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Mythen aus dem Jungbrunnen.

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Wer hätte das gedacht? Der 1. Mai 98 in Leipzig geht auf das Haben-Konto der Antifa. Doch trotz der Erkenntnis ‘was noch alles geht’, das DVU-Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt hat gezeigt, daß keine Zeit für linken Freudentaumel bleibt.

Das „Nationale Infotelefon Thüringen“ machte erst gar keine Anstalten, irgendetwas zu verhehlen. Der Opener der Ansageschleife ab dem 2. Mai hieß: „Das Debakel von Leipzig“. Und dann ningelte die gewohnte Stakkato-Stimme über beschädigte Reisebusse, lädierte Kameraden und den parteiischen Einsatz der „Systempolizei“. Es muß schon etwas besonderes passiert sein, wenn die Nazis gegen eine Hauptregel der Propaganda verstoßen, die
bullen an barrikaden, 9.1k
Ungeordnete...
besagt, daß auch noch die größte Schmach als Erfolgsmeldung verbreitet werden muß. Hatten die Nazis nicht Grund zur Freude?
Im Gegensatz zum letzten Jahr konnte ihre zentrale Kundgebung zum 1. Mai weder von den juristischen Bemühungen der Stadt Leipzig noch von den antifaschistischen Gegenaktionen gänzlich verhindert werden. Und kamen auch nicht die angestrebten 10.000-15.000, so lagen die Teilnehmerzahlen doch fast auf demselben Niveau wie bei den bisherigen Events in München und Passau. Aber die harten Fakten – etwa 4000 Nazis folgten dem Aufruf der NPD – müssen sich an dem Popanz messen, den der „Nationale Widerstand“ im Vorfeld des 1. Mai immer mehr aufgebauscht hatte. Leipzig sollte den endgültigen Aufbruch der „Nationalen Bewegung“ markieren. Als ein unübersehbares Fanal, daß das zweifelsohne vorhandene Potential der Nazis nicht nur bei Wahlen, sondern auch auf der Straße nicht mehr aufzuhalten sei. In diesem Sinne war die „Nationale Kundgebung zum Tag der Arbeit“, sowohl was ihre Außenwahrnehmung als auch ihre Wirkung auf die „Szene“ betrifft, nur ein blasser Schatten der hochgesteckten Erwartungen.
Was kann eigentlich im Unterbewußtsein des normalen Zeitungslesers hängengeblieben sein, außer „Ausschreitungen bei NPD-Kundgebung“ (SZ)? Das Medienecho war jedenfalls angenehm gleichlautend und läßt sich auf die Formel reduzieren, welche in Zukunft jede Verbotsverfügung vergleichbarer Aufmarschversuche untermauern muß: NPD = Randale.
Daß die Nazis auch noch das Ihrige dazu beitrugen, den Wahrheitsgehalt jener Aussage zu bestätigen, indem sie mit dem Aufmarschversuch in Richtung Innenstadt das bayrische USK zum öffentlichkeitswirksamen Einschreiten veranlaßten und damit die minimale Chance, die ihnen die
gegendemonstrantInnen, 9.9k
...Unordnung.
Autonomen ließen, als gesetztestreue Saubermänner zu erscheinen, in den Wind schossen ... nun gut, soviel Dummheit muß einfach bestraft werden.
Für die innnere Verfaßtheit des reisewilligen NPD-Anhangs war der Tag gerade wegen der ausgebliebenen Marschroute durch die Stadt ein eher zermürbendes Erlebnis. Denn es blieb nicht viel mehr als eine 3-Stündige Aneinanderreihung von Redebeiträgen, umrahmt von einem Polizeikordon, der den „öffentlichen und volksnahen Charakter der Kundgebung einschränkte“, so die Organisationsleitung über den Ticker der Nazi-Internet-Zeitung „BBZ“. Die Stimmung bei den Nazis muß so schlecht gewesen sein, daß sich ein Sprecher des NPD-Bundesvorstandes dazu genötigt sah, sich für den „Ablauf der Veranstaltung zu entschuldigen“: „Wir hatten keinen Spielraum für ein größeres Rahmenprogramm... Eine ordentliche Feier mit Infoständen und Getränkeausschank wurde uns ebenso verboten wie ein Demonstrationszug durch die Innestadt“ (BBZ).
Die tiefe Enttäuschung wird in solchen Aussagen evident. Gelangweilt von den lange schon verinnerlichten nationalsozialistischen Tiraden, welche vom Rednerpodest schallten, schwitzten die meist jungen Nazis in der Sonne. Kein Bier, kein Spaß, nur Rennicke mit seiner alten Leier.
