Ein Angriff der Kulturlinken durch einen Aufsatz von Diedrich Diederichsen. Gewählte Waffenart: alter Scheiß.
Wenn linke Fußballfans sich selbst suggerieren, an
der Rückholung des Spieles zu rackern, dann liegen dem zwei
wesentliche Irrtümer zu Grunde. Zum einen halluziniert man so,
der Fußball hätte einem früher gehört,
wäre also vormals ein linkes, unkorrumpierbares Ding gewesen. Zum anderen
weitet man das Eigene, die kollektive Zusammengehörigkeit, in dem alle
regelmäßig ins Stadion gehenden Fußballglotzer dem
Wir-Gefühl zugeschlagen werden. So läßt sich Masse schaffen,
deren bester Teil dann die ganz doll Linksseienden darstellen.
Sicherlich ist es gut und gerne richtig, daß die sich links begreifenden
Fußballfans noch am ehesten in der Lage sind, der jeweiligen
ein gutes Stück linkes Kulturfeld Günter Netzer,
Popstar und linke Fußballikone |
Vereinsführung ein wenig Feuer unterm Arsch zu machen. An der
grundlegenden Struktur wird dies aber kaum jemals etwas ändern.
Auch wenn Fußball ein gutes Stück linkes Kulturfeld ausmacht, das
ohne größere Verrenkungen dem goßen Bereich Pop zugeordnet
werden kann, scheint hier, trotz linker Merchandising-Produktion, die Welt von
Oben und Unten eher in Ordnung als in der Popmusike und der ihr nahestehenden
Kunst- und Kulturwelt. Nicht zuletzt deshalb macht man in der Linken nicht so
viel Aufhebens von der gegebenen Fußballarithmetik jedoch umso
mehr von der musikzentrierten und der ihr angeschlossenen Kunst-Linken, die
inzwischen gemeinhin als Kultur- oder Poplinke durchgeht.
Außerhalb dieser Kulturlinken, das heißt seitens der Linken, die
diese Linken als solche überhaupt wahrnehmen, wird eine Distanz gewahrt,
die daher rührt, daß das Feld der Massen- oder besser: Popkultur im
traditionellen Zusammenspiel mit den Neuen Sozialen Bewegungen auch nur
ansatzweise jene Radikalität ermöglicht, die die Kulturlinken mit
Begriffen wie Dissidenz oder Subversion vorgaben an den Tag zu legen.
Dagegen macht die Poplinke traditionell den Einwand geltend, daß jene
Neuen Linken der Frankfurter Schule, die es insbesondere auf die Kulturlinken
abgesehen haben, scheinbar niemals reflektieren, daß all ihr politisches
Tun ihre Praxis also schon immer Ausdruck einer bestimmten
kulturellen Symbolik war, die nicht für sich stand, sondern sich der
Kultur bedienen mußte, um überhaupt handlungsfähig zu werden
und transparent sein zu können.
Diesen alten Hut neu aufzumachen, daran versuchte sich erst jüngst
Diedrich Diederichsen in der inzwischen als Halbjahresschrift erscheinenden
Die Beute. Neue Folge. Aus seinem Text Der Boden der
Freundlichkeit von der Unmöglichkeit Politik zu machen, ohne Kultur
zu betreiben, der durch den Vorabdruck in der Wochenzeitung Jungle
World noch entsprechend aufgewertet wurde, läßt sich
erstaunlicherweise herauslesen, daß Diederichsen urplötzlich der
Meinung ist, zwar noch immer Apologet der Poplinken zu sein, nicht aber genau
einer ihrer Konstrukteure. So kritisiert er entprechend eine angebliche
Zuschreibung von außen, die es so nie gab. Nun wird relativiert, was vor
wenigen Jahren noch zum Masterplan taugte. Und zwar nicht, indem das Scheitern
selbst, wenn es nur partiell wäre etwa eingestanden wird.
Nein. Vielmehr werden plötzlich die Anderen die linken Kritiker
dafür verantwortlich gemacht, was doch niemals so gemeint gewesen
wäre. Sie würden alles zum Projekt und Konzept aufblasen und
individuelle Positionen als Manifeste machtvoller und gefährlicher
Bewegungen (...) behandeln, was vielleicht nur Versuch oder verzweifelter
Aktionismus war. Doch auch daraus läßt sich, in gewisser Weise
selbstverräterisch, nach Diederichsen wieder nur neue Kraft schöpfen.
