, während die Massenverbrechen anderer Völker ungesühnt blieben,...“ Weiterhin spräche für den Angeklagten, daß er „aufgrund seiner betont nationalen Einstellung... den Juden ihr ständiges Insistieren auf dem Holocaust und die von ihnen aufgrund desselben auch noch nach nahezu fünfzig Jahren nach Kriegsende immer noch erhobenen (...) Forderungen Deutschland gegenüber bitter übel nimmt....“, und sich im übrigen zum Revisionismus bekennt. Wie eng der sekundäre Antisemistismus auf den primären aufbaut, wurde spätestens dort deutlich, wo im Urteil von den Juden als „Parasiten“ die Rede ist. Der Begriff wurde von den Richtern eingeführt, der Angeklagte war so clever, dieses Stereotyp selbst nicht zu gebrauchen. Die Richter sind heute übrigens noch in Amt und Würden.
Die Virulenz des sekundären Antisemitismus konnte man auch im Zuge der Goldhagen-Debatte erleben. Viele der deutschen Kritiker argumentierten im Sinne der Schlußstrichmentalität. Frank Schirmacher, einer der Herausgeber der FAZ, klagte über die erneute „Remythologisierung des Holocaust“, welche dazu führen würde, daß „der Weg der Deutschen ins einundzwanzigste Jahrhundert nur mit Skepsis und Furcht betrachtet werden kann.“ Und der Autor der Welt, Jost Nolte, ummäntelte seine leidenschaftliche Unmut über Goldhagens Störung einer nationalen Normalisierung mit der Metahper der Sisyphos-Sage. Nach dieser verurteilten die Götter einst den Sisyphos einen gewaltigen Stein mit bloßen Händen einen Berg hinaufzurollen. Jedesmal, kurz vor dem Ziel, englitt dieser dem Gepeinigten und verlängerte dessen Oual auf alle Ewigkeit. Auf die deutsche Situation bezogen heißt es bei Nolte: „Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Hitlers Tod und nach der Wende von 1989/90, die an den Ergebnissen des Zweiten Weltkriegs rüttelte, sah es endlich so aus, als habe die Geschichte die Deutschen vom Schicksal des Sisyphos erlöst. Goldhagen hat sich alle Mühe gegeben, sie in die Verdammnis zurückzustoßen.“
Auch bei der Kritik an Goldhagens Werk verband sich der sekundäre Antisemitismus mit traditionellen Stigmatisierungen. In vielen Rezensionen, wurde auf die religiös-ethnische Herkunft Goldhagens verwiesen. Die gewünschte Suggestion sollte wohl ungefähr so lauten: Der Sohn eines Überlebenden des Holocaust, ein Jude also, kann überhaupt nicht objektiv urteilen, vielmehr handelt es sich bei seinen Thesen um einen perfiden Racheakt an den Deutschen. Der Spiegel-Herausgeber Augstein bezeichnete Goldhagen als „Scharfrichter“, der seinen Erfolg nur dem Einfluß der „jüdischen Kolumnisten“ Amerikas zu verdanken habe. Wiedereinmal die altbekannte antisemitsiche These von der jüdisch-amerikanischen Verschwörung.
Kaum, daß sich die Aufregung um Goldhagens Buch ein wenig gelegt hat, geben sich deutsche Intellektuelle von neuem Mühe, die Lebendigkeit des sekundären Antisemitismus in der Öffentlichkeit zu bezeugen. Der hochdekorierte Großschriftseller Martin Walser und wiederum Augstein üben sich im „Normalisierungs-Nationalismus“ und beklagen, daß „Auschwitz niemals endet“. Die Deutschen seien an ihrem „schmachvollsten Irrtum (...) festgeklebt“ und das „gilt es zu durchbrechen“. Deshalb müsse man sich auch gegen die „Dauerpräsentation der deutschen Schande“ wenden und eine „Monumentalisierung der Schande“ verhindern, so die Meinung Walsers zum Holocaust-Mahnmal. Da braucht es nicht mehr viel Analyse, um herauszufinden, wessen Geistes Kind solche Äußerungen sind.
Es sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, in Deutschland hätte sich eine grundlegende Änderung vollzogen, dessen Folge es ist, daß nur noch „getarnter“ und irgendwie „abgeschwächter“ Antisemistismus auffindbar sei. Die Verwendung des Begriffs „sekundärer Antisemitismus“ dient weniger der Bestimmung eines Werturteils in Bezug auf antisemitische Idologeme sondern vielmehr einer chronologischen Klassifikation. Der Antisemitismus wegen Auschwitz ist ein spezifisches Phänomen der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Gleichwohl oder besser gesagt, gerade deshalb ist er ein ungeheurer Skandal.

