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Katalog zur Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“

Ziel der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ ist es, die Legende von der „sauberen Wehrmacht“, die Distanz zu Hitler und dem NS-Regime gehalten habe, zu widerlegen. In der Einleitung zum Katalog konstatiert der Leiter der Ausstellung, Hannes Heer, daß die Wehrmacht auf dem „Balkan und in der Sowjetunion keinen ‘normalen Krieg’“ geführt hat, sondern „einen Vernichtungskrieg gegen Juden, Kriegsgefangene und Zivilbevölkerung“. An all diesen Verbrechen war die Wehrmacht „aktiv und als Gesamtorganisation beteiligt“.
Der Beweis dieser Aussagen gelingt der Ausstellung und dem Katalog trotz aller Anfeindungen aus den faschistischen Ecken und dem konservativen Mainstream. Die Ausgangsthese offenbart aber gleichzeitig auch die selbstgewählte Beschränktheit der Ausstellung. Die gewählten Beispiele und daraus gezogenen Schlußfolgerungen sind dazu geeignet, die Einsätze der Wehrmacht in Nord- und Westeuropa sowie Nordafrika eben als „normale Kriegsführung“ erscheinen zu lassen. Und dies nicht nur, weil diese in der Ausstellung überhaupt nicht thematisiert werden (was das legitime Recht der AusstellungsmacherInnen ist), sondern weil gerade bei der Schilderung der Verbrechen der Wehrmacht im Osten einerseits auf das Konstrukt der „normalen Kriegsführung“ abgezielt wird, an die sich die Wehrmacht nicht gehalten habe, ohne andererseits die Kriegsziele der Wehrmacht als solche zu kritisieren und darauf einzugehen, was die Erweiterung des deutschen Herrschaftsgebietes für die eroberten Länder bedeutet hat, unabhängig davon, ob sich die deutschen Soldaten an die Haager Landkriegskonvention gehalten haben oder nicht. Es spielt bei der Verurteilung der Wehrmacht als verbrecherische Organisation keine Rolle, ob sie selbst massenhaft Menschen umgebracht hat, was sie natürlich auch getan hat, oder ob sie mit ihren Feldzügen die Vorarbeit für andere deutsche Vernichtungsorganisationen, wie die SS, leistete.
Bei der Beurteilung der individuellen Schuld des einzelnen Wehrmachtsoldaten spielt es dagegen sehr wohl eine Rolle, woran er sich beteiligt hat und mit welcher Motivation er das tat, was nicht heißen soll, daß es ein schuldfreies Verhalten innerhalb der Wehrmacht, außer im aktiven Widerstand, gegeben haben kann.(2) Genau das leistet die Ausstellung aber nicht. Sie listet unzählige Verbrechen der Wehrmacht auf und zeichnet nach, durch welche Befehle und Anordnungen durch die Wehrmachtsgeneralität die Verbrechen angeordnet bzw. legitimiert wurden, jedoch verzichtet sie zum einen darauf, Aussagen darüber zu machen, ob sich alle Einheiten und alle Soldaten im gleichen Maße daran beteiligt haben bzw. beteiligt hätten und mit welcher Motivation sie dies taten. Sie läßt mit ihrer Beschwichtigung, daß sie „kein verspätetes und pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen“ will, genau den Raum, den die konservativen Kritiker und die liberalen Befürworter mit ihren Interpretationen ausfüllen. Während die ersten in der fehlenden Darstellung des „heldenhaften soldatischen Widerstandes“ und der „normalen Pflichterfüllung“ derer, die sich angeblich die Finger nicht schmutzig gemacht haben, eine Diffamierung der gesamten Wehrmacht erkennen, betonen die anderen, daß sich der Verbrechen zu erinnern so wichtig wäre, um auch den Widerstand entsprechend würdigen zu können. Als solcher wird dann meist der vom 20. Juli 1944 durch militärische Eliten, die ein „besseres“ Nazideutschland wollten, angeführt, der die ganzen Verbrechen aufwiegen soll.(3)
Angemerkt sei, daß hier das Buch von Goldhagen „Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust“ die Erklärungslücke der Ausstellung schließt, natürlich in einer Weise, wie sie weder den meisten Befürwortern noch den Gegnern lieb ist. Stellt er doch fest, daß die ganz normalen Deutschen aus eigenem Antrieb mit Lust mordeten, ohne daß herumfliegende Gehirnteile und das Wehklagen der Opfer in der Lage gewesen wären, menschliche Regungen zu wecken. Goldhagen führt dies auf den eliminatorischen Antisemitismus zurück, der als eine Art Wahnvorstellung von der gesamten deutschen Bevölkerung geteilt wurde. Außerdem belegt Goldhagen, daß der Holocaust nicht mit der Unterwürfigkeit und dem Gehorsam der Deutschen erklärt werden kann, da Widerstand gegen gewisse Elemente nationalsozialistischer Politik geübt wurde, ohne daß dies negative Folgen für die Akteure gehabt habe. Vielmehr war es so, daß das Mordprogramm, was natürlich erst einmal von oben geplant und entfesselt werden mußte, auf so große Begeisterung bei den Deutschen stieß, daß diese zum Teil gebremst werden mußten, weil z.B. sonst gegen ökonomische Interessen (Vernichtung durch Arbeit) verstoßen wurde.
