Teil III: Von der Lebendigkeit der nationalsozialistischen Ideologie.
Aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus in Deutschland.
Es ist kein Geheimnis, daß der Antisemitismus in
Deutschland nicht mit dem Sieg der Alliierten im 2. Weltkrieg verschwand. Ganz
im Gegenteil, die antisemitische Einstellung der Deutschen lebte auch nach der
Niederlage fort. Obwohl sich die Realität des Holocaust jetzt nicht mehr
leugnen ließ, führte dies nicht zu einem Traditionsbruch, statt
dessen war die unmittelbare Nachkriegssituation von einer kaum geschminkten
Kontinuität der feindlichen Einstellung gegenüber den Juden
gekennzeichnet. Der Erwartung, daß mit dem Bekanntwerden der ganzen
Wahrheit über das Ausmaß der Vernichtung der europäischen Juden
eine Einstellungsänderung einsetzte, stand die Realität von
unzähligen Angriffen auf Juden, auf jüdische Friedhöfe und die
Ergebnisse von vielen Meinungsumfragen nach 45 entgegen.
Betrachtet man heute die politische Kultur Deutschlands, so lassen sich immer
noch die traditionellen Formen des Antisemitismus beobachten. Natürlich in
geringerem Maße als kurz nach 1945. Nur schwer aber doch stetig
gewöhnten sich die Deutschen daran, nicht mehr frei von der Leber zu
reden. Statt dessen entwickelten sie im Laufe der Jahre eine Vielzahl
antisemitischer Codes, die den gewandelten Staatsdoktrinen der beiden deutschen
Nachkriegsstaaten mehr oder weniger Rechnung trugen. Bei genauerem Hinsehen
offenbaren auch diese ihre Wurzeln in der antisemitischen Weltanschauung und
beweisen, daß der Nationalsozialismus nur als offizielle Staatsideologie,
nicht aber als in der Gesellschaft verankertes Bewußtsein besiegt wurde.
Erscheinungsformen des AntisemitismusAntisemitismus wegen Auschwitz
Eine mögliche Klassifikation des Antisemitismus nach 45 muß neben
dem Fortleben des geschlossenen antisemitischen Welbildes und dessen leicht
abgeschwächten, zeitgemäßen Variationen vorallem auch den
Antisemitismus wegen Auschwitz, den sogenannten sekundären
Antisemitismus(1) berücksichtigen. Eike Geisel pointierte diesen
eimnal mit dem Satz: Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie
verzeihen. Der sekundäre Antisemitismus wird immer wieder in den
ständigen Versuchen der Relativierung und Leugnung des Holocaust und in
der Schlußstrichmentalität, die von den deutschen Verbrechen
während des Nationalsozialismus nichts mehr wissen will, manifest. Im Juni
1994 bezeugten die Richter des Landgerichts Mannheim dem damaligen
NPD-Vorsitzenden Deckert in einer Urteilsbegründung eine
charakterstarke, verantwortungsbewußte Persönlichkeit mit
klaren Grundsätzen zu sein. Daß Deckert bekennender und
keinesfalls nur sekundärer Antisemit und Nazi war, wußte nicht nur
die Antifa, sondern ebenso die Tagesschau. Deshalb konnte man annehmen,
daß die Richter nicht völlig unbedarft an ihre Arbeit gingen.
Trotzdem, oder gerade deshalb, heißt es in der Urteilbegründung
weiter, daß Deckerts Tat, die Leugnung des Holocaust, von seinem
Bestreben motviert sei, die Widerstandskräfte im deutschen Volk
gegen die aus dem Holocaust abgeleiteten jüdischen Ansprüche zu
stärken. Nicht außer acht gelassen wurde auch die Tatsache,
daß Deutschland auch heute noch, rund fünfzig Jahre nach Kriegsende,
weitreichenden Ansprüchen politischer, moralischer und finanzieller Art
ausgesetzt ist, während die Massenverbrechen anderer Völker
ungesühnt blieben,... Weiterhin spräche für den
Angeklagten, daß er aufgrund seiner betont nationalen
Einstellung... den Juden ihr ständiges Insistieren auf dem Holocaust und
die von ihnen aufgrund desselben auch noch nach nahezu fünfzig Jahren nach
Kriegsende immer noch erhobenen (...) Forderungen Deutschland gegenüber
bitter übel nimmt...., und sich im übrigen zum Revisionismus
bekennt. Wie eng der sekundäre Antisemistismus auf den primären
aufbaut, wurde spätestens dort deutlich, wo im Urteil von den Juden als
Parasiten die Rede ist. Der Begriff wurde von den Richtern
eingeführt, der Angeklagte war so clever, dieses Stereotyp selbst nicht zu
gebrauchen. Die Richter sind heute übrigens noch in Amt und Würden.