Der Antisemitismus stiefeltragender und anderer Nazis.

Gefährliche Orte wie Adelsdorf, Babenhausen und Gollwitz sind in oft als sektiererisch beschriebenen Kreisen zu Symbolen für die Resistenz eines antisemitischen Alltagsbewußtseins geworden. In allen drei Gemeinden schöpften ganz normale Bewohner, die auch von der besten Recherche-Antifa der Welt nicht auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick als Nazis decodiert worden wären aus dem Fundus der nationalsozialistischen Ideologie. Als am 11. September 1997 zum Gedenken an 60 jüdische Bürger von Adelsdorf, die den Holocaust nicht überlebten, ein Schweigemarsch vom ehemaligen Standort der Synagoge zum Bahnhof sattfand, an dem sich 30 Menschen beteiligten, versammelten sich am Rande der symbolträchtigen Strecke 400 Einwohner. Geifernd, pfeifend und johlend standen sie am Straßenrand, sie riefen „Juden raus“ und mit Bezug auf das klägliche Häuflein der Demonstranten „Euch haben sie beim Vergasen vergessen“. Nicht viel anders im hessischen Babenhausen, wo die Bewohner den letzten ansässigen Juden so lange das Leben zur Hölle machten, bis er sich gezwungen sah, das Dorf und das Land zu verlassen. Doch damit nicht genug. Da sich Tony Abraham Merin nicht dazu zwingen ließ sein Grundstück zu „Kristallnachtspreisen“ zu verkaufen, beschmierten es „unbekannte“ Täter im letzten Jahr mit Hakenkreuzen und brannten es nieder. Und auch im brandenburgischen Gollwitz heißt Ehre Treue gegenüber der nationalsozialistischen Vergangenheit. Als das Land im letzten Jahr beschloß 50 jüdische Aussiedler aus der ehemaligen SU aufzunehmen, schlossen die Gollwitzer die Reihen fest. Mit der offen geäußerten Zustimmung der meisten Dorfbewohner entschied der Gemeinderat, sich gegen die Unterbringung der Aussiedler auszusprechen, denn diese würden „erheblich in das dörfliche Gemeinschaftsleben eingreifen.“ Schokierte Journalisten aus der ganzen Welt versuchten daraufhin, das Ausmaß und die Ursachen der Entscheidung zu ergründen. Ihnen offenbarte sich ein Meinungsspektrum, welches nicht zwischen pro oder contra schwankte, sondern dessen Bestandteile nur darin variierten, ob der Gemeinderatsbeschluß aus antisemitischen, fremdenfeindlichen oder beiden Motiven gutgeheißen wurde. Zur Illustration: Die Rentnerin, die aus Posen nach Gollwitz kam, wußte, daß die Juden, die sind, „die immer nur Geschäfte machen“, und die sollten doch nach Israel gehen, „wo sie herkommen“. Eine etwas jüngere Volksgenossin begnügte sich mit dem Wissen, daß „alle Leute aus dem Ostblock einen überdimensionalen Hang zur Krimminalität haben“. Und als wäre dies nicht schon alles
(1)
Die Verwendung des Begriffs richtet sich nach der Definition Jürgen Elsässers: „Er bezeichnet das Phänomen, daß die Nazi-Täter und ihre Erben möglichst wenig an ihre antisemitischen Verbrechen erinnert werden möchten, aber die bloße Existens von Juden oder auch vom Staat Israel diese Schlußstrich-Absicht durchkreuzt. Die Opfer des Holocaust können und wollen nicht vergessen, was ihnen geschehen ist, und genau das nimmt man ihnen übel...“ (J. Elsässer: Antisemitismus – das alte Gesicht des neuen Deutschland. Berlin, 1992, S.72)

