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• das erste: Die islamistische Rechte. Teil 2: Türkische Massenbewegungen und Staatsislamismus
• inside out: Presserat spricht Missbilligung gegen Leipziger Volkszeitung Online aus
• interview: Interview mit CopWatch Leipzig zur Waffenverbotszone und zur Polizei
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• kulturreport: Frech frech frech.
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• position: Mivtza Shlomo – Operation Salomon
• doku: Waffenarsenal in Nordsachsen
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Am Freitag, dem 12. März 2021, sprach der Vorsitzende Richter Jens Kaden das Urteil in einem außergewöhnlichen Verfahren. Nach sechs Prozesstagen befand er Philipp Sch., einen ausgebildeten Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) für schuldig, gegen das Waffen-, Sprengstoff und Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen zu haben. Kaden verurteilte ihn zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gefordert. Die Verteidigung plädierte dagegen mit Verweis auf das Geständnis des Angeklagten für eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten.
Auf seinem Grundstück im nur 50 Kilometer von Leipzig entfernten Collm hatte der frühere Ausbilder des KSK, so gestand er gleich am ersten Prozesstag, Depots mit Waffen, Munition und Sprengstoff angelegt. Zur Begründung seiner Tat gab er an, er habe das Arsenal zunächst in der Kaserne beiseitegeschafft, um die »Ausbildung seiner Einheit« sicherzustellen. Denn immer wieder habe sie mit Engpässen in der Materialbeschaffung zu kämpfen gehabt. Erst als verbandsinterne Ermittlungen wegen erheblicher Mängel in den Munitionsbeständen begannen, will er die Depots von der Kaserne in seinem Garten verlegt haben.(1)
Ermittler_innen hatten diese Depots im Zuge einer Hausdurchsuchung im Mai 2020 gefunden. Unter dem gefundenen Kampf- und Kriegsmaterial befanden sich zwei Kilogramm Sprengstoff (PETN) sowie dazugehörige Sprengmittel, eine Kalaschnikow mit Magazin und mehreren Patronen, eine Schreckschusswaffe, zwei Luftdruckwaffen und mehrere Tausend Schuss Gewehr- und Pistolenmunition. Darüber hinaus hatte er Nebel- und Übungshandgranaten und eine sogenannte Flashbang Granate vergraben.(2) Eine Gelegenheit, das Arsenal straffrei zurückzugeben, ließ Sch. verstreichen, weil er »kein Vertrauen« in die Kommandantur hatte.
Dies zeigte sich auch im Laufe des Verfahrens. Der Kommandosoldat übte durch eine Erklärung zu diesem Sachverhalt späte Rache an seinem ehemaligen Vorgesetzten, Brigadegeneral Markus Kreitmayr. Denn dadurch kam der sogenannte Amnestieskandal ans Licht. Kreitmayr hatte eine anonyme Rückgabeaktion für fehlende Sprengstoff- und Munitionsbestände im KSK angeordnet. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass das rechtsterroristische »Hannibal Netzwerk« sich unter anderem an Bundeswehrbeständen bedient hatte. Im Zuge der Aktion war deutlich mehr Material zurückgekommen, als an Fehlbeständen zunächst gemeldet worden war.(3)
Über diesen Aufreger hinaus, war der weitere Verlauf des Verfahrens wenig brisant. Insgesamt wurden dreizehn Zeug_innen im Saal 215 des Leipziger Landgerichtes gehört. Darunter waren ehemalige Kameraden sowie Vorgesetzte der Spezialeinheit. Sie wurden unter anderem zu den Versäumnissen bei der Munitions- und Sprengstoffausgabe in der Einheit befragt. Zudem sagten Polizeibeamte der »Sonderkommission Rechtsextremismus« (SoKo REX) aus, die die Ermittlungen nach möglichen Kontakten des Angeklagten zu »rechtsextremen Netzwerken« geführt hatten. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass die Indizien für eine Verbindung zu diesen Netzwerken nicht belastbar waren.
