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Aktuelles Heft

INHALT #271

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Alles ist viel zu anstrengend
• kulturreport: Gedicht
• position: Nieder mit Erdogan! Zum Angriff auf DITIB, seiner Rezeption und dem Racheakt in Connewitz
• doku: »Islamophobie«, das Kopftuch und westliche Linke
Mark Fisher – Niemand ist gelangweilt, alles ist langweilig
• review-corner buch: Pizza mit Ketchup und Mayo
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Nieder mit Erdogan! Zum Angriff auf DITIB, seiner Rezeption und dem Racheakt in Connewitz

Am 13. Dezember, dem sogenannten ACAB-Tag, beschädigten vermeintlich linksradikale TeilnehmerInnen einer 60- bis 80köpfigen Spontandemo mehrere Autos, darunter einen Streifenwagen, setzten Mülltonnen in Brand und schlugen mehrere Scheiben der DITIB-Moschee auf der Hermann-Liebmann-Straße ein. Insgesamt 12 Tatverdächtige wurden festgenommen und befinden sich nach einer »erkenntnisdienstlichen Behandlung«(1) auf der Wache wieder auf freiem Fuß. Alle von ihnen verfügen über die deutsche Staatsbürgerschaft. Während sich selbstdeklarierte AntirassistInnen in den Folgetagen auf sozialen Medien oder auf der Eisenbahnstraße verteilten Flyern vor lauter Distanzierungen und Verurteilungen dieser Tat überschlugen, wurde mit Jule Nagel von der Linkspartei nicht zuletzt eine von ihnen kurz danach selbst Zielscheibe des in Connewitz verübten Rachezugs. Nachdem sie und ihre KollegInnen aufgrund des Angriffs in Volkmarsdorf öffentlich Spenden für die DITIB, ergo den verlängerten Arm Erdogans und der AKP, gesammelt hatten, wurden vor dem Linxxnet zwei Schafsköpfe mitsamt eines Zettels hinterlegt, der die Moschee erwähnte. Des Weiteren wurde das Büro einiger Mitglieder der Partei mit einem Böller beworfen, im Gelände des Conne Island wurden vier weitere davon gezündet.

Nicht nur, dass wieder gut gewordene Linke in ganz Leipzig mal wieder lieber Faschorapper wie Omik K., der bereits auf Instagram Vergeltung angekündigt hatte, oder türkischen Rechtsextremen den Mund reden, sie tappen dabei in deren Falle: Sie bedienen sich des Islamophobiebegriffs genauso wie Erdogan selbst, als er Macron vor mehreren Monaten denunzierte und sowohl einen Boykott französischer Produkte als auch einen Psychiatrieaufenthalt für Macron forderte und kurze Zeit später ›Islamophobie‹ mit dem Antisemitismus in den Anfangstagen des Zweiten Weltkriegs und somit der Shoa verglich(2). Does this remind you of anyone? That's right: Nazis. Doch lieber macht man diese in den eigenen Reihen aus – nicht zuletzt aufgrund der deutschen Staatsbürgerschaft. Dass die sich in dem Gewaltakt selbst spontan, wenn auch schlecht, geäußerte Kritik inhaltlich zurecht von Autonomen mit kurdischem oder jezidischem Background genauso geteilt wird wie von Exmuslimen, scheint dabei niemanden zu interessieren. Dass diese zum Teil auch über deutsche Staatsbürgerschaften verfügen, ebenso wenig. Denn anstatt sich mit dem bis heute vom AKP-Regime nicht anerkannten Völkermord der türkischen Staatsmacht an den Armeniern und der wichtigen Rolle Erdogans im Krieg um Berg-Karabach oder Rojava, ergo seinem Rassismus, aber auch seiner Misogynie, Trans- und Homophobie, seinem Antisemitismus und seinem Hass auf den Westen auseinander zu setzen, wird die vermeintliche Solidarität nur dann migrantischen Menschen zuteil, insofern deren Ansichten, Forderungen und Erfahrungen die eigene Ideologie bestätigen und nur dann im Sinne des Sprechorts als valide anerkannt werden, wenn sie der Selbstversicherung dienlich ist, auf der richtigen Seite zu stehen. Der Kollateralschaden sind natürlich die Opfer von AKP oder auch den Bozkurts, deren Refugeestatus in den postkolonial geprägten Köpfen deutscher StudentInnen niemals aufgehoben, teils sogar konstruiert und stets mit einem muslimischen Background in Verbindung gebracht wird.

