• Titelbild
• Editorial
• das erste: Die islamistische Rechte. Teil 3. Die Ülkücü-Bewegung: Von der völkischen zur islamistischen Rechten
• kulturreport: »Vom Anderen. Zur Möglichkeit und Unmöglichkeit von Utopien im 21. Jahrhundert«
• interview: Abschiebung heißt …?
• review-corner buch: Postmoderner Kapitalismus: How dare you – Über den Verlust des Nichtidentischen
• review-corner event: AFBL-Brunch
• review-corner buch: Machbarkeitsideologie als Naturbeherrschung
• review-corner buch: »Vorwiegend autoritäre Charaktere«
• position: Being a woman is not just a feeling
• doku: Skateboards sind wichtiger als Grimma
• doku: Rede am offenen Mikrofon zum Thema »Wie sehen unsere und eure Kämpfe gegen sexualisierte Gewalt aus?«
• doku: Dokumentation des Redebeitrags des AFBL bei der Tag der Jugend-Demonstration am 1. Juni 2021
• das letzte: Hausmittel gegen Bauchschmerzen
2021 ist das Jahr – ich werde nicht nur von Männern, sondern auch noch von vermeintlich feministischen Frauen auf meine Reproduktionsorgane reduziert. Pünktlich zum internationalen Frauenkampftag veröffentlicht die Gruppe trans*fläche ein realitätsfernes Zine(1), in dessen Texten ich um meine Menstruation, um meinen lästigen jährlichen Vorsorgetermin bei der Gynäkologin, um meine natürlichen Brüste beneidet werde. Die monatlichen Unterleibskrämpfe, die eingesauten Unterhosen, das ständige Starren auf meinen Busen, das kalte Spekulum – bitte, nehmt es, denn ich habe es satt.
Für mich gibt es da nichts zu beneiden: denn dem Typen, der mich nachts auf meinem Nachhauseweg verfolgt, sodass ich die letzten Meter bis zur erlösenden Haustür rennen muss, interessiert es herzlich wenig, wenn ich ihm mitteilen würde, dass ich mich ja eigentlich gar nicht als Frau definiere. Was er sieht, sind meine Brüste, mein Gang, mein Rock. Ich werde zum Objekt, dessen Angst kurze Macht- und Lustbefriedigung bedeutet.
Die zwangsprostituierte Osteuropäerin, die sich mit rudimentären Sprachkenntnissen in deutschen Bordellen ihren »Lebens«unterhalt verdienen muss, interessiert es auch herzlich wenig, wie es momentan um die Sexualität von ein paar westdeutschen Mittelstands-Kids steht oder wie »empowernd« ein onlyFans-Account sein kann. Für sie ist ihr Frausein eine Qual – eine Qual, die ihr vom kapitalistischen Patriarchat auferlegt wurde. Ihr Frausein wird verkauft - zur unmittelbaren Lustbefriedigung von Männern in der Midlife-Crisis.
#Die Mär vom »falschen Körper« in der Identitätspolitik#
Der Wunsch, sich aus seinem Körper und der damit zusammenhängenden Last von Stereotypen zu befreien, ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Nur leider wird die Wurzel der Problematik nicht ergründet und die folgenden Abschnitte versuche ich kurz zu halten.
Wir wachsen in einem Klassen-System(2) auf, welches die Einteilung von Frauen und Männern in starren Kategorien hervorbringt, darauf beruht und davon profitiert – ich zeichne hier kurz das Bild einer Frau, die den Haushalt schmeißt, Reproduktionsarbeit leistet, die Kinder zu leistungsorientierten und arbeitsfähigen Arbeitskräften erzieht. Konträr dazu steht der Mann, in der Außenwelt, Öffentlichkeit, dem Berufsleben, präsent, der rationale »Ernährer der Familie« – das kapitalistische System lebt von der Familie, denn mit heranwachsenden Arbeitskräften ist das Staatskapital gesichert – im Übrigen ein weiterer Grund, weshalb Abtreibungen leider immer noch verboten werden. Die dominierende Klasse der Männer formt das Bild, wie Frauen zu sein haben sollen, um begehrt zu werden: sexy, dennoch mütterlich, friedvoll, süß. Das greift auch und vor allem auf das Äußerliche: lange Haare, schlank, haarlos, hohe Schuhe, um die Hüfte präsenter in das Blickfeld zu rücken, roter Lippenstift, denn dieser erinnert an eine erregte Vulva – alles, um die Fruchtbarkeit einer Frau zu unterstreichen.
