• Titelbild
• In eigener Sache
• inside out: Statement des Conne Island zur Praxis Hallescher Hochschulgruppen
• Teaser zur LAN-Party »Third Wave«
• doku: Von der Kunst des Selbstbetrugs
• inside out: Disclaimer
• position: For ever young? – Ein Kommentar zur Diskursfähigkeit linker Feminist:innen
Die Politik linker studentischer Gruppen frustriert mich schon seit längerem, insbesondere wenn es um das Thema Feminismus geht. Die jüngsten Ereignisse haben meinen Frust verstärkt und mir gleichzeitig einen Anlass gegeben, diesen Text zu verfassen. Als Studentin fühle ich mich mitverantwortlich für eine Generation sich als links verstehender Studierender, deren Mentalität zum Teil pubertären Charakter hat.
Die Naivität, zu glauben, man sei in seinen Erfahrungen einzigartig und niemand könne einen verstehen, ist nur ein Aspekt, der uns in der Phase des Erwachsenwerdens, die wir Pubertät nennen, begleitet. Auch Abgrenzung ist ein wichtiger Schritt des Prozesses und bewahrt uns im besten Falle davor, konservativ zu werden. Teilweise kann diese Abgrenzung in Extreme ausschlagen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität begleitet uns währenddessen. Dieser Fokus auf die eigene Identität sowie die damit einhergehende Unsicherheit verleiten dazu in Schubladen zu denken. Zudem verschleiert die Intensität jugendlicher Emotionen oft rationales Denken und vernunftbasiertes Handeln.
Die pubertäre Art junger linker Politik erlebe ich im Sinne einer Politik, die auf Empfindsamkeiten beruht, die in ihrer Wut wild um sich feuert, die sich immer im Recht sieht, sensibel auf Kritik reagiert und in jugendlichem Eifer oft über das Ziel hinaus schießt. Bashing und Cancel-Culture, Triggerwarnungen und Opferkult sind Symptome dieses Zustands, der sich seit einigen Jahren verschlechtert. (Vor längerer Zeit wurde ich mit meiner Politgruppe dafür kritisiert, dass wir vor dem Screening eines Films mit dem Titel »Abortion« keine Triggerwarnung ausgesprochen hatten, dass dort explizit das Thema Schwangerschaftsabbrüche behandelt wird.) Zwar werden diese Phänomene auch umfangreich in der Linken diskutiert, doch verfallen die Beteiligten aller Lager schnell in aggressive Polemiken. Es mangelt in Auseinandersetzungen an Differenzierungsfähigkeit, Empathie, Wohlwollen und Sachlichkeit. Schon vor drei Jahren sprach sich der Autor Kenan Malik(1), in Bezugnahme auf die Kontroversen rund um den Gender Recognition Act in Großbritannien, dafür aus, Uneinigkeit nicht mit Hass zu verwechseln. Er verteidigte unter anderem Kathleen Stock, eine der Kritikerinnen des Gesetzes. Diesen Monat trat die Professorin aus Sussex aus Angst um sich und ihrer Familie von ihrem Posten zurück, weil sie auf dem Campus massiv von Feminist:innen bedroht und belästigt wurde.
Als aktuelles lokales Beispiel dafür, wie politische Aktivist:innen meiner Generation sich unreif verhalten, sei der Vorfall an der Universität Halle angeführt. Dort fordert der StuRa, der mehrheitlich aus Linken, Grünen und Jusos besteht, die Auflösung der seit über 12 Jahren Politarbeit leistenden AG Antifa. Grund für den Antrag ist, dass der AK Antifa Veranstaltungen zur Gendertheorie organisiert hat, in denen diskutable Thesen aufgestellt wurden, die nicht einem queerfeministischen Verständnis entsprechen. Die Ideologiekritiker:innen der AG werden durch die Offene Linke Liste des StuRa (OLLI) wegen Transphobie und Queerfeindlichkeit an den Pranger gestellt. Sie möchten die AG nicht mehr finanziell mit den Geldern des StuRa unterstützen. Ihr Linkssein, das nicht der queerfeministischen Auffassung entspricht, wird ihnen »abgesprochen«, indem sie als rechte Antideutsche diffamiert werden. Tatsächlich eindeutig rechte, (trans-)feindliche Menschen und Gruppierungen freuen sich unterdessen darüber, dass die Linke sich selbst zerfleischt und ihnen so die Arbeit abnimmt. In Neonazi-Foren wird die Auflösung des AK geradezu gefeiert.