Die Virulenz des sekundären Antisemitismus konnte man auch im Zuge der
Goldhagen-Debatte erleben. Viele der deutschen Kritiker argumentierten im Sinne
der Schlußstrichmentalität. Frank Schirmacher, einer der Herausgeber
der FAZ, klagte über die erneute Remythologisierung des
Holocaust, welche dazu führen würde, daß der Weg
der Deutschen ins einundzwanzigste Jahrhundert nur mit Skepsis und Furcht
betrachtet werden kann. Und der Autor der Welt, Jost Nolte,
ummäntelte seine leidenschaftliche Unmut über Goldhagens Störung
einer nationalen Normalisierung mit der Metahper der Sisyphos-Sage. Nach dieser
verurteilten die Götter einst den Sisyphos einen gewaltigen Stein mit
bloßen Händen einen Berg hinaufzurollen. Jedesmal, kurz vor dem
Ziel, englitt dieser dem Gepeinigten und verlängerte dessen Oual auf alle
Ewigkeit. Auf die deutsche Situation bezogen heißt es bei Nolte:
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Hitlers Tod und nach der Wende von
1989/90, die an den Ergebnissen des Zweiten Weltkriegs rüttelte, sah es
endlich so aus, als habe die Geschichte die Deutschen vom Schicksal des
Sisyphos erlöst. Goldhagen hat sich alle Mühe gegeben, sie in die
Verdammnis zurückzustoßen.
Auch bei der Kritik an Goldhagens Werk verband sich der sekundäre
Antisemitismus mit traditionellen Stigmatisierungen. In vielen Rezensionen,
wurde auf die religiös-ethnische Herkunft Goldhagens verwiesen. Die
gewünschte Suggestion sollte wohl ungefähr so lauten: Der Sohn eines
Überlebenden des Holocaust, ein Jude also, kann überhaupt nicht
objektiv urteilen, vielmehr handelt es sich bei seinen Thesen um einen perfiden
Racheakt an den Deutschen. Der Spiegel-Herausgeber Augstein bezeichnete
Goldhagen als Scharfrichter, der seinen Erfolg nur dem
Einfluß der jüdischen Kolumnisten Amerikas zu verdanken
habe. Wiedereinmal die altbekannte antisemitsiche These von der
jüdisch-amerikanischen Verschwörung.
Kaum, daß sich die Aufregung um Goldhagens Buch ein wenig gelegt hat,
geben sich deutsche Intellektuelle von neuem Mühe, die Lebendigkeit des
sekundären Antisemitismus in der Öffentlichkeit zu bezeugen. Der
hochdekorierte Großschriftseller Martin Walser und wiederum Augstein
üben sich im Normalisierungs-Nationalismus und beklagen,
daß Auschwitz niemals endet. Die Deutschen seien an ihrem
schmachvollsten Irrtum (...) festgeklebt und das gilt es zu
durchbrechen. Deshalb müsse man sich auch gegen die
Dauerpräsentation der deutschen Schande wenden und eine
Monumentalisierung der Schande verhindern, so die Meinung Walsers
zum Holocaust-Mahnmal. Da braucht es nicht mehr viel Analyse, um
herauszufinden, wessen Geistes Kind solche Äußerungen sind.
Es sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, in Deutschland hätte sich
eine grundlegende Änderung vollzogen, dessen Folge es ist, daß nur
noch getarnter und irgendwie abgeschwächter
Antisemistismus auffindbar sei. Die Verwendung des Begriffs
sekundärer Antisemitismus dient weniger der Bestimmung eines
Werturteils in Bezug auf antisemitische Idologeme sondern vielmehr einer
chronologischen Klassifikation. Der Antisemitismus wegen Auschwitz ist ein
spezifisches Phänomen der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Gleichwohl
oder besser gesagt, gerade deshalb ist er ein ungeheurer Skandal.
Der Antisemitismus stiefeltragender und anderer Nazis.