(2)
Nur soviel: Am 9. November 1998, dem 60sten Jahrestag der Pogromnacht wurden in vielen Städten Hakenkreuze an Hauswände gemalt (z.B. in Leipzig, Halle), in Halle befestigten „Unbekannte“ ein Tranpsarent mit der Aufschrift „9. 11. – Ein Volk steht auf!“, in Berlin wurde das Mahnmal zur Erinnerung an die Deportationen der Juden mit Hakenkreuzen geschändet, in Potsdam eine Scheibe auf dem jüdischen Friedhof eingeworfen...

schlimm genug, gab es auf diese Ereignisse noch einen innerlinken Epilog der sich gewaschen hatte. Dem nationalbolschewistischen Flügel der Tageszeitung „Junge Welt“ (z.B. Redakteur Werner Pirker) waren solche Äußerungen der Gollwitzer noch Anlaß zu Verteidigung und positiver Parteinahme. Statt antisemitischer Kontinuität und Rassismus, sah man verschleierten sozialen Protest und Klassengegensätze aufbrechen und nicht zuletzt eine großangelegte Verschwörung der „Pressegeier über Gollwitz“ und anderer Illuminaten. Aber das steht auf einem anderen Blatt oder besser, auf einer anderen roten Karte, die Pirker & Co. zwar schon von der „jungle world“-Linken gezeigt wurde, leider aber noch nicht dazu geführt hat, daß das Team der volksseeligen Antisemitenfreunde vom Platz gestellt wurde.
Jedenfalls hat sich auch an Gollwitz bewiesen, daß den anderen politischen Strömungen in Deutschland, einschließlich der Linken, kein Freibrief ausgestellt werden kann. Doch dazu später ein bißchen mehr.
Die eben kurz umrissenen Schlüsselereignisse des vergangenen Jahres stehen natürlich keineswegs als einzige schwarze Schafe in einer Reihe von philosemitischen Musterschülern da. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands und der rassistischen Pogromwelle brach sich auch ein verstärkter antisemitischer Aktionismus Bahn. Unzählige Friedhofsschändungen, Brandanschläge auf Synagogen und Gedenkstätten, die nur in den allerseltensten Fällen einen öffentlichen Widerhall erfuhren, gehörten und gehören zur neuen Tagesordnung. Hier Beispiele zu nennen, hieße fast einer Verharmlosung des Ausmaßes der antisemitischen Verwüstungen das Wort zu reden.(2) So gab es von 1990 bis 1994 über 190 Schändungen jüdischer Friedhöfe. Nicht immer ist belegt, daß die Täter das waren, was wir allgemein als Nazis, Faschos etc. bezeichnen. Die hinterlassenen Parolen wie „Juda verrecke“ sprechen aber eine eindeutige Sprache und wenn die Täter nicht die äußeren Insignien der Faschos an sich haben sollten, so sind sie es ideologisch auf jeden Fall. Jedes Denkmal, welches in Deutschland an Deportation und Vernichtung erinnert, jede jüdiche Gedenkstätte und jede Einrichtung, die in einem Zusammenhang mit Israel steht, jede Synagoge etc., muß in Deutschland rund um die Uhr bewacht werden, will man nicht ihre Existenz aufs Spiel setzen. So wurde zum Beispiel der Gedenkstein der in Berlin an die Massendeportation der Juden erinnert, im vergangenen Jahr immer wieder verwüstet – so lange bis eine Mahnwache und eine „rund um die Uhr“-Bewachung der Polizei einigermaßen Schutz garantierte. Jedesmal, wenn der Schutz für die Gedenkstätte gelockert wurde, kam es zu einer erneuten Schändung (siehe auch Fußnote 2).
Den Soundtrack zum antisemitischen Aktionismus produzieren Nazi-Bands – zum Beispiel „Tonstörung“ aus Mannheim –, die deutlich machen, daß sie nicht nur den symbolischen Angriff wagen, sondern auf jedwede Tarnungsversuche ihres eliminatorischen Antisemitismus verzichten. So heißt es in einem ihrer Lieder: „Wetz dir deine Messer auf dem Bürgersteig, laß die Messer flutschen in den Judenleib. Blut muß fließen knüppelhageldick, und wir scheißen auf die Freiheit der Judenrepublik.“ Computerspiele, wie „KZ-Manager“ oder „Achtung Nazi“, bei denen Massenvergasungen simuliert werden, zeugen von der gleichen Geisteshaltung. Bei verbalen Attacken bleibt es nicht. Die Vernichtungserfahrung, der eliminatorische Antsemitismus ist in Deutschland noch immer präsent und keineswegs nur als Musik in den Ohren von alten und neuen Nazis. Im Mai diesen Jahres stand Ronny S. vor dem Amtsrichter, weil er auf dem Marktplatz der sächsischen Gemeinde Oschatz einen Lehrling mit einem Messer niedergestochen und lebensgefährlich verletzt hatte. Der einzige Hinweis auf die Motive des Täters, schilderte das Opfer so: „Er fragte mich nur ob ich Jude sei, dann stach er einfach zu.“

