Adelsdorfer Verhältnisse sind Nürnberger Verhältnisse und umgekehrt.
Kurze Lektion Geographie: Adelsdorf ist ein fränkisches Kaff in der Nähe von Nürnberg und Nürnberg ist
eine fränkische Stadt in der Nähe von einem fränkischem Kaff.
Nun das Eigentliche: Adelsdorf und Nürnberg reihen sich in die Liste von
anderen deutschen Städten und Dörfern ein, welche 1997 durch offen
auftretenden Antisemitismus in die Schlagzeilen gerieten, die einen mehr, die
anderen weniger. Während z.B. in Babenhausen und Dresden kaum jemand Notiz
von dem antisemitischen Mob nahm, kam Gollwitz (wohl eher durch Zufall) in den
Blickpunkt des öffentlichen Interesses. In Adelsdorf schaffte man es
jedoch wieder, den Antisemitismus fast ganz totzuschweigen, wie es in diesem
Land eigentlich üblich ist. Denn schließlich darf es ja nicht geben,
was es nicht geben darf. Seit 1945 gibt es in Deutschland keinen Antisemitismus
mehr, dies zeigte uns erst letztens das Beispiel Gollwitz, wo nach
anfänglicher Empörung über die antisemitischen Ausfälle des
Landmobs doch wieder nur allerhöchstens Rassismus bzw.
Fremdenfeindlichkeit (was jedoch kaum noch als solches wahrgenommen
wird(1)) und Angst vor Überfremdung/Zerstörung der eigenen
Kultur gelten gelassen wird. Dafür werden alle erdenklichen bzw. nicht
erdenklichen Entlastungen gefunden und erfunden (allen voran die junge Welt),
um die Läuterung der Bürger dieses Landes zu Demokraten nach 45 glaubhaft zu machen.
Ein Kaff in der Nähe eines Kaffs.
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Anmerkungen:
- (1)
- Denn was sagte der Ausländerbeauftragte der Stadt Leipzig nach einem
rassistischen Mord im Oktober 1996: Es hätte auch irgendeinen
Deutschen treffen können
- (2)
- Dazu später mehr
- (3)
- Dort sagten Passanten 1993 dem ZDF, warum Tony Abraham Merin in ihrem Ort
tyrannisiert, bedroht (sogar Mordanschläge gab es) und letztendlich
vertrieben wurde: Weil er ein Jude ist. Und Juden haben bei uns nichts zu suchen.
- (4)
- Hier das Dorfpack: wir haben schlimme Erfahrungen mit Juden, ganz schlimme,
weiter: Die Juden, die immer nur Geschäfte machen, sollen doch nach Israel gehen, wo
sie herkommen. dies zeigt was Mann und Frau aus der Geschichte gelernt haben:
Nachdem das mit Madagaskar nicht geklappt hat, sollen die Juden jetzt nach Israel deportiert werden.
- (5)
- Dort löst der geplante Neubau einer Synagoge eine noch nicht dagewesene Flut antisemitischer Äußerungen aus.
- (6)
- Seine jüdischen Schüler dienten ihm dabei als lebendes Beispiel in Rassenkunde
für die angebliche Minderwertigkeit der Juden. Bei Prügelorgien gegen jüdische
Schüler hat er wohlwollend weggesehen, auch als ein jüdischer Schüler bei einer
von ihm angeführten NS-Parade mit Fußtritten zum Mitsingen antisemitischer Lieder gezwungen wurde.
- (7)
- Was nicht einmal eines der Gerichte, vor denen er sich nach dem Holocaust verantworten mußte, jemals getan hatte.
- (8)
- Obwohl seit 1942 kein einziger Jude mehr im Ort lebte.
- (9)
- So der Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, Ludwig Scholz.
- (10)
- Sie schilderten in einem TV-Beitrag die Erniedrigungen, Qualen und Selektionen, denen die ZwangsarbeiterInnen in der Diehl-Fabrik ausgesetzt waren.