Gefährliche Orte wie Adelsdorf, Babenhausen und Gollwitz sind in oft als
sektiererisch beschriebenen Kreisen zu Symbolen für die Resistenz eines
antisemitischen Alltagsbewußtseins geworden. In allen drei Gemeinden
schöpften ganz normale Bewohner, die auch von der besten Recherche-Antifa
der Welt nicht auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick als Nazis
decodiert worden wären aus dem Fundus der nationalsozialistischen
Ideologie. Als am 11. September 1997 zum Gedenken an 60 jüdische
Bürger von Adelsdorf, die den Holocaust nicht überlebten, ein
Schweigemarsch vom ehemaligen Standort der Synagoge zum Bahnhof sattfand, an
dem sich 30 Menschen beteiligten, versammelten sich am Rande der
symbolträchtigen Strecke 400 Einwohner. Geifernd, pfeifend und johlend
standen sie am Straßenrand, sie riefen Juden raus und mit
Bezug auf das klägliche Häuflein der Demonstranten Euch haben
sie beim Vergasen vergessen. Nicht viel anders im hessischen Babenhausen,
wo die Bewohner den letzten ansässigen Juden so lange das Leben zur
Hölle machten, bis er sich gezwungen sah, das Dorf und das Land zu
verlassen. Doch damit nicht genug. Da sich Tony Abraham Merin nicht dazu
zwingen ließ sein Grundstück zu Kristallnachtspreisen zu
verkaufen, beschmierten es unbekannte Täter im letzten Jahr
mit Hakenkreuzen und brannten es nieder. Und auch im brandenburgischen Gollwitz
heißt Ehre Treue gegenüber der nationalsozialistischen
Vergangenheit. Als das Land im letzten Jahr beschloß 50 jüdische
Aussiedler aus der ehemaligen SU aufzunehmen, schlossen die Gollwitzer die
Reihen fest. Mit der offen geäußerten Zustimmung der meisten
Dorfbewohner entschied der Gemeinderat, sich gegen die Unterbringung der
Aussiedler auszusprechen, denn diese würden erheblich in das
dörfliche Gemeinschaftsleben eingreifen. Schokierte Journalisten aus
der ganzen Welt versuchten daraufhin, das Ausmaß und die Ursachen der
Entscheidung zu ergründen. Ihnen offenbarte sich ein Meinungsspektrum,
welches nicht zwischen pro oder contra schwankte, sondern dessen Bestandteile
nur darin variierten, ob der Gemeinderatsbeschluß aus antisemitischen,
fremdenfeindlichen oder beiden Motiven gutgeheißen wurde. Zur
Illustration: Die Rentnerin, die aus Posen nach Gollwitz kam, wußte,
daß die Juden, die sind, die immer nur Geschäfte machen,
und die sollten doch nach Israel gehen, wo sie herkommen. Eine
etwas jüngere Volksgenossin begnügte sich mit dem Wissen, daß
alle Leute aus dem Ostblock einen überdimensionalen Hang zur
Krimminalität haben. Und als wäre dies nicht schon alles
(1) Die Verwendung des Begriffs richtet sich nach der
Definition Jürgen Elsässers: Er bezeichnet das Phänomen,
daß die Nazi-Täter und ihre Erben möglichst wenig an ihre
antisemitischen Verbrechen erinnert werden möchten, aber die bloße
Existens von Juden oder auch vom Staat Israel diese Schlußstrich-Absicht
durchkreuzt. Die Opfer des Holocaust können und wollen nicht vergessen,
was ihnen geschehen ist, und genau das nimmt man ihnen übel... (J.
Elsässer: Antisemitismus das alte Gesicht des neuen Deutschland. Berlin, 1992, S.72)
(2) Nur soviel: Am 9. November 1998, dem 60sten Jahrestag
der Pogromnacht wurden in vielen Städten Hakenkreuze an Hauswände
gemalt (z.B. in Leipzig, Halle), in Halle befestigten Unbekannte
ein Tranpsarent mit der Aufschrift 9. 11. Ein Volk steht
auf!, in Berlin wurde das Mahnmal zur Erinnerung an die Deportationen der
Juden mit Hakenkreuzen geschändet, in Potsdam eine Scheibe auf dem
jüdischen Friedhof eingeworfen... |
schlimm genug, gab es auf diese Ereignisse noch einen innerlinken Epilog der
sich gewaschen hatte. Dem nationalbolschewistischen Flügel der
Tageszeitung Junge Welt (z.B. Redakteur Werner Pirker) waren solche
Äußerungen der Gollwitzer noch Anlaß zu Verteidigung und
positiver Parteinahme. Statt antisemitischer Kontinuität und Rassismus,
sah man verschleierten sozialen Protest und Klassengegensätze aufbrechen
und nicht zuletzt eine großangelegte Verschwörung der
Pressegeier über Gollwitz und anderer Illuminaten. Aber das
steht auf einem anderen Blatt oder besser, auf einer anderen roten Karte, die
Pirker & Co. zwar schon von der jungle world-Linken gezeigt
wurde, leider aber noch nicht dazu geführt hat, daß das Team der
volksseeligen Antisemitenfreunde vom Platz gestellt wurde.