Partei alten Typs

Nun liegen diese Erscheinungsformen des Antisemitismus nachweisbar außerhalb des Toleranzbereiches staatlicher Repression. Mit juristischen Mitteln und Sondereinheiten der Polizei, mit Indizierungen und Auftrittsverboten von Nazi-Bands usw. versucht der Staat solcherart Taten und Propaganda zu ahnden und einzuschränken. Richtig ernstgenommen wird der Antisemitismus der Nazis (und schon gar nicht der Antisemistismus der „anderen“ Deutschen) nicht. Viele sogenannte Rechtsextremmismusexperten meinen, daß der Antisemitismus in der Ideologie von sogenannten Neonazis gar nicht mehr die tragende Rolle spielt. Stattdessen trete Ausländerfeindlichkeit als erfolgsfördernde Propaganda an die Stelle des Antisemitismus. Gerade die derzeit abräumende NPD hielte sich vermeintlich mit antisemitischen Äußerungen zurück, um ihre Legalität nicht zu gefährden. In Wahrheit aber, vertritt die Partei ein strikt antisemitisches Weltbild. In der Nazi-Zeitung BBZ, unter der Rubrik „Analyse und Kritik“, fand sich Mitte Mai ein Beitrag mit dem Titel: „Wie fundamental ist die nationale Opposition? Die NPD, die BRD-Rechte und die nationalen Sozialisten.“ Der Artikel liest sich als prononcierte Zusammnefassung des völkischen Antikapitalismus der NPD, der historisch auf die Ideologie antisemitischer Politiker des 19. Jh., die völkischen Bewegungen der 20er Jahre und natürlich auf den nationalrevolutionären Kurs der NSDAP aufbaut. Zu den Wortführern des antikapitalistisch begründeten Antisemitismus in den 70er Jahren des 19. Jh. gehörte der Journalist Otto Glagau. Er brachte damals auf den Punkt, was die Nazis auch heute unter der sozialen Frage verstehen, wenn sie zum nationalen Kampf gegen System und Kapital aufrufen: „Das Judentum ist das angewandte, bis zum Extrem durchgeführte Manchestertum. Es kennt nur noch den Handel, und auch davon nur den Schacher und Wucher. Es arbeitet nicht selber, sondern läßt andere für sich arbeiten, es handelt und spekuliert mit den Arbeits- und Geistesprodukten anderer. Sein Zentrum ist die Börse... Als fremder Stamm steht es dem deutschen Volke gegenüber und saugt ihm das Mark aus. Die soziale Frage ist wesentlich Gründer- und Judenfrage, alles übrige ist Schwindel.“ Dem Klischee vom faulen und schachernden Juden, das aus dem Mittelalter überliefert wurde, setzte man in Deutschland mit der Entwicklung des Kapitalismus das Bild vom ehrlichen, fleißigen, ordentlichen deutschen Arbeiter gegenüber. Die Juden wurden als Personifizierung des raffenden, unproduktiven Kapitals begriffen, welches im Gegensatz zum produktiven, national verankerten Kapital stand. Beide Bausteine der deutschen antisemitischen Ideologie, der Arbeitsethos und seine jüdische Antithese und die Entgegensetzung von „jüdisch-raffenden“ und „arisch-schaffenden Kapital“ wurden im Nationalsozialismus aufgegriffen und zur weltanschaulichen Grundlage der sogenannten „Endlösung“ radikalisiert. Im besagten Beitrag der BBZ tauchen die eben charakterisierten Fragmente in nahezu kongruenten Formulierungen wieder auf. So heißt es dort, „es reiche nicht aus, das raffende Kapital und die Zinsprivilegien der Banken zugunsten der produktiv arbeitenden Volksgenossen lediglich einzudämmen...“, vielmehr müsse diese kapitalistische Wirtschaftsordnung generell „durch eine antikapitalistische Volksgemeinschaft ersetzt werden.“ Und zum Begriff der Arbeit wird referiert, daß in ihm „der Gedanke des schaffenden Unternehmertums, welches selbst wiederum antikapitalistisch und antimarxistisch ist, dem des raffenden Finanzkapitals gegenübergestellt ist...“ Und weiter geht es in Stürmer-Manier, daß „über Spekulation und Zinswirtschaft der schaffenden Arbeiter ausgebeutet wird, während der mittelständische Unternehmer mit dem in seinen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern eine ehrliche Parterschaft verbindet.“ Auch ohne das NPD und JN die Juden als Schuldige für Zinsknechtschaft, Globalisierung und internationalistischen Kapitalismus benennen, wird deutlich, daß die Parolen von vorne bis hinten antisemitisch sind. Die NPD hat mit ihrer völkisch-antikapitalistischen Aggitation wieder zu ihrem historischen Vorbild gefunden, der Weltanschaung der Nationalsozialsten. Deren zentraler Gedanke wurde von Hitler in „Mein Kampf“ einst so formuliert: „Im Hakenkreuz sehen wir die Mission des Kampfes für den Sieg des arischen Menschen und zugleich mit ihm auch den Sieg der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitsich war und antisemitisch sein wird.“