Extrem rechtes Weltbild
Doch die Indizien für die von Sch. durchgemachte völkische Radikalisierung sind erdrückend: Neben den Depots fanden die Ermittler_innen bei der Durchsuchung seines Grundstücks zahlreiche Gegenstände, die einen Bezug zum historischen Nationalsozialismus und zum gegenwärtigen Neonazismus aufweisen. So fanden die Beamt_innen Postkarten und Aufkleber mit NS-Motiven, ein SS-Liederbuch, vier Ausgaben der Zeitschrift »Nation und Europa«, (4) ein Exemplar der Broschüre des Neunundzwanzigsechs Verlages »Das Programm Weihnachten 2005«, eine Ausgabe von »Sol Invictus«,(5) ein Exemplar der Monatsschrift »UN Unabhängige Nachrichten« und 14 Ausgaben der Zeitschrift »Der Freiwillige« (Zeitschrift für ehemalige Angehörige der Waffen-SS), sowie mehrere Thor-Steinar Shirts.(6)
Die schwerwiegenden Erkenntnisse über die politische Überzeugung von Philipp Sch. wurden im Verfahren gegen ihn vor dem Leipziger Landgericht kaum verhandelt. Zwar tauchten immer wieder Hinweise auf die Nähe des früheren KSK-Ausbilders zum Neonazismus auf. Doch sie wurden vor Gericht durch seine ehemaligen Kameraden immer wieder relativiert. Zur politischen Überzeugung des Angeklagten sprachen die geladenen Zeugen von »konservativ«, »normal«, »durchschnittlich«, »ruhig, besonnen«, »kein Hitzkopf, der Parolen brüllt«, »in keiner Partei«, »wie die CDU vor 10-15 Jahren«.
Zu einer gänzlich anderen Einschätzung war indes der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr gekommen, der das Ermittlungsverfahren in Gang gesetzt hatte: Der Geheimdienst führte Philipp Sch. spätestens seit 2017 als rechtsextremen Verdachtsfall, er soll auf einer Feier zum Abschied seines damaligen Chefs der zweiten Kompanie Patrick D. den Hitlergruß gezeigt haben. Zudem seien Lieder der rechtsextremen Band »Landser« gespielt und mitgesungen worden. Das anschließende Verfahren gegen D. endete mit einem Strafbefehl. Auch dadurch wurde eine weitere Aufklärung verhindert, da keine weitere Zeugenvernehmungen mehr stattfanden. Doch das interne Disziplinarverfahren gegen Sch. lief weiter – es wurde vermutlich erst im Mai 2019 mit seiner Festnahme beendet.
Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass bei den Ermittlungen die »Sonderkommission Rechtsextremismus« des sächsischen Landeskriminalamtes eingeschaltet worden war. Denn mit Blick auf die Waffendepots im Garten von Sch. und seine politische Nähe zur extremen Rechten, drängte sich geradezu die Frage danach auf, was er mit seinem illegalen Arsenal vorhatte. Die Beamt_innen suchten nach Kontakten zu rechten Gruppen, befragten Kameraden und durchleuchteten sein persönliches Umfeld.
Doch die Ermittlungen der Sonderkommission verliefen im Sande. Dabei war sie durchaus auf mittelbare Kontakte zu rechtsterroristischen Netzwerken gestoßen, etwa das sogenannte »Hannibal Netzwerk«.(7) So hatte Sch. Kontakt mit Frank T., dem Betreiber eines Schießgeländes in Mecklenburg-Vorpommern, der bis 2017 Mitglied in dem rechtsterroristischen Netzwerk war.(8)
Diese Verbindungen und ihr Verhältnis zum möglichen Tatmotiv wurden im Prozess nicht weiter aufgegriffen. Ein erheblicher Teil des Verfahrens drehte sich dagegen um die Frage nach den Haftbedingungen des Angeklagten, die bei der Strafzumessung mildernd wirkten.
Überforderte Gefängnisleitung und distanzlose Psychologen
Nach seiner Verhaftung in Calw, dem KSK-Standort in Baden-Württemberg, war Sch. mit einem Hubschrauber in die JVA in Dresden überführt worden, wo er bis Dezember 2020 unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen in Untersuchungshaft saß. Es sei »das erste Mal« gewesen, dass ein Mitglied der Kommando Spezialkräfte in der JVA Dresden inhaftiert gewesen sei, gab die Leiterin Rebecca Stange gleich zu Beginn ihrer Befragung zu Protokoll. Entsprechend nervös sei man in der JVA gewesen. Die Leitung habe sich erst einmal informieren müssen, was ein Kommandosoldat überhaupt mache, wie er ausgebildet wird.