So wie es hilfreich war, von Rechts zu Korrektheitsterroristen
gebrandmarkt zu werden, so könnten die in der Linken
üblichen paranoiden Projektionen (...) ausgezeichnete
Diskussionsbeiträge abgeben. Man müßte eben nur wissen,
wie damit umzugehen sei. Daß das, was in der Vergangenheit
produziert, gesagt und geschrieben wurde, schlußendlich nur der
Unbedarftheit geschuldet sei, könnte als Behauptung, wenn es nicht so
frech wäre, gar zu Tränen rühren: Pop hat
Bilder, Stimmungen und Metaphern von Verhältnissen und macht sie so
diskutierbar, bevor sie abstrakt erfaßt sind. Diejenigen, die diese
Beschreibungen produzieren, sind aber logischerweise eben gerade keine
Analytiker dieser Verhältnisse. Ach ja, die Ärmsten. Es mutet
schon schizophren an, daß die mittelbare Individualität, der eigene
autonome Spielraum, den eben gerade Diederichsen und SPEX
auf dem Popfeld trotz Kapitalismus immer wieder als Hauptmotivation linker
Kulturpolitik betrachteten, jetzt so weit in den Hintergrund tritt, daß
die Verantwortlichkeit des einzelnen handelnden Individuums plötzlich mit
leistbarer Analyse nichts mehr zu tun haben soll. Vermutlich, weil Symbolik
neuerdings am Ende grundsätzlich vor dem Denken steht. Vielleicht kommt es
ja so, daß sich die Abwehr der Kulturindustriethese von
Adorno/Horkheimer, und damit der gesamten Kritischen Theorie, in soweit
reduziert, daß die dort nivellierte Pseudoindividualität
als Verkehrsknotenpunkte der Tendenzen des Allgemeinen zur
Ehrenrettung des Popproduzenten herhalten muß.
Noch vor zwei Jahren schrieb Christoph Gurk, Chefredakteur der SPEX, der
sich in seinem Beitrag für den Sammelband Mainstream der
Minderheiten Pop in der Kontrollgesellschaft die
Kulturindustriethese unter den Bedingungen postmoderner
Ökonmie vorzunehmen versuchte, daß die Chance für
Interventionsmöglichkeiten, an denen Subjekte, die sich nicht auf die
Kaufentscheidung reduzieren lassen wollen, um die Bedeutung kultureller Zeichen
streiten können, ein immens hochzuhaltendes Gut wäre. Das
scheint jetzt bei Diederichsen vom Tisch. Und damit vermutlich auch von einigen
umliegenden Katzentischchen. Als folgerichtige Konsequenz wurde es ja auch Zeit
wenn man so will. Schon anhand von Hip Hop hatte Diederichsen der Linken
erklären wollen, wie sehr sich das Arrangegement mit den falschen
Verhältnissen als aktuelle Perspektive der Befreiung anbietet:
Daß die Hip Hopper nur noch am Kapitalismus partizipieren wollten, sei
nicht schlecht, weil es ihnen im Einzelfall aus dem sozioökonomischen
Underdogdasein heraushelfe. Was jedoch diese Einzelfälle am
grundsätzlichen kapitalistischen Ausbeutungsverhältnis perspektivisch
ändern sollen, diese Frage hat sich weder für Diederichsen noch
für andere Popapologeten je gestellt. Die Forderung nach gleichen
kapitalistischen Bedingungen für alle ist eine klassisch
sozialdemokratische mit dem Unterschied wohlgemerkt, daß die Sozis
sich niemals um Minderheiten scheren. Insofern stellt sich die Frage, ob die
Poplinke als Überbau genau jene Sozialdemokratie für Minoritäten
aller Art abgeben will. Sozusagen für das Patchwork der Minderheiten
zuständig. Schlecht wäre das nicht. Nur hat das recht wenig mit
radikalem Linkssein oder, genaugenommen, gar Linkssein überhaupt zu tun.
Was sich darüber hinaus als Befreiungsperpektive durch Kultur
abzeichnen soll, ist, gelinde gesagt, nichts. Diederichsen nennt diese Position
berechtigterweise das kalte, abhärtende Wasser des
Kulturpessimismus. Die Grenzen der Symbolik bilden Warenförmigkeit
und ökonomische Verhältnisse. Innerhalb dieser läßt sich
so einiges anstellen. Unter anderem auch die von Greil Marcus benannte
Gleichschaltung durch unbedingte Coolness. Sprengen lassen sich die Grenzen
jedoch nicht. Durch Denken und Reflektieren kann man aber besagtes Terrain auf
der Theorieebene verlassen. Dann geht es zwar erst so richtig ab hinsichtlich
des Widerspruches von Theorie und Praxis. Aber zumindest der geistigen
Emanzipation vom durchdringenden totalen Ökonomismus läßt sich
so näher kommen. Letzteres nennt man, so weit ich weiß, radikal
linkes Denken. Ralf
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