- CEE IEH: Ihr kommt beide von der Studiobühne. Was muß man sich darunter vorstellen?
- Rühle: Die Studiobühne gehört im Prinizp zum
Institut für Theaterwissenschaften, ist aber im Endeffekt ein separater Verein.
Firyn: 1996 haben wir den Verein gegründet. Ich bin 1995 aus der Umgebung
von Hamburg nach Leipzig gekommen und wollte hier Theater machen, aber das ging
einfach nicht, weil es in der Stadt fünf bis sechs Vereine gibt, die
angeblich Theater machen, aber eigentlich nur szenische Lesungen veranstalten
oder ein Theater machen, das ein Amteurniveau hat, dieses aber einem als
professionell verkaufen wollen. Das ganze ist noch gepaart mit einer seltsamen Cliquenwirtschaft.
In Anbetracht dieser Situation haben wir dann parallel zu unserer ersten
Produktion, die wir damals als Koproduktion mit dem Poetischen
Theater gemacht haben, die Studiobühne gegründet.
- CEE IEH: Welche Ambitionen verbinden sich mit der
Studiobühne? Ist der Verein als Konkurrenz zu dem
lobbyistischen Kultur- und Kunstklüngel zu begreifen, den es ja eigentlich in jeder größeren Stadt gibt?
- Firyn: Ich würde das gar nicht als Konkurrenz sehen. Vielmehr machen es
beide Seiten ganz verschieden. Das muß man so verstehen: Viele der
Leipziger Theatervereine bestehen eigenllich nur aus zwei bis drei Leuten, die
schon alle relativ alt sind, und versuchen, damit Geld zu verdienen. Deshalb
Vom baldigen Ende Alwins nach seiner Beförderung(tue..thu 27..29-10, 8pm)
Zwischenergebnisse jahrelanger Zerstückelungs- und Erweiterungsarbeiten an
Texten von Georg Boese hat Boese selbst in Leipzig immer wieder in szenischen
Lesungen und lesischen Szenungen vorgestellt und dabei im Laufe der Zeit die
gesamte Leipziger Off-Theaterszene zitiert. Als Reaktion zitiert das Theater
jetzt Boeses Texte über Menschen, Künstler und Faschisten. Unter Zuhilfenahme von Musik. |
richten sie sich in der Regel eher lukrativ aus, tun professionell und drucken
sich etwas teurere Plakate, die noch das Schauspielhaus-Farbniveau
übertreffen. Ich glaube, es geht ihnen nicht so sehr ums Theater. Bei uns
dagegen ist die Anzahl von Theaterwissenschaftlern so hoch, daß es
wirklich möglich ist, über Dramaturgien zu diskutieren, über
Theater, über Ästhetik. Das ist dann etwas anderes, wenn man
inszeniert, um Gedanken über Dramturgie umzusetzen, zu schauen, ob ein dramaturgisches Prinzip aufgeht.
- CEE IEH: Also ist die Studiobühne eher ein Akademikerklub?
- Firyn: (lacht) Nein. Es ist ein Klub, wo wir gegenseitig
voneinander verlangen, daß man auch erklären kann, was man da macht.
Das ist quasi ein Prinzip bei uns: Alles was du machst, erkläre auch,
wieso du es tust. Das heißt aber nicht, daß es am Ende nicht
unterhaltsam sein soll. Es geht also darum, eine Strategie zu entwickeln, wie
es am Ende unterhaltsam ist zwingend.
- CEE IEH: Letzteres ist ja dann doch eher eine praktische Klammer. Was
aber ist die theoretische? Wird alles in erster Linie unter
experimentellem Theater gefaßt, ist es etwas, was man gemeinhin im 68er
Sinne als Off-Theater begreifen sollte? Was ist eurer Meinung nach am treffendsten?
- Rühle: Ich finde, es ist eher gemischt, und es kommt auf die Leute an, die
was inszenieren, welche Vorstellung diejenigen von Theater haben.