Dies läßt sich zum Teil natürlich auch aus den Dokumenten im Ausstellungskatalog herauslesen, auch wenn es dort nicht weiter analysiert wird. So begründet ein Soldat seine Teilnahme an einer hinrichtung, 16.2k Erschießungaktion von allen Juden der sowjetischen Stadt Berditschew folgendermaßen. „Ich wußte was diese Maßnahme zu bedeuten hatte (...) Ich habe mich freiwillig gemeldet aus folgendem Grund: Kurze Zeit vorher hatte ich mir von einem Juden aus diesem Stadtviertel ein Paar Schaftstiefel anfertigen lassen; diese wollte ich mir sichern, bevor dieser Mann mit erschossen wurde.“
Wie die „guten, mitleidsvollen“ Wehrmachtssoldaten dagegen gedacht haben, wird auch in zwei Feldpostbriefen dokumentiert: „Manchmal können die Juden ja einem leid tun. Hier laufen sie noch in rauhen Mengen umher. Eigenartig ist es aber, daß ich bisher noch keinen Rassejuden angetroffen habe. Äußerlich kann man sie von den Ariern gar nicht unterscheiden. Auf den Dörfern wird dieses Pack zu Schipparbeiten usw. herangezogen. (...) Wir werden die Bande schon zur Zucht erziehen.“ Ein Major schreibt: „In der alten Zitadelle werden an diesem Tage 1000 Juden erschossen. (...) Nach dieser menschlich wohl bedauernswerten aber als abschreckendes Beispiel für das überhand nehmende Freischärlertum unbedingt notwendigen Maßregel erleben wir es, wie am nächsten Tag ein großer Teil der Plünderer ihr gestohlenes Gut einfach auf die Straße setzen.“
Daß diese Vernichtungsaktionen und die dazugehörenden Einstellungen keine Ausnahme und Exzesse, sondern die Regel und der eigentliche Grundgehalt der Wehrmacht waren, läßt sich aus den zahlreichen Bild- und Textdokumenten herauslesen. Nachdem die Wehrmachtsleitung sämtliche Aktionen der Soldaten im Osten unter Straffreiheit gestellt und angeordnet hatte, daß der Gegner nicht als Soldat zu behandeln sei, sondern als hinterlistiger Weltanschauungskrieger, als gefährlicher Teil der jüdisch-bolschewistischen Weltmacht, konnten sich die Soldaten ungehemmt austoben. Für einen deutschen Gefallenen wurden, so war es gesetzlich vorgesehen, 100 Zivilisten zur Abschreckung umgebracht. Da diese Zahl den deutschen Frontkämpfern zu gering erschien, bemühten sie sich darum, daß ihr Aufgabengebiet innerhalb der Mordmaschinerie erweitert würde.(4) Wo dies nicht ging, wollten sie wenigstens an den Erschießungen als Beobachter teilnehmen. Voller Stolz wurden Fotografien angefertigt und nach Hause geschickt.(5) Der Massenmord an Juden und Sowjetbürgern artete regelmäßig zum Volksfest für Soldaten aus, so daß sich das Oberkommando im August 1941 genötigt sah, die unangeordnete Teilnahme von Soldaten an solchen Aktionen zu verbieten. Für eigene Massenhinrichtungen fertigte die Wehrmacht ein Formular an, in dem nur noch eingetragen werden mußte, welche Kompanie wieviele Geiseln aufgrund von „Sühnemaßnahmen“ zu erschießen habe.
Der Katalog dokumentiert in Wort und Bild die Bekämpfung des Partisanenkrieges 1941 in Serbien, den Feldzug der 6. Armee nach Stalingrad in den Jahren 1941 und 1942, bei dem tausende Juden und andere Zivilisten ermordet wurden, sowie die Besatzungszeit von Weißrußland zwischen 1941 und 1944, während der sich die Wehrmacht aktiv am Holocaust der Juden und der Auslöschung der sowjetischen Kriegsgefangenen beteiligt hat. Weitere Kapitel analysieren die Verklärung der Wehrmachtssoldaten nach dem Krieg (anhand von Groschenheften und Illustrierten, die das Bild vom treuen Soldaten zeichneten, die für die gerechte Sache tapfer kämpften, aber vom skrupellosen Hitler in den Tod geschickt wurden) und die Versuche der Wehrmacht, die Spuren des Verbrechens zu beseitigen (Exekutionen hatten heimlich stattzufinden(6) und durften nicht fotografiert werden, viele Befehle wurden nur mündlich durchgegeben, eine neue Sprachregelung sollte die Verbrechen verschleiern und die Opfer degradieren. Im letzten Kapitel werden Texte der Apologeten der deutschen Kriegsverherrlichung (Carl Schmitt, Ernst Jünger), Befehle der Wehrmachtsführung, Briefauszüge von Soldaten und unzählige Fotos, die die Verbrechen belegen, dokumentiert.
cover, 8.5k Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Hamburger Edition: 1996, 222 S.