Nach einer »Recherche bei Google« und einem Blick auf den Haftbefehl sei sie mit ihrem Team schnell zu dem Schluss gekommen, dass es sich um einen besonders gefährlichen Gefangenen handle. Auch wenn Stange vor Gericht nur nebenbei auf die politische Überzeugung von Sch. einging – sie habe die wesentlichen Informationen aus den Medien –, so spielte dies bei den Sicherheitsvorkehrungen doch eine Rolle. Denn es konnte vor dem Hintergrund des Haftbefehls und der medialen Berichterstattung über den Fall nicht ausgeschlossen werden, dass der Gefangene über ein Netzwerk verfüge, das er versuchen könnte zu kontaktieren.
So entschied die Leiterin Sch. in isolierter Absonderung unter zu bringen. Er habe unter vierundzwanzigstündiger Beobachtung gestanden, das Licht in seiner Zelle war auch nachts an, wenngleich gedimmt. Wenn Sch. seine Zelle verlassen wollte, wurden ihm Fuß- und Handfesseln angelegt und er sei in ständiger Begleitung von drei JVA-Wachleuten gewesen. Ausgang hatte er nur alleine, er durfte keinen Kontakt mit anderen Gefangenen haben, weil eine Fremd- und Selbstgefährdung nicht ausgeschlossen werden konnte.
Als Begründung gab Stange die Ausbildung des Kommandosoldaten an. Aus ihrem Kontakt mit dem KSK sei klar hervorgegangen, dass Sch. für Extremsituationen ausgebildet sei – Gefangennahme, Selbstbefreiung, auch Folter Stand zu halten. Entsprechend alarmiert war die Leiterin als sie feststellte, dass der Soldat die Abläufe im Gefängnis genau beobachtete, einmal darauf hinwies, dass man ja die Fesseln auch weglassen könne und versuchte ein Nahverhältnis zu den Wärtern aufzubauen.(9)
Das »manipulative Verhalten«, wie die Gefängnisleitung die Handlungen von Sch. bewertete, war Thema in den Teambesprechungen. An den Beratungen über die Sicherheitsmaßnahmen nahmen neben einem Sozialarbeiter auch ein Gefängnispsychologe teil. Nachdem er den Gefangenen einen Monat beobachtet hatte, weil die Gefahr eines sogenannten »Bilanzsuizids«(10) unmittelbar nach der Verhaftung besonders groß sei, kam letzterer in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass keine große Wahrscheinlichkeit einer Fremd- und Selbstgefährdung vorliege. Er setzte sich dementsprechend dafür ein, dass die Haftbedingungen gelockert würden.
Manipulation seitens des Gefangenen habe er nicht beobachtet. Aufforderungen, entsprechendes Verhalten schriftlich festzuhalten, seien die Vollzugsbeamten nicht nachgekommen. Dennoch wurden die Haftbedingungen erst im Juli gelockert, sodass die permanente Beobachtung auf eine stündliche reduziert wurde. Die Verteidigerin von Sch., Rechtsanwältin Annette Clemens-Sternberger, legte Beschwerde gegen die Haftbedingungen ihres Mandanten ein und im Oktober wurde die Absonderung schließlich gerichtlich aufgehoben, auch unter Berücksichtigung der psychologischen Gutachten.
Vor Gericht sprach der Psychologe mit jahrelanger Berufserfahrung viel in Allgemeinplätzen, die er mit »da gibt es den schönen Satz« begann, bemühte Floskeln, um den Angeklagten zu beschreiben. Zwischendurch wurde er flapsig, als schien er sich den Ernst der Situation und die Gefährlichkeit des Angeklagten nicht vor Augen zu führen. In einem fast schon bewundernden Tonfall sprach er vom ehemaligen KSK-Soldaten. »Korrekt« und »höflich« sei dieser gewesen. Anders als der »typisch dissoziale Knacki«, den er sonst betreuen würde.
