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Studenten sind gute Menschen. Vor einger Zeit erst hat
ihr Schirmherr (Die Zeit) Roman Herzog die Order ausgegeben,
daß es so mit der Bildung der vaterländischen Studis nicht weiter
gehen kann und prompt, einige Wochen später, stehen die
Hoffnungsträger des Bildungsstandortes hinter fiktiven Barrikaden
danach rufend, der Staat möge ihnen diese mittels Geldsäcke real
errichten. Und sie haben herzerweichend geflennt, als sie merkten, wie statt
der Geldsäcke die Politiker mit leeren Händen an ihrer Seite standen
und unisono rumjammerten.
An der gesichtslosen (Frankfurter Rundschau) Universität Gießen hatte der sich ausbreitende Spaß angefangen, als zu einer Vorlesung, die für dreißig Studenten vorgesehen war, knapp 600 Studis erschienen und ersteinmal pauschal nach Erscheinen die Erstsemestler weggeschickt wurden, weil die ja wohl noch am meisten Zeit zum Studieren hätten. Das hatte die so Gemaßregelten ziemlich erbost und sie kümmerten sich darum, daß eine beachtliche Zahl der Gießener Studenten die Vorlesungen für eine bemessene Zeit boykottiert. Das fanden die Uni-Profs dann auch toll. Sie schlossen sich kurzerhand dem Boykott an. Dieses Szenario wiederholte sich dann dutzende Male an anderen Orten des bejammerten Bildungsnotstand-Ortes Deutschland, so daß die Einheitsfront von Studenten und Professoren (Der Spiegel) kaum noch wirkliche Kritiker in ihren Reihen fand bis auf einige wenige Aussätzige, deren Vergangenheit den Studenten von heute am unangenehmsten ist, weil die nämlich dasitzen und die Studenten ungefragt duzen(4), zu denen auch der APO-Typ Bernd Rabehl gehört, dem Die Woche auch schon mal den Lenin-Orden in Marzipan für sein spätpubertäres Krippenspiel im Stern verleiht. Rabehl hatte in einem Streitgespräch das ausgesprochen, was für einen Linken heutzutage usus sein sollte, wenn die Realität des berechtigterweise abhanden gekommenen revolutionären Subjektes nicht mittels Hilfskrücken egal welcher Bauart aus Bequemlichkeit verstellt werden soll. Gewandt zu seinen studentischen Mitdiskutanten sagte Rabehl zum Studenten-Streik: Ihr laßt euch vollsabbern von den Staatssekretären und den Professoren. Ihr habt nicht mal ein Bewußtsein davon, daß ihr nützliche Idioten für andere seid.(5)
Wer den Charakter der Studentenproteste als Ausdruck eines auf null Konfrontation setzenden, spätpubertierenden Haufens karrieregeiler Selbstverwirklicher begreift, erkennt unter Umständen auch den zum Patriotismus gewendeten Gehalt einer nationalen kollektiven Identität im Gegensatz zum eigenen Selbstverständnis.(10) Derart getrieben, teilt der eifrige Leser des Neuen Deutschlands, der Student Alexander Hempel aus Woltersdorf, seinem Leib- und Magenblatt bezüglich der Studiproteste freundlichst mit: Für mich stellt sich nur eine Frage: Wie soll eine Jugend dieses Landes, die mit so miserablen Zuständen konfrontiert wird, später einmal gern in diesem Land leben?(11) Diese ganz normalen jungen Leute (Helmut Kohl) haben mehr miteinander gemein, als sie zu erahnen vermögen. Es gebe keine Ideale mehr, die eine Generation verbinden, jammert die Studentin Ulrike Bahr in der taz.