Rassismus als Erscheinungsform des Antisemitismus?

Rassisten sehen „Fremde“ als Minderwertige, welche nur für eingegrenzte Zwecke tauglich sind – dreckige Arbeit, Tanzen, Sex etc. – und mehr oder weniger ausgegrenzt gehören. In Deutschland brach sich nach der Wiedervereinigung ein eliminatorischer Rassimus Bahn, der den bis dato bekannnten rassistischen Alltag, sowohl im Osten als auch im Westen, bei weitem übertraf.
Offensichtlich hat auch eine besonders aggressive Haltung gegenüber den „Fremden“ im Bewußtsein der Deutschen die Nachkriegszeit überdauert, die jetzt, da sie „wieder selbst“ über Kultur und Politik bestimmen dürfen, zum Vorschein kommt. Oft quälen deutsche Täter ihre Opfer auf unvorstellbar grausame Weise, oft wollen sie mit ihren Brandbomben, so viele wie möglich umbringen. Verweisen die unzähligen Morde und Mordanschläge auf einen im Kern antisemitischen Vernichtungswillen?
Noch ein weiteres Argument spricht dafür, daß in Deutschland Rassismus tendenziell antisemitisch ist. Als das deutsche Volk mit seiner Regierung um die Abschaffung des Asylrechts rang, wurden mit der Hetze gegen „Asylmißbrauch“ und „organisierte Krimminalität“ auch altbekannte antisemitische Bilder beschworen. Flüchtlinge wurden zu „Parasiten“ erklärt, die angeblich auf Kosten der Deutschen lebten. „Betrügerische Abzocker“ und „international agierende Verschwörerbanden“ zogen, so die allgemeine Meinung, die ehrliche Bevölkerung, die Volkswirtschaft und das heimatliche Steuersystem über den Tisch. Heute wird besonders mit Bezug auf „Schleuserkriminalität“ die Hysterie vor einer halluzinierten Bedrohung gesteigert. Aber auch im Feindbild vom „ausländischen Dealer“ kommt ein Wahnbild zum Ausdruck, welches nicht mehr „nur“ „einfach“ rassistisch ist. Vielmehr handelt es sich auch hier um eine Synergie; antisemitische Denkmuster verbinden sich mit rassistischen Einstellungen.