In einer seltsam anmutenden Distanzlosigkeit gegenüber dem Angeklagten betonte er, dass er »gerne mehr von denen« hätte. Er machte seine anderen Klienten vor der Öffentlichkeit verächtlich und beschrieb einen Mann, den das Verteidigungsministerium später als »gefährlichen Rechtsextremisten« bezeichnete, als Vorzeigegefangenen. Weder von Staatsanwaltschaft noch von Gericht in Frage gestellt, brachte der Psychologe so ein Verständnis von Staat und Gesellschaft zum Ausdruck, das auf Anpassung und Unterwerfung beruht. Das deutet auf ein tieferliegendes gesamtgesellschaftliches Problem hin: Ein vollkommen unzureichendes Verständnis über die Sozialpsychologie des Rechtsextremismus und dessen tiefe Verankerungen in der politischen Kultur des KSK.
Eine Einheit mit Nazi-Hintergrund
Es wäre verfehlt, die Verbindungen zwischen extrem rechten Gruppen und KSK-Soldaten als spektakuläre Einzelfälle misszuverstehen. Vielmehr ist das Spektakuläre an ihnen, dass sie der Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Es deutet vieles darauf hin, dass die Spezialkräfte strukturell durchsetzt sind von einer politischen Kultur, in der der Nationalsozialismus nostalgisch verklärt wird und in der so neonazistische Ideologien gedeihen können. Zum einen wohl, weil offensichtlich politische Bildung fehlt, um zwischen Konservatismus und völkischer Ideologie zu unterscheiden. Zum anderen aber auch, weil Antisemitismus, Rassismus und NS-Verherrlichung geradezu zum Brauchtum der Truppe gehören. Eine politische Kultur, die eng mit der Geschichte der Spezialkräfte verzahnt ist.
Wie keine andere Einheit der Bundeswehr verkörpern viele der Soldaten das neue nationale Selbstbewusstsein nach der Wende 1990. So hatte die Bundesrepublik unter Helmut Kohl es nicht verkraftet, dass sie zwar einerseits wieder Weltmachtambitionen hegte, andererseits aber auf belgische Spezialkräfte angewiesen war, um deutsche Geiseln im Jahr 1994 in Ruanda zu befreien. »Die Fähigkeit, im Notfall eigene Staatsbürger im Ausland aus Gefahr für Leib und Leben retten zu können, gehört zur grundlegenden Verantwortung eines jeden Staates«, betonte der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe die Notwendigkeit, eine neue militärische Spezialeinheit zu gründen.
1996 war es dann soweit, das Kommando Spezialkräfte wurde aus der Taufe gehoben. Sie rekrutierten sich neben Luftlandebrigaden und Fernspähkompanien auch aus Gebirgs- und Fallschirmjägern. Darunter befanden sich Soldaten aus Varel und Schneeberg, Kasernen, die immer wieder wegen rechtsextremer Vorfälle aufgefallen waren. So waren sie 1997 in die Schlagzeilen gekommen, weil Soldaten der Jägerbataillone im Jahr zuvor während einer Ausbildung für Kriegseinsätze brutale Videos gedreht hatten, in denen die Soldaten sich als Nazis in Szene setzten.(11)
In dieses Klima wurde Sch. hinein sozialisiert. Auf seine Ausbildung im Jahr 1991 und anschließende Berufstätigkeit folgte sein Grundwehrdienst im Jahr 1996. Danach schloss er sich den Gebirgsjägern in Schneeberg an (eine der Einheiten aus denen das KSK hervorging). Weniger Jahre später wechselte er zu den Spezialkräften. So überschneidet sich die Karriere des Soldaten Sch. mit jenen Einheiten, die sich besonders stark an ihre Vorgänger der Wehrmacht orientierten. Elite- und Kriegerethos sowie NS-Nostalgie und völkische Traditionspflege mit einbegriffen.