Jedenfalls hat sich auch an Gollwitz bewiesen, daß den anderen
politischen Strömungen in Deutschland, einschließlich der Linken,
kein Freibrief ausgestellt werden kann. Doch dazu später ein bißchen mehr.
Die eben kurz umrissenen Schlüsselereignisse des vergangenen Jahres stehen
natürlich keineswegs als einzige schwarze Schafe in einer Reihe von
philosemitischen Musterschülern da. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands
und der rassistischen Pogromwelle brach sich auch ein verstärkter
antisemitischer Aktionismus Bahn. Unzählige Friedhofsschändungen,
Brandanschläge auf Synagogen und Gedenkstätten, die nur in den
allerseltensten Fällen einen öffentlichen Widerhall erfuhren,
gehörten und gehören zur neuen Tagesordnung. Hier Beispiele zu
nennen, hieße fast einer Verharmlosung des Ausmaßes der
antisemitischen Verwüstungen das Wort zu reden.(2) So gab es von
1990 bis 1994 über 190 Schändungen jüdischer Friedhöfe.
Nicht immer ist belegt, daß die Täter das waren, was wir allgemein
als Nazis, Faschos etc. bezeichnen. Die hinterlassenen Parolen wie Juda
verrecke sprechen aber eine eindeutige Sprache und wenn die Täter
nicht die äußeren Insignien der Faschos an sich haben sollten, so
sind sie es ideologisch auf jeden Fall. Jedes Denkmal, welches in Deutschland
an Deportation und Vernichtung erinnert, jede jüdiche Gedenkstätte
und jede Einrichtung, die in einem Zusammenhang mit Israel steht, jede Synagoge
etc., muß in Deutschland rund um die Uhr bewacht werden, will man nicht
ihre Existenz aufs Spiel setzen. So wurde zum Beispiel der Gedenkstein der in
Berlin an die Massendeportation der Juden erinnert, im vergangenen Jahr immer
wieder verwüstet so lange bis eine Mahnwache und eine rund um
die Uhr-Bewachung der Polizei einigermaßen Schutz garantierte.
Jedesmal, wenn der Schutz für die Gedenkstätte gelockert wurde, kam
es zu einer erneuten Schändung (siehe auch Fußnote 2).
Den Soundtrack zum antisemitischen Aktionismus produzieren Nazi-Bands
zum Beispiel Tonstörung aus Mannheim , die deutlich
machen, daß sie nicht nur den symbolischen Angriff wagen, sondern auf
jedwede Tarnungsversuche ihres eliminatorischen Antisemitismus verzichten. So
heißt es in einem ihrer Lieder: Wetz dir deine Messer auf dem
Bürgersteig, laß die Messer flutschen in den Judenleib. Blut
muß fließen knüppelhageldick, und wir scheißen auf die
Freiheit der Judenrepublik. Computerspiele, wie KZ-Manager
oder Achtung Nazi, bei denen Massenvergasungen simuliert werden,
zeugen von der gleichen Geisteshaltung. Bei verbalen Attacken bleibt es nicht.
Die Vernichtungserfahrung, der eliminatorische Antsemitismus ist in Deutschland
noch immer präsent und keineswegs nur als Musik in den Ohren von alten und
neuen Nazis. Im Mai diesen Jahres stand Ronny S. vor dem Amtsrichter, weil er
auf dem Marktplatz der sächsischen Gemeinde Oschatz einen Lehrling mit
einem Messer niedergestochen und lebensgefährlich verletzt hatte. Der
einzige Hinweis auf die Motive des Täters, schilderte das Opfer so:
Er fragte mich nur ob ich Jude sei, dann stach er einfach zu.
Partei alten TypsNun liegen diese Erscheinungsformen des Antisemitismus nachweisbar
außerhalb des Toleranzbereiches staatlicher Repression. Mit juristischen
Mitteln und Sondereinheiten der Polizei, mit Indizierungen und
Auftrittsverboten von Nazi-Bands usw. versucht der Staat solcherart Taten und
Propaganda zu ahnden und einzuschränken. Richtig ernstgenommen wird der
Antisemitismus der Nazis (und schon gar nicht der Antisemistismus der
anderen Deutschen) nicht. Viele sogenannte
Rechtsextremmismusexperten meinen, daß der Antisemitismus in der
Ideologie von sogenannten Neonazis gar nicht mehr die tragende Rolle spielt.