Firyn: Ich würde es nicht als Off-Theater bezeichnen und auch nicht mit
den 68ern in Verbindung bringen. Viel eher mit den Theaterleuten um 1910. Das
ist ja die Zeit in unserem Jahrhundert, wo die großen Theatertheorien
entwickelt wurden. Was zumindest ich versuche und langsam auch in der
Studiobühne sich durchsetzt, ist, die Konzepte vom Beginn des Jahrhunderts wieder aufzugreifen.
- CEE IEH: Spricht nicht aber die Zeit, in der wir heute leben, dagegen,
diese Konzepte wieder aufleben zu lassen? Über die Jahrzehnte ist jeder
Ansatz in die bürgerliche Kunst eingeflossen. Wo ist denn da noch die Reibung?
- Rühle: Es geht ja eher weniger darum, wirklich neues mit der
Studiobühne zu produzieren, sondern eher darum, sich selber
mit den Traditionen auseinanderzusetzen, durch praktische Arbeit hinter die Konzepte zu steigen.
- CEE IEH: Geht es bei der Umsetzung, der Inszenierung, nicht doch eher um kollektives Arbeiten?
- Firyn: (leicht aufgebracht) Nein, nein! Das würde ich ganz weit von mir
weisen. Ich mache diktatorisches Regietheater.
Ich versuche, ein Konstrukt zu entwickeln, daß für mich wahr ist, so
daß ich für mich sagen kann, so muß man Theater machen, um ein
bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Somit gibt es auch bestimmte Regeln.
- CEE IEH: Die da wären?
- Firyn: Alles, was auf der Bühne passiert, muß einen Sinn haben. Das
ist eine Spielregel, eine Vereinbarung, die ich im Stillen mit dem Publikum
treffe. Alles, was passiert, ist auch so gewollt. Das heißt, wenn etwas
von dem, was da passiert, nicht verstanden wird, es sich nicht in das Ganze,
was als verstanden angenommen wird, einfügt, dann wurde das Ganze nicht verstanden. Es gibt keine Zufälle.
- CEE IEH: Du gibst also schon eine gewisse Interpretationsebene vor. Ich
glaube aber, daß dies grundsätzlich mit den verschiedenen
Rezeptionsebenen kollidiert. Ist es nicht eine Illusion zu meinen, man könne viel vorgeben?
- Firyn: Ja, das kann sein, es kann passieren. Deshalb sage ich, daß wir nicht behaupten.
- CEE IEH: Umreißt doch bitte mal kurz, was passiert eigentlich bei
dem Stück Vom baldigen Ende Alwins nach seiner
Beförderung, das im Conne Island zur Aufführung kommt?
- Firyn: Das möchte ich gar nicht erzählen, weil es darum nicht in
erster Linie geht. Natürlich kann ich den Plot kurz umreißen, aber
der Plot ist ja nur so etwas wie der Trägerstoff. Das mußt du so
verstehen, als würde ich als Laborassistent nur über den
Objektträger reden, aber nicht über das Objekt. Der Plot ist also das Alibi und darin ist etwas eingewebt.
- CEE IEH: Ihr habt euch ja sicher genau überlegt, warum ihr das
Stück im Conne Island aufführen wollt und wißt ja auch,
daß der Laden gewisse Klischees von einem autonomen Kultur- und
Jugendzentrum erfüllt inklusive einer gewissen Theaterphobie, die
an dieser Stelle doch verteidigt werden soll. Grundsätzlich, so meine ich,
sollte die Theaterszene für jemanden, der Realitäten wahrnimmt,
suspekt erscheinen. Zumal die Grenze zwischen sogenannter Hoch- und Basiskultur
sehr fließend ist und letztere eigentlich nur als Sprungbrett ins
Establishment begriffen wird. Das ist natürlich Grund genug,
gegenüber der Aufführung skeptisch zu sein. Wie seht ihr das?
- Firyn: Inzwischen bin ich ziemlich froh, daß wir es hier machen. Ich
hoffe ja auf Conne Island-Stammpublikum. Es kommen hier wahrscheinlich eher
Leute, die nicht so genau wissen, was da passiert und eher Angst davor haben,
daß es so ein Literaturquark wird und sich dann aber daran erfreuen
können, wenn seltsame Sachen passieren.
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