Wie kein anderer steht dabei die Person Reinhard Günzel für diese Traditionspflege. Obwohl er für das Treiben der Gebirgsjäger in Schneeberg verantwortlich war, eine Abmahnung erhalten hatte und versetzt wurde, landete er dennoch bei den Spezialkräften. Nur ein Jahr vor Sch. wechselte er zu dem KSK und wurde zum Kommandochef befördert. Unter ihm, der auch lobende Worte für die nationalsozialistische SS übrighatte, erhielten die KSK-Soldaten ihren nächsten Auslandseinsatz. Ab 2001 wurde die Truppe in Afghanistan stationiert – dem ersten Angriffskrieg mit aktiver deutscher Beteiligung seit 1945. Die Einheit half dabei nationale Interessen »am Hindukusch« zu verteidigen, wie es der damalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck formulierte.
Ohne großen Hehl daraus zu machen, knüpfte Günzel an eine Wehrmachttradition an, in der vor allem Fallschirmjäger, wie etwa die »Division Brandenburg« als Vorbilder dienten. Die Kriegsverbrechen und Opferbereitschaft für das nationalsozialistische Regime wurden zu Heldentum umgedichtet. Nur zwei Jahre nach seiner Beförderung wurde Günzel 2003 »ohne Dank« aus dem Dienst quittiert, weil er dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann zur Seite gesprungen war, als dieser für eine revisionistische und antisemitische Rede zum 3. Oktober in der Kritik stand, jener Tag, der wie kein anderer für bundesrepublikanische Weltmachtambitionen und den Sieg über den Realsozialismus steht.(12)
Während sich vor Gericht keiner der befragten KSK-Soldaten an politische Äußerungen des ehemaligen Kommandoausbilders Sch. erinnern konnte, zeigte sich im Subtext doch deutlich, wie es um die politische Kultur in der Einheit bis heute bestellt ist: Ohne allzu große Bedenken verwiesen die Zeugen vor Gericht darauf, dass sich NS-General Erwin Rommel und seine Schriften in der Einheit großer Beliebtheit erfreuen. Bis heute gilt eine Operation deutscher Fallschirm- und Gebirgsjäger auf Kreta während des Zweiten Weltkrieges vielen Fallschirmjägern als Vorbild. Die begangenen Völker- und Menschenrechtsverletzungen werden dabei verleugnet oder legitimiert, wie etwa der Militärhistoriker Sönke Neitzel anmerkt.(13)
Mit Blick auf diese NS-Nostalgie darf nicht überraschen, dass bei Sch. ein SS-Liederbuch gefunden wurde. Darin befindet sich auch das sogenannte Panzerlied, das Verteidiger Andrej Klein zur Entlastung seines Mandanten vor Gericht zitierte. Klein wollte mit seiner Einlage zeigen, dass das Lied nicht schlimm sei und das Liederbuch harmlos. Doch Neitzel zufolge steht dieses in der Bundeswehr weithin beliebte Lied für eine Überhöhung des Kampfes und ein Eliteverständnis, das zugleich Opferbereitschaft als Wert an sich propagiere. Es sei fest in der nationalsozialistischen Ideologie verankert. Diese Ideologie ist eng mit männerbündischen Gefühlen verbunden.
Männerbund als Ort völkischer Radikalisierung
Es ist anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die politische Radikalisierung von Sch. bereits Anfang der 1990er Jahre geschaffen wurden. Im Wendejahr feierten ostdeutsche Neonazis gemeinsam mit ihren Kameraden aus dem Westen in den neuen Bundesländern ihren Sieg über den Realsozialismus mit Terror und pogromartigen Überfällen in den Straßen – überwiegend aber nicht ausschließlich – ostdeutscher Städte. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass sich sein rechtsextremes Weltbild erst in Schneeberg und anschließend beim KSK festigte. Dafür spricht, dass ein Großteil seiner Propagandasammlung zwischen Ende der 1990er und Mitte der 2000er entstanden sein muss.