Dazu mußte der Nazi-Mob dann auch noch die Hiobsbotschaften, die vom Tohuwabohu im Umfeld des Kundgebungsplatzes zeugten, taten- und teilweise fassungslos verkraften. Im Prinzip gab es nur eine einzige Straße, auf der es den Nazis möglich war zum Veranstaltungsort zu gelangen. Alle anderen wurden von Antifas blockiert. Wer hier als bekennender Nazi provozierte, büßte seine Selbstsicherheit nicht selten mit Blessuren. Für nicht wenige Versicherungspolicen dürften in Folge des 1. Mai die Beiträge steigen, aber gewichtiger als der materielle Schaden und die Spekulation darüber, welche Busunternehmen für die NPD nicht mehr auf Reise gehen werden, bleibt der symbolische Aspekt. Nur unter dem Schutz der Polizei konnten die Nazis ihre Kundgebung vollziehen, denn „Vermummte aus der linken Szene versuch(t)en, zum Völkerschlachtdenkmal durchzubrechen“ (LVZ). Das in letzter Zeit den Nazis so geläufige „Antifa – ha, ha, ha.“ dürfte einigen in Zukunft in der Kehle stecken bleiben und so mancher wird überlegen, zu welchen Anlässen er als Musterarier durch die Gegend spaziert.
Schade nur, daß es nicht gelang, die Nazi-Kundgebung völlig zu verhindern. Dabei standen die Chancen gar nicht so schlecht. Immerhin 10.000 Menschen fanden sich am Vorabend des 1. Mai zum „Rock gegen Rechts“ am Platz vor dem Völkerschlachtdenkmal ein. Sie mögen in ihrer Mehrzahl nicht gerade blockadegeschulte außerparlamentarische Linke gewesen sein. Aber trotzdem, hätten die Bands ihre großen antifaschistischen Gesten nur ein bißchen ernst genommen und zu einer Blockade des Platzes aufgerufen, oder hätte der DGB sein Versprechen war gemacht, eben dieses Ansinnen zu unterstützen, dann wäre die Besetzung aussichtsreich gewesen.
Aber wie zu erwarten war, hat der 1. Mai in Sachen antifaschistischer Bündnispolitik keine neuen Erkenntnisse gebracht. Die IG-Metall zog im vorauseilenden Gehorsam still und heimlich noch während des Konzertes ihre Anmeldung für eine Kundgebung am Völkerschlachtdenkmal zurück. Die rechtliche Grundlage für die Platzbesetzung fiel damit weg und die nichtsahnenden Antifas, die am frühen Morgen am Völkerschlachtdenkmal demonstrieren wollten, liefen der Polizei ins jetzt offene Messer. Zur selben
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Ordnung
Zeit, als die Polizei mit Wasserwerfern und Knüppeleinsatz die Nazis vor den Antifas in Schutz nahm, zelebrierten die Gewerkschaften und ein Großteil der PDS-Anhänger business as usual in der Innenstadt. Wenigstens waren deren Veranstaltungen so peinlich schlecht besucht, daß man um sie nicht weiter Aufhebens machen muß. Zweitausend bei der Kundgebung auf dem Markt und die Tandem-Fahrt um den Ring mit Zonen-Täve interessierte nicht mal die LVZ so richtig. Fazit: Besagte Organisationen bekommen also trotz des „DVU-Schocks“ kaum mehr Anhänger auf die Straße. Ihr antifaschistischer Anspruch, der von ihnen immer wieder, wie auch diesmal, mit Füßen getreten wird, steht nur noch auf dem Papier und wird bestenfalls noch von einigen Einzelpersonen engagiert vertreten.
Die waren dann wahrscheinlich vor Ort, blockierten gemeinsam mit tausenden Autonomen, Migranten, Antifa-Kids und Punkern die Anfahrtswege der Nazis. Etwa 8.000 Antifas agierten so über den ganzen Tag und erst als sich ein riesiger Demozug auf der Prager Straße formierte, ließ sich absehen, wieviele dem Aufruf zur Verhinderung des Nazi-Aufmarsches gefolgt waren. Die Stimmung der Linken war weitaus besser als die der Nazis, hatte man diese doch, so gut es eben ging, behindert. Dazu das schöne Wetter und spannend war es auch...
„Linksradikale Randale“, sollte es später heißen und so mancher Antifa fühlte sich von solcherart Schlagzeilen falsch verstanden. Dabei haben die Autonomen lange nicht mehr so gute Presse bekommen und soviel Inhalte vermittelt, wie an diesem 1. Mai.