- (11)
- Zum Beispiel von der Bundestagsabgeordneten Renate Blank.
- (12)
- Oberbürgermeister Scholz
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Innenhof des Adelsdorfer Schlosses. |
In Adelsdorf gibt es seit 1942 keine Juden und Jüdinnen mehr, demzufolge
mußte auch nicht der letzte im Ort lebende Jude (und mit ihm alles was an
ihn erinnern könnte) brutal vertrieben werden, wie es in Babenhausen
geschehen ist. Ebenso mußte auch nicht der Zuzug von Jüdinnen und
Juden verhindert werden, wie es der Fall Gollwitz exemplarisch verdeutlicht hat.
Nein, nicht einmal mehr eine Gedenkdemonstration aus gegebenem
Anlaß(2), wie in Adelsdorf, wird von dem antisemitischen Mob geduldet.
Während am 11. September 1997 ca. 30 Menschen einen Schweigemarsch zum
Gedenken an die 60 ehemaligen jüdischen Bürger von Adelsdorf
durchführten, sahen sie sich einer schreienden, pöbelnden und
kreischenden Masse von ca. 300-400 Dorfbewohnern gegenüber. Auf ihrer
gesamten Demonstrationsroute, dem Weg der Adelsdorfer Juden von der ehemaligen
Synagoge zum Bahnhof, von dem sie damals deportiert wurden, begleitete und
beleidigte sie der antisemitische Mob. Wer glaubt, daß diese
Provinz-Heinis eben nicht aus der Geschichte gelernt haben, wird jetzt eines
Besseren belehrt: Sie haben sehr wohl aus der Geschichte gelernt und eben dies
ermöglicht es ihnen, Antisemitismus in Rein- und Bestform zu praktizieren.
Ebenso wie die Babenhausener(3), Gollwitzer(4) und
Dresdner(5) machen sie aus ihrer Ablehnung gegenüber
Jüdinnen und Juden keinen Hehl. Juden raus, Jawohl, da
gehören die hin (als die Namen der KZs genannt wurden, in denen
jüdische Adelsdorfer ermordet wurden) und Euch haben sie beim
Vergasen vergessen sind nur ein paar Beispiele der Flut von den
antisemitischen Äußerungen, die den ca. 30 DemonstrantInnen
während ihres Gedenkmarsches entgegengeschrien wurden. Als sie am Ende der
Demonstration die Namen der Holocaust-Opfer verlesen wollten, gingen diese in
Häme und Gelächter der Gegendemonstranten unter.
Diese Gegendemonstration war jedoch nur der vorläufige Höhepunkt der
Aktionen des antisemitischen Mobs in Adelsdorf. Dem voraus ging der Streit um
die Umbenennung der »Wilhelm-Koch-Straße«. Wilhelm Koch war
von 1933-1945 NSDAP-Ortsgruppenleiter, SA-Mann, Lehrer(6) und
Schulleiter in der örtlichen Schule und zeitweise Bürgermeister von Adelsdorf.
Dies brachten vier ehemalige Adelsdorfer jüdischen Glaubens
anläßlich der 875-Jahr-Feier des Ortes ans Licht, da dieser
Straßenname bisher keinen von der ansässigen Dorfbevölkerung
gestört hatte. Nachdem einige Adelsdorfer daraufhin einen Antrag auf
Umbenennung der »Wilhelm-Koch-Straße« gestellt hatten (als
Wiedergutmachung gegenüber den jüdischen Opfern aus Adelsdorf
während der NS-Zeit), wurde dieser ebenso prompt vom Gemeinderat (remember
Gollwitz) in einer nichtöffentlichen Sitzung abgelehnt. Die
Begründung dafür ist einfach so lächerlich und so traurig, aber
doch so real in Deutschland: Die Verdienste des Wilhelm Koch beim Wiederaufbau
der Gemeinde Adelsdorf, insbesondere beim Wiederaufbau des Gesangsvereins
wiegen schwerer als seine Verfehlungen im Dritten Reich, die man als so gravierend gar nicht in Erinnerung hat.
