• Titelbild
• Editorial
• das erste: Die beste Sonntagsbeschäftigung
• Sophia Kennedy
• Flying Wheels Skateworkshop: Frauen- und Mädchen-Empowerment
• »The Great Connewitz Swindle« oder wie der Mythos nach Connewitz kam
• interview: »Die Fettnäpfchen sind uns egal. Nur wenn man die Dinge diskutiert, kommt man zum Kern.«
• review-corner buch: Historischer Materialismus der Computerspiele
• review-corner event: „Allein unter Briten“ – Lesung mit Tuvia Tenenbom
• position: »Das ist kein Antisemitismus...« – Warum #FreeGazaFromHamas immer noch heißen muss, auch die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen zu kritisieren
• doku: Redebeitrag des Bündnis gegen Antisemitismus
• doku: Antisemitismus im Postkolonialismus
• doku: Gedichte von Hilde Domin
• »Antizionismus ist Antisemitismus, und die Welt kann diese Tatsache nicht ignorieren«
Dass die US-amerikanische Linke dem Abgrund geweiht ist - daran besteht kein Zweifel. Gerade in den universitären Kontexten fällt die Regression unerbittlich auf: Seit 2005 findet jährlich an zahlreichen Universitäten die sogenannte »Israel Apartheid Week« statt. Dort werden widerliche antisemitische Propaganda und Vernichtungsfantasien ungehemmt verbalisiert: »I don’t think that Jews deserve their own country. [...] Why should they come and take someone else’s country?«(1) Nicht nur an den Eliteuniversitäten dieser Welt wird der Judenhass im großen Stile kundgetan: Regelmäßig ploppen bei Instagram hippe Slides auf, die Zionismus mit Imperialismus gleichsetzen, »Apartheidsstaat Israel«, »ethnische Säuberung durch die white oppressors« etc.. Es wird derart oft und in verschiedenen Ansätzen von »Landraub« geredet, man könnte fast meinen, man befinde sich in einer »Blut und Boden«-Propagandakampagne der Nazis. Selbstverständlich werden die Slides für die postmoderne Instagram-Bubble mit leeren, nicht näher definierten Kampfbegriffen wie »white supremacy« oder dem scheinheiligen Aufruf »Be anti-Zionist - not Anti-Simetic [sic!]!« aufgepeppt.
Diese Beispiele sollen Aufhänger sein für den folgenden Text. Israel wird als kolonialisierender, landraubender, ausmerzender Staat herbeifantasiert und bedient somit, nun explizit bezogen auf den einzig jüdischen Staat und dessen Bewohner und Bewohnerinnen, die dichotome Schablone des Antirassismus: Diese, wie im vorherigen Text [Antisemitismus im Antirassismus, erschienen bei AG Widerspruch via Facebook; Anm. d. Red.] bereits beleuchtet, unterteilt in »weiße, unterdrückende Völker« versus »nicht-weiße, unterdrückte Völker« - der Staat Israel, Zufluchtsort Juden und Jüdinnen der ganzen Welt, ideologisch als weiß, imperialistisch und westlich betrachtet, wird zu den Unterdrückenden gezählt. Weiter ausgeführt stehen auf der anderen Seite des zutiefst moralisch aufgeladenen Konflikts die rassistisch diskriminierten, subalternen unterdrückten arabischen »Völker«(2). In dieser Ideologie erscheint es legitim, Israel als personifiziertem Imperialist par excellence das Existenzrecht abzusprechen — dass man somit eklatanten Antisemitismus produziert, interessiert die Anhänger der in sich stimmenden Ideologie herzlich wenig.
Doch der ehemalige Kolonialismus in general wird gerne herangezogen, um den Stillstand und die ausbleibende Säkularisierung der arabisch-muslimischen Entwicklung zu rechtfertigen. Dort wird jede einzelne narzisstische Kränkung - die katastrophale Stellung der Frau, der kaum stattfindende Wissenstransfer, das unterdurchschnittliche Bildungsniveau, die Errungenschaften des Westens, mit denen der arabische Durchschnittsbürger tagtäglich konfrontiert wird und vor Allem die Ohnmacht, die mit ihr einhergeht - auf das Äußere, auf die Imperialisten, auf den Westen, auf die »heutigen Kolonialmächte« substituiert. Eine längst überfällige Gesellschaftskritik wird willentlich durch emotional aufgeladene Textkritik ersetzt. Der Niedergang der arabischen Welt durch Religion befeuerte folgenträchtige Entscheidungen ist ein Prozess, der seit Jahrhunderten die arabische Gesellschaft geißelt — die Demütigung erscheint zu groß, als dass man sich mit den Missständen auseinandersetzen wird und will.
