Mo Di Mi Do Fr Sa So 
00 00 00 00 00 00 01 
02 03 04 050607 08 
09 10111213 14 15 
16 17 18192021 22 
23 24 25 26 27 28 29 
30 31 

Aktuelle Termine

CEE IEH-ARCHIV

#264, Februar 2021
#265, April 2021
#266, Juni 2021
#267, August 2021
#268, September 2021
#270, Dezember 2021

Aktuelles Heft

INHALT #267

Titelbild
Editorial
• das erste: Die islamistische Rechte. Teil 3. Die Ülkücü-Bewegung: Von der völkischen zur islamistischen Rechten
• kulturreport: »Vom Anderen. Zur Möglichkeit und Unmöglichkeit von Utopien im 21. Jahrhundert«
• interview: Abschiebung heißt …?
• review-corner buch: Postmoderner Kapitalismus: How dare you – Über den Verlust des Nichtidentischen
• review-corner event: AFBL-Brunch
• review-corner buch: Machbarkeitsideologie als Naturbeherrschung
• review-corner buch: »Vorwiegend autoritäre Charaktere«
• position: Being a woman is not just a feeling
• doku: Skateboards sind wichtiger als Grimma
• doku: Rede am offenen Mikrofon zum Thema »Wie sehen unsere und eure Kämpfe gegen sexualisierte Gewalt aus?«
• doku: Dokumentation des Redebeitrags des AFBL bei der Tag der Jugend-Demonstration am 1. Juni 2021
• das letzte: Hausmittel gegen Bauchschmerzen

LINKS

Eigene Inhalte:
Facebook
Fotos (Flickr)
Tickets (TixforGigs)

Fremde Inhalte:
last.fm
Fotos (Flickr)
Videos (YouTube)
Videos (vimeo)



Postmoderner Kapitalismus: How dare you – Über den Verlust des Nichtidentischen

#Das Neue im Alten#

Karl Marx begreift die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften im kommunistischen Manifest als die Geschichte von Klassenkämpfen. Weil es immer dasselbe war, fügt Adorno in den Reflexionen zur Klassentheorie dieser Proklamation hinzu: Vorgeschichte(1). Dieser Auffassung nach verweist aktuelles Leiden stets auf das Ganze und impliziert alles vergangene Unrecht.

Das spiegelt sich in der Kritik der politischen Ökonomie wider, in der Marx die historische Notwendigkeit analysiert, die den Kapitalismus zur Entfaltung brachte, und ergründet somit eine Kritik der ganzen Geschichte selbst. Aus dieser Perspektive erscheint neben der Dialektik immanenten Bewegtheit des Wirklichen ein weiterer statischer Aspekt.

Das Neue fügt sich demnach nicht einfach dem Alten hinzu, sondern bleibt seine Not. Diese Bedürftigkeit zeigt sich in der Konfrontation mit Allgemeinem im Alten als immanenter Widerspruch: Neues ist bloß Altes aus der Nähe.

Durch die Annahme dialektischen Denkens, dass Phänomene weder beliebig noch akzidentiell sind, erscheint das Neue bzw. der Fortschritt als immer neues Unheil.
So vollzieht sich der blinde Fortgang der Zeit, der alte Schrecken, Spuren von altem Leid, das Echo des unabänderlichen Schmerzes, stets im Neuen enthalten. Kritische Theorie wäre somit darauf verwiesen, der grundsätzlichen Bewegtheit zu misstrauen und mit dem Wiederschein jüngsten Unheils die Konturen der ausgebrannten Vorgeschichte zu erleuchten, um ihre Bestimmtheit und Potentiale zu erkennen.

Die Ende März erschienene Broschüre Postmoderner Kapitalismus: How dare you von der Berliner Gruppe en arrêt! versucht diesem Anspruch gerecht zu werden, indem den »kleinen Erzählungen« eine Analyse der »Postmoderne als reale Totalität« gegenübergestellt wird. In durchaus lesenswerten und hellsichtigen Beiträgen werden die verschiedenen Facetten, die bestimmt sind als der neue Geist des Kapitalismus, die korrespondierenden Arbeitsverhältnisse, sowie das politische Engagement aus Sicht der Unternehmen beleuchtet. Es wird dementsprechend versucht, kulturelle Phänomene mit einer neuen Struktur des Kapitals in Verbindung zu bringen. Der wohl entscheidendste Tenor, der sich durch die meisten Texte zieht, ist die zweifelhafte Rolle, die die Linke in den jüngsten Entwicklungen spielt. Die Autoren sehen in den alternativen Lebensformen der (Neuen) Linken ein Modell für die heutige postmoderne Realität. Der Blick richtet sich dabei hauptsächlich auf habituelle Gemeinsamkeiten.

