Subjektive Anmerkungen als Reaktion auf den
von Tom Holert und Mark Terkessidis herausgegebenen Sammelband
Mainstream der Minderheiten - Pop in der
Kontrollgesellschaft
Der nachfolgende Artikel wurde auf der Diskussionsveranstaltung
anläßlich des Erscheinens des Sammelbandes im Conne Island
vorgetragen.
Die Veranstaltung war mit ca. 70 Leuten recht gut besucht. Erstaunlich
war die Unterrepäsentanz der lokalen Polit-Szene. Desto erfreulicher,
daß die Diskussion rege und intensiv verlief.
Zum besseren Verständnis findet sich im Anschluß an diesen
Beitrag eine Kurzfassung der Thesen des Sammelbandes, die uns die Herausgeber
dankenswerterweise zur Verfügung gestellt haben.
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Das Paradigma von der Kontrollgesellschaft ist
Realität. Sie findet nicht zuletzt ihren Ausdruck in der
allgegenwärtigen, jederzeit zugänglichen Information über alles
und jedes. Deshalb funktioniert die Selbstdisziplinierung von Differenzen,
Subjekten und Individuen in einer Wechselseitigkeit, die das mutmaßliche
Opfer-Täter-Bild miteinander verwoben hat. Der vermeintliche Overkill von
Sub- und Hochkultur ist das gegenseitige Aufgehen in der Kategorie Pop. Dabei
muß man sich nicht zwingend bewußt werden, Pop zu sein, zu
produzieren oder zu leben. Denn gerade aus dem Nicht-Bewußtsein von
Pop-Mechanismen bezieht die Kontrollgesellschaft die substantielle Nahrung
für ihre Existenz. Daß dabei der Kommunikation doch die Rolle
zufällt, die ihr die 68er immer eingeräumt haben, ist nicht
zufällig. Anders, als es ihr Weg durch die Institutionen beabsichtigte,
ist die Kommunikation jedoch heute keine Frage der Macht, b.z.w. deren
Ausübung, sondern eine Grundbedingung für die Migliedschaft in der
Kontrollgesellschaft. Die erstaunliche Parallelität zwischen der 68er
Theorie und der Praxis der Pop-Mechanismen ist Ergebnis einer konsequenten
Entwicklung, die den wenigsten ihrer Protagonisten wirklich bewußt wurde,
obwohl all ihr Tun darauf gerichtet war.
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Notwendigerweise gilt es, auch an dieser Stelle Pop in die Relationen zu
setzen, die ihn ausmachen. Pop enthebt sich der klassischen Rolle eines
Revolutionsvehikels. Soll heißen: auf Pop zu setzen, mit der Revolution
im Gepäck, ist ein Irrglaube, der meineserachtens immer noch nicht
vollständig ausgeräumt ist. Der Spagat zwischen Reformismus und
qualitativ Neuem funktioniert unterhalb revolutionärer Ebenen. Zumindest
der Ebenen, die die linken Wertegefüge immer noch verkörpern.
In einem durchaus repräsentativen Wechselspiel von Forcierung, Abgrenzung
und Begleitung der sogenannten Neuen Sozialen Bewegungen ist Pop heute ebenso
mittig in der Gesellschaft verankert, wie die einstigen Bewegungen heute nicht
mehr existieren. Entscheidend bleibt aber der Unterschied: Während das
Temporäre dieser Bewegungen ihr Dasein definitiv limitierte, lebt Pop
weiter. Und das nicht mal großartig modifiziert, sondern, nicht mehr und
nicht weniger, einfach konsequent.
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Im August 1996 war in der Süddeutschen Zeitung zu lesen: Pop
ist das Versprechen auf Teilhabe am Konsum aller, die nach Glück streben.
(Er) bildet als Universalcode den kleinsten gemeinsamen Nenner aller am
globalen Konsumkreislauf angeschlossenen Gesellschaften. Und
fürwahr, eben dort ist Pop in der Gegenwart angekommen. So einfach lassen
sich also immanente Mechanismen wie Subversion, Dissidenz und Hedonismus
wegbügeln, ohne ihre Existenz gänzlich auszuschließen.
Nun ist der Sammelband Mainstream der Minderheiten - Pop in der
Kontrollgesellschaft Repräsentant des Repräsentierens von Pop:
Tatsächlich sind Kämpfe auf dem Feld der Kultur wichtiger denn
je, und es lohnt sich definitv, auch weiter ästhetisch um
Repräsentation zu streiten. Allerdings muß man wohl aufgrund der
ambivalenten Geschichte von Pop betonen, daß man diesen Kampf immer
wieder verlieren wird, wenn es nicht gelingt, an den sozialen und
institutionellen Praxen etwas zu verändern.