Stattdessen trete Ausländerfeindlichkeit als erfolgsfördernde
Propaganda an die Stelle des Antisemitismus. Gerade die derzeit abräumende
NPD hielte sich vermeintlich mit antisemitischen Äußerungen
zurück, um ihre Legalität nicht zu gefährden. In Wahrheit aber,
vertritt die Partei ein strikt antisemitisches Weltbild. In der Nazi-Zeitung
BBZ, unter der Rubrik Analyse und Kritik, fand sich Mitte Mai ein
Beitrag mit dem Titel: Wie fundamental ist die nationale Opposition? Die
NPD, die BRD-Rechte und die nationalen Sozialisten. Der Artikel liest
sich als prononcierte Zusammnefassung des völkischen Antikapitalismus der
NPD, der historisch auf die Ideologie antisemitischer Politiker des 19. Jh.,
die völkischen Bewegungen der 20er Jahre und natürlich auf den
nationalrevolutionären Kurs der NSDAP aufbaut. Zu den Wortführern des
antikapitalistisch begründeten Antisemitismus in den 70er Jahren des 19.
Jh. gehörte der Journalist Otto Glagau. Er brachte damals auf den Punkt,
was die Nazis auch heute unter der sozialen Frage verstehen, wenn sie zum
nationalen Kampf gegen System und Kapital aufrufen: Das Judentum ist das
angewandte, bis zum Extrem durchgeführte Manchestertum. Es kennt nur noch
den Handel, und auch davon nur den Schacher und Wucher. Es arbeitet nicht
selber, sondern läßt andere für sich arbeiten, es handelt und
spekuliert mit den Arbeits- und Geistesprodukten anderer. Sein Zentrum ist die
Börse... Als fremder Stamm steht es dem deutschen Volke gegenüber und
saugt ihm das Mark aus. Die soziale Frage ist wesentlich Gründer- und
Judenfrage, alles übrige ist Schwindel. Dem Klischee vom faulen und
schachernden Juden, das aus dem Mittelalter überliefert wurde, setzte man
in Deutschland mit der Entwicklung des Kapitalismus das Bild vom ehrlichen,
fleißigen, ordentlichen deutschen Arbeiter gegenüber. Die Juden
wurden als Personifizierung des raffenden, unproduktiven Kapitals begriffen,
welches im Gegensatz zum produktiven, national verankerten Kapital stand. Beide
Bausteine der deutschen antisemitischen Ideologie, der Arbeitsethos und seine
jüdische Antithese und die Entgegensetzung von
jüdisch-raffenden und arisch-schaffenden Kapital
wurden im Nationalsozialismus aufgegriffen und zur weltanschaulichen Grundlage
der sogenannten Endlösung radikalisiert. Im besagten Beitrag
der BBZ tauchen die eben charakterisierten Fragmente in nahezu kongruenten
Formulierungen wieder auf. So heißt es dort, es reiche nicht aus,
das raffende Kapital und die Zinsprivilegien der Banken zugunsten der produktiv
arbeitenden Volksgenossen lediglich einzudämmen..., vielmehr
müsse diese kapitalistische Wirtschaftsordnung generell durch eine
antikapitalistische Volksgemeinschaft ersetzt werden. Und zum Begriff der
Arbeit wird referiert, daß in ihm der Gedanke des schaffenden
Unternehmertums, welches selbst wiederum antikapitalistisch und antimarxistisch
ist, dem des raffenden Finanzkapitals gegenübergestellt ist... Und
weiter geht es in Stürmer-Manier, daß über Spekulation
und Zinswirtschaft der schaffenden Arbeiter ausgebeutet wird, während der
mittelständische Unternehmer mit dem in seinen Betrieb beschäftigten
Arbeitnehmern eine ehrliche Parterschaft verbindet. Auch ohne das NPD und
JN die Juden als Schuldige für Zinsknechtschaft, Globalisierung und
internationalistischen Kapitalismus benennen, wird deutlich, daß die
Parolen von vorne bis hinten antisemitisch sind. Die NPD hat mit ihrer
völkisch-antikapitalistischen Aggitation wieder zu ihrem historischen
Vorbild gefunden, der Weltanschaung der Nationalsozialsten. Deren zentraler
Gedanke wurde von Hitler in Mein Kampf einst so formuliert:
Im Hakenkreuz sehen wir die Mission des Kampfes für den Sieg des
arischen Menschen und zugleich mit ihm auch den Sieg der schaffenden Arbeit,
die selbst ewig antisemitsich war und antisemitisch sein wird.