Natürlich geben die Vertreter der Stadt nicht zu, wie dankbar sie über die „Ausschreitungen“ sind, die ihnen die Möglichkeit eröffnen, die nächsten Verbotsverfügungen für die kommenden Nazi-Veranstaltungen weniger dilletantisch zu belegen. Und auch davon abgesehen, daß die Vehemenz der Proteste dafür sorgte, daß das „weltoffene“ Leipzig im Ausland auch nach dem 1. Mai den Anspruch behaupten darf, daß sich hier noch Protest gegen die besorgt beobachtete Rechtsentwicklung regt (The Guardian: „...young lefting radicals who tried to confront the skinheads...“), symbolisieren die brennenden Barrikaden, die übrigens in keinem realen Verhältnis zu dem stehen, was medial daraus gemacht wurde, ein gewichtiges Argument gegen die Nazis.
Am 1. Mai trafen nicht nur in Leipzig, sondern ebenso am Abend in Berlin zwei gegensätzliche Wertesysteme aufeinander. Auf der einen Seite, beim Aufmarsch der NPD, die radikalste Verkörperung der deutschen Sekundärtugenden „Ordnung, Disziplin, Sauberkeit“, welche in nur graduell entschärfterer Form durch das martialische Auftreten der Polizei in Berlin, durch die „Inneren Sicherheitskonzepte“ von CDU-SPD, durch das Kleinbürgertum der PDS etc. vertreten werden. Dem augenscheinlich entgegengesetzt war an diesem Tag das Prinzip „Chaos“, die antiautoritäre Unordnung.
In Leipzig scheiterte die Selbstdarstellung der Nazis komplett. Ihr Werbesignal ging in der Aura des Chaotentums, daß die Autonomen über sie
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Disziplin
stülpten, unter. Die Nacht in Berlin blamierte Innenminister Schönbohms „Zero Tolerance-Fanatismus“, mit dem der kleine Diktator aus Berlin den Nazis kaum hinterherhinkte.
Hätte es an diesem 1. Mai noch geklappt, den Arbeitsfetischismus von NPD bis DGB mit der Parole „Arbeit ist Scheiße“ zu konterkarieren, so wäre der politische Lackmustest, die Scheide zwischen rot und braun, fast vollständig symbolisiert gewesen.
Aber auch so ging der PR-Effekt für die Autonomen in Ordnung. Daß sie ihre Attraktivität mit Aktionen aus der Mottenkiste bewiesen, mußte nach den letzten Events – den versuchten Demonstrationen in Saalfeld, zum Beispiel – überraschen.
Jetzt, wo sich der gute alte Mythos „Riot“ mal wieder aufs neue als ganz praktisch erwiesen hat, dürfte den Autonomen nicht jede Perspektive im tiefschwarzen Licht erscheinen.
Natürlich muß man sich vor Überbewertungen vorsehen, aber falls es in diesem Land noch junge Leute gibt, die nicht wissen, wohin mit ihrer wirklichen Antihaltung, und das meint gerade nicht den vermeintlichen Protest der Nazis, die nur die Stammtischparolen der Elterngeneration radikalisieren, dann haben sie am 1. Mai ihren politischen Ansprechpartner dargestellt bekommen.
Der Offensive der Nazis und der Rechten ist trotz dieser recht erfreulichen Bilanz natürlich noch lange keine Grenze gesetzt. Es bleibt Spekulation wieviel solche Debakel sich die NPD noch leisten kann. Mittlerweile häufen sich die Stimmen, die wie Werner Schulz, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, ein Verbot der NPD fordern. Auch das wird die Klientel der Partei verunsichern. Man muß kein Hellseher sein, um zu vermuten, daß der nächste zentrale Aufmarschversuch viel über das außerparlamentarische Konzept und generell die Akzeptanz der NPD als Organisation mit Führungsanspruch entscheidet. Bis jetzt sind die Ausmaße der Spaltungstendenzen im Lager des „Nationalen Widerstandes“ noch nicht abzusehen. Es scheint jedoch so, als wären die norddeutschen Truppenteile, die auch am 1. Mai den vergeblichen Demo-Versuch starteten, besonders sauer.

Wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte. Dies muß nicht die Antifa, sondern könnte zum Beispiel die DVU sein. Seit ihrem Wahlerfolg in Sachsen-Anhalt in aller Munde, hat sie nicht nur bewiesen wie man völkischen Trotteln das beachtliche Salär eines Landtagsabgeordneten verschafft, sondern vor allem, wie offen sich Teile der Bevölkerung mittlerweile zu den Nazi-Parteien bekennen. Zwar war die Entrüstung angesichts des Wahlergebnisses groß, nicht zuletzt deshalb, weil man wie die großen Handels- und Wirtschaftsverbände in der Sachsen-Anhalt-Wahl eine „schwere Hypothek für den Standort Deutschland“ (FAZ) sieht. Doch wer genauer hinschaute, bemerkte schnell, daß auch in Zukunft kein antifaschistischer Ruck die Gesellschaft erschüttern wird. Ganz im Gegenteil. Schon jetzt steht fest, welche Perspektive der Rechtsentwicklung, unabhängig von eventuellen Allianzen, gemeinsamen oder getrennten Machtambitionen der Nazi-Parteien, auf jeden Fall verwirklicht werden wird. Mit der Übernahme der Nazi-Ideologeme in die Programmatik der großen Parteien wird dem Volke nach dem Mund geredet, der nationalistische und rassistische Diskurs aufs neue verschärft.
In der LVZ bemängelt der sächsische CDU-Vorsitzende, Fritz Hähle, daß sich die Partei in letzter Zeit mit ihrem Bekenntnis zum Deutschtum zu sehr zurückgehalten hätte: „...Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Das muß man öffentlich sagen dürfen, ohne sofort gebranntmarkt zu werden.“
Am offensichtlichsten wird der parteipolitische Rechtsruck bei der CSU. Sie will es nicht länger den noch rechteren Parteien überlassen, über den „Mißbrauch des Asylrechts, die Ausländerkriminalität und die innere Sicherheit zu sprechen“, so der Landesgruppenvorsitzende Glos in der FAZ. Und weiter: „Eine echte Volkspartei muß sich mit den Themen befassen, die das Volk tatsächlich interessieren.“ Dabei werde die CSU auch „ganz bewußt die Gebote der ‘political correctness’“ ignorieren.
Neben der NPD, der DVU, den Reps ist mit der CSU also bald die vierte Nazi-Partei im Rennen. Wer soll die aufhalten?
Die CDU mit „keine Wählerschelte-Kohl“ wirft nach dem anhaltinischen Wahlergebnis ebenfalls alle Regeln des demokratischen Geschmacks über Bord. Der Bundeskanzler „warnt vor Ausgrenzung und Diffamierung der DVU-Wähler“ (FAZ), hieß es allerorten.
Auf „Ich bin bereit-Schröder“ kann sich die Linke auch nicht verlassen, denn der steht bekanntlich rechts vom Kanzler.
Der DVU-Vorsitzende Frey findet beide Politiker ganz passabel. Vor der Niedersachsenwahl hatte er zum Votum für Gerhard Schröder aufgerufen, „weil dieser sich wenigstens in Ansätzen vaterländisch äußere“ (FAZ). Und an Kohl sei begrüßenswert, daß dieser begriffen habe, „wie nötig deutsche Politik für deutsche Wähler sei“ (FAZ).
Bleiben die Grünen und die PDS. Erstere werden sich wahrscheinlich noch an Schienenstränge ketten und um Benzinpreise fetzen, wenn über dem Reichstag in Berlin schon wieder die Hakenkreuzfahne weht. Hingegen sollte sich die PDS schon bald auf die erste Antifa-Demo vor der sächsischen Landeszentrale gefaßt machen.
Die jüngsten Äußerungen der sächsischen Spitzenkandidatin der PDS für den Bundestag, Christine Ostrowski, haben aufs Neue die nationalsozialistische Option der SED-Nachfolgepartei ins Spiel gebracht: „Warum gelang es der PDS nicht, viele von denen, die jetzt DVU gewählt haben... für sich zu gewinnen?“, fragt die, für ihre Kontakte zu Nazi-Organisationen bekannte Kommunalpolitikerin aus Dresden, in einem Leitartikel des PDS-nahen ND rhetorisch. Und ihre Antwort lautet: „Jeder dritte Bauarbeiter im Osten ist arbeitslos. Gleichzeitig arbeiten nicht wenige ausländische Beschäftigte auf dem Bau. Kann man es einem hiesigen Bauarbeiter verdenken, daß er die Wut kriegt, wenn er nicht zuletzt deswegen seine Arbeit verliert?... Also seien wir die Stimme seines Protestes und denken wir darüber nach, warum wir es nicht sind, jedenfalls nicht genug.“
Summasumarum, „der Trend läuft auf unsere Forderungen hinaus“, konstatierte der DVU-Chef auf einer Pressekonferenz in München. Angesichts dieser Parteienvielfalt im rechten Spektrum können einem die Deutschen vor der Bundestagswahl ja schon richtig leid tun – frey nach dem Motto: Wer die Wahl hat, hat die Qual. Die autonome Antifa allerdings auch. Frank



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last modified: 28.3.2007