Von welcher Position aus besteht noch die
Möglichkeit, kritisch zu reflektieren, was um einen herum passiert?
Anknüpfend an die hiesig laufende Debatte um Bands wie Lokalmatadore und
Kassierer, bei denen die textliche Aufgabe der Ich-Position im Gleichklang mit
der Hinwendung zum vulgären Sexismus verknüpft wird weil ihnen im
rotzlöffelnden Punkverständnis nicht mehr einfällt, als auf dem
rumzureiten, was ihnen wie (anti-pc-er) Tabubruch erscheinen mag, stellt sich
die Frage vor dem Hintergrund eines absolutistischen Marktkonformismus.
Voraussetzung für die Kritik von Verhältnissen sollte die
Gewißheit sein, daß Populärkultur nur solange dissident sein
durfte, wie die Einbindung auf dem jeweils ästhetischem wie dem
gesamtgesellschaftlich-ökonomischem Feld auf die symbolische Abwehr durch
den gesellschaftlichen Mainstream traf. Nicht erst die verkündete Symbiose
aus Pop und Politik beförderte den Niedergang der angestrebten Subversion,
sondern das Setzen auf selbige war und ist der Fehler. Die weithin verbreitete
Annahme, adornitisches Denken von keinem richtigen Leben im Falschen insofern
aushebeln zu können, als daß die alleinige verbale Hinwendung zum
Dissidenz-Begriff ausreiche, um dem Sachzwang aus dem Antagonismus von Kapital
und Arbeit zu entfliehen, entlarvte sich anhand dutzender Beispiele
gerade der Post Punk-Ära in den Achtzigern als ausgemachter
Blödsinn. So entpuppte sich beispielsweise auch der etwas später
folgende Verbalradikalismus seitens der Band Sterne (Fick das
System) als partizipierender Beischlaf für die schönen Seiten
des Kapitalismus. Verweigerung bedeutete im Sinne des postrukturalistischen
Kauderwelsches vom Diskurs-Pop nicht mehr, als der Rückzug auf die
Minimalforderung des Dazugehörens unter dem Vorzeichen, tatsächlich
anders sein zu wollen, weil ja alles nur eine Frage des Sprechens und des
Gespräches sei. Daraus entsprang dann sogar eine reformerische
Strukturkosmetik innerhalb der Musikindustrie befördert durch den
Gang in die Institutionen mehrerer, mutmaßliche Authentizität
verkörpernder Aktivisten , die solcherlei Deregulierung und
Flexibilisierung nach anfänglichem Widerstand heutzutage gar mit
Kußhand herbeisehnt. Oder anders: Was bleibt von einer Band wie
Chumbawamba, wenn von ihnen nicht mehr transportiert werden kann, als
irgendwie(!) linksradikal zu sein und damit manifestiert wird, daß linker
Radikalismus mit dem Erwerb eines Konzerttickets endet. Es gibt meineserachtens
kein Entfliehen vor der treffenden Analogie, die Günter Jacob aus dieser
Konstellation allzugern ableitet: Ob Platten- oder Briefmarkensammeln, das
macht wahrlich keinen Unterschied. Demzufolge macht es auch nur noch Sinn,
darüber zu streiten, ob es denn je eine Situation gegeben hat, wo man das mal nicht gelten lassen konnte.
Eine politische Praxis, die aus der Hinwendung zur expliziten Popkultur
entspringt, scheint passé. Vor einiger Zeit stellte ich
anläßlich eines Konzertes der Goldenen Zitronen im Conne Island hier
in diesem Heft sinngemäß fest: Links oder Hipster beides
zusammen wird nicht mehr gehen (Vergleiche CEE IEH #26, Oktober
1996). Daran hat sich meineserachtens bis heute nichts geändert im Gegenteil.
Daß auf der anderen Seite vorgebliche politische Ästhetik à
la Proletenkult und Agit-Prop-Sachlichkeit fröhlichen Urständ bei
nicht wenigen Polit-Gruppen gerade der Antifa-Szene feiert, macht die Sache um
so problematischer. Nicht zuletzt weil ich glaube, daß politisch kein
anderer Ausweg bleibt, als überall zu polarisieren, zu trennen, auf Abkehr
von der Anbiederung an die Massen zu setzen. Doch weder Pop noch alte Neue
Sachlichkeit in der Tradition der unsäglichen Arbeiterbewegung kann dies
möglich machen. Tatsächlich, so denke ich, fliegt bei näherer
Betrachtung sogenannter linker Kunst und Ästhetik ohnehin auf, daß
es eine solche niemals gegeben hat und auch niemals geben wird.