In Ihrem Statement(2) schreibt die Offene Linke Liste: »Wir sind bereit, Gruppen – auch finanziell – zu unterstützen, deren politische Positionen sich nicht mit unseren decken. Allerdings ist diese innerlinke Solidarität kein Freifahrtschein und endet ganz klar dort, wo gewisse rote Linien überschritten werden…«. Wo diese roten Linien sind, liegt dabei im Ermessen der Anklagenden selber.
Der Queer Theory, die unter anderem von der AG Antifa kritisiert wurde, ist es inhärent, dass die Dekonstruktion von Kategorien ins Unermessliche fortgeführt werden kann. Dadurch können auch Diskriminierungsformen unendlich ausgeweitet werden. Dementsprechend werden die »roten Linien« in immer weiteren Kreisen um Personen und Gruppen gezogen. Eine Überschreitung dieser Grenzen wird wahrscheinlicher. Der Vorwurf von Feindlichkeit, häufig gegenüber transsexuellen Menschen, wird dann hervorgebracht; oftmals aus dem eigenen Gefühl heraus. Die Entscheidung, ab wann jemand tatsächlich feindlich ist, liegt dann im Auge des Anklägers. Auch wenn der AK Antifa selbst sich offiziell gegen Transfeindlichkeit ausspricht: »Im Zweifel für den Angeklagten« gilt in diesem Fall offenbar nicht.
Ein häufig beobachtetes Phänomen der jungen linken Politik ist es, bevorzugt mit denjenigen in Konflikt zu treten, die einem – politisch gesehen – nahe stehen. Innerlinke Konflikte sind wichtig für die politische Entwicklung. Der Umgangston in der Linken verhindert aber häufig konstruktive Auseinandersetzungen. Es wird zum Teil gar nicht erst versucht in eine inhaltliche Diskussion zu gehen. Im Falle des AK Antifa ist es auffällig, wie queerfeministische Gruppen schon im Voraus aufgrund des Veranstaltungstitels eine Gegendemonstration planen, ohne dass sie die Inhalte der Veranstaltung kennen können. Ähnliche Reaktionen linker Gruppen sind mannigfaltig in der Vergangenheit zu finden. Als beispielsweise Naida Pintul am 25. Oktober 2019 in Leipzig eine Veranstaltung mit dem Titel »Zur Kritik der Prostitution« halten sollte, wurde schon im Vorfeld Protest am Veranstaltungsort organisiert. Die Organisator:innen der Protests verkündeten im Internet: »Wir möchten uns nicht in den Diskussionsrahmen der Veranstaltung begeben, sondern schaffen dafür unseren eigenen Raum«(3). Die Empörung darüber, wenn eine sich als links verstehende Person oder Gruppe konträre Meinungen vertritt, erscheint dann überdimensional groß.
Mit weniger Misstrauen und mehr Vertrauen darauf, dass andere auch ehrenwerte Ziele verfolgen, könnte man viele Ressourcen für echte politische Kämpfe sparen. Denn auch wenn es in Anbetracht der politischen Landschaft oft wirkt, als gebe es keine wirklichen Gründe mehr für linke Politik, besteht doch dringender Handlungsbedarf. Rechte Strömungen erfahren Zuwachs, Abtreibungsgesetze werden verschärft, alle 3 Tage gibt es einen Femizid, und die Meldungen von antisemitischen, rassistischen und queerfeindlichen Straftaten in Deutschland nehmen in den letzten Jahren kontinuierlich zu(4). Wir bräuchten dringend eine schlagkräftige linke Politik und Fortschritte! Doch stattdessen kommen wir im Minenfeld der Diskriminierungen schwer voran.
Das Potential für eine starke Linke ist an sich vorhanden: Junge Menschen erfahren heute früh eine Politisierung, sei es durch Klimaproteste oder Social Media. Auch bieten Identitätspolitiken aufgrund persönlicher Bezüge einen dankbaren Einstieg in politische Themen. Zugleich wird eine tiefer greifende Auseinandersetzung mit politischer Theorie oder grundlegende, differenzierte Systemkritik, erschwert.
Sich eine eigene Meinung zu bilden, rückt in den Hintergrund, wenn es die oberste Prämisse ist, den Betroffenen die Deutungshoheit zuzugestehen. Seinen eigenen Weg zu finden wird dadurch erschwert, dass die Cancel-Culture wie ein Schwert über allem hängt. Niemand will durch abweichende Ansichten als diskriminierende Person verschrien werden. Es ist ein Dilemma, dass Themen, aus Angst Menschen zu verletzen, gar nicht mehr diskutiert werden und wir stattdessen Meinungen reproduzieren, ohne die Gelegenheit diese aktiv zu hinterfragen. So lernen wir nicht mehr, Sachverhalte differenziert einzuschätzen. Stattdessen werden Entscheidungen, wann eine Grenze überschritten ist, aus dem Bauch heraus getroffen und manchmal trifft es die Falschen.