Rassismus als Erscheinungsform des Antisemitismus?
Rassisten sehen Fremde als Minderwertige, welche nur für
eingegrenzte Zwecke tauglich sind dreckige Arbeit, Tanzen, Sex etc.
und mehr oder weniger ausgegrenzt gehören. In Deutschland brach
sich nach der Wiedervereinigung ein eliminatorischer Rassimus Bahn, der den bis
dato bekannnten rassistischen Alltag, sowohl im Osten als auch im Westen, bei weitem übertraf.
Offensichtlich hat auch eine besonders aggressive Haltung gegenüber den
Fremden im Bewußtsein der Deutschen die Nachkriegszeit
überdauert, die jetzt, da sie wieder selbst über Kultur
und Politik bestimmen dürfen, zum Vorschein kommt. Oft quälen
deutsche Täter ihre Opfer auf unvorstellbar grausame Weise, oft wollen sie
mit ihren Brandbomben, so viele wie möglich umbringen. Verweisen die
unzähligen Morde und Mordanschläge auf einen im Kern antisemitischen Vernichtungswillen?
Noch ein weiteres Argument spricht dafür, daß in Deutschland
Rassismus tendenziell antisemitisch ist. Als das deutsche Volk mit seiner
Regierung um die Abschaffung des Asylrechts rang, wurden mit der Hetze gegen
Asylmißbrauch und organisierte Krimminalität
auch altbekannte antisemitische Bilder beschworen. Flüchtlinge wurden zu
Parasiten erklärt, die angeblich auf Kosten der Deutschen
lebten. Betrügerische Abzocker und international
agierende Verschwörerbanden zogen, so die allgemeine Meinung, die
ehrliche Bevölkerung, die Volkswirtschaft und das heimatliche Steuersystem
über den Tisch. Heute wird besonders mit Bezug auf
Schleuserkriminalität die Hysterie vor einer halluzinierten
Bedrohung gesteigert. Aber auch im Feindbild vom ausländischen
Dealer kommt ein Wahnbild zum Ausdruck, welches nicht mehr
nur einfach rassistisch ist. Vielmehr handelt es sich
auch hier um eine Synergie; antisemitische Denkmuster verbinden sich mit rassistischen Einstellungen.
Ahnunglos oder schlimmer? Die Linken und die Spekulanten.
Doch nicht nur die Nazis wenden sich gegen die abstrakte Form des Kapitals und
glorifizieren das Konkrete. Auch ein Großteil der Linken bei den
Autonomen gehört es zum ABC wettern gegen Spekulanten und
Parasiten, machen das Finanzkapital in persona von Bankern für allen
Unbill dieser Welt verantwortlich. Falsch am Engagement gegen das, was als
böse begriffen wird, ist der entstehende Eindruck, das Industriekapital
wäre weniger ausbeuterisch. Nicht selten wird auch heute noch die
ordentliche Maloche gegen die brotlose Kunst oder das Reichwerden
ohne lästigen Arbeitsschweiß verteidigt. Dabei wird bekanntlich in
der Produktionsphäre bei der Mehrwertproduktion ausgebeutet. Bei der
Kapitalismuskritik verbietet sich also das Gefasel vom parasitären
Spekulanten in welcher Form auch immer. Ansonsten wird die linke
Sichtweise, die vielleicht nur romantische Positionierung sein
will, zur antisemitisch konnotierten Verschwörungtheorie.
Wenn allerdings trotzdem immer wieder mit dem Verweis, man betreibe ja nur
symbolische Politik und müsse deshalb vereinfachen und polarisieren, auf
die alten antisemitischen Stereotypen zurückgegriffen wird, dann muß
mehr als Unbedarftheit vermutet werden. Denn schon ein ganz
oberflächlicher Vergleich mit der Sprache des Dritten Reiches
müßte einem oben beschriebene Begriffe im Halse stecken lassen.
Besser natürlich, das Denken, welches sie zur Sprache bringt, verschwände gänzlich.
Der neuste Schrei: Antisemitismus als Globalisierungsangst.