(12) Und weil das so ist, brauchen sich auch die nicht zu wundern, die das nicht für bare Münze nehmen: Ein internationaler Block Autonomer und Antifas versuchte eine zeitlang, die Spitze der 40.000-Leute-Demo in Bonn zu bilden und forderte in Sprechchören internationale Solidarität. Studenten mit Ordnerbinden haben die Straße blockiert, um zu verhindern, daß der schwarze Block vorneweg marschiert und so das Bild der Demo prägt. Stockend geht es voran. Nach und nach bringen die Ordner Studenten nach vorn, die Parolen wie Ausbildung statt Bildungsaus und Bildung light nicht gescheit auf ihre Transparente gemalt haben. Nach und Nach verschwinden die drei großen schwarz-roten Fahnen hinter den Spruchbändern. Schließlich gelingt es, ein straßenbreites Laken an die Spitze des Zuges zu setzen: Bildung ist die Zukunft unserer Gesellschaft steht darauf.(13) In Berlin demonstrierten am vierten Dezember rund 30.000 Studis. Während die meisten Demonstranten eine Verbesserung ihrer studentischen Situation forderten, ging es einer kleineren Gruppe auch um gesellschaftliche Veränderungen. Diese Gruppe war ebenfalls mit einem Lautsprecherwagen unterwegs und konnte so das Ende des kapitalistischen Systems ankündigen. Im Zug flatterten Fahnen mit dem Gesicht Che Guevaras. Als skandiert wurde: Genossen, es lebe die Revolution, antwortete ein lauter Buh-Chor.(14) Der Apell der orhodoxen Linken, so meint die FAZ, scheint keine Tatkraft mehr zu wecken(15), obschon für die Zeitung für Deutschland nach wie vor die Welt in Ordnung ist: Den Protest wollen nur diejenigen über das ganze Semester ausdehnen, denen es nicht um eine andere Universität geht, sondern um einen anderen Staat: Solche Drahtzieher machen sich schon wieder in Frankfurt und Berlin, Marburg und Bonn bemerkbar.(16) Nach dem beliebten Motto viel Feind viel Ehr ignoriert das Blatt geflissentlich die tatsächliche Einflußlosigkeit der nimmermüden linken Agitatoren. Insgesamt fährt die studentische Jugend in ihrem Protest auf den medial-fixierten Aktionismus ab, der an Kitsch kaum zu überbieten ist. Im Focus nennt sich das Kreativität statt Konfrontation.(17) Keine Totalverweigerer seien da am Werk, sondern junge Leute mit kreativen Ideen, ergänzt die Leipziger Volkszeitung.(18) Und so steht sich die studentische Jugend nicht die Beine in den Bauch, sondern macht toll was los: In Trier wienern sie Autofenster und verursachen einen Bildungsstau.(19) In Weimar halfen Studenten Autofahrern beim Eiskratzen unter dem Motto: Die Bildung wird auf Eis gelegt. Wir kratzen.(20) In Berlin werden unter dem Motto: Durchblick durch Bildung (...) an Ampeln des Ernst-Reuter-Platzes Autoscheiben geputzt.(21) Ebenfalls in Berlin begehen künftige Japanologen Harakiri. Ihr inszenierter ritueller Selbstmord soll Passanten daran erinnern, daß die Universitäten keine symmetrischen Objekte sind, die aus der Roßkur anhaltenden Sparens unverändert hervorgehen.(22) Nikolausstiefel stellten (...) Studenten der Fachhochschule Erfurt vor dem Thüringer Landtag auf. In über 100 Paar Schuhe verpackt konfrontierten sie die Abgeordneten mit ihren Forderungen zur Hochschulpolitik.(23) In Wuppertal demonstrierten 600 Studierende mit einer Open-Air-Disco vor dem Haus des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau.(24) Tausende Studenten mit Kerzen in der Hand reihten sich zur Lichterkette in München auf.(25) Und so weiter und so fort. Grenzen des schlechten Geschmacks gibt es dabei kaum. So gröhlen voller Inbrunst auf der Straßenbahnfahrt zur bundesweiten Demo in Bonn dutzende Studenten: Zehn kleine Studilein gehen in den Hörsaal rein, den einen ham se plattgequetscht, da warens nur noch neun.(26) Von den Transparenten und Sprüchen ganz zu schweigen, kann man sich nur angewidert abwenden, ob so viel studentischer Einheit, die sich mit allen möglichen Kräften dieser Gesellschaft verbündet.