Wie bequem und willkommen es doch nun erscheint, dies alles auf die »weißen Kolonialmächte« zu schieben und jedes Versagen als Folge westlichen Kolonialismus — inklusive der imperialistischen Staatsgründung Israels — zu rechtfertigen. Die Beschäftigung mit Kolonialismus stärkt und legitimiert die eigene Ohnmacht - obgleich sie die Ursache der eigenen Ohnmacht erkunden könnte.
Dort liegt auch die simplifizierende Weltansicht des »bösen Imperialismus« vor: Hier wird auf eine binäre, verschwörungstheoretische Weltanschauung zurückgegriffen, die moralisch aufgeladen in »böse« und »gute« Staaten einteilt. Folglich wird soziale Revolution ganz schnell und erfolgreich mit nationalem Befreiungskampf und international blinder Solidarität ersetzt.
Israel, im Zentrum des staatgewordenen antikolonialen Befreiungskampfs, mit dem sich Islamisten und Vertreter der Postmoderne gleichermaßen brüsten, ist der einzig emanzipierte Staat der Nah-Ost-Region und dadurch absolut prädestiniertes Hassobjekt der selbsternannten postkolonialen Befreiungskämpfer und Befreiungskämpferinnen. Der Kampf gegen Israel befriedigt laut Salzborn[2] eine doppelte antisemitische Projektion: den Hass auf den jüdischen Nationalstaat und den Hass auf Israel als Sinnbild der Moderne. Die Liaison der Israel-Hasser mit einer antidemokratischen, antimodernen Schein-Sicherheit, aufgehend im völkischen Kollektiv, wie es auch die postmoderne Bubble unter dem Label »Kultur im woken Gewand« fortführt, ist verlockender als das Wagnis individueller Emanzipation fortzuführen. Wovor man sich fürchtet und was zugleich als das Verführerische verbleibt, das muss im Außen bekämpft werden. Das sich nicht(ein)fügen wollende Jüdische, das entkollektivierende, das Anti-Identitäre, ist dem Antisemiten und der Antisemitin ein Dorn im Auge, der die eigene Ohnmacht und die Möglichkeit auf Befreiung schonungslos vor Augen führt.
Das antisemitische Weltbild ist es demnach, was die postkolonialen und islamistischen Feinde Israels verbindet. Diese Ideologien treffen und verbünden sich im antiwestlichen Ressentiment, in der kruden Ablehnung von Individualismus und dem Postulat der Universalität von Menschenrechten. Es ist demnach auch keine große Verwunderung, wie eng verwoben die Ideologien mit dem Antiamerikanismus sind. In der postkolonialen und islamistischen Befreiungsbewegung zählt das Individuum nichts, das kulturelle Kollektiv und dessen Aufwertung alles. Die Furcht vor der Freiheit (Fromm) stellt somit die Weichen für die antisemitische Dauerrealität.
Eine Realität, die heutzutage keinesfalls vor den Universitäten haltmacht, sondern gerade dort befeuert wird, wie das eingangs Zitierte verdeutlicht. Was Salzborn als ungesunde Mischung von »kognitiver Faktenresistenz« und »emotionaler Aggressivität« als »typisch für die antiisraelische Rhetorik« beschreibt, das trifft im Kern auf all jene postmodernen Strömungen zu, deren Ideologie ein Abwehrversuch der eigenen Ohnmachts-, Kränkungs-und Angstgefühle darstellt. Eine Angst, die akademisiert wurde und als postkoloniale Theorie Antisemitismus zur Wissenschaft erhebt und karrierewürdig macht.
Die postkoloniale Kritik wird niemals einen angemessenen Begriff von Antisemitismus haben, da in ihrer Weltsicht jene manichäische Einteilung in Kolonialvölker und Imperialisten verankert ist, die die antisemitische Logik reproduziert. In der postkolonialen Theorie ist Emanzipation nicht universell, sondern partikular und Herrschaft subjektiv gut, solange sie von den Subalternen ausgeht. In Bezug auf Israel findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt, die die eigentlich Bedrohten zu Tätern macht und gleichzeitig jede Selbstverteidigung delegitimiert. Jedes Unrecht im Namen vermeintlich unterdrückter Völker ist kein Unrecht: Angriffe auf Israel sind Befreiungskämpfe, vice versa ist (Selbst-)Verteidigung stets Angriff. Bei so viel höhnischer Verdrehung historischer Tatsachen kann Einem nur schlecht werden.
Literatur:
Diner, Dan: Versiegelte Zeit. Über den Stillstand in der arabischen Welt, 2005.
Enzensberger, Hans Magnus: Schreckens Männer: Versuch über den radikalen Verlierer, 2006.
Fromm, Erich: Die Gesellschaft als Gegenstand der Psychoanalyse, 1937.
Fromm, Erich: Die Furcht vor der Freiheit, 1941.
Haury, Thomas: Zur Logik des bundesdeuschen Antizionismus, in: Léon Poliakov, Vom Antizionismus zum Antisemitismus, 1992.
AG Widerspruch