Kaum codierter Antisemitismus bleibt aber keinesfalls nur dumpfer
Nazi-Agitation vorbehalten. Anstatt des parasitären, heimatlosen
Finanzkapitals mit dem traditionell die Juden gleich gesetzt werden,
begegnen wir heute aller Orten der ominösen Chiffre der
Globalisierung. Geheimnisvoll und gefährlich,
heimtückisch und überall anzutreffen, ist sie es angeblich, welche
den Wandel der Lebensbedingungen am Ende des 20. Jh. bestimmt. In dem Buch
Globalisierungsfalle der Spiegelautoren, Hans Peter Martin und
Harald Schumann wird eine bedrohliche Macht beschworen, die sich hinter dem,
was Globaliserung sein soll, nämlich Turbo-Kapitalismus,
Global Players, internationale Finanzmärkte etc,
verberge. Sie zerstöre Deutschlands Unternehmerkultur, weil,
habe sie sich erstmal des nationalen Kapitals bemächtigt, nur noch die
Aktienrendite und nicht mehr die Verantwortung für das Heimatland
zähle. Genauso wie beim traditionellen Antisemitsimus, welcher der
deutschen produktiven Arbeit und dem national verankerten Kapital eine
jüdische Verschwörung gegenüberstellt, setzt man
auch beim Popanz Globalisierung auf die Konstruktion sich
widersprechender Prinzipien. Die deutsche Marktwirtschaft als
positive Antithese zur amerikanischen Variante des Kapitalismus, oder
deutsche Unternehmerkultur vs. angloamerikanische
Kommerzidee. Treffend der Kommentar von Trampert/Ebermann in der
Zeitschrift konkret: Die Wurzeln für eine moderne
deutsche Massenpsychose sind gepflanzt. Wir haben wieder das schaffende
nationale und das raffende internationale Kapital, wir haben einen nach
außen und innen immer aggressiveren deutschen Staat als Opfer einer
globalen Entwicklung. Wenn das nicht alle wieder zusammenrücken
läßt, um den nationalen Standort, der früher Vaterland
hieß, wehrhaft zu verteidigen, was dann?
Noch hütet man sich in Deutschland hier und da mit der
Konkretisierung des Bösen.
Aber immer öfter werden die Hassobjekte, wie zum Beispiel der
Spekulant personifiziert. Die mediale Hetze über die
Schuldigen an der globalen Krise läßt sich
kaum noch überblicken, und mutet ohnehin an, als würden hier Eulen
nach Athen getragen. Auf den Leserbriefseiten des Spiegel zum Beispiel werden
Spekulanten à la Soros in altbewährter antisemitischer
Tradition als Blutsauger am Volk dargestellt: Der Vergleich
von Menschen wie Soros mit Wölfen erscheint mir völlig
unangebracht, so Sharon Schmitz im Spiegel. Denn Wölfe
zerfetzen dem unterlegenen Artgenossen nicht die dargebotene Kehle. Soros legt
zunächst die Schlagadern frei, um sich dann genüßlich vollzusaugen.
Alt aber bewährt: Antisemitismus als Antizionismus.
Und auch mit dem Verweis auf die Lebendigkeit moderner
Verschwörungstheorien die ohne größere Schwierigkeiten zu einem
antisemitischen Weltbild konkretisiert werden können ist die Palette
antisemitischer Erscheinungsformen alles andere als umfassend dargestellt. Da
wäre zum Beispiel noch der Antizionismus. Ein trauriges Kapitel, hat sich
doch dabei die deutsche Linke besonders hervorgetan, und das nicht nur in der
DDR. Nach dem Sechstagekrieg 1967, entwickelte sich in der westdeutschen Linken
die pro-arabische Parteinahme, die in der Regel mehr, nämlich strukturell
antisemitischer Antizionismus war. Zuletzt wurde dies besonders während
des zweiten Golfkrieges deutlich. Als in Israel die Bevölkerung in Angst
vor irakischen Giftgasanschlägen verharrte, eine Bedrohung, die nur
möglich wurde, weil deutsche Experten die Reichweite der irakischen
Scud-Raketen verbesserten und auch die Herstellung des Gifgases auf deutscher
Technologie beruhte, forderte die linke Friedensbewegung ohne Hinweis auf die
existentielle Bedrohung Israels die Beendigung des Krieges. Die wichtigste
linksradikale Zeitschrift konkret verlor zu dieser Zeit
ungefähr 1.100 Abonennten, die mit ihrer Abbestellung gegen die
einseitige und kritiklose Parteinahme für den Staat Israel und
dessen Politik protestierten. Wieder wurde Israel als Sperrspitze
des amerikanischen Imperialismus diffamiert. Demagogische Vergleiche, wie
das Gerede von der Endlösung der Palästinenserfrage und
die schamlos zur Schau getragene Freude über tödliche Anschläge
palästinensicher Kommandos ergänzten, natürlich auch schon vor
dem Golfkrieg, die feindliche Sichtweise gegenüber dem Staat, der
maßgeblich von den Überlebenden des Holocaust aufgebaut wurde. An
einer Hauswand in der Hamburger Hafenstraße prangte noch vor ein paar
Jahren in riesengroßen Lettern: Boykottiert Israel und die
beliebte Punkband Daily Terror sang damals in wahrscheinlich ahnungsloser
Verklärung der Intifada: Der Holocaust-Kredit ist längst
verspielt, sie haben lange noch auf unser Mitleid gezählt, wenn sie
Massenmord (an den Palästinensern d.A.) als Politik ansehen, ist
die bombige Rache nur zu gut zu verstehen, dann gibts zwar Geschrei, doch das
ist nun mal so, daß ist die offene Rechnung der PLO..., ...ist die bombige Quittung der PLO.