(27) Das deutsche Bürgertüm wenn es das denn je gegeben haben soll ist solide, arbeitsam und rechtschaffen; politisch ist es nicht. Diese alte Erkenntnis findet gerade wieder ihre Bestätigung pikanterweise bei Streiks von Studierenden, fohlockt Peter Glotz in Die Woche(28) und gibt damit eigentlich das Feindbild vor, über dessen Ermangelung reflektierende Linke sich nicht beklagen müssen. Über eine blödsinnige Medienkonstruktion wie Patchwork-Jugend, Patchwork-Biografien, Patchwork-Generation oder Patchwork-Verhalten, die laut Spiegel das Charakteristische an heutigen Studenten seien, brauchen wir an dieser Stelle nicht zu reden. Darüber können sich meinetwegen Journalistik-Studenten mit dem Karriere-Traum vom Spiegel-Redakteur die nötigen Scheine erpuckeln. Worum es wennschon gehen muß, verrät uns leider auch der alte Jean Paul Sartre nicht mehr, der einstmals der herrschenden Macht eine Gegenmacht engegensetzen wollte, wenn die Revolution eine Chance haben soll.(29) Sartre verstand sich damals als Widerpart zu Herbert Marcuse, den er ob seines revolutionären Pessimismus den Boden entziehen wollte. Denn Marcuse galt damals als Vorreiter neu entdeckter revolutionärer Subjekte von Studenten, Arbeitslosen und anderen sozialen Minderheiten.(30) Aus der bequemen Knechtschaft, der vollendeten Einbindung der Arbeiterklasse in die Konsumgesellschaften, leitete Marcuse die Unmöglichkeit ab, daß das traditionelle Arbeiter-Subjekt die Revolution herbeiführen würde. Er sprach davon, daß es in diesen (Konsum)-Gesellschaften nie mehr eine Revolution geben wird (Sartre), ohne sich gleichzeitig vom Festhalten am Antagonismus von Kapital und Arbeit zu verabschieden. Interessant ist die Frage, inwieweit sich aus dieser theoretischen Vorarbeit heute ablesen läßt, wie die neue Subjektkonstitution dem Einfordern von Partikularinteressen Vorschub geleistet hat durchaus gipfelnd in praktizierter pc jenseits des europäischen Kontinentes, in den Staaten. Zieht man einen der 68er Schlüsseltexte hinzu, den Max Horkheimer, Erich Fromm und Herbert Marcuse in ihre Studien über Autorität und Familie(31) veröffentlichten und der bereits 1935 in Paris entstand, ergibt sich ein durchaus interessantes Charakerstikum der Studentenproteste von 1997 in Deutschland. Die unerlässliche Voraussetzung der Autorität, so schreiben sie, ist die Macht ihrer Träger. Das Individuum muß sich von ihnen Schutz und Sicherheit versprechen können, gleichzeitig sie aber so fürchten, daß es jeden Widerstand vergißt. Eine primitive Logik zwingt den kleinen Mann zu dem Schluß, daß die Autorität, wenn sie ihm ähnlich wäre, unmöglich die Stärke und Sicherheit aufweisen könnte, die ihm so sehr imponiert. So muß die Autorität für natürlich und deshalb für notwendig gehalten werden. Keinen Moment kann es Zweifel daran geben, daß der Studentenprotest sich auch nur im kleinsten von einer Obrigkeitsgläubigkeit lösen konnte. Vielmehr trifft genau das zu, was Horkheimer, Fromm und Marcuse als Fall karrieristischer Leiterbesteigung so formulieren: Die Bewunderung und Verehrung für die Autorität steht im Dienste der Aufgabe, der verehrten Autorität immer ähnlicher zu werden. Die Autorität tendiert hier dazu, sich selbst aufzuheben. Halten wir also fest: Die gegenseitige Umarmung von Studis, Profs und Politikern ist der Ausdruck davon, daß alle in einem hierarchisierten devoten Verständnis von Protest die da oben als Adressaten anerkennen, ohne auch nur im geringsten etwas in Frage zu stellen.
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