Dass jedoch die deutsche Linke nicht in der Lage zu sein scheint, die Komplexität des Hintergrunds der DITIB im Besonderen und des Islamismus im Allgemeinen anzuerkennen, bedeutet jedoch nicht, dass die Welt so schwarz-weiß ist, wie sie in der ›Kritik‹ an der ›Kritik‹ zu sein scheint. Dass seit einigen Jahren in derselben Linken die Rücksichtnahme auf religiöse, respektive muslimische Gefühle Priorität gegenüber der Kritik an eben jenen einnimmt, bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass unter ›links‹, ›feministisch‹ und ›antifaschistisch‹ im postmodern-beliebigen Linksaktivismus lediglich das verstanden wird, was einem das eigene Bauchgefühl individuell, willkürlich und projektiv sagt und den Einstieg in die demokratisierte Volksgemeinschaft ermöglicht. Teil dieser wieder gut gewordenen Gemeinschaft zu sein, bedeutet im Sinne des Nachtmannschen »Karnevals der Kulturen« – nicht nur in der bzw. für die BRD – diejenigen islamischen Clans zu hofieren, die den Judenmord stellvertretend für einen selbst erledigen. Linkssein im neuen Deutschland wie auch in der vermeintlich antideutschen Hochburg Leipzig bedeutet – im Gegensatz zu Bruhn – nicht, die Wurzel des Rassismus in der ungebrochenen Wertförmigkeit des Subjekts in der kapitalistischen Produktionsweise auszumachen, die durch die Gleichzeitigkeit der formalen Freiheit im ebenbürtigen Warentausch und der In- oder Exklusion als Citoyen in der bürgerlichen Gesellschaft gekennzeichnet ist. Es bedeutet auch nicht, psychologische und staatlich-juristische Prozesse der rassistischen Ent- und Aufwertung einzelner Subjekte als Unter- und Übermenschen eben jener Gesellschaft immanent auszumachen und in utopischer, jedoch hoffnungs- und somit schonungsloser Manier zu wissen, dass sie erst mit der Aufhebung der Produktionsweise abgeschafft werden können. Es bedeutet vielmehr, all das auf die individuelle Ebene zu verlagern, indem jegliches Widerwort des Feindbilds des linken Almans mit Naziopa als rassistische micro aggression interpretiert wird, auf Demonstrationen offene Grenzen gefordert und »Kein Mensch ist Illegal«-Buttons getragen werden. Derlei Ansichten und Ansätze zeigen eher, dass es den aufrechten AktivistInnen nicht annähernd so sehr um das zwar erwünschte, jedoch nicht so einfach herbei zu führende Ende des Rassismus geht wie um Selbstbeweihräucherung. Dies ist auch der Fall, wenn Connewitzer/Volkmarsdorfer Antifaatzen nur mit sexy Posts von YPJ-Soldatinnen auf Social Media zur Solidarität mit KurdInnen aufrufen, aber zu Erdogans oder Assads Bomben ebenso nur betretenes Schweigen anzubieten haben wie ›intersektionale Queerfeminist*innen‹ zu Erdogans Austritt aus der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen mit der Begründung, dass diese benutzt werden könnte, um »Homosexualität zu normalisieren«.(3)

Die Denunziation, die genau von derlei vermeintlichen AntirassistInnen einem Omik K. oder aber auch dubiosen islamischen Institutionen selbst ausgeht, zeichnet diesen Akt nun als einen des Rassismus. Als einen, der nicht explizit einer dem türkischen Regime unterstellten, islamfaschistischen Radikalisierungsstätte gewidmet wäre, sondern dadurch motiviert gewesen wäre, einen Zufluchts- und Gebetsort für Geflüchtete zu zerstören und diesen zu schaden. Tatsächlich aber tut Erdogan dies – sowohl in der Türkei, in der er Menschen überhaupt zur Flucht zwingt, aber auch in der BRD oder in Österreich, wo vor einigen Jahren Aufnahmen auftauchten, die von Kleinkindern nachgestellte Kriegsübungen in den Räumlichkeiten der ATIB zeigten(4) und politische und ethnische Konflikte aus der Türkei auch innerhalb der Refugee-Community ausgetragen werden. Es scheint auch keinerlei Rolle zu spielen, dass die Attacke sich abends abspielte und sich z.B. keinem Asylheim widmete, ergo sie nicht stattfand, um MigrantInnen psychisch oder gar körperlich zu schaden oder ihre Wohnräume zu zerstören – anstatt den sonst so beliebten Slogan »Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft« auch hier als Tatmotiv anzuerkennen, wird der Akt zu solchen á la Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda umgedeutet. Diese Denunziation endete mit dem projektionsgeladenen Angriff auf das Büro der Islamapologetin Jule Nagel, die höchstpersönlich mehrmals die antideutsche Leipziger Initiative gegen Islamismus verurteilte bzw. zum Protest gegen sie aufrief, als diese im Dezember 2018 eine kritische Kundgebung vor der Al-Rahman-Moschee abhielt, da ihr Imam bis heute volksverhetzende Inhalte predigt und gute Verbindungen ins terroristische Milieu unterhält. Es traf ebenso das Conne Island, das einen universalistischen Antifaschismus vertritt und in dem im Gegensatz zum Linxxnet immerhin tatsächlich einige Antideutsche tätig sind. Es wäre somit für den Angriff auf die DITIB verantwortlich zu machen.