Nur wenige Vertreter der neuen Linken in der BRD gingen mit dem
anizionistischen Kurs so kritisch um, wie die Revolutionären Zellen. In
einer 1991 veröffentlichten Erklärung auf die mittlerweile über
20 Jahre zurückligende Flugzeugentführung von Entebbe, kritisieren
sie, daß im Verlauf der Aktion Geiseln genommen wurden, deren
einzige Gemeinsamkeit darin bestand, daß sie Juden waren. Die Selektion
erfolgte anhand völkischer Kriterien. Die RZ schlußfolgern,
daß auch wir als Linke nicht gegen antisemitsiche Ressentiments
gefeit sind, die notdürftig mit nationalrevolutionären Definitionen kaschiert werden.
Daß heute antizionistische Haltungen nicht ganz so präsent wie noch
vor ein paar Jahren sind, dürfte aber eher dem allgemeinen
Zerfallsprozeß der Linken geschuldet sein, in deren Verlauf auch die
Palästinasolidarität stark an Bedeutung verlor. Gänzlich
verschwunden ist diese Sichtweise natürlich nicht. Dies zeigte sich an
unzähligen Reportagen und Beiträgen zum fünfzigjährigen
Bestehen des Staates Israel. Nicht nur in der Jungen Welt, sondern
auch in der FAZ und anderen etablierten Medien wurde der Staat
Israel als unverbesserlicher Okkupant und Hort von religösen Fanatikern
dargestellt. Über die Schwierigkeiten und besonderen Bedingungen der
Kritik und Haltungen gegenüber dem Staat der Holocaust-Überlebenden
im Land der Täter verbreitete man sich zu diesem Anlaß nicht.
Jews in the News. Antisemitismus in den Medien.
Vor knapp zwei Jahre wollte die Allgemeine Jüdische
Wochenzeitung in einer Umfrage von Passanten wissen, wieviele Juden wohl
in Deutschland leben. Die erhaltenen Antworten schwankten zwischen einer und sechs Millionen!
In Wahrheit sind es rund 70.000. Liegt diese Überschätzung an der
Projektion, die Juden sind unser Unglück oder ist der Grund
dafür die Berichterstattung der Medien, die es sich nicht nehmen
läßt, auf die jüdische Herkunft zu verweisen, selbst wenn dies
nicht den Schimmer mit dem objektiven Nachrichtenwert zu tun hat.
Diese Tatsache verweist darauf, daß in den Juden immer noch das andere,
etwas Besonderes, etwas Abweichendes gesehen wird. Jene Sichtweise drückt
sich zum Beispiel durch den philosemitisch motivierten Kameraschwenk, der auf
der Leipziger Buchmesse einen Mann groß ins Bild zoomt, weil er eine
Kippa trägt, genauso aus, wie durch den Verweis auf die jüdische
Herkunft eines Rugby-Spielers. Ansonsten gilt bei der Berichterstattung der
Lehrsatz den die Allgemeine so formulierte: Juden kommen in
den TV-Nachrichten meist in drei Gestalten vor: Als Israelis, als Opfer etwa
von Friedhofsschändungen und als Ignaz Bubis.
Zum SchlußAntisemitsiche Einstellungen und Aktionen gehören zum Alltag in
Deutschland. Über die verschiedensten Chiffren sind sie oft weit mehr im
Alltagsbewußtsein verankert, als man auf den ersten Blick vermutet. Doch
nicht nur Unwissenheit verhindert Kritik. Die Abwehr von Goldhagens Thesen auch
in der Linken ist leider ein Hinweis, daß die Auseinandersetzung mit dem
Antisemitismus und dem Holocaust immer noch gescheut wird. Im Haus des Henkers
soll vom Strick nicht geredet werden. Fest steht, wenn es eine Rekonstruktion
der Linken geben soll, sie einen Ausgangspunkt in der Aufarbeitung des
Antisemitismus in der Linkem haben muß. |