Ahnunglos oder schlimmer? Die Linken und die „Spekulanten“.

Doch nicht nur die Nazis wenden sich gegen die abstrakte Form des Kapitals und glorifizieren das Konkrete. Auch ein Großteil der Linken – bei den Autonomen gehört es zum ABC – wettern gegen „Spekulanten und Parasiten“, machen das Finanzkapital in persona von Bankern für allen Unbill dieser Welt verantwortlich. Falsch am Engagement gegen das, was als böse begriffen wird, ist der entstehende Eindruck, das Industriekapital wäre weniger ausbeuterisch. Nicht selten wird auch heute noch die ordentliche Maloche gegen die „brotlose Kunst“ oder das Reichwerden ohne lästigen Arbeitsschweiß verteidigt. Dabei wird bekanntlich in der Produktionsphäre bei der Mehrwertproduktion ausgebeutet. Bei der Kapitalismuskritik verbietet sich also das Gefasel vom „parasitären Spekulanten“ in welcher Form auch immer. Ansonsten wird die linke Sichtweise, die vielleicht „nur“ romantische Positionierung sein will, zur antisemitisch konnotierten Verschwörungtheorie.
Wenn allerdings trotzdem immer wieder mit dem Verweis, man betreibe ja nur symbolische Politik und müsse deshalb vereinfachen und polarisieren, auf die alten antisemitischen Stereotypen zurückgegriffen wird, dann muß mehr als Unbedarftheit vermutet werden. Denn schon ein ganz oberflächlicher Vergleich mit der „Sprache des Dritten Reiches“ müßte einem oben beschriebene Begriffe im Halse stecken lassen.
Besser natürlich, das Denken, welches sie zur Sprache bringt, verschwände gänzlich.

Der neuste Schrei: Antisemitismus als „Globalisierungsangst“.