#Horizont Kneipe#

In den Ausführungen bleibt jedoch der Kern einer möglichen kritischen Theorie gegenwärtiger Verhältnisse unberührt: Postmoderne als Ausdruck verpasster Möglichkeiten. Die teilweise kluge, aber bloße Beschreibung offensichtlicher Zurichtung des Restes der verkümmerten Individualität führt lediglich in die trostlose Welt des kleinen Mannes. Dieser, in kitschiger Manier zum Idealbild verklärt, solle doch endlich wieder in der Kneipe gemütlich sein Bier trinken können ohne »irgendwelche Kommunikationsspielchen«. Hinter der Figur des kleinen Mannes verbirgt sich die Frage nach Individualität, die in der Postmoderne besonders fetischisiert wird. Mit dem Gegenpart des Kollektivismus bildet Individualismus eine Antinomie, dessen Widerspruch Reibungspunkt in Hinblick auf Freiheit in der bürgerlichen Gesellschaft war. Im Kapitalismus ist dieser Widerspruch verdinglicht: Individualität und Kollektivität schlagen um in Narzissmus und Anpassung. Beide tragen zur Verschleierung der Verhältnisse bei: Individualismus als Verkennen der hochgradigen Abhängigkeit des Individuums von gesellschaftlichen Prozessen und Kollektivismus als Täuschung darüber, welcher Zwang den Einzelnen vom Kollektiv angetan wird. Somit bleiben Individualität und Kollektivität unerfüllte Desiderate. Beide Pole stehen jedoch in Begriff ineinander aufzugehen, verdichtet zu einem Verhältnis, das sich als Populismus ausdrückt. Die Nivellierung führt in Gefilde, in denen Subjektivität kaum noch gedacht werden kann. Die »geistige Obdachlosigkeit im Co-Working-Space« ist das Äquivalent dieses blinden Prozesses. Doch das deutet auch auf eine Umkehrung hin, nämlich dass eine bewusste politische Vermittlung von Individuum und Kollektiv solch desaströse Zustände verhindern könnte. Die Aufgabe wäre, diese theoretische Möglichkeit der ausgebrannten Geschichte abzuringen.

#Dialektik des Scheiterns#

Das Verdikt über die Befangenheit der Linken in postmodernen Zeiten ist dabei im vollen Umfang des Begriffs ernst zu nehmen. In dem Sinne, dass sie bestenfalls keine Kritik am Kapitalismus hat, die über ihn hinausweist, und im schlimmsten Fall zur Verklärung der neuen Struktur des Kapitals dient.

Dabei ist jedoch der Begriff der Linken nicht nur kulturell zu wenden. Er kann seinen Anspruch nur in Hinblick auf das eigene Scheitern nach Maßgabe des Möglichen(2) erleuchten.

Nur so kann die Wirklichkeit als nicht gleich mit ihrem Potential stehen. Ohne diese Anstrengung gerinnt die offene Frage nach Glück zu einem nostalgischen Bild von der noch nicht komplett zugerichteten Freizeit im Spätkapitalismus. Dabei ist der Defätismus gegenüber zeitgenössischen Kuriositäten nicht einfach wegzuweisen. Dieser geht einher mit der real verschwundenen Möglichkeit von Praxis. Der Begriff dieses Scheiterns schickt sich jedoch an, »seine eigene Unmöglichkeit um der Möglichkeit willen«(3) zu fassen. Eine Abkürzung, vorbei an der Frage des Gescheitertseins, landet im Vergangenen.

Die Broschüre Postmoderner Kapitalismus: How dare you der Gruppe en arrêt! Berlin kann ab fünf Exemplaren gegen Spende über die Mailadresse enarret.berlin@gmail.com bestellt werden.

Danijel J. Katz

Anmerkungen

(1) T. W. Adorno 1942: Reflexionen zur Klassentheorie
(2) W. Benjamin 1942: Über den Begriff der Geschichte
(3) T. W. Adorno 1951: Minima Moralia

30.08.2021
Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig
Tel.: 0341-3013028, Fax: 0341-3026503
info@conne-island.de, tickets@conne-island.de