In einem Radiobeitrag(5) mit der Überschrift »Betroffenenperspektive« bezeichnet eine Person, die stellvertretend für die Protestierenden spricht, die AG Antifa als »Zentrum Rechtsantideutscher«. Die krasse Anschuldigung der betroffenen Person wird nicht anhand von Fakten begründet, sondern vielmehr aus einer Gefühlslage heraus. Die Person erzählt, wie sie von der Veranstaltung der AG erfuhr: »Ich war beim CSD und hab mich da eigentlich sehr wohl gefühlt. Dann kamen die Aktivisti der AG Antifa und haben dort ihr Flugblatt verteilt. Das habe ich dann gelesen und war wütend, weil das Flugblatt cis-sexistisch war und transphob und da Transpersonen und ihre Identitäten auf den Sezierteller genommen werden (…)«. Wieso genau die Veranstaltung transphob ist, wird nicht erklärt. Irgendwie sei der AK Antifa zu ideologiekritisch: »Das Besondere an Rechtsantideutschen ist, dass sie sich verabschiedet haben von Werten und Betrachtungen und Ideologiekritik betreiben, aber diese Ideologiekritik nicht an eine politische Ideologie gekoppelt ist«. Die Kritik an der eigenen Ideologie scheint für viele Personen nicht aushaltbar zu sein. Doch der Anspruch an die eigene politische Szene, ein safe space zu sein, ist verheerend, wenn dies bedeutet, dass Meinungen nicht hinterfragt werden dürfen. Was noch links ist und wann Positionen ins rechte Spektrum abdriften, muss thematisiert werden. Dies sollte jedoch differenziert und in fortlaufender Auseinandersetzung mit den jeweiligen Positionen geschehen.
Letztendlich positionierten sich auch die Mitglieder der OLLI inhaltlich in einem schriftlichen Statement und gingen so eine Debatte ein. Die anfängliche, beinahe reflexhafte Verteidigung, die harten Anschuldigungen gegen die AG sowie die überzogene Reaktion der OLLI bleiben ein schaler Nachgeschmack. Wir sollten diesen Vorfall, stellvertretend für die Hasskampagnen, Anfeindungen und Zerwürfnisse, die sich täglich abspielen, als Appell an unsere erwachsene Vernunft sehen.
Vielleicht hilft es, uns zu vergegenwärtigen, dass feministische (und andere linke) Kämpfe immer schon heterogen waren. Innerlinke Konflikte sind so alt wie der Feminismus selber. Sowohl in der ersten, als auch in der zweiten Welle des Feminismus wurde viel diskutiert. Es gab viele verschiedene Lager mit ihren jeweiligen Vorstellungen davon, auf welchem Wege Gleichberechtigung erlangt werden sollte. Unterschiedliche Wege können zum selben Ziel führen. Feminist:innen der zweiten Welle malten sich noch durch Zusammenschlüsse eine andauernde Massenbewegung aus. Sie forderten, radikale Veränderungen gemeinsam zu realisieren. Die feministische Linke heute ist zum Teil weder radikal in ihren Forderungen noch kompromissbereit.
Wir brauchen wieder eine Basis, auf der wir inhaltlich diskutieren können, ohne uns zu zerfleischen – keinen Kuschelkurs, sondern eine respektvolle Streitkultur jenseits von Feindlichkeit, in der die Streitenden nicht persönlich verletzt sind, wenn jemand anderer Meinung ist und in der Unstimmigkeiten nicht als Angriff gewertet werden. Wir sollten uns bemühen mit fundierten Aussagen statt mit Empfindsamkeiten zu argumentieren. Dabei ist es auch wichtig, ab und an die Verhältnismäßigkeit unserer Maßstäbe zu checken. Wir alle sollten uns ehrlich hinterfragen: Geht es mir um die Umsetzung meiner politischen Überzeugungen oder handle ich aus Eitelkeit und Rechthaberei? Ich wünsche mir nicht nur Diversität für Geschlechter, sondern auch für Meinungen. Wir sollten nicht aus dem Fokus verlieren, was unsere gemeinsamen Ziele und wer unsere gemeinsamen Feinde sind, trotz aller Differenzen. So wird das Potential einer Generation junger Linker gestärkt, die neue Ideen hervorbringt, alte aufgreift und – in der Tradition linker Politik – grundlegende Veränderungen im Sinn hat.
»A lifted world lifts women up,«
The Socialist explained.
»You cannot lift the world at all
While half of it is kept so small,«
The suffragist maintained.
The world awoke, and tartly spoke:
»Your work is all the same:
Work together or work apart,
Work, each of you, with all your heart—
Just get into the game!«
-Charlotte Perkins Gilman, 1912