Kaum codierter Antisemitismus bleibt aber keinesfalls nur dumpfer Nazi-Agitation vorbehalten. Anstatt des „parasitären, heimatlosen Finanzkapitals“ mit dem traditionell die Juden gleich gesetzt werden, begegnen wir heute aller Orten der ominösen Chiffre der „Globalisierung“. Geheimnisvoll und gefährlich, heimtückisch und überall anzutreffen, ist sie es angeblich, welche den Wandel der Lebensbedingungen am Ende des 20. Jh. bestimmt. In dem Buch „Globalisierungsfalle“ der Spiegelautoren, Hans Peter Martin und Harald Schumann wird eine bedrohliche Macht beschworen, die sich hinter dem, was Globaliserung sein soll, nämlich „Turbo-Kapitalismus“, „Global Players“, „internationale Finanzmärkte“ etc, verberge. Sie zerstöre „Deutschlands Unternehmerkultur“, weil, habe sie sich erstmal des nationalen Kapitals bemächtigt, nur noch die Aktienrendite und nicht mehr die Verantwortung für das Heimatland zähle. Genauso wie beim traditionellen Antisemitsimus, welcher der deutschen produktiven Arbeit und dem national verankerten Kapital eine „jüdische Verschwörung“ gegenüberstellt, setzt man auch beim Popanz „Globalisierung“ auf die Konstruktion sich widersprechender Prinzipien. Die „deutsche Marktwirtschaft“ als positive Antithese zur amerikanischen Variante des Kapitalismus, oder „deutsche Unternehmerkultur“ vs. „angloamerikanische Kommerzidee“. Treffend der Kommentar von Trampert/Ebermann in der Zeitschrift „konkret“: „Die Wurzeln für eine moderne deutsche Massenpsychose sind gepflanzt. Wir haben wieder das schaffende nationale und das raffende internationale Kapital, wir haben einen nach außen und innen immer aggressiveren deutschen Staat als Opfer einer globalen Entwicklung. Wenn das nicht alle wieder zusammenrücken läßt, um den nationalen Standort, der früher Vaterland hieß, wehrhaft zu verteidigen, was dann?“
Noch hütet man sich in Deutschland hier und da mit der „Konkretisierung des Bösen“.
Aber immer öfter werden die Hassobjekte, wie zum Beispiel der „Spekulant“ personifiziert. Die mediale Hetze über die „Schuldigen“ an der „globalen Krise“ läßt sich kaum noch überblicken, und mutet ohnehin an, als würden hier Eulen nach Athen getragen. Auf den Leserbriefseiten des Spiegel zum Beispiel werden „Spekulanten à la Soros“ in altbewährter antisemitischer Tradition als „Blutsauger am Volk“ dargestellt: „Der Vergleich von Menschen wie Soros mit Wölfen erscheint mir völlig unangebracht“, so Sharon Schmitz im Spiegel. Denn „Wölfe zerfetzen dem unterlegenen Artgenossen nicht die dargebotene Kehle. Soros legt zunächst die Schlagadern frei, um sich dann genüßlich vollzusaugen.“

Alt aber bewährt: Antisemitismus als Antizionismus.

Und auch mit dem Verweis auf die Lebendigkeit moderner Verschwörungstheorien die ohne größere Schwierigkeiten zu einem antisemitischen Weltbild konkretisiert werden können ist die Palette antisemitischer Erscheinungsformen alles andere als umfassend dargestellt. Da wäre zum Beispiel noch der Antizionismus. Ein trauriges Kapitel, hat sich doch dabei die deutsche Linke besonders hervorgetan, und das nicht nur in der DDR. Nach dem Sechstagekrieg 1967, entwickelte sich in der westdeutschen Linken die pro-arabische Parteinahme, die in der Regel mehr, nämlich strukturell antisemitischer Antizionismus war. Zuletzt wurde dies besonders während des zweiten Golfkrieges deutlich. Als in Israel die Bevölkerung in Angst vor irakischen Giftgasanschlägen verharrte, eine Bedrohung, die nur möglich wurde, weil deutsche Experten die Reichweite der irakischen Scud-Raketen verbesserten und auch die Herstellung des Gifgases auf deutscher Technologie beruhte, forderte die linke Friedensbewegung ohne Hinweis auf die existentielle Bedrohung Israels die Beendigung des Krieges. Die wichtigste linksradikale Zeitschrift „konkret“ verlor zu dieser Zeit ungefähr 1.100 Abonennten, die mit ihrer Abbestellung gegen die „einseitige und kritiklose Parteinahme für den Staat Israel und dessen Politik“ protestierten. Wieder wurde Israel als „Sperrspitze des amerikanischen Imperialismus“ diffamiert. Demagogische Vergleiche, wie das Gerede von der „Endlösung der Palästinenserfrage“ und die schamlos zur Schau getragene Freude über tödliche Anschläge palästinensicher Kommandos ergänzten, natürlich auch schon vor dem Golfkrieg, die feindliche Sichtweise gegenüber dem Staat, der maßgeblich von den Überlebenden des Holocaust aufgebaut wurde. An einer Hauswand in der Hamburger Hafenstraße prangte noch vor ein paar Jahren in riesengroßen Lettern: „Boykottiert Israel“ und die beliebte Punkband Daily Terror sang damals in wahrscheinlich ahnungsloser Verklärung der Intifada: „Der Holocaust-Kredit ist längst verspielt, sie haben lange noch auf unser Mitleid gezählt, wenn sie Massenmord (an den Palästinensern – d.A.) als Politik ansehen, ist die bombige Rache nur zu gut zu verstehen, dann gibts zwar Geschrei, doch das ist nun mal so, daß ist die offene Rechnung der PLO..., ...ist die bombige Quittung der PLO“.
Nur wenige Vertreter der neuen Linken in der BRD gingen mit dem anizionistischen Kurs so kritisch um, wie die Revolutionären Zellen. In einer 1991 veröffentlichten Erklärung auf die mittlerweile über 20 Jahre zurückligende Flugzeugentführung von Entebbe, kritisieren sie, daß im Verlauf der Aktion „Geiseln genommen wurden, deren einzige Gemeinsamkeit darin bestand, daß sie Juden waren. Die Selektion erfolgte anhand völkischer Kriterien.“ Die RZ schlußfolgern, „daß auch wir als Linke nicht gegen antisemitsiche Ressentiments gefeit sind, die notdürftig mit nationalrevolutionären Definitionen kaschiert werden.“
Daß heute antizionistische Haltungen nicht ganz so präsent wie noch vor ein paar Jahren sind, dürfte aber eher dem allgemeinen Zerfallsprozeß der Linken geschuldet sein, in deren Verlauf auch die Palästinasolidarität stark an Bedeutung verlor. Gänzlich verschwunden ist diese Sichtweise natürlich nicht. Dies zeigte sich an unzähligen Reportagen und Beiträgen zum fünfzigjährigen Bestehen des Staates Israel. Nicht nur in der „Jungen Welt“, sondern auch in der „FAZ“ und anderen etablierten Medien wurde der Staat Israel als unverbesserlicher Okkupant und Hort von religösen Fanatikern dargestellt. Über die Schwierigkeiten und besonderen Bedingungen der Kritik und Haltungen gegenüber dem Staat der Holocaust-Überlebenden im Land der Täter verbreitete man sich zu diesem Anlaß nicht.