Natürlich nicht, ihr Dorfkasper, ihr hattet damals wahrlich keine Probleme
(außer eventuell beim Wiederaufbau des sogenannten Gesangsvereins, wo
euch aber zum Glück Herr Koch hilfreich zur Seite stand) und was
interessieren euch schon die Juden? Juden raus, war eure Antwort
auf diese schon fast rhetorisch gestellte Frage. Wen sollte es da schon noch
verwundern, daß ihr euch wiedereinmal an nichts mehr erinnern könnt.
Trotz dieser eindeutigen Abfuhr des Gemeinderates blieb die
Bürgerinitiative bei der Forderung nach der Umbenennung der
»Wilhelm-Koch-Straße«, was jedoch im gleichen Moment die
Gegnerseite des Projektes immer größer werden ließ. Sie
sprachen Wilhelm Koch posthum vom Vorwurf des Judenhasses frei(7) und
stilisierten ihn geradezu zum Oskar Schindler von
Adelsdorf(8). Schließlich bezichtigten 15 ehemalige
Mitglieder der HJ (Hitlerjugend), des BdM (Bund deutscher Mädel) und der
Wehrmacht die überlebenden Juden, welche zur o.g. 875-Jahr-Feier des Ortes
Wilhelm Koch belasteten, in der freien Presse öffentlich der Lüge.
Der Rest ist bekannt. 30 gegen 300-400. Deutsche Verhältnisse in
Adelsdorf. Trotzdem gibt es einen einzigen winzigen Aspekt, der einem ein
innerliches Grinsen abringen kann: Die Straße wurde doch umbenannt (wegen
des Wirtschaftsstandortes, der alles, nur nicht die Öffentlichkeit
für diesen Ausbruch des Antisemitismus gebrauchen konnte), welchen Namen
sie jedoch heute trägt ist mir (zum Glück) nicht bekannt.
Bekannt ist mir hingegen aber, daß Karl Diehl weiterhin Ehrenbürger
von Nürnberg bleibt. Der mittlerweile neunzigjährige Karl Diehl war
während der NS-Zeit Waffenfabrikant in einem Rüstungsbetrieb
(Diehl-Fabrik) in Peterswaldau, einem Außenlager des KZ
Gross-Rosen. Dort quälte und beschäftigte er freiwillig angeforderte jüdische ZwangsarbeiterInnen.
Im Sommer diesen Jahres verlieh ihm die Stadt Nürnberg die sogenannte
Ehrenbürgerwürde, obwohl ihr die Verstrickungen der Firma in
Vorgänge während des Unrechtssystem(s) von 1933-1945
bekannt(9) gewesen sind.
Nachdem mehrere ehemalige jüdische ZwangsarbeiterInnen massive
Vorwürfe gegen den Rüstungsbetrieb und Karl Diehl erhoben
hatten(10), mußte sich der Nürnberger Stadtrat erneut mit
der Auszeichnung des Nazis und Rüstungsindustriellen auseinandersetzen. Es
wurde ein Antrag gestellt, Diehl die Ehrenbürgerwürde wieder
abzuerkennen, welcher jedoch ebenso prompt wie in Adelsdorf abgelehnt wurde.
Dagegen wurden die Zeitzeugen wieder der Lüge bezichtigt(11) und
es wurde auf das herausragende Wirken zum Wohle der Stadt
Nürnberg und das Gesamtlebenswerk(12) des Herrn
Diehl verwiesen, ohne jedoch genauer zu werden. Schade eigentlich.
Die Nürnberger Chorknaben jedenfalls können weiter fröhlich
Hymnen auf ihr schönes Städtchen trällern, oder hat
Nürnberg etwa überhaupt keinen Gesangsverein? Dietmar
Quellen: TRIBÜNE, Zeitschrift zum Verständnis des Judentums,
Heft 144 und AUFBAU, No. 26, 19.12.1997 |