Als zentral hierfür kann die sogenannte »tertiäre Sozialisation« im Männerbund angesehen werden. Autoritäre Charaktere bilden im Männerbund eine Ersatzfamilie in der männlichen Gemeinschaft aus, eine Gemeinschaft, die auf dem Ausschluss von »Weiblichkeit« beruht, sie werden für den Bund als feindselig wahrgenommen, wie die Historikerin Claudia Bruns betont.(14) So etwa die ehemalige Ehefrau, die Sch. als Agentin einer Verschwörung gegen ihn und seine Kameraden betrachtete, als sie beim MAD über die Depots berichtet hatte. Zur Bildung einer solchen männlichen Gemeinschaft gehören Aufnahmerituale, gemeinsame Kampf- und Schamerlebnisse und schließlich die als Heilung wahrgenommene kollektive Abwehr unbewältigter Triebkonflikte im homosozialen Kollektiv.(15)
Der Militärhistoriker Neitzel spricht von soldatischen »Primärgruppen«, die in den jeweiligen Einheiten ausgebildet und gepflegt werden und die für die innere Bindung der Kampftruppen eine tragende Rolle spielt. Der soldatische Männerbund ist ein günstiger Nährboden für völkische Radikalisierung. So hätten solche Verbindungen für die sich zum Vernichtungskrieg radikalisierende Wehrmacht und die zunehmenden Menschen- und Völkerrechtsverletzungen im nationalsozialistischen Feldzug eine tragende Funktion übernommen. Diese Bindungen verstärken sich durch von Neitzel so bezeichnete »tribal cultures«, die sich beim KSK durch ein besonderes Konkurrenz- und Elitedenken auszeichnen. Dadurch entsteht ein äußerst starkes emotionales Band zwischen den Männern, das sie als heilende Kameradschaft erfahren und das zu hintergehen größte Ehrverletzung bedeutet.
Diese Bindungen führen so einerseits zu einer »Mauer des Schweigens«, wie der MAD im Zuge seiner Ermittlungen berichtete und andererseits zu einer Vorstellung von einer lebenslangen Bindung, deren Verlust sich bei Sch. bei seinem Schuldeingeständnis in Tränen bahn brach. Als er am letzten Prozesstag über seine persönlichen Verhältnisse aufklärte, rang der kampferfahrene Mann sichtlich mit seiner Stimme.
Lob von höchster Ebene
Zur vergleichsweise milden Strafe hat beigetragen, dass Sch. von seinen Vorgesetzten in höchsten Tönen gelobt worden war. Sowohl vor Gericht, als auch in den Gutachten, die er im Zuge seiner Karriere bei der Bundeswehr erhalten hatte, wurde er mit den besten Urteilen überschüttet. In einem Dienstzeugnis aus dem Juli 2018 wurde der Kommandoausbilder als eine »entscheidende Stütze« der Einheit bezeichnet. Er sei unersetzlich und immer für seine Kameraden da.
Auch zeichnete der Brigadegeneral und spätere Chef des KSK Markus Kreitmayr das Bild eines makellosen Vorzeigesoldaten. Er sprach in seinem Schreiben, ebenfalls aus dem Jahr 2018, von einer »uneingeschränkten Förderungswürdigkeit« und dass Sch. »zwingend bis zur höchsten Laufbahn zu fördern« sei. Gegen Sch. lief zu dem Zeitpunkt das Disziplinarverfahren wegen Zeigen des sogenannten Hitlergrußes.
Sein damaliger Kompaniechef Johannes W. war ebenfalls voller Bewunderung für Sch. Er habe sich nicht vorstellen können, dass der Ausbilder, dem er so sehr vertraut habe, zu einer solchen Tat in der Lage gewesen sein soll. Er, der kurz in die Rolle des Ersatzvaters schlüpfte, sei »tief enttäuscht«. »Im Leben« habe er das »nicht erwartet«. Dabei hatte er seinen Vorzeigesoldaten schon im Jahr 2019 einmal zurechtweisen müssen, weil er in Vorbereitung auf eine Auslandsreise nach Namibia Hitler imitiert hatte.(16) Obwohl W. das als Scherz aufgefasst haben will, habe er sich dennoch genötigt gesehen, einzuschreiten. »Irgendwann ist Schluss«, antwortete er der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei der Auslandsreise um ein Training der Einheit gehandelt hat, um unter Wüstenbedingungen zu üben. In Namibia werden Trainings des KSK unter anderem auf dem Gelände eines ehemaligen KSK-Soldaten durchgeführt, der dort eine Ranch betreibt und Safaris anbietet – Kolonialromantik inklusive. Von diesem ehemaligen Kommandosoldaten sind ebenfalls Kontakte in die extreme Rechte bekannt, weshalb sein Antrag auf Wiedereingliederung in die Spezialeinheit der Bundeswehr durch den MAD verhindert wurde. Doch dies war nicht Gegenstand des Verfahrens – wie so vieles nicht, was den politischen Kontext betraf.