Jews in the News. Antisemitismus in den Medien.

Vor knapp zwei Jahre wollte die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung“ in einer Umfrage von Passanten wissen, wieviele Juden wohl in Deutschland leben. Die erhaltenen Antworten schwankten zwischen einer und sechs Millionen!
In Wahrheit sind es rund 70.000. Liegt diese Überschätzung an der Projektion, „die Juden sind unser Unglück“ oder ist der Grund dafür die Berichterstattung der Medien, die es sich nicht nehmen läßt, auf die jüdische Herkunft zu verweisen, selbst wenn dies nicht den Schimmer mit dem „objektiven“ Nachrichtenwert zu tun hat. Diese Tatsache verweist darauf, daß in den Juden immer noch das andere, etwas Besonderes, etwas Abweichendes gesehen wird. Jene Sichtweise drückt sich zum Beispiel durch den philosemitisch motivierten Kameraschwenk, der auf der Leipziger Buchmesse einen Mann groß ins Bild zoomt, weil er eine Kippa trägt, genauso aus, wie durch den Verweis auf die jüdische Herkunft eines Rugby-Spielers. Ansonsten gilt bei der Berichterstattung der Lehrsatz den die „Allgemeine“ so formulierte: „Juden kommen in den TV-Nachrichten meist in drei Gestalten vor: Als Israelis, als Opfer etwa von Friedhofsschändungen und als Ignaz Bubis.“

Zum Schluß

Antisemitsiche Einstellungen und Aktionen gehören zum Alltag in Deutschland. Über die verschiedensten Chiffren sind sie oft weit mehr im Alltagsbewußtsein verankert, als man auf den ersten Blick vermutet. Doch nicht nur Unwissenheit verhindert Kritik. Die Abwehr von Goldhagens Thesen auch in der Linken ist leider ein Hinweis, daß die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und dem Holocaust immer noch gescheut wird. Im Haus des Henkers soll vom Strick nicht geredet werden. Fest steht, wenn es eine Rekonstruktion der Linken geben soll, sie einen Ausgangspunkt in der Aufarbeitung des Antisemitismus in der Linkem haben muß.



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last modified: 28.3.2007