Abstrahiert man die Funktion von Pop seit der Existenz und des Niederganges des
Indie-Movements, läßt sich die faktisch funktionale Zuarbeit
für den Hauptstrom, b.z.w. dessen Involvierung in denselben kaum
verleugnen. Ein Ergebnis der kontrollgesellschaftlichen Realität ist die
unkomplizierte Eins-zu-eins-Übernahme von Künstlern, Bands, Dj's usf
in beiderlei Richtung. So wird heute die nachmoderne, vielzitierte Beliebigkeit
exemplarisch auf diesem Feld praktiziert. Was von oder für wen
repräsentiert wird, ist dabei so sehr berechenbar, daß genau diese
Berechenbarkeit alltäglich kaum bis gar nicht nachvollziehbar, und somit
durch die Berechenbarkeit eine Unberechenbarkeit erst erlangt wird, ohne zum
Selbstläufer zu werden, der sich dann gar gegen einen wendet. Was also
soll an der sozialen und institutionellen Praxis verändert werden, wenn
Repräsentation ein allen zugängliches Mittel ist? Die
Möglichkeit der Verweigerung fällt als Option dann weg, wenn man sich
nicht aus den gesellschaftlichen Realitäten katapultieren will. Verzichtet
man aber auf Verweigerung, repräsentiert man nur ein Stück vom
gesamten Kuchen - macht ihn quasi erst richtig attraktiv.
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Das Modell von Macht und Gegenmacht ist ein alter Hut, der unter Popaspekten
für einen notwendigen Kulturkampf unbrauchbar geworden ist. Wenn Holert
und Terkessidis einklagen, daß Pop nicht nur das Objekt, sondern
auch das Subjekt der Analyse sein sollte, gehe ich davon aus, daß
Subjekt hier ihren eigenen Status als Pop-Apologeten meint. Denn
Pop als Gesellschaftssubjekt bricht sich durch die vielen Facetten derartig
oft, daß die Subjektbildung, kaum daß sie in Ansätzen
ersichtlich oder manifestiert ist, an einer anderen Stelle schon wieder
auseinanderfällt und somit keine notwendige Kontinuität
verkörpern kann. Wer sich also als Pop-Apologet versteht, und so verorte
ich mich auch selbst, sollte sich grundlegend der Tatsache bewußt werden,
kapitalismusgeschulter Mittäter zu sein. Notwendige Gesellschaftskritik
und -veränderung im Pop-Bereich braucht dieses Bewußtsein als
Voraussetzung. Diese Mittäterschaft jedoch zu verkennen, und sie gar als
Freibrief zur eigenen Entlastung ins Feld zu führen, ist genau der falsche
Schluß. Das Gegenteil muß der Fall sein. Der Status der
Mittäterschaft ist zwingend ständige Belastung vor sich selbst.
Die Modelle von Dissidenz und Subversion sind durch die Entwicklung ihres
eigenen Symbolismus enthoben worden. Die Codierungen lösten sich vollends
von den Attitüden der Rebellion, oder dem, was man dafür hielt. Das
mag subjektiv schmerzlich sein und macht die Situation ganz bestimmt nicht
einfacher. Ein wegweisender Vorschlag, der aus der entstandenen Patt-Situation
eine neue gesellschaftsverändernde Tugend macht, ist für meine
Begriffe momentan nicht in greifbarer Nähe. Auch mir steckt dabei die
Angst vor dem Verfall in Kulturpessimismus in den Knochen. Eine Perspektive
könnte sein, sich intensiver pro pc zu positionieren. Auch oder gerade
unter der Prämisse des unverzichtbaren Spaßes.
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Tatsache ist, daß die Anerkennung der real existierenden
Kontrollgesellschaft die Linke, oder besser gesagt, ihre Reste in Deutschland,
zu großen Teilen noch weiter von effizienter Interventionsfähigkeit
entfernt. Schließlich sind die Traditionslinien hier von einer
permanenten, teils latenten, teils offenen Pop-Feindlichkeit gezeichnet, die
sich zum einen aus der berechtigten grundsätzlichen Kapitalismuskritik
ableiten, zum anderen aber aus dem Festhalten an dem monolithen
Verständnis von revolutionären Subjekten als Dogma speisen. Nicht
uninteressant ist auch der viel zu wenig hinterfragte Widerspruch, mit dem
explizit Pop-Linke Bands leben. Das Setzen auf pop-linke Inhalte kollidiert
hier mit dem Verständnis von antinationaler Positionierung. Natürlich
wird Popularität dort in minoritären Gesellschaftsbereichen gesucht.
Doch genau diese Suche stellt sich als antiquiert dar, da jene Minoritäten
heutzutage den Hauptstrom besetzen - gewollt oder ungewollt -, der durchaus mit
Volk zu assoziieren ist. Und Volk bedeutet in Deutschland immer noch
völkisch. Um das zu wissen, reicht ein Blick ins Grundgesetz, ein Blick
ins Feuilleton, wo die Abwehrschlacht gegen pc seit Jahren tobt oder wo
Goldhagen vor einigen Monaten zum Volksfeind erklärt wurde.
Ralf |