Viele Fragen
Über 50 rechtsextreme Verdachtsfälle gibt es im KSK, so der MAD in einem jüngst veröffentlichten Bericht. Juristisch macht das die Soldaten noch nicht zu rechtsextremen Gefährdern. Aber wer bescheid weiß, wie sparsam die bundesrepublikanischen Geheimdienste mit der Verfolgung von Neonazis sind, weiß auch, dass hier die Grenzen faktisch fließend sind. Die geheimdienstliche Zurückhaltung führt immer wieder dazu, dass die rechtsextremen Strukturen, die sich innerhalb deutscher Sicherheitsbehörden bilden, konsequent bagatellisiert werden. So ist auch in dem jüngst veröffentlichten internen Bericht des Verteidigungsministeriums erneut die Rede davon, dass keine Netzwerke ausfindig gemacht worden seien.
Doch auch mit Blick auf diesen konkreten Fall bleiben mehr Fragen als Antworten. Warum hat die SoKo Rex die politische Überzeugung des Angeklagten nicht intensiver ermittelt? Warum war der Inhalt der bei Sch. gefundenen Fotos von Waffen-SS und Kriegsverbrechen nicht Gegenstand weiterführender Ermittlungen? Warum hielt es ein LKA Beamter vor Gericht für nötig zu sagen es seien Fotos gefunden worden, die »den Holocaust, ich will nicht sagen relativieren, eher lächerlich machen«? Warum nimmt die Polizei es nicht ernst, wenn ein Zeuge bei seiner Vernehmung davon spricht, dass eine »Zombieapokalypse« – ganz im Sinne eines »Tag X« – der Grund für das Handeln von Sch. gewesen sein könnte? Warum geben sich Staatsanwaltschaft und Polizei damit zufrieden, wenn sie auf eine »Mauer des Schweigens« stoßen? Müsste das nicht vielmehr Anlass für umso intensivere Bemühungen sein? Warum geben sie sich mit Plattitüden über die politische Einstellung des Angeklagten zufrieden?
Warum macht der vorsitzende Richter fehlende »Linksliberale und Grüne« dafür verantwortlich, dass es Neonazis beim KSK gibt und nicht Konservative, die hier offensichtlich ein Abgrenzungsproblem zu völkischen Ideologien haben? Warum sticht das Verteidigungsministerium erst nach der Verurteilung des Angeklagten einen internen Bericht durch, in dem Sch. als ein »seit langer Zeit ideologisch überzeugter und aufgrund seiner Spezialisierung besonders gefährlicher Rechtsextremist« klassifiziert wird? Was hatte er wirklich mit Waffen, Sprengstoff und Munition vor? Der Prozess hat keinerlei Aufklärung über diese Fragen gegeben.
Das lag nicht so sehr am Vorsitzenden Richter. Denn er konnte letztlich nur verhandeln, was die Staatsanwaltschaft zur Anklage gebracht hatte und was von der Polizei ermittelt worden war. Hier war es das Zusammenspiel aus männerbündischer Verschwiegenheit und wenig engagierten Ermittlungen, die eine Aufklärung verhinderten.
Der Text erschien zuerst am 8. April auf der Webseite von chronik.LE.
chronik.LE ist eine Plattform zur Dokumentation faschistischer, rassistischer und diskriminierender Vorfälle in der Stadt Leipzig sowie den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen. Auf der Webseite www.chronikLE.org veröffentlichen wir diese Ereignisse. Die Online-Chronik bildet die Grundlage für Analysen und Broschüren wie die »Leipziger Zustände«. Gegenstand der Dokumentation sind Handlungen, die maßgeblich aus Ideologien der Ungleichwertigkeit heraus motiviert sind. Wir zählen hierzu v.a. Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Sozialdarwinismus.
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Felix Sassmannshausen