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Dank dieser Äußerungen wird mir sicherlich zuteil, Popanz des
Kulturpessimismus zu sein. Doch denke ich, daß genau die positive
Eroberung eines kulturpessismistischen Begriffes ein politisches Feld
eröffnet, auf dem destruktives Reden und Handeln dringend möglich
werden muß. Wie man es in der Endkonsequenz nicht macht, das haben uns
zum Glück bereits die Situationisten verraten.
Brüllen
Bewußt als Band konstituiert, geht es dem Trio Luka Rothmann, Kristoph
Schreuf und Martin Buck um die garantierte Parität innerhalb des Projektes
Brüllen. Resultierend aus dieser Konstellation reflektieren alle drei
einzeln und zusammen, was der ehemaligen Pop-Diskurs-Welt wiederfahren ist,
ohne zu verleugnen, daß die Aufbereitung des gegenwärtigen Zustandes
insbesondere ihre Sache ist. Das Wegbrechen des Rahmens, in dem die
theoretische und praktische Auseinandersetzung gerade in Hamburg vor einigen
Jahren noch geführt werden konnte so die Hip Hop-Diskussion oder
die Wohlfahrtausschüsse läßt leider nur wenige daran
kauen, daß etwas im argen liegt. Die Unzufriedenheit, die viele kaum in
der Magengegend spüren, macht im gesamten nicht mal produktiv, sondern
ausschließlich lethargisch. Brüllens Verdienst besteht also nicht
zuletzt darin, genau diesen Zustand mit ihrer Platte Schatzitude durchbrochen zu haben.
Inwieweit sich dabei Kristoph Schreuf bewußt ist, diesen Durchbruch zur
eigenen Gechichtsbewältigung geleistet zu haben, läßt sich nur
erahnen. Die Band Kolossale Jugend, deren Sänger er war, brachte jedoch
ende der Achtziger/anfang der Neunziger tatkräftig auf den Weg, was
später zum Marktsegment Hamburger Schule verkam. Trotz aller
Ausdifferenzierung sind sich die Protagonisten der Medienkonstruktion Hamburger
Schule einig, daß das, was vor einigen Jahren an Popularisierungsschub
einsetzte, in der Endkonsequenz so von ihnen nicht gewollt war. Daß dabei
jedoch schon immer im argen lag, was denn eigentlich gewollt wurde, sei hier
deshalb erwähnt, weil sehr vieles darauf hinweist, daß nicht einmal
der Weg bestimmt war, geschweige denn das Ziel.
Brüllens subtile Kritik an dem Blumfeldschen Versuch, das neu-linke
Postulat vom Privaten als politisch einer neuen Breitenwirksamkeit
zuzuführen, kann nur beigepflichtet werden. Denn unbestreitbar verkehrte
sich die Blumfeld-Rezeption in vielen Fällen in ihr Gegenteil und endete
somit in dem Lebenscredo:
Das Politische ist privat. Vielleicht verweist ja
genau das auf die Ursachen des Scheiterns einer Szene, die sich immer
genügend Hintertüren offen gehalten hat, um ja nicht super-konsequent
sein zu müssen. (Mit Ausnahme der Goldenen Zitronen vielleicht.)
Les Robespierres
Als gemeinhin erkannt wurde, daß ihre erste Single Mexico o
E.Z.L.N. e voces (Januar 94) trotz bravourösem Arrangements
unterzugehen drohte, schob man in der Pop-Fachpresse so einiges an Artikeln und
Berichten nach, um der Band doch noch auf die Beine zu helfen. Geklappt hat das
nur halb. Noch intensiver setzte sich das Presseecho anläßlich ihres
ersten Albums Liberdade/Liberalidade (Oktober 95) fort.
Anläßlich des sagenumwobenen Auftrittes ende 95 im Conne
Island hieß es im CEE IEH: Beatmusik im besten Sinne
mit ein paar Einsprengseln Mod. (...) Den Robespierres ist an Direktheit
gelegen und es besteht der Anspruch zu reagieren, wo man Zeit findet und nicht
soviel davon braucht. Diese (...) Art der Schnelligkeit löst Verwunderung
aus, über Formen, von denen man glaubte, sie seien Musikhistorie oder
hohles Formengespiele von Leuten, die sonst nichts anderes zu tun haben
(CEE IEH #17, Dezember 95).
Anläßlich ihrer neuen Platte Repentista/Repetista
zischelt und flüstert es allerorten, die Platte sei die konsequente
Fortsetzung des Weges, der bereits mit ihrem ersten Album vorgezeichnet wurde.
Dem kann man sich nur anschließen. Vier hübsche Männer, die so
aussehen wie sie klingen oder besser: so klingen wie sie aussehen. Können
die überhaupt irren? |