Wenn sich ein Mann dazu entscheidet, als Frau leben zu wollen, dann lebt dieses Bedürfnis von patriarchalen Stereotypen – denn das ist lediglich das, was sich Männer in diesem Falle aneignen können. Der männliche, vom Kapitalismus und Patriarchat geformte Geschlechtscharakter bleibt, Geschlechtscharaktere und geschlechtliche Sozialisation kann man sich nicht aneignen. Männer werden nie die Scham der ersten Periode fühlen, die Last der einseitigen Verhütungsverantwortung, das unangenehme Fragen, weshalb man keine Kinder haben möchte; den Vorwurf, man hätte sich »hochgeschlafen« oder die ständige Unsicherheit, als »irrationale« und »zu emotionale« Frau abgestempelt zu werden. Weil ihr Männer das macht und davon profitiert, ganz egal, wie oft ihr zu eurem »Kritische Männlichkeit«-Wochentreffen geht.
Frausein ist mehr als lange Haare, operierte Brüste, der - im Übrigen auch nur auf die Reproduktionsorgane reduzierte - Wunsch nach einer Menstruation oder der eklatant simple Ausdruck, man »fühle« sich einfach eher wie eine Frau. Wie soll sich Frausein bitte »anfühlen«? Warum denkt man, »cis-Frauen« seien daran schuld, wenn man doch unter dem patriarchalen System, in dem weiblich assoziierte Eigenschaften abgewertet werden, leidet? Warum wird Weiblichkeit überhaupt abgewertet, warum kann es nicht einfach breit anerkannt werden, dass es Männer gibt, die gerne Röcke tragen, sich schminken, hohe Schuhe tragen wollen? Warum sind Identitätspolitische so verdammt gerne Handlanger des Patriarchats? Warum wird gespaltet im Kampf um eine befreite Gesellschaft und stattdessen lieber das zigste Gender definiert? Das sind die Fragen, die Identitätspolitische bearbeiten müssen und sollten. Und ich sehe, dass auch Transfrauen in der Gesellschaft leiden – nur anders als Frauen, jedoch mit demselben Ursprung und dessen Essenz: der Abwertung von Weiblichkeit. Es gibt keinen falschen Körper, es gibt nur das falsche System.
Etwas Richtiges im Falschen: Frauenfreundschaften. Ich liebe es, mit meinen Freundinnen im Park abzuhängen, Sekt zu trinken und uns über nerviges Verhalten der Mitbewohner oder über den letzten Typen (beim nächsten wird es ganz bestimmt besser, mit Sicherheit!) aufzuregen. Ich liebe es, mit meinen Mitbewohnerinnen Trash-TV zu schauen, den »Bachelor« anhand seiner widerlichen Verhaltensstrukturen auseinanderzunehmen, weil wir alle genau wissen, wie solche Dynamiken greifen, wie sich die Kandidatin wohl gefühlt haben muss, wie sich patriarchale Denkmuster zum Leid der Frauen in Beziehungen auswirken – weil wir es alle selbst kennen und in unserer elendig repetitiven, vom Patriarchat geprägten, Vita wiedererkennen. Weil alle Frauen es kennen.
Es gibt keinen falschen Körper in der Identitätspolitik, es gibt nur das falsche System.
Lola