„Bis jetzt haben wir zirka 1.000 Juden ins Jenseits befördert, aber das ist viel zu wenig für das, was die gemacht haben. Die Ukrainer haben gesagt, daß die Juden alle die führenden Stellen hatten und ein richtiges Volksfest mit den Sowjets hatten bei der Hinrichtung der Deutschen und Ukrainer. Ich bitte Euch, liebe Eltern, macht das bekannt, auch der Vater in der Ortsgruppe. Sollten Zweifel bestehen, wir bringen Fotos mit. Da gibt es kein Zweifeln. Viele Grüße, Euer Sohn Franzl“

(6.7.1941 in Tarnopol)


(2) Sehr interessante Beiträge zu diesem Thema finden sich in dem Buch „Verräter oder Vorbilder. Deserteure und ungehorsame Soldaten im Nationalsozialismus“ (Fietje Ausländer (Hrsg.), Edition Temmen: 1990, 200 S.), in dem z.B. die Diskussion antifaschistischer und kommunistischer Gruppen zu Perspektiven des Widerstands innerhalb der Wehrmacht nachgezeichnet werden. Kurz vor Kriegsende wurden die sogenannten Bewährungsbataillone 999 aufgestellt, in den „wehrunwürdige“, d.h. aufgrund von kriminellen und politischen Delikten eigentlich vom Wehrdienst ausgeschlossene Soldaten zusammengefaßt wurden. In diesen Bataillonen befanden sich zu einem hohen Prozentsatz Kommunisten, die direkt aus dem KZ oder Zuchthaus geholt wurden. Diese lehnten die individuelle Desertation als unpolitischer Fluchtversuch ab und versuchten vielmehr, kollektiven Widerstand in der Wehrmacht zu organisieren. Außerdem ahnten sie das baldige Ende des Krieges und sahen sich in der Rolle Gründerväter eines kommunistischen Deutschlands, was sie sich mit einer Kriegsgefangenschaft nicht verbauen wollten. Diese Versuche waren jedoch alle zum Scheitern verurteilt.

(3) Sehr deutlich wird dies z.B. bei der Debatte im Bundestag, bei der die CSU die Austellung verdammt und die VertreterInnen der SPD, der FPD und von Bündnis 90/Die Grünen zum großen Teil mit persönlichen Leidensgeschichten, a la „Ich wagte es nicht, meinen Vater zu fragen“ und „Die Wehrmacht hat bei uns die Behinderten vor der SS gerettet“ aufwartet. (Dokumentiert in „Wehrmachtsverbrechen. Eine deutsche Kontroverse“, S. 95-148)

(4) Ein Bericht des Sicherheitsdienstes vermeldet, daß die Wehrmacht „ein ständig wachsendes Interesse für die Aufgaben und Belange sicherheitspolizeilicher Arbeit (habe). Dies war gerade bei den Exekutionen in besonderem Maße zu beobachten.“

(5) Dabei kam der deutsche Humor nicht zu kurz: Neben an einem Baum erhängten Serben lehnen zwei lachende deutsche Soldaten. Beschriftet wurde das Foto mit „Baumblüte in Serbien“.

(6) Im Gegensatz dazu fanden Hinrichtungen, die eine abschreckende Wirkung auf die Bevölkerung haben sollten bzw. als Vergeltungsmaßnahmen gegen die Partisanen gedacht waren, in aller Öffentlichkeit statt. Es finden sich im Katalog etliche Bilder von in Dörfern und Städten erhängten Menschen, denen ein Schild mit ihrem Vergehen (z.B. „120 Patronen in der Tasche“) umgehängt wurde.



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last modified: 28.3.2007