Ich kann an dieser Stelle selbstredend nicht für alle sich antideutsch verortenden Personen sprechen, but I will say this: Ja, es gibt mittlerweile viele Linke, die sich so bezeichnen, weil sie dieses Label plötzlich als affirmative pseudoalternative Selbstbezeichnung entdeckt haben, jedoch oberflächlichen Zionismus und ein bisschen Manifest lesen damit verwechseln, was es bedeutet, antideutsche Kritik zu üben. Die absolute Mehrheit von uns IdeologiekritikerInnen wäre auf einer 1312-/Free-Lina-Demo jedoch niemals vorzufinden gewesen und tendiert nicht dazu, im barbarisch anmutenden Block über die Eisenbahnstraße zu ziehen und spontan alles mögliche in Brand zu setzen. Egal jedoch, wie man zu der Tat steht, erinnert seien sowohl die KritikerInnen als auch die BefürworterInnen dieses Angriffs in unseren eigenen Reihen an Adorno: »Die Gewalt kann ein Symptom der Barbarei sein, sie braucht es aber nicht in jedem Fall zu sein«.(5) Denn selbst, wenn man diesen Protest aufgrund seiner Form nicht goutiert, machen wir uns nichts vor: Der Akt der Sachbeschädigung war nur ein Strohmann, da jeder in Leipzig und darüber hinaus weiß, dass es reicht, islamkritische Sharepics auf Social Media zu teilen oder inhaltliche Kritik in verschriftlichter Form zu äußern, um sich einen Rassismusvorwurf einzuheimsen. Was aber jedem antideutschen Kritiker stets deutlich und präsent ist, ist dass es niemanden zu respektieren gilt, der als Teil »einer Religions- oder Volksgemeinschaft anerkannt«(6) werden will. Auch nicht diejenigen, die sie hofieren und lieber teils jüdische, kurdische, jezidische Kommunisten des Rassismus denunzieren anstatt diese Communities gegen tatsächliche Faschisten jeglicher Herkunft zu schützen. Somit bedeutet antideutsch zu sein zwangsläufig, sich nicht als Mitglied der deutschen Linken verstehen zu können.Wie sich anhand dieser Debatte erneut veranschaulichen lässt, ist das jedoch kein großer Verlust und geschieht aus validen Gründen.

In diesem Sinne bleibt den Angreifern nur zu sagen, dass sie die richtigen – teils religiösen – Gefühle verletzt haben. An alle anderen: Choose your weapon – meine ist die Tastatur – und nieder mit der AKP!

Tina Sanders

Anmerkungen

(1) https://www.polizei.sachsen.de/de/MI_2021_85753.htm
(2) https://www.rnd.de/politik/tuerkischer-staatschef-vergleicht-islamophobie-mit-dem-holocaust-BYFWYZTHZNCJDNQY6WMLALGIVE.html
(3) https://www.dw.com/de/istanbul-konvention-ankaras-homophobe-begr%C3%BCndung/a-56955759
(4) https://www.sueddeutsche.de/politik/verstoerende-kinderbilder-kriegsspiele-in-moscheen-1.3950187
(5) Adorno, Theodor W. (1968): Erziehung zur Entbarbarisierung. In: Adorno, Theodor W. (2013): Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt: Suhrkamp. 24. Auflage. S. 124.
(6) Dahlmann, Manfred (2019): Vorwort zur Neuauflage: Was heißt antideutsch?, In: Bruhn, Joachim: Was deutsch ist. Zur kritischen Theorie der Nation. Freiburg/Wien: Ca ira. 2. und erweiterte Auflage S. 15.

02.05.2022
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